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MALNUTRITION
Malnutrition im Alter – Erkennen von Ursachen in der (zahn-)ärztlichen Praxis
CHRISTIAN E. BESIMO*
Es ist allgemein bekannt, dass mit zunehmendem Alter das Risiko einer Mehrfacherkrankung mit durchschnittlich drei gleichzeitig bestehenden Diagnosen ansteigt und die Zahl betroffener Menschen aufgrund der demografischen Alterung der Bevölkerung stetig zunimmt. Multimorbidität und die damit in Zusammenhang stehende (Poly-)Pharmazie stellen mögliche Ursachen für eine im Alter häufig auftretende Malnutrition dar. Diese frühzeitig erkennen zu können, erfordert eine möglichst umfassende Kenntnis der Patientensituation und stellt eine anspruchsvolle interdisziplinäre Herausforderung dar (1, 2).
Multimorbidität im Alter – ein Risiko für die Gesundheit
In einer deutschen Studie wurden für rund 10 Prozent einer Stichprobe von 394 61-Jährigen und Älteren mindestens sieben gleichzeitig bestehende Diagnosen nachgewiesen (3). In einer Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (4) wurde festgestellt, dass gemäss Selbstauskunft 69 Prozent der zu Hause lebenden Frauen und 59 Prozent der Männer über 65 Jahre an zwei oder mehr chronischen Erkrankungen litten. Mit zunehmendem Alter stieg bei den Männern der Anteil von 59 (65- bis 74-Jährige) auf 80 Prozent (über 85-Jährige). Osteoporose trat wesentlich häufiger bei Frauen als bei Männern auf und war bei über 85-jährigen Personen mit 16 Prozent etwa dreimal häufiger als bei 65- bis 74-jährigen. Mehr als 40 Prozent der befragten Personen gaben an, an Arthrose oder einer anderen rheumatischen Krankheit zu leiden, wobei Frauen etwa 1,4-mal häufiger
*Chefarzt Orale Medizin, Aeskulap-Klinik, Brunnen
betroffen waren als Männer. 50 Prozent der Personen aller Altersklassen berichteten, unter hohem Blutdruck zu leiden. Männer (50%) waren häufiger übergewichtig als Frauen (43%) und waren auch häufiger als Frauen (21 vs. 13 %) von einer koronaren Herzkrankheit oder einem Herzinfarkt betroffen. Die Häufigkeit von Übergewicht nahm mit zunehmendem Alter von 50 Prozent bei den 65- bis 74Jährigen über 43 Prozent bei den 75- bis 84-Jährigen auf 31 Prozent bei den über 85-Jährigen ab. Für koronare Herzkrankheit beziehungsweise Herzinfarkt und Herzinsuffizienz stieg der Anteil älterer Personen jedoch mit zunehmendem Alter deutlich an, sodass bei den über 85-Jährigen etwa ein Viertel unter diesen Krankheiten litt. Frauen gaben häufiger als Männer an, eine schlechte Gesundheit zu haben (22% der Frauen, 15% der Männer), unter mittelstarken bis starken Schmerzen (33% der Frauen, 22% der Männer) oder unter depressiver Verstimmung (21% der Frauen, 12% der Männer) zu leiden. Mit steigendem Alter nahm der Anteil der Perso-
nen, die ihre Gesundheit als schlecht bewerteten, deutlich zu: von 15 Prozent der 65- bis 74-Jährigen auf 33 Prozent der über 85-Jährigen. Dagegen zeigten sich in Bezug auf Schmerzen und depressive Verstimmung nur schwache Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Inkontinenz kam bei Frauen etwa dreimal häufiger vor (34%) als bei Männern. Sturzangst (31%) und Sehschwäche (20%) wurden etwa doppelt so häufig von Frauen berichtet. Allerdings hatten mehr Männer als Frauen eine Hörschwäche. Für die geriatrischen Symptome Inkontinenz, Sturzangst, Seh- und Hörschwäche liess sich ein deutlicher Anstieg der Häufigkeit mit zunehmendem Alter registrieren. Der Prozentanteil der Personen, die über diese geriatrischen Symptome berichtete, stieg pro Alterskategorie auf etwa das Doppelte an. Die Anzahl gleichzeitig bestehender Erkrankungen bestimmte in der oben genannten deutschen Studie (3) als bedeutendste Variable über die Inanspruchnahme von Ärzten sowie den Medikamentenkonsum. Darüber hinaus wurden
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von den befragten Älteren mehr Ärzte in Anspruch genommen und mehr Medikamente eingenommen, wenn die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten subjektiv als hoch und die eigene Gesundheit als schlecht bewertet wurde. 88 Prozent der Befragten suchten mindestens einmal pro Jahr einen Allgemeinarzt auf, 97 Prozent waren mindestens bei einem Arzt, gleich welcher Fachrichtung. 55,8 Prozent der Personen nahmen täglich mindestens ein Medikament ein. In der Schweizer Studie (10) betrug der Anteil der Personen, die fünf oder mehr verschreibungspflichtige Medikamente einnahmen, 17 Prozent bei den Frauen und 16 Prozent bei den Männern. Gesundheitszustand und Polypharmakotherapie können zu funktionellen Einschränkungen mit nachfolgendem Hilfebedarf bei instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens oder zu Einschränkungen der Mobilität führen (4). So berichteten beispielsweise 22 Prozent der zu Hause lebenden älteren Personen über Einschränkungen beim Einkaufen oder Zubereiten von Mahlzeiten. 34 Prozent fühlten sich in ihrer Mobilität wie beispielsweise beim Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel behindert. In beiden Fällen nahmen die Einschränkungen mit steigendem Alter erheblich zu, wobei sich insgesamt mehr Männer als Frauen in ihren Alltagsaktivitäten beeinträchtigt fühlten, was sich auf die traditionell unterschiedlich verteilten Aufgaben zurückführen lässt. Der Anteil Personen, die Einschränkungen in instrumentellen Aktivitäten angaben, wuchs von 16 Prozent bei den 65- bis 74-Jährigen auf 54 Prozent bei den über 85-Jährigen an. Der Anteil der über 85-Jährigen, die in ihrer Mobilität beeinträchtigt waren, lag mit 62 Prozent etwa um das Doppelte höher als bei den 65- bis 74-Jährigen.
Interdisziplinäre Abklärung
erleichtert die Frühdiagnose
Es besteht stets die Gefahr, dass beim älteren Menschen Erkrankungen noch nicht diagnostiziert sind und dementsprechend auch die adäquate Therapie fehlt. Das trifft zum Beispiel gerade für neurodegenerative Erkrankungen wie
Morbus Alzheimer (als häufigster De- «Altersschwäche» missverstanden wird menzform) und Morbus Parkinson zu (5), (1). Der lange präklinische Verlauf und die aber auch für die Malnutrition, die oft als Häufigkeit der Alzheimer-Demenz bei hö-
Tabelle: Checkliste Mehrdimensionales Patienten-Screening (MPS)
Verantwortliche Person: Patientendaten Name: Auffälligkeit/Veränderung im Verhalten bzw. Erscheinungsbild des Patienten Erscheinungsbild
Stimmungslage
Verhalten
Zeitliche Orientierung
Räumliche Orientierung Gedächtnis
Erkennen, Verständnis
Exekutive Kognition
Multitasking Gangsicherheit
Sprachfähigkeit Lesefähigkeit Schreibfähigkeit Begleitung Soziales Umfeld
Beobachtungsdatum:
Vorname: Beispiele
Geb.-datum:
• Bekleidung • Körperpflege • Mundgeruch (z.B. Alkohol, Aceton) • körperliche Beeinträchtigung • Gewicht zu Körpergrösse/Gewichtsveränderung • gedrückte Stimmung, negative Einstellung • Interessensverlust, Motivierbarkeit • Freudlosigkeit, Hilf- und Hoffnungslosigkeit • erhöhte Ermüdbarkeit • Verminderung des Antriebs, Denkhemmung • umständlich, weitschweifig • motorische Unruhe • reduzierte Aufmerksamkeit • affektlabil, eher affektarm, ratlos • Verwirrtheit, Angst, Halluzinationen, Wahn • plötzliche Veränderungen • Datum, Wochentag, Monat, Jahr • Zeitverschiebung • Terminwahrnehmung, Pünktlichkeit • Fähigkeit zur Terminplanung • An- und Rückreiseweg, Stockwerk, Praxis • Durchführung von Hygienemassnahmen • Merkfähigkeit (Namen von Bezugspersonen im Team, Termin,
Adresse, Tel.-Nr., Behandlungsgrund/-ablauf, Auskunft, Aufklärung) • Hygieneinstruktion • Erkennen und Anwenden von Gebrauchsgegenständen (Terminkärtchen, Kugelschreiber, Spülglas, Speibecken, Hygieneinstrumente/-verordnung) • Planung/Durchführung komplexer Prozesse (Prothesenhandhabung) • Abstimmung der Aufmerksamkeitsressourcen • gleichzeitige Ausführung mehrerer Aufgaben • Stops walking when talking • Gangvariabilität • Gleichgewichtsstörung • Beweglichkeit, Schwäche • Hilfsmittel (Stock, Rollator) • Wortfluss und Wortsinn • Vorlesen der Terminangabe auf Kärtchen, von Hygiene-/ Medikamentenverordnungen • Notieren der Termine auf Kärtchen oder in Agenda • Betreuungs-/Hilfsbedürftigkeit • Verlust von Angehörigen • Wohnsituation
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heraltrigen Menschen hat zur Folge, dass eine grosse Zahl von Patienten, die bereits erkrankt ist und leichte Veränderungen im Verhalten zeigt, noch unerkannt ist (6). Bei der Malnutrition ist es das unspezifische und oligosymptomatische klinische Bild, das immer wieder eine frühzeitige Diagnose verhindert (1). Hinzu kommt die Gefahr, dass gerade in der zahnärztlichen Praxis – vor allem bei fehlender gewissenhafter Nachfrage – Beschwerden oder diagnostizierte Erkrankungen aus verschiedenen Gründen nicht genannt werden (7). Die allmähliche Beeinträchtigung von Gesundheit und Alltagsfähigkeiten durch Multimorbidität und Polypharmazie zeigen mit aller Deutlichkeit die Notwendigkeit einer laufenden medizinischen und psychosozialen Beobachtung und Beurteilung alternder Menschen auch in der zahnärztlichen Praxis auf (8–12). Zudem ist der Zahnarzt, aufgrund der mittlerweile auch in der älteren Bevölkerung fest verankerten Gewohnheit der regelmässigen Nachsorge zur Erhaltung der Mundgesundheit, ein Facharzt, der seine Senioren – zumindest solange es deren medizinische und soziale Situation erlaubt – im Rahmen der Langzeitbetreuung in wiederholten und üblicherweise längeren Konsultationen sieht als der Hausarzt (13). Er ist deshalb über seinen spezifischen Fachbereich hinaus gefordert, Anzeichen und Folgen physiologischer und pathologischer Veränderungen des Alterns frühzeitig zu erkennen, um in erster Linie diagnostische sowie therapeutische Fehlentscheidungen in seiner eigenen Tätigkeit eher vermeiden und eine erfolgreichere zahnärztliche Langzeitbetreuung alternder Menschen sicherstellen zu können. Zusätzlich steht er aber auch in der ärztlichen Verantwortung, neu auftretende, ohne spezialärztliche Untersuchung erkennbare Erkrankungen nicht nur wahrzunehmen, sondern zudem die Betroffenen den geeigneten Fachärzten zuzuführen, um die notwendige interdisziplinäre Abklärung sicherzustellen und so dazu beizutragen, dass Erkrankungen möglicherweise früher erkannt und behandelt werden können. Jedoch ist auch der Arzt gefordert,
Zahn- und Munderkrankungen gerade wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit alternder Menschen nicht ausser Acht zu lassen und den Zahnarzt bei der Diagnosestellung von Allgemeinerkrankungen mit Einfluss auf die Mundgesundheit, wie Demenz, Depression oder Malnutrition, in die Langzeitbetreuung einzubeziehen (7, 9, 10, 14, 15). In Bezug auf die Evaluation von Ursachen für eine Malnutrition ist zu berücksichtigen, dass, wie in einem vorausgehenden Artikel aufgezeigt (16), Zahn- und Munderkrankungen nur einen Faktor der multifaktoriellen Ätiopathogenese dieser Krankheit darstellen und somit beispielsweise eine reduzierte Zahl von Zähnen allein für die Erklärung von Mangelzuständen in der Regel nicht ausreicht.
Strukturiertes, systematisches Gesundheitsscreening in der (zahn-)ärztlichen Praxis
Die Organisation eines strukturierten, systematischen Gesundheitsscreenings alternder Menschen in der zahnärztlichen Praxis ist mit wenig Aufwand möglich und kann auch in der allgemein- sowie spezialärztlichen Praxis den Arzt in der Diagnosestellung wirkungsvoll unterstützen. Die Praxisstrukturen und Arbeitsabläufe im klinischen sowie administrativen Bereich bedürfen kaum einer Anpassung. Zudem verursacht das Screening praktisch keinen zeitlichen oder finanziellen Mehraufwand. Es ist sinnvoll, das gesamte Praxisteam im Erkennen von Symptomen altersspezifischer Erkrankungen und Defizite zu schulen. Eine solche im Sinne einer Kurzintervention von drei bis vier Stunden gestaltete Weiterbildung, wie sie von unserer Seite seit Jahren angeboten wird, hat sich als sehr motivierend und die Wirkung des Screenings verstärkend erwiesen (7).
Anamneseblatt und Medikamentenliste
Der Fragekatalog eines Anamneseblattes sollte bewusst so zusammengestellt werden, dass er für alle Altersgruppen einsetzbar ist. Ein spezifischer Fragebogen für den älteren Menschen würde ab einem
willkürlich zu bestimmenden Lebensalter zum Einsatz gelangen und somit dem individuell sehr unterschiedlichen Auftreten von Alters- und Krankheitsprozessen nicht gerecht werden. Der Fragebogen soll dem (Zahn-)Arzt und seinem Team eine rasche und gezielte Übersicht über die folgenden, den älteren Patienten oder ihren betreuenden Personen bekannten Gesundheitsdaten liefern (3, 4): • persönliche Daten • (zahn-)medizinische Vorgeschichte • ärztliche Behandlung im letzten Jahr • Krankenhausaufenthalte der letzten
fünf Jahre • Herz-Kreislauf-Erkrankungen • Atemwegserkrankungen • Bluterkrankungen • allergische Reaktionen • rheumatische und/oder Gelenkser-
krankungen • chronische Schmerzen • Stoffwechselerkrankungen • neurologische/psychische Erkrankun-
gen • andere Erkrankungen. In der Medikamentenliste sollen die Namen aller Medikamente, Nahrungsergänzungsstoffe und auch aller sogenannter Naturheilmittel eingetragen werden, die durch Fachpersonen oder selbst verordnet eingenommen werden. Zu jedem Präparat werden zudem die gegenwärtige Dosierung und die Häufigkeit der Anwendung im Tagesverlauf erfragt. Die separate Erfassung der eingenommenen Medikamente dokumentiert gegenüber den Patienten die Notwendigkeit genauer Angaben und bietet insbesondere älteren Menschen, die häufig mehrere Medikamente einnehmen müssen, auch genügend Raum, die Verordnungen umfassend dokumentieren zu können, ohne selektionieren zu müssen (7, 15). Diese gewissenhafte Medikamentenanamnese hilft, unerwünschte Nebenwirkungen und Interaktionen von Arzneistoffen besser zu verhindern und rechtzeitig den interdisziplinären Kontakt mit behandelnden Ärzten zu suchen (17). Das Anamneseblatt und die Medikamentenliste werden den Patienten am besten vor dem Erst- sowie in regelmässigen zeitlichen Abständen vor einem Nachsorge-
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termin zum Ausfüllen nach Hause zugesandt und anlässlich der Konsultation nochmals ausführlich besprochen. Dabei werden auf dem Anamneseblatt positive Antworten vertieft und Unklarheiten ausgeräumt. Es hat sich in der Praxis bewährt, die Fragebögen vor der Erst- oder Kontrollkonsultation vom Patienten zurücksenden zu lassen. Auf diese Weise kann Zeit gewonnen werden, um die Patientenangaben gewissenhaft auszuwerten und deren rasche, aber gezielte Überprüfung mit dem Patienten vorzubereiten. Die Patienten bestätigen auf beiden Bögen mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit und die Vollständigkeit ihrer Angaben. Der (Zahn-)Arzt visiert die Bögen nach deren Überprüfung (7, 15).
Checkliste zur Unterstützung des mehrdimensionalen Patientenscreenings
• Sprache • Praxien. Zur Beuteilung der Ernährungslage wird die Beobachtung des ungefähren Körpergewichtes beziehungsweise einer Gewichtsabnahme oder auch -zunahme über die Zeit hinzugezogen. In der Praxis soll allen in den verschiedenen Bereichen tätigen Fachpersonen die Checkliste zur Verfügung stehen. Auf dieser können Name, Vorname und Geburtsdatum des Patienten sowie die beobachteten Auffälligkeiten und Veränderungen im Verhalten mit Bemerkungen eingetragen werden. Alle ausgefüllten Checklisten werden dem behandelnden (Zahn-) Arzt zur Evaluation vorgelegt. In manchen Fällen ist es sinnvoll, die Auswertung der verschiedenen Beobachtungen durch ein Gespräch im Team zu vertiefen.
Screeningprozess
Der Screeningprozess mit den vorausgehend beschriebenen Instrumenten erfolgt in ein oder zwei Phasen (Abbildung). Die erste Phase umfasst die Anamnese mit Fragebogen und Medikamentenliste sowie die Patientenbeobachtung in den vier Tätigkeitsbereichen der (zahn-)ärztlichen Praxis. Zur Bestätigung oder Verwerfung unklarer Verdachtsmomente einer ersten Fallanalyse können durch den behandelnden (Zahn-)Arzt weitere Screeninginstrumente wie beispielsweise die Geriatric Depression Scale (20), der UhrTest (21), das Mini Nutritional Assessment (22) oder die Ernährungscheckliste (23, 24) zur Anwendung gelangen. Anschliessend wird der (Zahn-)Arzt das Gespräch mit dem Patienten suchen. Der Zahnarzt äussert dabei keine medizinischen Verdachtsdiagnosen, sondern diskutiert die
Die Checkliste zum mehrdimensionalen Patientenscreening soll das (zahn-)ärztliche Team dabei unterstützen, für die Mundgesundheit relevante Auffälligkeiten oder Veränderungen im Verhalten beziehungsweise Erscheinungsbild alternder Patienten frühzeitig zu erkennen, die in erster Linie Hinweise auf eine mögliche depressive Verstimmung, ein demenzielles Syndrom oder eine Malnutrition, in zweiter Linie aber auch auf andere Erkrankungen und ihre Polypharmazie zu geben vermögen (Tabelle). Die checklistengestützte Patientenbeobachtung kann im Rahmen der etablierten organisatorischen und therapeutischen Praxisprozesse durch alle (zahn-)medizinischen Teammitglieder ohne zusätzlichen Zeitaufwand durchgeführt werden (7, 15). Als Hinweis auf eine depressive Verstimmung werden die fünf Hauptsymptome für Depression der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) (18) verwendet. Als Vorlage der Symptomliste für kognitive Einschränkungen dient der Mini-Mental-Status (MMS) nach Folstein et al. (19). Dieser gilt als gut validiertes Screeningverfahren für Demenz und testet die folgenden kognitiven Leistungen: • zeitliche und örtliche Orientierung • Gedächtnis • exekutive Kognition
Abbildung: Screeningprozess
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Beobachtungen im rein oralen Kontext. Bei positiven Beobachtungsbefunden wird vom Patienten die Erlaubnis erwirkt, mit dem behandelnden Arzt oder Hausarzt oder von ärztlicher Seite mit dem Zahnarzt Kontakt aufnehmen zu dürfen. Dieses Vorgehen erlaubt bei Verdacht auf eine Krankheit, so auch einer Malnutrition, die möglichen Ursachen interdisziplinär zu evaluieren und die therapeutischen Massnahmen abzustimmen (7, 16).
Zusammenfassung
• Die Malnutrition im Alter weist eine multifaktorielle Ätiopathogenese und ein oligosymptomatisches Erscheinungsbild auf. Dementsprechend ist sie in der Praxis nicht ohne Weiteres zu
erkennen und erfordert eine mehrdimensionale Diagnostik. • Eine wichtige Grundlage der Diagnostik bildet die medizinische und die soziale Anamnese. Hierzu haben sich Fragebogen als sehr hilfreich erwiesen, die auch gehäuft im Alter auftretende Erkrankungen und soziale Konfliktsituationen erfassen. • Die Medikamentenanamnese erfolgt aufgrund der verbreiteten Polypharmazie besser auf einem separaten Formblatt, das auch die Dosierung und die Häufigkeit der Einnahme erfragt. • Anamnese- und Medikamentenblatt sollen im Vorfeld einer Erstuntersuchung oder einer Nachkontrolle vom Patienten zu Hause ausgefüllt werden,
wo ihm auch alle Dokumente und Daten zum Nachschlagen zur Verfügung stehen. • Die Beobachtung der Patienten durch das gesamte geschulte Praxisteam vermag schliesslich zusätzliche wichtige Hinweise auf altersspezifische Erkrankungen und Defizite zu liefern, die für eine Malnutrition mitursächlich sein können.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Christian E. Besimo Chefarzt Orale Medizin, Aeskulap-Klinik Gersauerstrasse 8, 6440 Brunnen Tel. 041-825 49 22, Fax 041-825 48 63 E-Mail: christian.besimo@aeskulap.com
Literatur auf www.sze.ch abrufbar.