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EDITORIAL
Mundgesundheit und Ernährung – eine interdisziplinäre Herausforderung
Oberflächlich betrachtet scheint die Wechselbeziehung zwischen Mundgesundheit und Ernährung eine einfache zu sein: Auf der einen Seite brauchen wir gesunde Zähne als Kauwerkzeug für eine gesunde Ernährung, auf der anderen Seite ist eine kohlenhydratreiche Nahrungsaufnahme zu vermeiden, um einer Schädigung der Zähne durch Karies vorzubeugen. Wenn es doch nur so einfach wäre! Es ist uns zwar in einzigartiger Weise gelungen, durch konsequente Prävention das Auftreten der Infektionskrankheit Karies bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen deutlich einzuschränken. So konnte in der Schweiz der Anteil von bleibenden Zähnen bei Kindern und Jugendlichen mit kariösen Läsionen oder Füllungen, beziehungsweise der infolge Karies verloren ging, zwischen 1964 und 2005 um 90 Prozent gesenkt werden (1). Die Nachuntersuchung von Rekruten ergab eine Reduktion dieses Anteils um 80 Prozent zwischen 1970 und 2006 (2, 3). Dabei muss allerdings erkannt werden, dass der präventive Erfolg eine Generation nur überdauert, wenn die hierzu bewährten vorbeugenden Programme immer wieder von Neuem durchgeführt werden. Dies betrifft nicht zuletzt die Ernährungslenkung als eine der tragenden Säulen dieser Programme, die durch Veränderungen des sozialen Umfeldes und somit der Lebensstile immer wieder von Neuem herausgefordert wird. Dies trifft nicht nur für Kinder sowie Jugendliche auf der einen Seite, sondern insbesondere auch für ältere und betagte Menschen auf der anderen Seite zu, die aus verschiedensten medizinischen und psychosozialen Gründen vermehrt unter Karies leiden. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die als Xerostomie bezeichnete Mundtrockenheit dar, die im fortgeschrittenen Lebensalter als Folge der gehäuft auftretenden Multimorbidität in erster Linie durch Medikamente verursacht wird (4, 5). Zähne können aber nicht nur durch kohlenhydratreiche Ernährung, sondern auch durch säurehaltige Nahrungsmittel geschädigt werden. Diese als Erosion bekannte Zahnhartgewebserkrankung stellt ein im Zunehmen begriffenes Pro-
blem der Mundgesundheit dar und steht ebenfalls mit Veränderungen der Lebensstile und somit auch der Ernährungsgewohnheiten in Zusammenhang (6). Aber nicht nur ein Zuviel beispielsweise an Säuren, sondern auch ein Zuwenig an Spurenelementen und Vitaminen kann in der Mundhöhle Schäden verursachen, so zum Beispiel Schleimhautläsionen, Wundheilungsstörungen, Beeinträchtigungen des Geschmackssinns und Empfindungsstörungen wie Mundbrennen (7, 8). Diese Aspekte einer Mangelernährung betreffen gehäuft ältere Menschen. Dabei wäre es wie gesagt bei Weitem zu kurz gegriffen, allein die Zahl und den Gesundheitszustand der verbleibenden Zähne als Ursache einer Protein-EnergieMangelernährung im Alter zu sehen. Der in der Regel komplexe, multifaktorielle Hintergrund einer Malnutrition erfordert wie die bereits geschilderten, durch Ernährung mitbestimmten Themen der Mundgesundheit auch eine interdisziplinäre Vorgehensweise in Diagnostik und Therapie (8). Dies nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass Zahnund Munderkrankungen mit oder ohne nutritiven Hintergrund von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Gesamtgesundheit des Menschen sein können (9). Die Beiträge zum Schwerpunktthema dieser Ausgabe der «Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin» bieten eine konzentrierte Übersicht über ein paar für die tägliche Praxis bedeutende Wechselwirkungen zwischen Mundgesundheit und Ernährung. Sie weisen allerdings auch deutlich darauf hin, dass die Komplexität dieser Thematik uns aus vielerlei Gründen auch in Zukunft intensiv beschäftigen wird und eine vertiefte interdisziplinäre Auseinandersetzung erfordert.
Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo
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EDITORIAL
Literatur: 1. Steiner M, Menghini G, Marthaler TM, et al. Changes in dental caries in Zurich school-children over a period of 45 years. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2010; 120: 1084–1104. 2. Menghini G, Steiner M, Marthaler TM, et al. Decline of caries prevalence in Swiss military recruits between 1970 and 1996. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2001; 111: 410–416. 3. Menghini, G, Steiner M, Thomet E, et al. Further caries decline in Swiss recruits from 1996 to 2006. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2010; 120: 590–600. 4. Thomson WM, Chalmers JM, Spencer AJ, et al. Medication and dry mouth: Findings from a cohort study of older people. Public Health Dent 2000; 60: 12–20. 5. Schindler C, Wienforth F, Kirch W. Besonderheiten der zahnärztlich relevanten Pharmakotherapie bei Patienten im höheren Lebensalter. Quintessenz 2006; 57: 1099–1109. 6. Lussi A, Jaeggi T, Zero D. The role of diet in the aetiology of dental erosion. Caries Research 2004; 38 Suppl 1: 34–44. 7. Seiler WO, Itin P, Stähelin HB. Zinkmangel, ein oft verkanntes Problem im Alter. Ernährungs-Umschau 2002; 49: 260–265. 8. Besimo C, Luzi C, Seiler WO. Malnutrition im Alter. Eine interdisziplinäre Problemstellung auch für den Zahnarzt. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2007; 117: 749–755. 9. Imfeld Th: Allgemeinmedizinische Bedeutung der oralen Gesundheit. Acta Med Dent Helv 2000; 5: 49–50.
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