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EDITORIAL
Die künstliche Ernährung umfasst die vollständige oder partielle Zufuhr von Nahrungssubstraten in den Gastrointestinaltrakt (enteral) und/oder, unter Umgehung des MagenDarm-Zugangs, in das venöse Blut (parenteral). Protein-, Kohlenhydrat- und Fettsubstrate mit der benötigten Flüssigkeit (Wasser), den Elektrolyten, Vitaminen und Spurenelementen, in bilanzierter und definierter Art, werden zur Prävention oder Therapie einer Mangelernährung zugeführt, wenn die normale oder spontane Ernährung nicht oder nicht ausreichend möglich ist. Schluck- und Kaustörungen, gastrointestinale Funktionseinschränkungen sowie Erkrankungen sind Grund für diese medizinisch indizierte, an den jeweiligen Bedarf angepasste Ernährung. Chronische, entzündliche und neurologische Krankheitsbilder oder mechanische Schädigungen durch Trauma oder Chirurgie sowie ungenügende Nahrungsaufnahme sind die Indikationen. Eine klinische Ernährung ist besonders wichtig bei Neugeborenen oder Kindern mit hohem Nährstoffbedarf für Wachstum, bei denen eine ungenügende Nahrungszufuhr zu meist irreparablen Schädigungen führen kann. Auch für geriatrische Patienten mit verminderten Körperreserven, reduzierter körperlicher Aktivität, Einschränkungen des Hungergefühls und der Nahrungsaufnahme kann die künstliche Nahrungszufuhr Gebrechlichkeit, Funktionsverlust, Morbidität und Mortalität günstig beeinflussen. Bei malignen und terminalen Erkrankungen ist der palliative Charakter einer geeigneten klinischen Ernährung zur Verbesserung der Lebensqualität in einem multimodalen Therapieansatz wichtig (vgl. SZE 1/2014). Wird nicht korrekt enteral oder parenteral ernährt, treten unerwünschte Nebenwirkungen auf, die durch gutes Monitoring signalisiert werden, so beim Refeeding oder bei (vermeidbaren) Medikationsfehlern durch ungeeignetes Beimischen von Arzneimitteln zur klinischen Ernährung. Viele bestehende Paradigmen der künstlichen Ernährung werden hinterfragt, auch aufgrund widersprüchlicher Studienergebnisse, etwa zum (kompetitiven) Stellenwert enteraler und parenteraler Ernährung, zur Bedeutung von Nahrungsergänzungsmitteln wie Glutamin oder zum zeitlich und umfangmässig richtigen Einsatz enteraler und parenteraler Ernährung, zum Beispiel durch die relativ neue EARLY-PN-Studie bei Intensivpatienten (1). Neue Leitlinien, wie die DGEM-AKEGESKES S3-LL (2), sind entstanden. Als allgemeine Feststellung
lassen sich dazu folgende Merkpunkte festhalten: 1. Eine klinische Ernährung sollte möglichst ohne Zeitverlust und unter Berücksichtigung der Toleranz und Kapazität der Substrataufnahme und -assimilation angegangen werden, um den unnötigen Verlust an Körpermasse und Funktion geringzuhalten. 2. Die Form der klinischen Ernährung orientiert sich am Zugang und der Funktionalität des Gastrointestinaltraktes mit einer möglichst physiologischen Nahrungsverabreichung. 3. Enterale und parenterale Ernährung sind ergänzend und abgestimmt im Auf- und Abbau zu verwenden. 4. Die Ernährungsbehandlung ist krankheitsmodifizierend; sie hat (zunehmend) auch eine palliative Dimension mit besonderen Anforderungen an Ethik und Lebensqualität. 5. Malnutrition nach bariatrischer Chirurgie scheint eine neue und wichtig werdende Patientengruppe zu sein. Das vorliegende Heft will mit den Beiträgen von Astrid Wächtershäuser und Jörg Bojunga beziehungsweise Claudia Reinke und Zeno Stanga aktuelle Grundlagen zur EE und PE zusammenfassen und die Bedeutung von Ernährungsinterventionen im Alter (Dorothee Volkert) sowie Aspekte falscher Handhabung aufnehmen: Refeeding von Carla Aeberhard und Zeno Stanga sowie Klinische Ernährung und Medikamente. Wir hoffen auf Interesse bei den treuen, aber auch neuen Lesern. Zum Schluss ein Zitat aus der Broschüre «Nutrition for you» zu Diäten für Gewichtsverlust von Walter Wilkins und French Boyd aus dem Jahre1943 (!), was auch gut mit dem Thema der parenteralen und enteralen klinischen Ernährung übereinstimmt: «Remember this … In order to be well nourished, it is important that we have a working knowledge of food and their uses in the body. Then we can make the necessary adjustments in our diets and (still) get the food substances we need.»
Professor Dr. Stefan Mühlebach
1. Doig GS, Simpson F, Sweetman EA et al. Early parenteral nutrition in critically ill patients with short-term relative contraindications to early enteral nutrition: a randomized controlled trial. JAMA 2013:309:2130 2. http://dgem.de/leit13.htm
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