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KONGRESSBERICHT
Darm-Mikrobiom und Gesundheit: Mehr Evidenz, noch mehr offene Fragen
RENO BARTH
Die Entdeckung der unglaublichen Bedeutung, die die bakterielle Besiedlung des Darms für die Gesundheit hat, wird bereits als stille Revolution in der Medizin bezeichnet. Die grosse Zahl unterschiedlicher Mikroorganismen, die im menschlichen Darm leben, bildet ein dynamisches, offenes Ökosystem. Im Rahmen des 7. Internationalen Yakult Symposiums präsentierten Experten aus aller Welt neueste Forschungsergebnisse und ein fundiertes Update zum aktuellen Wissensstand in Sachen Mikrobiom.
Da viele der im menschlichen Darm lebenden Spezies nur dort lebensfähig sind und nicht ausserhalb des Organismus angezüchtet werden können, sind die neuen, hochentwickelten Methoden der Genetik Voraussetzung für die Erforschung der Darmbakterien. Das Darm-Mikrobiom besteht aus 10 hoch 14 (1014) bis 10 hoch 15 (1015) Bakterien, also mehr Zellen, als der gesamte restliche Organismus aufzuweisen hat. Es werden über 200 Arten von Darmbakterien vermutet. In den vergangenen Jahren ist man dazu übergegangen, das Darm-Mikrobiom als Organismus mit charakteristischer genetischer Information zu betrachten, statt das Augenmerk auf einzelne Spezies zu richten. Möglich wurde dieser Paradigmenwechsel durch einen neuen Forschungszweig namens Metagenomik, der sich mit der Gesamtheit des Genoms eines Biotops beschäftigt. Moderne Methoden der Genetik haben es möglich gemacht, direkt nach dem genetischen «Fingerabdruck» des gesamten Mikrobioms zu suchen, wobei freilich auch die Mengenverhältnisse der vorhandenen Bakterien zählen. Man spricht also von quantitativer Meta-
genomik. Von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das MetaHIT Programm (METAgenomics of the Human Intestinal Tract), das einen kompletten Gen-Katalog des Darm-Mikrobioms basierend auf Proben von 124 Individuen aus Europa und Asien ergab. Dank DNASequenzierung mit sehr hohem Durchsatz konnten 3,3 Millionen Gene identifiziert werden. Eine Erweiterung des Pools der Proben-Spender auf 400 ist geplant, womit sich die Zahl der identifizierten Gene des Mikrobioms auf rund 3,8 Millionen erhöhen wird. «Eine wichtige Erkenntnis, die bereits jetzt aus den Daten von MetaHIT gezogen werden kann, ist die Definition verschiedener Enterotypen, denen Menschen zugeordnet werden können», sagt dazu Prof. Dr. Joël Doré, Leiter der Forschungsabteilung für Ökologie und Physiologie des Verdauungstraktes am französischen Institut für landwirtschaftliche Forschung, INRA. Bislang wurden 3 solcher Enterotypen beschrieben, die jeweils durch ein dominantes Bakterium (Bacteroides, Prevotella und Ruminococcus) charakterisiert werden (1). Da nun Untersuchungen an grösseren Zahlen von
Probanden vorgenommen werden, ist die Entdeckung von Subtypen oder gar weiteren Enterotypen durchaus möglich.
Wie wir zu unserem Mikrobiom
kommen
Basierend auf dem bereits erreichten Kenntnisstand können nun speziellere Probleme angegangen werden. So zum Beispiel die Frage, wie das Individuum zu seinem Enterotyp kommt, konkret, ob wesentliche Elemente des individuellen Mikrobioms von der Mutter an das Kind weitergegeben werden. «Die mikrobielle Kolonisierung während der Kindheit ist von entscheidender Bedeutung für die Gesundheit über das gesamte Leben des Individuums. Eine suboptimale Kolonisierung kann eine Prädisposition für verschiedene Erkrankungen im späteren Leben bedeuten», sagt dazu Dr. Kenji Oishi vom Yakult Honsha European Research Centre for Microbiology in Gent-Zwijnaarde, Belgien. Man geht heute davon aus, dass die Besiedelung des Darms in der Kindheit über mehrere Wege erfolgt. Die Nahrung ist dabei ebenso von Bedeutung wie soziale Kontakte oder die vertikale Übertragung von der Mutter. Diese beginnt vermutlich schon während der Geburt. Wichtige Daten zur Weitergabe von Darmbakterien von der Mutter an das Kind lieferten Dr. Oishi und seine Gruppe, indem sie zeigen konnten, dass die Besiedlung des kindlichen Darms nach Sectio anders verläuft als nach einer vaginalen Geburt. Technische Voraussetzung dafür war seine Methode namens Multi Locus Sequencing Typing (MLST), mit der nicht nur die Identifikation von Spezies,
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sondern auch eine Differenzierung nach Stämmen möglich ist. Dr. Oishi: «Mit Hilfe von MLST und mit einem Fokus auf Bifidobakterien untersuchten wir, ob spezifische Stämme aus dem mütterlichen Darm an das Kind weitergegeben werden. Bifidobakterien sind deshalb von so grosser Bedeutung, weil sie innerhalb kurzer Zeit zu den dominanten Spezies im Darm werden und dies durch die gesamte Kindheit bleiben. Vor allem nimmt man an, dass Bifidobakterien die Mucosa vor pathogenen Bakterien schützen und wesentlich zur Entwicklung des Immunsystems in der Darmschleimhaut beitragen.» Die Forscher konnten zeigen, dass nach vaginaler Geburt bereits im Meconium die gleichen Bakterienstämme nachweisbar sind wie bei der Mutter. Nach Sectio war das nicht der Fall. Vielmehr trat ab dem dritten Tag eine Besiedlung des kindlichen Darmes mit anderen Stämmen von B. adolescentis ein (Makino H et al., präsentiert bei der 112. Generalversammlung der American Society for Microbiology, 16. bis 19. Juni 2012, San Francisco).
Das Darm-Mikrobiom im Alter
Mit den Besonderheiten des Darm-Mikrobioms am anderen Ende des Lebens beschäftigt sich die irische ELDERMET-Studie. Forscher des University College Cork untersuchten, in welchem Zusammenhang Alter, Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit mit den Veränderungen des Mikrobioms stehen. «Bereits Studien auf Kulturbasis haben Hinweise geliefert, dass es Auffälligkeiten der Darmbakterien bei alten Menschen gibt. Allerdings waren diese Studien nicht konklusiv, was sicher auch mit den Schwächen dieser Methoden zusammenhängt. Wir haben uns daher vorgenommen, im Rahmen des ELDERMET Programms das Mikrobiom von 500 Personen über 65 Jahre mit modernen Methoden zu untersuchen», sagt dazu Prof. Dr. Paul W. O’Toole von der Abteilung für Mikrobiologie des University College Cork. Die Daten eines Teils der Probanden liegen bereits vor und liefern aufschlussreiche Ergebnisse. Sie zeigen nicht nur, dass sich das Darm-Mikrobiom älterer Menschen von jenem junger unterscheidet. Auch lassen sich signifikante
Korrelationen zwischen dem Zustand des Darm-Mikrobioms und der Lebenssituation herstellen. Institutionalisierte alte Menschen weisen dabei Anzeichen einer ungünstigen Darmbesiedelung im Sinne einer geringeren Diversität auf (2). Unabhängig von der Wohnsituation waren jedoch auch signifikante Einflüsse von Ernährung, Gebrechlichkeit und Entzündungsmarkern auf das Darm-Mikrobiom feststellbar. Prof. O’Toole: «Die Korrelationen zwischen Ernährung, Mikrobiom und Gesundheitszustand erwecken den Eindruck der Kausalität. Daher könnte es auch möglich sein, die Gesundheit älterer Menschen durch Beeinflussung des Darm-Mikrobioms zu verbessern.»
Gestörte Barrierefunktion
des Darms
Ein Schlüssel zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen dem Darm-Mikrobiom und der systemischen Inflammation dürfte die Darmbarriere sein. Dass diese immer noch wenig verstanden wird, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass formalinfixierte histologische Präparate nur unzureichende Informationen über die komplexen Vorgänge an dieser flexiblen Grenze des Organismus liefern und erst moderne Methoden zur Messung der Durchlässigkeit entwickelt werden mussten. Die Darmbarriere trennt das «Körperinnere» vom Darmlumen und besteht aus Bausteinen wie dem Mucus und dem Epithel, aber auch aus humoralen, immunologischen oder neuronalen Elementen. Die Darmpermeabilität erlaubt an definierten Stellen den Durchtritt ausgewählter Moleküle durch diese Barriere. Eine Reihe von Faktoren hat Einfluss auf den Zustand der Darmbarriere. Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff, Leiter des Instituts für Ernährungsmedizin/Prävention und Genderforschung in Stuttgart-Hohenheim, nennt Sekretions-Produkte von Epithelzellen (z.B. Mucus-Glykoproteine), die Tight Junctions der Epithelzellen, Immunzellen und ihre Produkte (z.B. Zytokine und Histamin) sowie das Darm-Mikrobiom. Darüber hinaus können zahlreiche externe Faktoren Einfluss nehmen. Dazu gehören auch verschiedenste Erkrankungen. Als Worst case ist der Verlust der Darm-Barrie-
re mit Translokation der Darmbakterien beim kritisch Kranken bekannt. Es gibt jedoch auch zunehmend Hinweise, dass sich Ähnliches in abgeschwächter Form bei zahlreichen chronischen Krankheiten ereignet. So beeinflussen intestinale Erkrankungen wie infektiöse Diarrhöen, entzündliche Darmerkrankungen oder Ischämie des Darmes die Permeabilität. Das können allerdings auch Erkrankungen ausserhalb des Gastrointestinaltraktes, wie beispielsweise Allergien, Infektionen oder chronische Inflammation, beispielsweise in Form einer Gastritis. Darüber hinaus weist Prof. Bischoff auch auf einen Einfluss von Adipositas und metabolischen Erkrankungen auf die Funktion der Darmbarriere hin. Unter den möglichen Gründen für eine eingeschränkte Funktion der Darmbarriere werden auch eine reduzierte Funktion und Diversität des Darm-Mikrobioms diskutiert. Neue Forschungen zeigen komplexe und erst teilweise verstandene Wechselwirkungen zwischen Darmbesiedelung, Lebensstil, Mikrobiom, Darmpermeabilität, Entzündung, Typ-2-Diabetes etc. So ist beispielsweise bei viszeraler Adipositas die Darmbarriere beeinträchtigt – ebenso, wie Übergewicht mit charakteristischen Veränderungen der Darmflora einhergeht (3). Wie hier die kausalen Zusammenhänge verlaufen und ob sich daraus therapeutische Konsequenzen ergeben, muss weitere Forschung klären. Denkbare Strategien sind Diät, Medikamente, Präbiotika, Probiotika, Antibiotika oder die Stuhltransplantation.
Quelle: International Yakult Symposium 2013: The Intestinal Microbiota an Probiotics: Exploiting their Influence on Health. 22. und 23. April 2013 in London.
Literatur: 1. Arumugam M. et al. Richness of human gut microbiom correlates with metabolic markers. Nature 2011 May 12; 473(7346): 174–180. 2. Claesson MJ et al. Gut microbiota composition correlates with diet and health in elderly. Nature 2012 Aug 9; 488(7410): 178–184. 3. Tremaroli V, Bäckhed F. Functional interactions between the gut microbiota and host metabolism. Nature 2012 Sep 13; 489: 242–249.
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