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HERZ-KREISLAUF-GESUNDHEIT UND ERNÄHRUNG
Nahrungsfette – Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
WALTER F. RIESEN
Während der letzten Jahrzehnte stand die Reduktion der Fettaufnahme im Mittelpunkt aller Ernährungsempfehlungen. Trotz einer Vielzahl kommerzieller Produkte mit der Aufschrift «low fat» oder sogar «fettfrei» konnte jedoch keine Abnahme der Kalorienzufuhr erreicht werden. Im Gegenteil: Die Prävalenz von Übergewicht und Typ-2-Diabetes hat sogar dramatisch zugenommen. Dies, weil die Produkte zwar weniger Fett, aber grössere Mengen an raffinierten Kohlenhydraten und Zucker enthielten.
Nahrungsfette haben verschiedene Funktionen. Sie werden nicht nur aus ernährungsphysiologischen Gründen, sondern auch zur Geschmacks- und Genussverbesserung verwendet. Nahrungsfette dienen nicht nur zur Bereitstellung von Energie für alle Körperfunktionen und zur Lieferung von essenziellen Fettsäuren und fettlöslichen Vitaminen, sondern sie haben auch einen hohen Sättigungswert. Fette wirken dämpfend auf die Magenund Darmbewegung. Die fettreiche Nahrung verweilt länger im Magen, was zu anhaltendem Sättigungsgefühl führt. Bei fettarmer Kost hält das Sättigungsgefühl weniger lang an. Das hat dazu geführt, dass die Nahrungsfettaufnahme im Vergleich zu den körperlichen Aktivitäten heute zu gross ist. Inzwischen wurde erkannt, dass verschiedene Arten von Fetten unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Es wird allgemein angenommen, dass ein höherer Gesamtfettkonsum und hier insbesondere der Konsum gesättigter Fette wesentlich zur Entwicklung der koronaren Herzkrankheit (KHK) beitragen. In der Seven Countries Study (1) war die Einnahme von gesättigten Fettsäuren als prozentualer Anteil an Kalorien stark mit den
koronaren Sterberaten in 16 definierten Populationen in 7 Ländern (n = 0,84) korreliert. Interessanterweise erwies sich die Korrelation zwischen dem Prozentsatz aufgenommener Energie aus Fetten insgesamt und der Inzidenz der KHK als viel schwächer (n = 0,39). Tatsächlich wiesen die Regionen mit der höchsten (Finnland) und der niedrigsten KHK-Rate (Kreta) mengenmässig die gleiche Fettzufuhr auf; mit etwa 40 Energieprozent entsprach sie damit der höchsten konsumierten Gesamtfettmenge unter den 16 Populationen. In einer neueren Analyse der Seven Countries Study (2) fanden Kromhout und Kollegen eine starke positive Korrelation der 25-Jahres-Sterberaten durch KHK mit der Aufnahme von vier wichtigen langkettigen, gesättigten Fettsäuren (alle Fettsäuren n > 0,89) sowie von Transfettsäuren (n = 0,78). Das deutet darauf hin, dass spezifische Nahrungsfette eine wichtige Rolle als Ursache und in der Prävention der KHK spielen, dass aber das konsumierte Gesamtfett in Prozent der Energiezufuhr unwichtig ist.
Nahrungsfette und Plasmalipide
Die Serumlipide werden je nach Qualität der aufgenommenen Fette unterschied-
lich beeinflusst. Der Ersatz von Kohlenhydraten durch Nahrungsfette, sowohl gesättigte als auch einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, führt generell zu einer Senkung der Triglyzeride. Gesättigte Fettsäuren erhöhen das Gesamt- und das LDL-Cholesterin, während einfach ungesättigte und insbesondere mehrfach ungesättigte Fettsäuren das LDL-Cholesterin senken und parallel das HDL-Cholesterin erhöhen. Myristinsäure (C14: 0) und Palmitinsäure (C16:0), die beide beispielsweise im Butterfett vorkommen, steigern das LDL-Cholesterin besonders ausgeprägt. Die einfach ungesättigten Fettsäuren (MUFA) wie beispielsweise die Ölsäure (C18: 1n-9) sowie die mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFA) wie die Linolsäure (C18: 2n-6) haben einen LDLcholesterinsenkenden und einen HDLcholesterinsteigernden Effekt.
Transfettsäuren – Gefahren durch gehärtete Fette
Die schädlichen Auswirkungen ungeeigneter Fette sollten nicht unterschätzt werden. Besonders negativ fallen hier gehärtete Öle und Transfettsäuren auf, die durch Erhitzen in künstliche Transfettsäuren umgewandelt werden. Ein Beispiel
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dafür ist pflanzliches Öl. Wird es hydrogeniert (gehärtet), ist es weniger ölig und damit – und das ist für die Nahrungsmittelindustrie die wichtigste Eigenschaft – wesentlich länger haltbar. Aus diesem Grund ist es bei Restaurants und Imbissbuden äusserst beliebt. Die Pommes frites werden dadurch appetitlich braun, und Croissants behalten ihre Konsistenz. Die Zufuhr von Transfettsäuren führt jedoch zu einer deutlichen Verschlechterung des Serumlipidprofils mit erhöhten LDL- und abnehmenden HDL-Plasmaspiegeln. Transfettsäuren haben zudem einen proinflammatorischen Effekt, der wesentlich zu der ungünstigen Wirkung auf das kardiovaskuläre Risiko beitragen dürfte. Inflammatorische Prozesse gelten als wichtige Risikofaktoren in der Pathogenese der Atherosklerose.
Nahrungsfette und kardiovaskuläres Risiko
Positive Ergebnisse zum Einfluss von Nahrungsfetten auf das kardiovaskuläre Risiko wurden in verschiedenen Interventionsstudien beobachtet, bei denen der Verlauf der koronaren Herzkrankheit angiografisch kontrolliert wurde. In der St. Thomas' Atherosclerosis Regression Study (STARS) (3) wurden 90 Männer mit koronarer Herzkrankheit entweder mit «normaler Betreuung» (Kontrolle) oder mit fettmodifizierter Diät beziehungsweise fettmodifizierter Diät plus Colestyramin über durchschnittlich 39 Monate behandelt. Das LDL-Cholesterin konnte durch Diät und die Gabe von Colestyramin (n = 24) um 35,9 Prozent reduziert werden, durch Diät allein (n = 26) um 16,2 Prozent und in der unter Beobach-
tung stehenden Kontrollgruppe (n = 24) um 3,1 Prozent. Bei der Gesamtbeurteilung der koronarangiografischen Befunde zeigte sich bei 12 Prozent der mit Colestyramin behandelten Patienten, bei 15 Prozent der nur mit Diät behandelten und bei 46 Prozent der unter Beobachtung stehenden Patienten eine Progression. Die Veränderung der mittleren absoluten Weite der koronaren Segmente war sowohl von den unter der Therapie erreichten LDL-Cholesterinkonzentrationen als auch von der prozentualen Veränderung gegenüber dem Ausgangswert abhängig. Klinische kardiale Ereignisse traten bei 10 Patienten in der Kontrollgruppe, bei 3 unter Diät und bei 1 unter Diät plus Colestyramin auf. Die Studie zeigt, dass Diät allein die Progression bereits insgesamt verzögert und die Regression der atherosklerotischen Läsionen steigert. Diät und Colestyramin addierten sich in der Auswirkung auf den Durchmesser der Koronarstenosen. Diese Befunde belegen den klinischen Nutzen einer lipidsenkenden Ernährung bei Männern mit koronarer Herzkrankheit mit mässig erhöhten LDL-Cholesterinwerten. In einer 2001 erschienenen Metaanalyse (4) zeigten sich ähnliche Ergebnisse. In die Auswertung wurden 27 randomisierte kontrollierte Studien eingeschlossen, deren Zielsetzung es war, den Fettgehalt sowie die Fettsäurezusammensetzung der Nahrung oder die Cholesterinaufnahme bei gesunden Erwachsenen über mindestens 6 Monate günstig zu beeinflussen. Die Gesamtsterblichkeit wurde durch die Ernährungsumstellung mit 2 Prozent nur geringfügig verringert. Hingegen zeigte sich eine Abnahme der kar-
diovaskulären Mortalität um 9 Prozent (relatives Risiko 0,91; 95%-KI 0,7–1,07) und der kardiovaskulären Ereignisse um 16 Prozent (relatives Risiko 0,84; 95%-KI 0,72–1,03). In jenen 5 Studien, die eine Laufzeit von mehr als 2 Jahren aufwiesen, lag die Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse bei 24 Prozent (relatives Risiko 0,76; 95%-KI: 0,77–1,07). Obwohl es nur mit Einschränkungen möglich ist, Studien mit unterschiedlichen Ansatzpunkten in der Ernährung, mit unterschiedlicher Dauer, unterschiedlicher Grösse und Teilnehmern unterschiedlichen Alters gemeinsam auszuwerten, zeigt diese Metaanalyse, dass sich durch Modifikation der Ernährung ein Effekt auf die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse erreichen lässt. Insgesamt wurden in diesen Studien 1216 kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet; die Risikoreduktion in der relativ kurzen Beobachtungszeit ist daher nicht unerheblich.
Mehr Pflanzenkost der Gesundheit zuliebe
Weltweit ist ein Wechsel in den Ernährungsgewohnheiten feststellbar. Die traditionellen pflanzlichen Nahrungsmittel wie Getreide, Wurzeln und Kartoffeln werden immer mehr durch Nahrungsmittel mit tierischen Fetten und zugesetztem Zucker ersetzt. In Verbindung mit einem allgemeinen Trend zu geringer körperlicher Aktivität wird dadurch die Entwicklung chronischer Krankheiten, wie Adipositas und Diabetes, zunehmend begünstigt. Die durchschnittliche Kalorienzufuhr scheint weltweit stetig anzusteigen. Das gilt mit wenigen Ausnahmen sogar für Entwicklungsländer. Auch der
Tabelle 1: Nahrungsfette und Plasmalipoproteine
(St. Thomas’ Atherosclerosis Regression Study (STARS [3]) während 39 Monaten Beobachtungszeit
Cholesterin (mmol/l) LDL-C (mmol/l) HDL-C (mmol/l) Triglyzeride (mmol/l)
Kontrolldiät (n = 24) vorher nachher
7,07 (0,03) 6,93 (0,20) 4,82 (0,18) 4,67 (0,19) 1,22 (0,04) 1,21 (0,06) 2,32 (0,24) 2,35 (0,20)
p 0,15 0,24 0,62 0,86
Fettmodifizierte Diät
(n = 26)
vorher
nachher
7,19 (0,08) 6,17 (0,09)
5,00 (0,10) 4,19 (0,10)
1,14 (0,04) 1,14 (0,03)
2,31 (0,21) 1,85 (0,20)
p < 0,001 < 0,001 0,82 < 0,005 Fettmodifizierte Diät + Colestyramin (n = 24) vorher nachher 7,44 (0,20) 5,56 (0,16) 5,26 (0,22) 3,37 (0,19) 1,24 (0,05) 1,19 (0,03) 2,20 (0,18) 2,21 (0,22) 5/12 16 HERZ-KREISLAUF-GESUNDHEIT UND ERNÄHRUNG Tabelle 2: Kardiovaskuläre Ereignisse in der STARS-Studie (3) Patienten mit Risiko Todesfälle (%) Myokardinfarkt (%) Koronarchirurgie (%) Angioplastie (%) Schlaganfall (%) Gesamte kardiale Ereignisse (%) Kontrolldiät 28 3 (11) 2 (7) 3 (11) 1 (4) 1 (4) 10 (36) Fettmodifizierte Diät 27 1 (4) 1 (4) 1 (4) 0 0 Fettmodifizierte Diät + Colestyramin 26 0 1 (4) 0 0 0 3 (11) (p < 0,05) vs. Kontrolldiät 1 (4) (p < 0,01) vs. Kontrolldiät durchschnittliche Fettgehalt der Ernährung steigt weltweit an; er ist in Europa und Nordamerika besonders hoch. Ein zunehmend grosser Anteil dieses Fettes stammt aus tierischen Produkten wie Fleisch, Milchprodukten und Eiern sowie aus Pflanzenölen. Diese Produkte enthalten zwar hochwertiges Eiweiss und viele wesentliche Nährstoffe; ein unverhältnismässig hoher Konsum kann jedoch zu einer übermässigen Fettaufnahme führen. Für die Gesundheit empfehlenswert ist dagegen eine obst- und gemüsereiche Kost. Obwohl der durchschnittliche Verzehr an Obst und Gemüse gesamthaft gestiegen ist, isst nur eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung ausreichend pflanzliche Nahrungsmittel. Es ist zu erwarten, dass der durchschnittliche Nahrungsmittelverzehr in Entwicklungsländern zukünftig weiter steigen wird. Grundnahrungsmittel wie Getreide, Wurzeln und Knollen werden auch hier zunehmend durch Fleisch, Milchprodukte und Öle ersetzt, während der Fischverzehr durch die Umweltbedingungen immer mehr Ein- schränkungen erfahren wird. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass eine Umstellung bei den Ernährungsgewohnheiten erforderlich ist, um der epidemieartigen Zunahme chronischer Krankheiten entgegenzutreten. Wenn es um den Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Risiko für chronische Krankheiten geht, sollten jedoch alle Schritte – von der Nahrungsmittelproduktion bis hin zum Verzehr – berücksichtigt werden. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen 8253 Diessenhofen E-Mail: wf.riesen@bluewin.ch Literatur: 1. Keys A et al. The seven countries study: 2, 289 deaths in 15 years. Prev Med. 1984 Mar; 13 (2): 141–154. 2. Kromhout D et al. Dietary saturated and trans fatty acids and cholesterol and 25-year mortality from coronary heart disease. The Seven Countries Study. Prev Med 1995; 24: 308–315. 3. Watts GF et al. Effects on coronary artery disease of lipid-lowering diet, or diet plus cholestyramine, in the St Thomas' Atherosclerosis Regression Study (STARS). Lancet 1992, Mar 7; 339 (8793): 563–569. 4. Hooper L, Summerbell CD, Higgins JPT et al. Dietary fat intake and prevention of cardiovascular disease: systematic review. BMJ 2001; 322: 757–763. 17 5/12