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EDITORIAL
Die Rolle von Sarkopenie und Ernährung für die körperliche Fitness im Alter
Die Mobilität im Alter – ein wesentlicher Kontributor für Unabhängigkeit und Lebensqualität – hängt zu einem grossen Teil von Muskelkraft und Beweglichkeit ab. Seit den Neunzigerjahren ist bekannt, dass die Muskelmasse (ähnlich der Knochenmasse) mit dem Alterungsprozess kontinuierlich abnimmt. Zwischen dem 30. und 80. Lebensjahr verlieren wir so rund einen Drittel unserer Muskelmasse. Führt das zu Alltagseinschränkungen (gemessen anhand verlangsamter Gehgeschwindigkeit [< 80 cm/s] und reduzierter Faustschlusskraft), spricht man von Sarkopenie. Diese sarkopenieassoziierte verminderte Muskelkraft ist denn auch der häufigste Risikofaktor für Stürze. Der altersbedingte Muskelmassenverlust ist Hauptgrund für veränderte Ernährungsbedürfnisse im Alter! So sinkt der tägliche Kalorienbedarf um rund einen Viertel, der tägliche Bedarf an Proteinen und Vitaminen/Spurenelementen bleibt jedoch gleich oder steigt sogar leicht an. Die optimale Ernährung im Alter ist deshalb sehr nährstoffdicht, was durchaus Veränderungen im bisherigen Speisezettel und in den bisherigen Ernährungsgewohnheiten beinhalten kann: Nährstoffarme Kalorien sind «out», nährstoff- und vor allem proteinreiche Kalorien «in»! Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung hat vor vier Jahren einen Ratgeber herausgegeben, wie den sich verändernden Bedürfnissen entsprochen werden kann. Mit praktischen Tipps wird hier gezeigt, wie die Prinzipien einer gesunden Ernährung im Alter einfach und genussvoll umgesetzt werden können (1). Seit Mary Fiatarones bahnbrechender Studie mit fast 90-jährigen Pflegeheimbewohnern (2) ist bekannt, dass alter Muskel mit Krafttraining trainierbar ist, die Muskelmasse auch im Alter wieder aufgebaut werden kann! In derselben Arbeit wurde auch eindrücklich gezeigt, wie dieser Muskeltrainingseffekt mit zusätzlicher Proteingabe unterstützt werden kann. Seither sind einige Jahre vergangen. Intensive Forschung zum Muskelerhalt mit Hormonen und anderen Substanzen (DHEA, Testosteron, Wachstumshormon, Statin, ACE-Hemmer etc.) blieb erfolglos. Körperliche Aktivität und richtige Ernährung sind nach 20 Jahren Forschung nach wie vor die beste Prävention und Therapie der Sarkopenie! Allerdings ist hier zwischenzeitlich auch klar geworden, dass eine hohe Muskelmasse nicht zwangsläufig mit guter Muskelfunktion einhergeht. Was dieser Umstand für ein optimales Muskeltraining im Alter bedeutet, nimmt Prof. Granacher in seinem Übersichtsbeitrag auf. Schnellkrafttraining (und weniger nur Training der rohen Kraft) ist für die gute Muskelfunktion im Alter entscheidend. Ebenso wichtig ist, dass beim Training die richtigen Muskelgruppen erfasst werden. Inwieweit schnelle und langsame Proteine den Muskelaufbau unterstützen und welche Aminosäuren die Muskelproteinneosynthese besonders ankurbeln, ist Gegenstand des Beitrages von PD Dr. med. J. Bauer. Die richtige Nährstoffversorgung im Alter ist letztlich Thema im Beitrag von Uwe Gröber. Das beste Wissen ist nutzlos, wenn es nicht erfolgreich umgesetzt werden kann! So ist zum Beispiel weniger als die Hälfte der europäischen Senioren mehr als 31/2 Stunden pro Woche körperlich «aktiv» (Gehen, Gartenarbeit, Velofahren, Schwimmen, Fitness, Tanz) (3). Hauptgrund dafür ist «fehlendes Interesse» (4). Förderung und Erhalt der Gesundheit im Alter muss mehr sein als eine Listung der wissenschaftlichen Fakten! Ernährungs- und Bewegungsinterventionen im Alter müssen offensichtlich interessieren, motivieren und Freude machen! Wie im geschickten Produktemarketing kommt es auch hier auf die richtige «Verpackung» an! Die Integration von compliancefördernden zusätzlichen Faktoren wie zum Beispiel Freude, Geselligkeit und sozialer Austausch sind hier möglicherweise zielführend (5)! Prof. Dr. med. Reto W. Kressig Universitäres Zentrum für Altersmedizin Basel Felix-Platter-Spital, Basel Literatur abrufbar auf www.sze.ch 1 5/13