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SONDENNAHRUNG
Sondennahrung – wenn orale Ernährung nicht (mehr) möglich ist
Bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich, nach chirurgischen Eingriffen, schweren Traumata oder Zustand nach Schlaganfall sind die Patienten oft nicht oder vorübergehend nicht in der Lage, Mahlzeiten oral, also auf natürlichem Weg, zu sich zu nehmen. Um einer Mangelernährung vorzubeugen, ist in solchen Fällen eine enterale Ernährung indiziert. Über Standards und Kontroversen in der modernen Sondenernährung informierte ein Satellitensymposium anlässlich der Nutrition 2013 in Zürich.
Mangelernährung ist ein weitverbreitetes, oft unterschätztes Problem. Zu den Risikopatienten gehören nicht nur alte Menschen, sondern auch Patienten, die krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, sich selbst ausreichend oral zu ernähren. Sind jedoch die Energie- und Nährstoffversorgung gefährdet, steigt das Risiko für Komplikationen und Komorbiditäten; entsprechend muss mit längeren Hospitalisations- und Regenerationszeiten gerechnet werden, wie Studien gezeigt haben. Diese mangelernährungs-bedingten Mehrkosten können bis zu 8 Prozent der Gesamtbehandlungskosten betragen, berichtete der Chirurg Professor Dr. med. Arved Weimann vom Leipziger Klinikum St. Georg. Die Kosten für Ernährungsinterventionen zur Sicherstellung einer bedarfsdeckenden Nährstoffzufuhr seien im Vergleich zu den erheblichen Kosteneinsparungen dagegen zu vernachlässigen.
Ernährungsinterventionen
Bei Patienten mit erhaltener Schluckfunktion ist die Gabe oraler Nahrungssupplemente wie der Trinknahrung eine risikoarme Möglichkeit der Ernährungstherapie, die keine invasiven Eingriffe erfordert. Reicht diese optimierte orale Nährstoffversorgung trotz pflegerischer Zuwendung nicht zur Deckung des erforderlichen Bedarfs, oder ist sie krankheitsbedingt nicht möglich, ist eine enterale Ernährung über eine Sonde oder über ein
Stoma unter Verwendung des Gastrointestinaltrakts angezeigt, wie es die Leitlinien der DGEM definieren (1). Die für diese Zwecke geeignete Sondennahrung ist in der Regel bilanziert und dementsprechend zur vollständigen Ernährung geeignet.
Enterale Ernährung –
wann indiziert?
Mit einer enteralen Ernährung sollte begonnen werden, wenn die orale Nahrungsaufnahme voraussichtlich länger als 3 Tage gar nicht oder länger als 10 Tage nur unzureichend (> 50–60% des Bedarfs) möglich und die Verlaufsprognose gut ist, also kein terminales Krankheitsstadium vorliegt. Gemäss Weimann lassen sich durch solche Ernährungsinterventionen beispielsweise bei chirurgischen Patienten raschere komplikationslose Heilungsraten erzielen, vor allem wenn bereits praeoperativ immunmodulierende Formulierungen eingesetzt werden. Wird die enterale Ernährung nur kurzfristig (≤ 2–3 Wochen) benötigt, sollten dünnlumige nasogastrale beziehungsweise nasojejunale Sonden Verwendung finden. Ist dagegen eine längerfristige enterale Ernährung erforderlich (> 3–4 Wochen), sollte dies über eine perkutan gelegte Ernährungssonde (PEG) erfolgen. Die parenterale Ernährung ist dagegen bei mangelernährten Hochrisikopatienten indiziert, wenn die enterale Nahrungsaufnahme nicht ausreicht oder nicht möglich ist.
Enterale Ernährung nur so lange wie nötig
Abschliessend betonte Weimann, dass die orale Ernährung wenn immer möglich erste Priorität hat und entsprechend gefördert werden sollte. Dementsprechend sei die Notwendigkeit einer künstlichen Ernährung in regelmässigen Abständen zu überprüfen und deren Beendigung im Konsens mit dem Patienten und/oder den Familienangehörigen zu beschliessen. In jedem Fall gilt, dass dem Kranken durch diese Behandlung keine Verlängerungen seiner Leiden zugemutet werden sollte. Entsprechende Ausstiegskriterien sind in den Leitlinien definiert.
Kontroversen der Sondenernährung
In seinen Ausführungen ging der Internist und Geriater PD Dr. med. Rainer Wirth, Chefarzt des Hospitals St. Marien in Borken, auf Probleme des klinischen Alltags ein, die sich im Zusammenhang mit der enteralen Ernährung stellen. Auf die wichtigsten Fragen soll hier kurz eingegangen werden:
Lagekontrolle der nasogastralen Sonde Beim Legen einer nasogastralen Sonde sollte nicht nur durch eine auskultativ überprüfte Luftinsufflation, sondern auch durch Aspirieren des Magensaftes (mit anschliessender pH-Messung) sichergestellt werden, dass die Sonde korrekt platziert ist und nicht etwa im Respirationstrakt oder Ösophagus liegt. Sicherheitshalber kann auch eine Röntgenkontrolle durchgeführt werden.
Prozedurenbedingte Mortalität aufgrund der PEG-Sonde Die Indikation zur Anlage einer PEG wird häufig gestellt, sie ist jedoch mit erheblichen Komplikationen verbunden, dementsprechend hoch ist die Mortalität des in der Regel schwer kranken Kollektivs:
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SONDENNAHRUNG
Mehr als 9 Prozent der Patienten sterben innerhalb der ersten Woche nach Sondenanlage, 50 Prozent überleben keine sechs Monate. Zu den häufigsten Todesursachen gehören Pneumonien und kardiovaskuläre Komplikationen. Um prozedurenbedingte peristomale Infektionen zu vermeiden, sollte 30 Minuten vor PEGAnlage eine einmalige Antibiotikaprophylaxe gegeben werden. Laut Studien lässt sich das Infektionsrisiko so um 64 Prozent reduzieren.
Enterale Ernährung bei Demenzkranken Bei Patienten mit schwerer und fortgeschrittener Demenz sollte auf Sondenernährung verzichtet werden, zumal dadurch keine Besserung des Allgemeinzustands zu erwarten ist.
Bild: kliniken-nea.de
Neuentwicklungen bei Sondennahrungen Das Sortiment industriell hergestellter Produkte zur enteralen Ernährung muss eine Vielzahl unterschiedlicher Bedarfssituationen abdecken. Neben Standardsondennahrungen stehen daher hochkalorische oder besonders eiweissreiche sowie Spezialsondennahrungen für verschiedene Indikationen zur Verfügung. Um ihre Verträglichkeit zu verbessern und die Funktionsfähigkeit des Gastrointestinaltrakts zu erhalten, wird die Zusammensetzung solcher Produkte stets verbessert und neuen medizinischen Erkenntnissen angepasst. So zeigen erste Studienergebnisse, dass eine Proteinkombination aus vier aufeinander abgestimmten tierischen und pflanzlichen Ei-
weissarten (Casein-, Molken-, Erbsen- und Sojaprotein; P4TM) eine deutlich bessere Verträglichkeit der zugeführten Nahrung bewirkt, da sie die Magenentleerung nachweislich beschleunigt, wie Wirth erklärte, denn im Vergleich zu caseindominanten Proteinmischungen treten hier offenbar keine Koagulationen auf. Ein weiterer Vorteil für Patienten mit funktionsfähigem Gastrointestinaltrakt kann die Gabe von Sondennahrungen sein, die eine der gesunden Ernährung angepasste Nahrungsfasermischung (multi fiber mixture mf6TM) aus löslichen und unlöslichen Fasern (Soja-Polysaccharide, resistente Stärke, Inulin, Gummi arabicum, Cellulose, Oligofructose) enthalten. Insbesondere die präbiotischen, nicht verdaulichen Anteile fördern das Wachstum
der natürlichen Darmflora und tragen so dazu bei, die Funktionsfähigkeit des Gastrointestinaltrakts zu erhalten und zu optimieren. Wie klinische Untersuchungen zeigten, liess sich dadurch das Auftreten von Diarrhöen um bis zu 47 Prozent reduzieren, im Vergleich zu einer anderen Sondennahrung, die nur mit einem Einzelballaststoff angereichert ist.
Claudia Reinke
Literatur: 1. Valentini et al. Aktuel Ernährungsmed 2013; 38: 97–111.
Quelle: «Standards und Kontroversen in der modernen Sondenernährung»; Satellitensymposium Nutricia, Freitag 7. Juni 2013, Nutrition 2013, Zürich.
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