Transkript
VITAMIN K
Vitamin K – das wiederentdeckte Vitamin
BARBARA WALTHER*
Vitamin K, als letztes der vier fettlöslichen Vitamine entdeckt, fristete lange Zeit ein eher unbeachtetes Dasein. Erkenntnisse aus neuerer Zeit, die neben seiner ursprünglich erkannten Rolle bei der Blutkoagulation nun auch seinen Beitrag bei der Knochengesundheit zeigen sowie einen Zusammenhang beim Schutz vor Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermuten lassen, haben das Interesse an diesem Vitamin wieder geweckt.
Im Jahr 1929 beobachtete der Biochemiker Henrik Dam in einem Experiment mit fett- und cholesterinfrei ernährten Hühnern das Auftreten von subkutanen und muskulären Blutungen. Er erkannte, dass die Ursache dieser Störungen das Fehlen einer fettlöslichen Komponente sein musste, die sich allerdings von den bisher bereits bekannten fettlöslichen Vitaminen A, D und E unterscheiden musste. Dam schlug deshalb vor, diesen gerinnungsfördernden Faktor «Vitamin K» zu nennen, gemäss dem ersten Buchstaben des Wortes Koagulation. Als Quellen für dieses neu entdeckte Vitamin wurden rasch grünblätterige Pflanzen und ihre Öle, aber auch gewisse tierische Gewebe, wie zum Beispiel die Leber, eruiert. Die Tatsache, dass auch fermentiertes Fischmehl gerinnungsfördernd wirkt, liess vermuten, dass auch die Aktivität von Mikroorganismen zur Bildung von Vitamin K führt (1). Seiner Herkunft entsprechend wurde Vitamin K in zwei Hauptgruppen eingeteilt, nämlich die Phyllochinone (K1) aus pflanzlicher Synthese und die Menachinone (K2) aus tierischen Geweben oder mikrobiologischer Produktion. Letz-
*Agroscope, Inst. für Lebensmittelwissenschaften, Bern
tere treten in verschiedenen Formen auf, denen ein kondensiertes aromatisches Ringsystem gemeinsam ist (Menadion). Sie unterscheiden sich durch die Länge der Seitenkette, weshalb man von kurzund langkettigen Menachinonen spricht. Sowohl Herkunft als auch Funktion sind je nach Länge der Kette unterschiedlich. Eine spezielle Form ist jene des kurzkettigen MK-4, das in Mensch und Tier durch gewebespezifische Umwandlung aus Phyllochinon oder aus supplementiertem Menadion entsteht. Alle längerkettigen Menachinone werden von Bakterien hergestellt, spielen eine Schlüsselrolle in der mikrobiellen Atmung und schützen die Zellmembranen vor Lipidoxidation. Diese Funktionen der Menachinone sind vor allem für die Milchsäurebakterien von grosser Bedeutung. Milchsäurebakterien sind die wichtigsten Vertreter der Gruppe der Starterkulturen und für die Herstellung fermentierter Lebensmittel essenziell.
Vitamin K in Lebensmitteln,
Verfügbarkeit und Empfehlungen
Während Phyllochinon (K1) in Lebensmitteln verbreitet vorkommt, insbesondere in grünblättrigem Gemüse wie Mangold, Spinat oder Kohl und Öl (Soja-, Raps-, Oli-
venöl), findet man die Menachinone (K2) primär in Milchprodukten, Fleisch und fermentierten Lebensmitteln. Leider sind die Gehalte an Vitamin K von vielen Lebensmitteln nicht bekannt. Von 30 durchsuchten Lebensmitteldatenbanken weisen nur 7 die Vitamin-K-Werte für gewisse Lebensmittel aus. Die einzige Datenbank, die explizit die Gehalte an Menachinon (MK-4) ausweist, ist jene aus den USA. Alle übrigen geben nur Phyllochinon beziehungsweise eine Summe aus Phyllochinon und Menachinon an oder machen keine Angaben, welche Form gemessen wurde. Angaben über den Gehalt längerkettiger Menachinone sind in den Datenbanken nicht und auch in der Literatur nur spärlich zu finden. Dieser Mangel an Daten macht es der Wissenschaft sehr schwer, einen Bezug zwischen der Vitamin-K-Aufnahme und einzelnen Gesundheitsaspekten zu zeigen. Es sind jedoch Bestrebungen im Gange, durch geeignete Analysemethoden die Gehalte der verschiedenen Menachinone in Lebensmitteln – nach Kettenlängen differenziert – zu bestimmen und damit diese Lücken zu füllen. Insbesondere die längerkettigen Menachinone (MK-7 bis MK-9) sind von Interesse, da sie offenbar über eine längere Halbwertszeit verfügen
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als die kurzkettigen Varianten oder das pflanzliche Phyllochinon. Zudem ist die Absorption aus fermentierten Lebensmitteln (Milchprodukte und Natto) nahezu vollständig, während nur etwa 10 bis 15 Prozent des pflanzlichen Vitamin K aus Gemüse aufgenommen werden kann (2). Aufgrund der wenigen verfügbaren Angaben wird geschätzt, dass Milch und Käse 22 beziehungsweise 54 Prozent zur Gesamtversorgung an Vitamin K beitragen. Es ist daher von grossem Interesse, die Einflüsse auf die Gehalte in diesen Milchprodukten, aber auch in anderen fermentierten Lebensmitteln zu kennen und entsprechend zu optimieren. Bisher sind erst wenige Bakterienstämme aus Milch- und Fleischprodukten identifiziert worden, die längerkettige Menachinone synthetisieren. Die grössten Mengen stellt das Bakterium Bacillus subtilis «natto» her, das bei der Fermentation von Sojasprossen aktiv ist. Natto, wie dieses fermentierte Sojaprodukt genannt wird, ist im asiatischen Raum verbreitet, wird jedoch wegen des speziellen Geschmacks und seines Aussehens in der übrigen Welt kaum konsumiert. Das fehlende Wissen um die Verfügbarkeit und Wirkung der verschiedenen Formen von Vitamin K, wie auch die neueren Erkenntnisse zu ihrer Relevanz für die menschliche Gesundheit, die über die Blutkoagulation hinausgehen, werden auch in den Empfehlungen zur Aufnahme erkennbar. Die Angaben gehen mit Empfehlungen zwischen 50 und 120 mg pro Tag für Erwachsene weit auseinander und werden je nach Land lediglich als adäquate Aufnahme oder als Schätzwerte angegeben.
Gesundheitsaspekte
Die Erkenntnis, dass es einen Zusammenhang zwischen Vitamin K und der Knochengesundheit geben könnte, beruht auf der Tatsache, dass Vitamin K in die Synthese von Proteinen involviert ist, die bei der Knochenbildung eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere erwähnt werden muss dabei das von den Osteoblasten gebildete und im Knochen vorherrschende nicht kollagene Osteocalcin, das als Serummarker der Knochenneubil-
dung dient. Die Resultate klinischer Studien mit verschiedenen Vitamin-KFormen in unterschiedlichen Konzentrationen und Anwendungsmatrices sind aber nicht einheitlich. Die Ergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass das Zusammenspiel verschiedener Nährstoffe wie Kalzium, Vitamin D und Vitamin K wichtiger ist als der einzelne Stoff allein. Noch schlechter ist die Datenlage im Bereich des antikanzerogenen Potenzials von Vitamin K. In In-vitro-Studien konnte gezeigt werden, dass Menachinone das Zellwachstum stoppen und den Zelltod (Apoptosis) induzieren können. In den wenigen klinischen Studien konnte dieser Effekt nur mit relativ hohen Vitamin-KDosen erreicht werden. Zudem ist eine Vitamin-K-Supplementation bei Krebspatienten oft nicht erwünscht, da sie meist im Zusammenhang mit der Therapie Koagulationshemmer erhalten. Eine grosse Kohortenstudie konnte eine schützende Wirkung von Vitamin K aus Lebensmitteln im Hinblick auf das Auftreten von Prostatakrebs und Krebserkrankungen im Allgemeinen sowie eine Verminderung des karzinogenen Sterblichkeitsrisikos zeigen. Diese Resultate müssen allerdings noch bestätigt werden. Die Vermutung, dass Vitamin K einen risikomindernden Effekt für Herz-KreislaufErkrankungen haben könnte, rührt von der Erkenntnis her, dass bei Patienten, die mit einem Gerinnungshemmer behandelt werden, eine vermehrte Verkalkung der Blutgefässe auftritt. In einer klinischen Studie konnte denn auch das Fortschreiten der Verkalkung durch die Supplementierung mit Phyllochinon reduziert werden. Und in einer niederländischen Kohortenstudie zeigten Probanden, die langkettige Menachinone vor allem aus Milchprodukten konsumiert hatten, ein reduziertes Risiko, koronare Herzkrankheiten zu erleiden. Einmal mehr ist jedoch nicht klar, ob die Menachinone allein für den positiven Effekt verantwortlich sind, oder ob andere oder weitere Inhaltstoffe der Milchprodukte eine Rolle spielen. Zum anderen wurde bei Patienten, die mit Gerinnungshemmern behandelt wurden, festgestellt, dass eine Supplementie-
rung mit Vitamin K2 die Wirkung dieser Medikamente vermindert. Ob die über die Nahrung aufgenommenen Mengen an Vitamin K denselben Effekt haben, ist nicht bekannt. Dazu fehlen einerseits genügend Daten zu den Gehalten in den Lebensmitteln, andererseits aber auch entsprechende Studien zur Überprüfung der Bioverfügbarkeit und Wirksamkeit im Menschen.
Fazit
Die Kenntnisse rund um Vitamin K beschränkten sich lange Zeit auf die pflanzliche Form Phyllochinon und ihre Funktion in der Blutgerinnung. Die systematische Erfassung der Menachinone, die bakteriellen Ursprungs sind, sowie des kurzkettigen Sonderfalls MK-4, einem Stoffwechselprodukt von Phyllochinon und Menachinon, brachte auch neues Wissen zur Wirksamkeit dieser Vitamin-KFormen. Zurzeit fehlen jedoch noch Daten zu den Gehalten von Vitamin K allgemein und den Menachinonen im Speziellen, die in den Lebensmitteln zu finden sind. Zudem müssen die Hinweise auf eine schützende Wirkung vor Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie die positive Wirkung auf die Knochengesundheit in weiteren klinischen Studien überprüft und erhärtet werden (3).
Korrespondenzadresse: Dr. Barbara Walther Agroscope, Institut für Lebensmittelwissenschaften ILM Schwarzenburgstrasse 161, 3003 Bern E-Mail: barbara.walther@agroscope.admin.ch
Literatur: 1. Ferland G. The Discovery of Vitamin K and Its Clinical Applications. Ann Nutr Metab 2012; 61: 213–218. 2. Gijsbers BLM, Jie KSG, Vermeer C. Effect of food composition on vitamin K absorption in human volunteers. British Journal of Nutrition 1996; 76: 223–229. 3. Walther B, Karl JP, Booth SL, Boyaval P. Menaquinones, Bacteria, and the Food Supply: The Relevance of Dairy and Fermented Food Products to Vitamin K Requirements. Advances in Nutrition: An International Review Journal 2013; 4: 463–473.
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