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ENTZÜNDLICHE RHEUMATISCHE ERKRANKUNGEN UND ERNÄHRUNG
Säurearme Ernährung zur Osteoporoseprävention?
REINHARD IMOBERDORF
Die Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine verminderte Knochenmasse und Störung der Knochenarchitektur (Knochenintegrität) zu einer verminderten Widerstandsfähigkeit des Knochens führt und letztlich mit einem erhöhten Frakturrisiko einhergeht (1). In diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, ob der progrediente Verlust des Knochenmineralgehaltes nach Erreichen der «peak bone mass» ein unabwendbares Schicksal des modernen Menschen ist. Für eine ausführliche Diskussion verweise ich auf die Übersicht von Sebastian und Mitarbeitern (2).
Osteoporose als unabwendbares Schicksal?
Die Abbildung 1 illustriert schematisch den altersabhängigen Verlauf des Knochenmineralgehaltes. Unser Knochenkapital ist die «peak bone mass», die schon im jugendlichen Erwachsenenalter erreicht wird. Die genügende Zufuhr von Kalzium und Vitamin D (Sonnenexposition, Supplementation) und Bewegung bilden die Grundlage für einen gesunden Knochen bis ins hohe Erwachsenenalter.
Prävention ist wichtig
In der Empfehlung der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO) sind zwei Punkte von entscheidender Bedeutung: Die Osteoporose ist ein häufiges Leiden, und die Schweiz gehört zu den Ländern mit dem höchsten Frakturrisiko. Das «Lebenszeitrisiko», eine osteoporotische Fraktur zu erleiden, beträgt in der Schweiz im Alter von 50 Jahren für die Frau 51,3 Prozent und für den Mann 20,2 Prozent (1).
Osteoporotische Frakturen sind mit einer erhöhten Morbidität, einer Einschränkung der Lebensqualität und Funktionalität im Alltag (Pflegebedürftigkeit) sowie einer erhöhten Mortalität assoziiert (1). Die Prävention der Osteoporose ist daher nicht nur medizinisch, sondern auch gesundheitspolitisch relevant.
Ernährung und Knochengesundheit
Das Gleichgewicht zwischen der endogenen Produktion von Bikarbonat und Protonen (H+) entscheidet über die Knochengesundheit. Eine ausgeglichene Blutwasserstoff- (H+) und Plasmabikarbonatkonzentration (HCO3-), bei der eine gesunde Person weder eine metabolische Azidose noch eine metabolische Alkalose aufweist, stellt sich dann ein, wenn die Ernährung zu einer Nettosäureproduktion von Null führt. Das heisst, Säuren und Basen stehen im Gleichgewicht, und der Mineralgehalt des Knochens bleibt konstant (Abbildung 2). Die Zufuhr von Kaliumsalzen über Früchte und Gemüse führt über die endogene Bikarbonatproduktion zu Basenüberschuss, der Kno-
Abbildung 1: Altersabhängiger Knochenmineralgehalt
chenmineralgehalt steigt. Dagegen führen die Zufuhr von Getreidekörnern und die Zufuhr von wenig Basen liefernden Gemüsen (z.B. Hülsenfrüchte anstelle von Blattgemüse) zusammen mit einem tiefen Früchtegenuss zu Säurebelastung, sodass der Knochenmineralgehalt sinkt.
Merksatz 1: Jäger und Sammler hatten dicke und harte Knochen Die Knochen der Steinzeitmenschen hatten eine dickere Kortikalis als heute und waren relativ stabil bis ins Alter. Zudem wiesen Sammler und Jäger eine höhere Knochendichte auf im Vergleich zu prähistorischen Populationen, die Ackerbau
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Tabelle 1: Markante Unterschiede zwischen prähistorischer und heutiger Ernährung
Eiweiss (g/Tag) Tierisch Pflanzlich
Kalium (mmol/Tag) Natrium (mmol/Tag)
Sammler und Jäger 250 190 60 280 30
Moderne westliche Ernährung 90 70 20 80
100–300
Abbildung 2: Knochenmineralgehalt in Abhängigkeit des Säure-Basen-Gleichgewichtes.
Abbildung 3: Der Knochen, ein riesiges Ionen- und Basenaustauschreservoir.
betrieben. Wurzeln, Knollen, Blattgemüse und Früchte führen über die reichhaltige Zufuhr von Kaliumsalzen zu einer starken endogenen Bikarbonat(HCO3-)-Produktion, also zu einem Basenüberschuss. Die resultierende leichtgradige chronische metabolische Alkalose reduziert die osteoklastische Knochenresorption und stimuliert die osteoblastische Knochenbildung. Evolutionär betrachtet ist diese leichtgradige metabolische Alkalose der optimale Säure-Basen-Status1.
Merksatz 2: Kalium – ein lebenswichtiges Mineral Wegen der Agrar-Revolution vor etwa 10 000 Jahren kam es zu einem dramatischen Shift von einer basenproduzierenden typischen «Jäger-Sammler»-Diät zu einer Säure produzierenden landwirtschaftlichen Ernährung. Ein paar markante Unterschiede sind in Tabellen 1 und 2
1Die metabolischen Veränderungen des Säure-BasenStatus, die hier besprochen werden, spielen sich innerhalb des sogenannten Referenzbereiches ab. Der klinisch tätige Arzt würde diese Veränderungen in einer Blutgasanalyse nicht als pathologisch werten! Wichtig ist die intrazelluläre Azidämie, die einer direkten Messung nicht zugänglich ist.
dargestellt. Wurzeln, Knollen, Blattgemüse und viele Früchte lieferten unseren Vorfahren über Kaliumsalze viel Basenüberschuss, während Weizenmehl oder Getreidekörner zur Säurebelastung beitragen. Diese Darstellung der Basen- und Säurepotenz von Nahrungsmitteln ist stark vereinfacht und wird in der Literatur durchaus kontrovers diskutiert. Einig ist man sich über die Wertigkeit des Kaliums. «Al kali» heisst die Pflanzenasche. Die Römer tauften die Pflanzenasche Potassium = Pottasche, und so heisst überall in der Welt unser so lebenswichtiges Mineral Kalium (3). Kalium ist intrazellulär etwa 40-mal höher konzentriert als im Extrazellulärraum und hält dadurch die nervliche Stabilität, das Ruhepotenzial der Nerven aufrecht. Fehlt aber im Inneren der Zellen Kalium, dann wandern statt dessen H+-Ionen hinein, also Säure. Die heutige Ernährung ist im Vergleich zu den präagrikulturellen Diäten kaliumarm. In der – evolutiv gesprochen – kurzen Zeit seit dieser Ernährungsumstellung konnte sich der moderne Mensch nicht an die über Millionen Jahre entstandene, genetisch determinierte metabolische Maschinerie adaptieren.
Merksatz 3: Die moderne westliche Ernährung führt zu einer chronischen, leichtgradigen hyperchlorämischen metabolischen Azidose Eine typische westliche Ernährung hat eine Nettosäureproduktion von 50 bis 100 mmol H+ pro Tag zur Folge (4). Was folgt, ist eine physiologische Meisterleistung. Diese 50 bis 100 milli-mol H+ werden auf eine Konzentration von 40 nano-mol H+ gepuffert, was einem pH von 7,4 entspricht. Also alles im grünen Bereich? Nein! Einen grossen Teil dieser Säurebelastung scheiden die Nieren aus. Für die vollständige Neutralisierung die-
ser Säurebelastung genügt das aber nicht. Dazu kommt, dass die altersbedingte Nierenfunktionseinschränkung die ernährungsinduzierte chronische metabolische Azidose noch verschlimmert.
Merksatz 4: Die moderne westliche Ernährung geht nicht am Knochen vorbei Zur vollständigen Neutralisierung der Säurebelastung müssen Basenstoffe aus dem Knochen herausgelöst werden (Abbildung 3). Der Knochen ist ein riesiges Ionen- und Basenaustauschreservoir, das Kalium und Natrium im Austausch für H+ freisetzt sowie zusätzlich Kalzium und Phosphor, die im Urin ausgeschieden werden, ohne dass die gastrointestinale Resorption kompensatorisch zunimmt (2). Die Kalziumbilanz ist negativ, und Osteoporose ist die Folge. Die Säuretitration durch den Knochen ist zusätzlich ein aktiver Prozess. Die extrazelluläre Azidämie mit Hypobikarbonatämie erhöht die Aktivität der Knochen resorbierenden Osteoklasten und supprimiert die Knochen bildenden Osteoblasten, was die Osteoporose weiter fördert (5, 6). Das potenzielle Ausmass der Osteoporose wird durch ein Rechenbeispiel illustriert: ein Basenverlust in Form von Kalziumhydroxyapatit aus dem Knochen von lediglich 1 mmol pro Tag ergibt 14 600 mmol Basenverlust über 40 Jahre. Dies bedeutet etwa 32 000 mmol Kalziumverlust, was etwas mehr als 50 Prozent des gesamten Knochenkalziums entspricht.
Merksatz 5: Ein Übel kommt selten allein Die ernährungsinduzierte, altersabhängig noch verstärkte, leichtgradige metabolische Azidose trägt zur Pathogenese verschiedener altersbezogener Krankheiten bei, wie Sarkopenie, Nephrolithiasis,
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Tabelle 2: Basen- und Säurepotenzial von Nährstoffen
Grünes Blatt-, Wurzelgemüse Früchte Hülsenfrüchte Getreidekörner, Weizenmehl
Basen +++ +++ +
Säuren +++
Hypertonie, Schlaganfall und Niereninsuffizienz. Dies zu besprechen würde aber den Rahmen dieses Artikels sprengen. Deshalb verweise ich den interessierten Leser auf die Übersicht von Sebastian und Mitarbeiter (2).
Merksatz 6: Die Neutralisierung der ernährungsinduzierten Säurebelastung erhöht die Knochendichte Die Verabreichung von 30 mmol Kaliumzitrat pro Tag über 12 Monate führte in einer prospektiven kontrollierten Interventionsstudie bei 161 postmenopausalen Frauen mit Osteoporose zu einer signifikanten Zunahme der Knochendichte (7). Alkalinisierung mittels Kaliumzitrat führte zu einem vergleichbaren Effekt auf die Knochendichte, wie er mit ÖstrogenRezeptor-Modulatoren erreicht werden kann (4). Könnte dieser Effekt auch mit einer alkalinisierenden Ernährung erreicht werden? Die Abbildung 4 illustriert, wie der moderne Mensch zu seinen Basen kommen kann. Früchte- und Gemüsekonsum als Osteoporoseprophylaxe? Die Untersuchung von New und Mitarbeitern (8) zeigte in der Tat, dass Frauen, die in ihrer Kindheit sehr viele Früchte konsumierten, im Erwachsenenalter eine signifikant höhere Knochendichte im Schenkelhals aufwiesen.
Die mediterrane Ernährung liefert über Früchte und Gemüse viele Kaliumsalze, die über die endogene Bikarbonatproduktion zu einer Reduktion der Säureproduktion führen. Ob dies effektiv zu starken Knochen führt, wissen wir nicht, aber die epidemiologischen Befunde sind interessant. Die Effekte der mediterranen Ernährung auf rheumatische Krankheiten werden im Artikel von Ballmer in dieser Ausgabe beschrieben.
Schlussfolgerung
Ich bin der Meinung, dass der progrediente Verlust des Knochenmineralgehaltes nach Erreichen der «peak bone mass» kein unabwendbares Schicksal des modernen Menschen ist. Der Wechsel von einer typisch westlichen Ernährung, also vom sogenannten Fast Food zu einer kaliumreichen, alkalinisierenden Ernährung könnte uns zu «Sammlern und Jägern des 21. Jahrhunderts» werden lassen, ohne dass wir wieder barfüssig durch die Prärie streifen müssen.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Reinhard Imoberdorf Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Winterthur, 8401 Winterthur Tel. 052-266 21 21, Fax 052-266 47 06 E-Mail: reinhard.imoberdorf@ksw.ch
Abbildung 4: Früchte und Gemüse als Basenlieferanten
Literaturverzeichnis: 1. Osteoporose. Prävention-Diagnostik-Behandlung. Empfehlungen 2010 der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose SVGO. www.svgo.ch (accessed 01-2012). 2. Sebastian A, Frassetto LA, Merriam RL, Sellmeyer DE, Morris RC. An evolutionary perspective on the acid-base effects of diet. In: Acid-Base Disorders and Their Treatment. Gennari FJ, Adrogué HJ, Galla JH, Madias NE (eds.) Taylor & Francis Group 2005. 241– 292. 3. Jörgensen HH. Die Wahrheit über den SäureBasen-Haushalt. www.forumgesund.ch/saure-basenhaushalt/saure-basen-haushalt-t899.html (accessed 01-2012). 4. Jehle S, Krapf R. Essen wir zu sauer? Schweiz Med Forum 2010; 10 (8): 152–153. 5. Krieger NS, Sessler NE, Bushinsky DA. Acidosis inhibits osteoblastic and stimulates osteoclastic activity in vitro. Am J Physiol 1992; 262: F442–F448. 6. Bushinsky DA. Stimulated osteoclastic und suppressed osteoblastic activity in metabolic but not respiratory acidosis. Am J Physiol 1995; 268: C60–C88. 7. Jehle S, Zanetti A, Muser J, Hulter HN, Krapf R. Partial neutralization of the acidogenic western diet with potassium citrate increases bone mass in postmenopausal women with osteopenia. J Am Soc Nephrol 2006; 17: 3213–3222. 8. New SA, Robins SP, Campbell MK, Martin JC, Garton MJ, Bolton-Smith C, Grubb DA, Lee SJ, Reid DM. Dietary influences on bone mass and bone metabolism: further evidence of a positive link between fruit and vegetable consumption and bone health. Am J Clin Nutr 2000; 71: 142–151.
Veranstaltung 7. Ärzte-Kongress für Mikronährstoffe in der Medizin 2013
Am Samstag, den 15. Juni 2013 findet der 7. Ärzte-Kongress für Mikronährstoffe in Brunnen statt. Der Kongress steht dieses Jahr unter dem Motto «Mikronährstoffe, Ernährung und Lifestyle beim metabolischen Syndrom». Bestens ausgewiesene und erfahrene Referenten aus dem In- und Ausland werden über den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand bei diesem häufigen Krankheitsbild berichten.
Vor allem am Nachmittag erhalten die Kongressteilnehmer Gelegenheit, anhand von Fallbeispielen vom praxisbezogenen Wissen der Referenten zu profitieren und auch gegenseitige Erfahrungen auszutauschen.
Das Programm und das Anmeldeformular können Sie bei der Antistress AG bestellen: Telefon 055-220 12 12 oder download unter www.burgerstein.ch (Wissen/Weiterbildung)
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