Transkript
ERNÄHRUNGSBERATUNG
Ernährungsberatung in der Grundversorgung – (k)ein Problem?
Dominique Schmidt
Zahlreiche Patienten, die beispielsweise an Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes leiden oder ihre Ernährungsweise aufgrund von Fettstoffwechselstörungen oder einer bestehenden Adipositas ändern müssen, sind auf die unterstützende Begleitung einer versierten Ernährungsberaterin angewiesen. Während behandelnde Ärzte in grösseren Spitälern in der Regel auf «hauseigene» fachkompetente Ernährungsberater zurückgreifen können, ist es für Hausärzte offenbar ein Problem, erfahrene Ernährungsberater für die ambulante Beratung ihrer Patienten zu finden. Zur Klärung dieses Problems und einiger grundsätzlicher Aspekte einer solchen Zusammenarbeit lud die SZE den niedergelassenen Internisten und Hausarzt Dr. med. Dominique Schmidt, Basel, und die Präsidentin des Verbands diplomierter ErnährungsberaterInnen (SVDE), Beatrice Conrad-Frey, beide Mitglieder des SZE-Herausgeberbeirats, zu einem Gespräch ein.
Beatrice Dr. med. Dominique Conrad-Frey Schmidt (DS): Frau Con-
rad, in der Hausarztpraxis wären wir häufig froh, wenn wir in der Behandlung und Beratung unserer Patienten auf die unterstützende Hilfe einer Ernährungsberaterin zurückgreifen könnten. Das ist vor allem bei Indikationen wie Übergewicht oder Diabetes – insbesondere Typ-2-Diabetes – der Fall. Hier haben wir manchmal wirklich Mühe, kompetente Ernährungsberaterinnen zu finden, die bereit sind, Patienten oder Patientinnen in einem vernünftigen Zeitrahmen zu übernehmen und entsprechend zu betreuen. Woran liegt das? Beatrice Conrad-Frey (BCF): Grundsätzlich erstaunt mich diese Aussage. Nach meinen Informationen sollte es eigentlich in der Region Basel verschiedene Praxen freiberuflich tätiger Ernährungsberater geben, die genau solche Beratungen anbieten. Wenn die Hausärzte aber Probleme haben, geeignete Ernährungsberater zu finden, frage ich mich tatsächlich, ob das Angebot in dieser Region nicht doch zu klein ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten für die Hausärzte, dieses Problem zu lösen. So können sie zum
Beispiel mit Spitalambulatorien zusammenarbeiten. Sucht der Hausarzt dagegen die Zusammenarbeit mit einer freiberuflich tätigen Ernährungsberaterin, kann er sich auf der Homepage des Schweizerischen Verbands diplomierter ErnährungsberaterInnen (SVDE) informieren und dort eine Liste freiberuflich tätiger Kollegen und Kolleginnen herunterladen (im Menü auf der Frontpage die Rubrik «Für Ärztinnen und Ärzte» anklicken; dort erscheint diese Liste). Hier findet sich im Übrigen auch das notwendige offizielle Verordnungsformular für die Ernährungsberatung. Wir sind – wie die Physiotherapeuten – auf eine ärztliche Verordnung angewiesen, damit die Krankenkasse aus der Grundversicherung unsere Leistungen übernimmt. DS: Wie läuft das mit der Verordnung? Geht sie vom Arzt an den Patienten oder vom Arzt an die Ernährungsberatung, und wie viele Beratungsstunden sind mit einer solchen Verordnung abgedeckt? BCF: Das wird individuell gehandhabt. Es gibt Hausärzte, die dem Patienten die Verordnung in die Hand drücken und ihm so die Verantwortung übertragen, mit der Beraterin Kontakt aufzunehmen. Es gibt
aber auch Ärzte, die bereits mit Ernährungsberatern zusammenarbeiten und die Verordnung bei Bedarf selbst dort hinschicken. Pro ärztliche Verordnung oder pro Diagnose gibt es grundsätzlich zwölf Sitzungen, wobei nach sechs Sitzungen eine neue ärztliche Verordnung notwendig wird. Dadurch wird sichergestellt, dass der notwendige Austausch zwischen Ernährungsberatung und behandelndem Arzt nach spätestens sechs Sitzungen erfolgt – also bevor die nächsten sechs Sitzungen verordnet werden müssten. Diese
Info 1: Diät- oder Ernährungsberatung?
Der Begriff Diätberatung ist ein Relikt aus früheren Zeiten und entsprach der damals üblichen Berufsbezeichnung der Diätassistentin. Aus psychologischen Gründen wollte man jedoch den eher negativ besetzten Begriff Diät verlassen – zu oft wird er vor allem mit Verzicht und Einschränkung assoziiert. Seit 1984 lautet die korrekte Berufsbezeichnung «dipl. ErnährungsberaterIn HF/FH». Wer diese Bezeichnung führt, ist eine anerkannte, ausgebildete Fachperson.
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zwölf Sitzungen kann jeder Patient mit einer leistungspflichtigen Diagnose in Anspruch nehmen; wenn danach weiterer Beratungsbedarf besteht und der Hausarzt dies unterstützt, reicht ein kurzer Brief an den Vertrauensarzt der Krankenkasse, dann werden weitere Beratungsstunden auch von der Kasse übernommen, wobei der regelmässige Austausch zwischen Ernährungsberatung und behandelndem Arzt immer als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Unser Tarif sieht dementsprechend auch die Abgeltung eines schriftlichen Berichts an den behandelnden Arzt vor. Die Dauer einer solchen Beratung hängt im Übrigen von der Diagnose ab. Menschen mit Adipositas brauchen in der Regel länger – allein am Anfang sind bis zu drei Sitzungen
Info 2: Ausbildung der dipl. ErnährungsberaterInnen in der Schweiz:
Der internationalen Standards genügende Beruf der dipl. Ernährungsberaterin/des diplomierten Ernährungsberaters erfordert ein mehrjähriges, vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) anerkanntes Vollzeit-Fachhochschulstudium mit klar definierten Abschlusskompetenzen. Die Ausbildung berechtigt die Absolventinnen und Absolventen, den Titel «dipl. ErnährungsberaterIn/dipl. Ernährungsberater HF/FH» oder (nach neuer Studienordnung) «Bachelor of Science in Ernährung und Diätetik» zu führen und über die Grundversicherung abzurechnen; sie sind somit auf der gleichen Stufe wie die Physiound die Ergotherapeuten. Wer eine Abrechnungsnummer erhalten hat, also über die Krankenversicherung abrechnen kann, muss die Qualitätsanforderungen erfüllen und hat eine regelmässige Weiterbildungsverpflichtung; andernfalls verliert er seine Abrechnungsnummer. Die Beratungstätigkeit besteht nicht nur aus der Weitergabe von ernährungsrelevanten Informationen. Vielmehr werden in der Arbeit mit dem Patienten auch erlernte Techniken, wie die sogenannte motivierende Gesprächsführung (motivational interviewing) genutzt, um die jeweils erforderlichen und nicht immer einfach umzusetzenden Veränderungen im Ernährungsverhalten auch verhaltenstherapeutisch zu unterstützen. Die Ernährungsberatung sucht mit dem Klienten individuelle Lösungen.
für Basisinformationen erforderlich; danach erfolgt die Begleitung bei der Umsetzung, die durchaus länger dauern kann und entsprechend viele Sitzungen erfordert. Aus der Beratung kann in solchen Fällen also auch eine «Begleitung» werden. DS: Manche Hausärzte werden diese Begleitung vielleicht selbst übernehmen wollen. Mir scheint es daher wichtig, dass das weitere Vorgehen in enger Absprache zwischen Hausarzt und Ernährungsberatung erfolgt. Ausserdem wäre eine gute Zusammenarbeit essenziell, damit wir von ärztlicher Seite auch unsere jeweiligen Behandlungsansätze und Therapieziele einbringen könnten. BCF: Meiner Ansicht nach braucht es beides: Beratung und Begleitung. Begleitung in der Ernährungsberatung heisst, praktische Probleme der täglichen Ernährung mit dem Patienten zu besprechen, beispielsweise mal einen Einkauf zu begleiten oder beim Typ-1-Diabetiker die notwendigen täglichen Kohlenhydratmengen zu berechnen. Das sind Kompetenzen, die in unserem Bereich liegen. Dagegen werde ich in der Ernährungsberatung keine Laborwerte bestimmen und keinen Blutzucker messen oder das HbA1c kontrollieren. Das ist und bleibt Sache des Hausarztes – ohnehin kann die Ernährungsberatung den Hausarzt nie ersetzen. Was die Zusammenarbeit betrifft, stimme ich Ihnen völlig zu – eine gute Zusammenarbeit und die regelmässige Kommunikation sind wesentlich für alle Beteiligten, insbesondere für den Patienten. Im Übrigen scheint es nach wie vor Hausärzte zu geben, die weder unsere Ausbildung (Infokasten 2) noch unser Angebot kennen, auch nicht den Unterschied zwischen einem Ernährungscoach von der Migros-Klubschule und unserem Angebot oder den Unterschied zwischen Weight-Watchers und der klassischen Ernährungsberatung. Das ist problematisch. Leider gibt es auch Hausärzte, die nicht wissen, dass die Ernährungsberatung bei bestimmten Indikationen eine Pflichtleistung der Grundversorgung ist, insofern sie von einer anerkannten Ernährungsberaterin erbracht wird. Dazu gehören Diagnosen wie Adipositas (bei BMI
> 30 und bestehender Folgeerkrankung), Stoffwechselkrankheiten, Herz-KreislaufErkrankungen, Erkrankungen des Verdauungssystems, Nierenerkrankungen, Allergien und Lebensmittelintoleranzen sowie Fehl- und Mangelernährung. DS: Das sind für mich – und sicher auch für meine Kollegen – wichtige Informationen, auch für das zukünftige Vorgehen. Entscheidend ist, dass wir die Patienten an eine ausgewiesene Fachperson schicken können, wo die Erwartungen an eine kompetente Ernährungsberatung auch erfüllt werden. Ich werde mir also die Liste der ErnährungsberaterInnen auf der Website des SVDE ansehen, um innerhalb der Region ein kleines Team zu finden, das den fachlichen Anforderungen genügt, und mit dem eine gute Zusammenarbeit möglich wird. Es scheint mir wichtig, dass sich beide Seiten, also Hausarzt und Ernährungsberatung, im Vorfeld über die vorhandenen Qualifikationen, die gegenseitigen Erwartungen und ärztlichen Behandlungsstrategien austauschen und ein regelmässiges persönliches Feedback über den Fortgang, die Erfolge oder Misserfolge beziehungsweise über aufgetretene Probleme im Rahmen der Ernährungsberatung vereinbaren. So kann man gemeinsam nach Lösungen suchen. BCF: Eigentlich müsste das Feedback im Idealfall gegenseitig erfolgen, damit die Ernährungsberaterin nachvollziehen kann, ob ihre Arbeit Früchte getragen hat und sich deshalb beispielsweise die Laborwerte normalisiert haben. DS: Das wäre kein grosser administrativer Aufwand, da man eine Kopie der Resultate dem Patienten mitgeben könnte. Das wäre auch für ihn ein positiver Aufhänger, der ihn in seinen hoffentlich erfolgreichen Bemühungen weiter bestärkt. Wie hoch ist eigentlich der Prozentsatz der Patienten, die von einer Ernährungsberatung profitieren? Gibt es dazu Statistiken? Vermutlich hängt das auch von der Indikation ab. Bei Allergien oder Lebensmittelunverträglichkeiten ist es sicher einfacher, da bei Nichtbeachtung die Bestrafung auf dem Fusse folgt. Bei anderen Grundproblemen, wie Diabetes oder Adipositas, ist das vermutlich schwieriger?
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BCF: Im Bereich Allergien und Intoleranzen ist der Erfolg der Beratung sehr rasch spürbar; die Patienten sind dankbar für die Unterstützung in der Umsetzung ihrer neuen Ernährungsweise. Allerdings ist es ausgesprochen schwierig, in den Bereichen Adipositas und Diabetes nachzuweisen, was die Ernährungsberatung langfristig tatsächlich bringt, da hier sehr viele Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Wir haben früher auf Anfragen von Krankenversicherungen solche Untersuchungen durchgeführt und je nach Indikation gewisse Parameter, wie beispielsweise den BMI oder HbA1c-Werte, vor und nach einer Beratungsperiode gemessen – ohne andere Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Die Ergebnisse waren fantastisch. Denn bei einem neu diagnostizierten Diabetiker, der in die Beratung kommt, ver-
ändern sich diese Werte innerhalb einer Beobachtungsperiode von einem halben Jahr meistens sehr positiv. Das gilt auch für die Adipositas. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie nachhaltig das ist! Langzeitergebnisse fehlen uns noch. Das Problem ist, dass es im Bereich der Ernährung noch zu wenig brauchbare Forschungsergebnisse gibt. Diese Problematik ist jedoch erkannt, und die angewandte Forschung im Bereich Ernährung und Diätetik wächst.
SZE: Herr Schmidt, welches Vorgehen würden Sie nach diesem Gespräch Ihren Kollegen raten, wenn eine Ernährungsberatung bei einem Patienten erforderlich wird? DS: Zunächst müsste sich der Hausarzt Gedanken machen, welche Leistungen er
will, was er in der Praxis selbst übernehmen kann oder was er einer Ernährungsberaterin übertragen will. Falls Letzteres infrage kommt, muss er sich ein gewisses Beziehungsnetz in seiner Umgebung aufbauen, und hier ist die Internetseite der SVDE sicher ein möglicher Zugang. Wesentlich scheint mir dann – wie bereits besprochen –, mit einer wiederholt beauftragten Ernährungsberaterin ein persönliches Gespräch zu vereinbaren, um ihre fachlichen Möglichkeiten und Erfahrungen kennen zu lernen und die Erfordernisse des Hausarztes und seine Erwartungen an die Zusammenarbeit zu diskutieren.
Gesprächsleitung und Zusammenfassung: Claudia Reinke