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ENTERALE UND PARENTERALE ERNÄHR UNG
Parenterale Ernährung – Wissenswertes in Kürze
CLAUDIA REINKE, ZENO STANGA*
Die orale Nahrungszufuhr ist die übliche physiologische Form der Ernährung bei gesunden Menschen. Ist diese optimale Ernährungsform auch auf enteralem Weg nur unzureichend möglich oder kontraindiziert, können Flüssigkeit und Nährstoffe – unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes – intravenös zugeführt werden. Die parenterale Ernährung kann Patienten vor einer drohenden Mangelernährung bewahren und so ihre Prognose verbessern.
Die parenterale Ernährung wird definiert als «künstliche Ernährung durch die intravenöse Gabe von Wasser und Nährstoffen wie Aminosäuren, Glukose, Lipide, Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente» (1). Eine sichere, effektive und risikoreduzierte parenterale Ernährung hat sich in Form der All-in-one-Ernährung (AIO-Ernährung) für praktisch alle Indikationen und Anwendungen etabliert (2). Die Indikation zur parenteralen Ernährung ist gemäss den Leitlinien der DGEM (1) nur gegeben, wenn eine orale und/oder enterale Ernährung über einen längeren Zeitraum (mehr als 3 Tage) aufgrund einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Gastrointestinaltrakts nicht durchführbar oder kontraindiziert ist oder wenn sie schlecht toleriert wird. Im Vergleich zur enteralen Ernährung ist die Ernährung via Vene nicht nur unphysiologischer, sondern auch mit einem höheren Komplikationsrisiko verbunden und kostenintensiver. Wenn immer möglich wird daher empfohlen, eine enterale Ernährung einzusetzen. Können jedoch 60 Prozent des täglichen Gesamtenergiebedarfs wegen einer verringerten enteralen Toleranz so nicht ausreichend gedeckt
*Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Universitätsspital, Inselspital Bern
werden, ist – bei entsprechender Indikation – der Einsatz einer kombinierten enteralen/parenteralen Ernährung angezeigt. Gemäss einer kürzlich erschienenen randomisierten, kontrollierten klinischen Studie, die den Einfluss einer parenteralen Zusatzernährung (ab 4. Tag Intensivpflegestation) zur Optimierung des Energiebedarfs bei kritisch Kranken untersuchte, bringt die kombinierte Nahrungszufuhr für diese Patienten gesundheitliche Vorteile: Die Rate nosokomialer Infektionen nahm unter der zusätzlichen parenteralen Ernährung von 38 Prozent auf 27 Prozent ab, gleichzeitig verringerte sich die durchschnittliche Anzahl nosokomialer Infekte pro Patient. Die Autoren sehen in dieser supplementierenden Ernährungsstrategie eine Möglichkeit, die klinischen Ergebnisse bei Intensivpatienten durch die gesteigerte Energiezufuhr günstig zu beeinflussen (3).
Substrate in der parenteralen
Ernährung
Kohlenhydrate Zu den wichtigsten Substraten in der parenteralen Ernährung gehören die Kohlenhydrate als Energielieferanten. In der Regel sollten etwa 60 Prozent der Nichteiweissenergie als Kohlenhydrate zugeführt werden (4). Heute kommen fast aus-
schliesslich Glukoselösungen in Konzentrationen von 5 bis 50 Prozent zum Einsatz. Die empfohlenen Zufuhrmengen liegen bei 4 bis 5 g Glukose/kg Körpergewicht pro Tag (4). Die Steuerung der Glukosezufuhr erfolgt über den Blutzuckerspiegel, wobei angesichts der aktuellen Studienlage wenn möglich Blutzuckerspiegel unter 10 mmol/l angestrebt werden sollten (5).
Aminosäuren Aminosäuren sind als Stickstoffdonatoren für die Peptid- und Proteinsynthese, aber auch als Energieträger unverzichtbar; sie sind daher essenzielle Bestandteile jeder Ernährung. Dazu kommt, dass metabolische Veränderungen nach Polytraumen oder Operationen zu einem vermehrten stressbedingten Proteinabbau führen können. Um diesem vorzubeugen, ist die Zufuhr von Aminosäuren in der parenteralen Ernährung unabdingbar. Eingesetzt werden in der Regel Standardaminosäurelösungen; bei normaler Organfunktion und ausgeglichenem Stoffwechsel liegen die empfohlenen Zufuhrmengen bei 0,8 g/kg Körpergewicht pro Tag, bei veränderter Stoffwechsellage bei täglich 1,2 bis 1,5 g/kg Körpergewicht (6). Bei Patienten mit einer nicht dialysepflichtigen, chronischen Nieren-
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insuffizienz wird eine tägliche Proteindosis von 0,6 g/kg Körpergewicht empfohlen. Kontrolliert wird die Aminosäurezufuhr durch Laboranalysen von Serumkreatinin, Harnstoff und Gesamteiweiss. Während ein Anstieg von Kreatinin und Harnstoff auf eine Nierenfunktionsstörung hinweist, ist ein isolierter Harnstoffanstieg ein Hinweis auf eine Überversorgung mit Aminosäuren. Bei Proteinmangel zeigt sich dagegen ein erniedrigter Gesamteiweissspiegel. Zur Gewährleistung einer optimalen Utilisation von Aminosäuren sollten ausreichend Nichtstickstoffenergieträger zugegeben werden. Bei normalem Stoffwechsel wird ein Stickstoff-Energie-Verhältnis von 1:130 bis 1:170 (g N/kcal) beziehungsweise 1:21 bis 1:27 (g AS/kcal) empfohlen (6).
Lipide Im Rahmen einer parenteralen Ernährung werden Fette als Lipidemulsionen zugeführt. Sie zeichnen sich durch eine hohe Energiedichte bei gleichzeitig niedriger Osmolarität aus, sodass hohe Glukose-
«Merke: Eine fettfreie
parenterale Ernährung kann
innerhalb von etwa einer
Woche zu subnormalen
Serumspiegeln essenzieller
Fettsäuren führen, deshalb ist
spätestens nach einwöchiger
intravenöser Ernährung die
»Gabe von Lipidemulsionen
erforderlich (7).
gaben zur Energieversorgung vermieden werden können. Ausserdem sind sie eine wichtige Quelle für essenzielle Fettsäuren. Die empfohlene Tagesdosis für die parenterale Gabe von Lipidemulsionen bei Erwachsenen liegt im Allgemeinen zwischen 0,7 und 1,3 g Triglyzeride/kg Körpergewicht und kann bei hohem Energiebedarf auf 1,5 g/kg KG erhöht werden (7). Bei den eingesetzten Lipidemulsionen handelt es sich vorwiegend um Mischemulsionen aus Sojaöl und mittelkettigen Triglyzeriden (MCT), die auch mit Omega-3-Fettsäuren (Fischöl) kombi-
niert sein können. Darüber hinaus sind Lipidemulsionen im Handel, die auf dem weitgehend als immunneutral geltenden Olivenöl basieren (Verhältnis Olivenöl zu Sojaöl 4:1), sowie solche, die neben Oliven- und Sojaöl zusätzlich MCT und Fischöl enthalten (7). Erfahrungen haben gezeigt, dass eine Mischung von Sojaöl mit anderen Ölen (MCT, Olivenöl) den Stoffwechsel günstiger beeinflusst als reine Sojaölemulsionen und dass der zusätzliche Einsatz langkettiger ungesättigter Fettsäuren (Omega 3) mit antiinflammatorischen Effekten einhergehen könnte. Die Zufuhrempfehlung richtet sich nach dem individuellen Energiebedarf; unter parenteraler Lipidinfusion sollte eine Triglyzeridkonzentration über 4,6 mmol/l in der Regel zur Dosisreduktion, eine Triglyzeridkonzentation über 11,4 mmol/l in der Regel zur Unterbrechung der Lipidinfusion führen (4).
Vitamine und Spurenelemente Vitamine und Spurenelemente sind für den Organismus unverzichtbar, denn etli-
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che dieser Substanzen sind Bestandteile von Enzymen und Proteinen. Einen besonderen Stellenwert haben hier die Antioxidanzien, die in der adäquaten Dosierung die systemische Entzündungsreaktion bei kritisch kranken Patienten positiv zu beeinflussen scheinen und so mit dazu beitragen können, die Prognose zu verbessern. Bei kompletter parenteraler Ernährung gilt die Empfehlung, alle (fettund wasserlöslichen) Vitamine, die auch in einer normalen Ernährung enthalten sind, auch parenteral zuzuführen. Hinsichtlich der Menge der täglich verabreichten Vitamine und Spurenelemente sollte man sich an die Zufuhrempfehlungen der Fachgesellschaften halten (8). Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine gegenüber der Standardzufuhr deutlich veränderte Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen indiziert sein, wie zum Beispiel in der Refeedingphase (8).
Elektrolyte Bei kompletter parenteraler Ernährung werden der Infusionslösung folgende Elektrolyte zugesetzt: Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium, Phosphat. Die Zufuhr erfolgt initial standardisiert nach allgemeinen Empfehlungen. Vor Beginn der parenteralen Ernährung sollte zunächst der Status der Serumelektrolyte bestimmt werden. Die Dosierungen erfolgen nach vorgängigen Laboranalysen beziehungsweise bei metabolisch stabilen Patienten gemäss den allgemeinen Zufuhrempfehlungen oder bei interagierender medikamentöser Therapie beziehungsweise bei Auftreten relevanter Ereignisse, die den Elektrolythaushalt beeinträchtigen (Schock, Erbrechen, Niereninsuffizienz, Durchfälle, Refeedingphase etc.), jeweils individuell angepasst (8). In den meisten Ernährungs- und Aminosäurelösungen sind bereits Elektrolyte enthalten.
Wasser In der parenteralen Ernährung werden alle Bestandteile in Form wässriger Lösungen infundiert. Für die Berechnung der Flüssigkeitshomeostase ist die fortlaufende Bilanzierung der gesamten Flüssigkeitszufuhr (allenfalls auch oral und
enteral) und -elimination wichtig. Der Flüssigkeitsbedarf liegt bei normalem Volumenstatus bei 30 bis 40 ml/kg Körpergewicht pro Tag (8). Bei Fieber erhöht sich in der Regel der Flüssigkeitsbedarf um rund 10 ml/kg Körpergewicht/Tag je 1 °C Temperaturerhöhung über 37 °C (8).
Durchführung der parenteralen Ernährung
Die Ernährungstherapie muss für jeden Patienten individuell festgelegt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, wie lange die Ernährungsintervention möglicherweise dauern wird und welcher Zugang gewählt werden muss.
Venöser Zugang Bei einer kurzfristigen, komplementären Ernährungstherapie (bis zu 10 Tagen) ist der periphervenöse Zugang ausreichend (Verweilkanüle in Vene des Handrückens oder des Unterarms), allerdings muss auf die Osmolarität der Lösungen geachtet werden (< 800 mosm/l) (9). Während 10bis 20-prozentige Fettemulsionen aufgrund ihrer niedrigen Osmolarität problemlos peripher gegeben werden können, kann die Zufuhr einer Glukose-, Aminosäure- und Elektrolytlösung mit einer Osmolarität von 800 bis 900 mosm/l Gefässirritationen hervorrufen. Für eine längerfristige (≥ 7 Tage) komplette parenterale Ernährung muss ein zentralvenöser Katheter (ZVK) in eine zentrale, herznahe Vene gelegt werden (9). Da ZVK-Anlagen ein höheres Komplikations-/Infektionsrisiko haben als periphervenöse Zugänge, sollten nicht mehr gebrauchte ZVKs immer umgehend entfernt werden. Für eine langzeitige, komplette parenterale Ernährung (> 3 Wochen) sind zentrale, subkutan tunnelierte Venenkatheter (Hickman-, Broviac-Katheter) oder implantierbare venöse Dauerkatheter (Portsysteme) am besten geeignet (9). Das grösste Problem der parenteralen Langzeiternährung sind Katheterinfekte, die zu einer lebensbedrohlichen Kathetersepsis führen können. Getunnelte Kathetersysteme sowie Portsysteme weisen ein geringeres Infektionsrisiko auf. Manipulationen am Katheter sowie an Ernährungsbeuteln sind möglichst zu minimie-
ren und erfordern immer aseptische Bedingungen. Als Folge der Katheterimplantation kann es auch zu weiteren Komplikationen wie Blutungen, Lokalhämatomen oder Pneumothorax kommen (9).
Fazit
Die parenterale Ernährung ist bei allen Patienten indiziert, die über einen längeren Zeitraum nicht oder nicht ausreichend enteral ernährt werden können, um einer drohenden Mangelernährung vorzubeugen. Die Indikation muss jeweils nach strengen Kriterien gestellt werden und die Wahl der geeigneten Ernährungsintervention dem individuellen Gesundheitszustand sowie der Prognose des Patienten angepasst werden.
Korrespondenzadresse:
PD Dr. med. Zeno Stanga
Leitender Arzt
Universitätspoliklinik für Endokrinologie,
Diabetologie und Klinische Ernährung
Universitätsklinik für Allgemeine
Innere Medizin, Inselspital
3010 Bern
E-Mail: zeno.stanga@insel.ch
Literatur: 1. Oehmischen F, Ballmer PE, Druml C et al. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM): Ethische und rechtliche Gesichtspunkte der Künstlichen Ernährung. Aktuel Ernähr Med 2013; 38: 112–117. 2. Mühlebach S, Franken C, Stanga Z. Praktische Handhabung von AIO−Mischungen. Aktuel Ernähr Med 2007; 32 (Suppl 1): S54–S59. 3. Heidegger CP, Berger MM, Graf S et al. Optimisation of energy provision with supplemental parenteral nutrition in critically ill patients: A randomised controlled clinical trial. Lancet 2013; 381: 385–393. 4. Bolder U, Ebener C, Hauner H, Jauch KW, Kreymann G, Ockenga J, Träger K. Kohlenhydrate. Leitlinie Parenterale Ernährung der DGEM. Aktuel Ernaehr Med 2007; 32 (Suppl 1): S18–S21. 5. Kuppinger D, Hartl WH. In search of the perfect glucose concentration for hospitalized patients: a brief review of the meta-analyses. Nutrition 2013; 29: 708–712. 6. Böhles HJ, Stein J, Blumenstein I, Goeters C, Schulz RJ, et al. Aminosäuren. Leitlinie Parenterale Ernährung der DGEM. Aktuel Ernaehr Med 2007; 32 (Suppl 1): S13–S17. 7. Adolph M, Heller A, Koch T et al. Lipidemulsionen. Leitlinie Parenterale Ernährung der DGEM. Aktuel Ernähr Med 2007; 32 (Suppl 1): S22–S29. 8. Biesalski HK, Bischoff SC, Böhles HJ, Mühlhofer A. Wasser, Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente. Leitlinie Parenterale Ernährung der DGEM. Aktuel Ernähr Med 2007; 32 (Suppl 1): S30–S34. 9. Jauch KW, Schregel W, Stanga Z, et al. Technik und Probleme der Zugänge in der parenteralen Ernährung. Aktuel Ernähr Med 2007; 32 (Suppl 1): S41–S53.
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