Transkript
TRINKNAHRUNG
Trinknahrung ist wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich
ALEXANDRA USTER, MAYA RÜHLIN, PETER E. BALLMER
Alexandra Uster
Die Relevanz der Mangelernährung, sowohl in gesundheitlicher als auch ökonomischer Hinsicht, ist unbestritten. Die ernährungstherapeutische Verabreichung von Trinknahrung gewinnt deshalb zunehmend an Bedeutung und wurde in zahlreichen Studien erforscht. Diese zeigen, dass die medizinisch indizierte Gabe von Trinknahrung kostengünstig und effektiv ist. Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Verabreichung von Trinknahrung dieses Jahr als wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich anerkannt – und die Kostenübernahme gesetzlich neu geregelt.
Wissenschaftliche Beweise
belegen eindrucksvoll, dass
Mangelernährung auch in
Maya Rühlin westlichen Ländern ein universelles Problem darstellt.
Betroffen sind insbesonde-
re onkologische, geriatri-
sche und pneumologische
Patienten (1). In der Schweiz
geht eine neuere Studie
davon aus, dass etwa
Peter E. Ballmer
20 Prozent der hospitalisierten erwachsenen Patienten
mangelernährt sind (2).
Mangelernährung ist ein
klinisch hoch relevanter, unabhängiger
Risiko- und Kostenfaktor mit einem signi-
fikanten Einfluss auf die Therapietoleranz,
die Komplikationsrate, die Morbidität,
die Mortalität, die Prognose und die Le-
bensqualität (Abbildung 1). Bei einer
Mangelernährung kommt es häufiger zu
Komplikationen nach chirurgischen Ope-
rationen, zu längeren Rekonvaleszenzzei-
ten und zu vermehrten und längeren
Hospitalisationen. Von Mangelernährung
betroffene Personen leiden häufiger an
Infekten, an verzögerter Wundheilung, an
Muskelschwäche und psychischen Stö-
rungen (3, 4). Werden keine Massnahmen
zur Behandlung der Mangelernährung ergriffen, leiden die Betroffenen oft unter Niedergeschlagenheit, geringer Motivation und einem reduzierten Genesungswillen. Dies verringert den Appetit und die Fähigkeit zu essen weiter und führt in einen Circulus vitiosus mit weiterer Verschlechterung des Ernährungsstatus (5, 6). Die Bedeutung der Mangelernährung gewinnt aufgrund des demografischen Wandels der alternden Bevölkerung in westlichen Populationen weiter an Bedeutung. Von erheblicher Tragweite sind deshalb die frühzeitige Erfassung von Mangelernährung sowie gezielte ernährungsmedizinische Interventionen.
Ernährungsinterventionen
Zum heutigen Zeitpunkt existiert eine Vielzahl an etablierten, einfachen, kosteneffizienten und -effektiven ernährungsmedizinischen Interventionen. Insbesondere der Einsatz speziell zusammengestellter energie- und nährstoffreicher Nahrung in flüssiger Form, sogenannte Trinknahrung oder «oral nutritional supplement, ONS», ist ein wichtiger Bestandteil in der Therapie der Mangelernährung (Abbildung 2).
Immunstatus ↓
Spitaltage ↑
Infektionen ↑
Gesundheits-
Komplikationen ↑
pflegekosten ↑
Mangel-
ernährung
Therapietoleranz ↓
Befindlichkeit ↓
Morbidität ↑
Lebensqualität ↑
Mortalität ↑
Prognose↑
Abbildung 1: Klinische Folgen der Mangelernährung (5)
Die Einnahme von Trinknahrung, auch sondenfreie enterale Ernährung genannt, ist in der Schweiz mit 58 Prozent die häufigste verordnete Therapie künstlicher Ernährung zu Hause (7). Sie ermöglicht eine nichtinvasive Intervention künstlicher Ernährung auch in Fällen, in denen Patienten durch Allgemeinmassnahmen wie energie- und eiweissreiche Zwischenmahlzeiten und Nahrungsanreicherungen nicht ausreichend versorgt werden können. Nur wenige medizinische Behandlungen wurden wissenschaftlich so gut erforscht wie der Einsatz von Trinknahrung. Schätzungen gehen von 4000 kontrollierten randomisierten Studien mit einer durchschnittlichen Patientenanzahl von 90 Personen aus. Die grosse Menge
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(Spital, zu Hause, Alters-
heim) (4, 10). Zudem de-
monstrierten Stratton et al.
die Überlegenheit von
Trinknahrung gegenüber
Zwischenmahlzeiten, in-
dem sie in einer prospek-
Abbildung 2: Spektrum der ernährungstherapeutischen Behandlungsstra- tiven randomisierten Stu-
tegien (geändert [12]).
die die Nahrungszufuhr
zweier hospitalisierter Pa-
wissenschaftlicher Daten zu Trinknahrung tientengruppen mit einem Risiko für Man-
wurden in mehreren Metaanalysen und gelernährung verglich. Die eine Gruppe
einem Review of Reviews zusammenge- erhielt Trinknahrung, der anderen wurden
fasst (Übersicht unter [8]).
postoperativ zusätzlich zur Standardkost
Wirksamkeit
kleine Zwischenmahlzeiten ad libitum offeriert. Während die Gruppe mit Trinknah-
Bereits im Jahre 1990 publizierten Delmi rung pro Tag 47 g Protein einnahm (35 g
et al. die eindrücklichen Ergebnisse einer Protein durch Standardkost, 12 g Protein
Studie in «The Lancet». Die Wissenschaft- durch Trinknahrung), konsumierte die an-
ler konnten zeigen, dass die abendliche dere Gruppe pro Tag lediglich 32 g Protein
Verabreichung einer zusätzlichen Einheit (30 g durch Standardkost, 2 g durch Zwi-
vollbilanzierter Trinknahrung (20 g Pro- schenmahlzeiten) (11).
tein, 254 kcal) bei geriatrischen Patienten Diese Steigerung der Nahrungszufuhr
mit Schenkelhalsfraktur die Energie- durch Trinknahrung trägt konsekutiv zu
zufuhr um 23 Prozent und die Proteinzu- einer Stabilisierung und Verbesserung
fuhr um 62 Prozent steigerte. Durch die des Ernährungszustands bei. 81 Prozent
Einnahme der Trinknahrung senkten sich der Studien im Spital zeigten einen positi-
die Komplikationsrate, die Aufenthalts- ven Effekt der Trinknahrung auf den Er-
dauer in Krankenhaus und Rehabilitati- nährungszustand, in 46 Prozent dieser
onseinheiten sowie die Mortalität signifi- Fälle war der Effekt signifikant. Randomi-
kant (9). Zahlreiche weitere Studien sierte kontrollierte Studien ausserhalb
folgten und belegten eindeutig, dass die des Spitals zeigten sogar in 90 Prozent der
supportive Gabe von Trinknahrung als Fälle einen positiven Effekt, davon 60 Pro-
Zwischenmahlzeit – entgegen der häufi- zent signifikant (12). Metaanalysen bele-
gen und falschen Annahme – den Appetit gen den Nutzen der Trinknahrung für den
nicht etwa vermindert, sondern eine si- Ernährungszustand: Trinknahrung kann
gnifikante Steigerung der gesamten den Gewichtsverlust bei akut erkrankten
Energie- und Nährstoffzufuhr bewirkt. Sie Patienten verringern und bei chronisch
ist weitgehend unabhängig von den Cha- kranken Patienten oder Patienten in
rakteristika der Patienten (chirurgisch, in- Heimen eine Gewichtszunahme bewir-
tern medizinisch etc.) und der Umgebung ken (8). Interessant ist insbesondere die
Tabelle: Einfluss von supplementärer Trinknahrung auf Komplikationsrate und Mortalität in grossen Metaanalysen
Metaanalysen Potter et al. (2001) Stratton et al. (2003) NICE (2006) Milne et al. (2006) Stratton et al. (2007) Milne et al. (2009)
*Statistisch signifikant (3)
Komplikationsrate
0,29 (Kl: 0,18–0,47)* 0,71 (Kl: 0,61–0,82)* 0,72 (Kl: 0,53–0,79)* 0,37 (Kl: 0,23–0,60)*
Mortalität 0,61 (Kl: 0,45–0,82)* 0,62 (Kl: 0,49–0,76)* 0,81 (Kl: 0,68–0,97)* 0,66 (Kl: 0,49–0,90)*
0,79 (Kl: 0,64–0,97)*
Metaanalyse des unabhängigen und angesehenen National Institute for Clinical Health and Excellence (NICE). Dessen Analyse zeigte, dass sich das Gewicht mangelernährter Patienten oder von Patienten mit hohem Risiko für Mangelernährung (1,48; Kl: 0,74–2,22) durch den Einsatz von Trinknahrung signifikant steigert (10). Die meisten Studien beurteilten den Ernährungszustand anhand des Körpergewichts, nur wenige bewerteten die Qualität der Gewichtszunahme durch Messungen der Magermasse, der Fettoder Muskelmasse. Dennoch liess sich in einzelnen Studien eine positive Korrelation zwischen der Gewichtszunahme in Kilogramm und den funktionellen Fähigkeiten wie ventilatorische Kapazität, Alltagsaktivitäten, Leistungsfähigkeit, Muskelkraft und Lebensqualität belegen (4). Allerdings konnten diese Resultate durch eine Metaanalyse ohne signifikant positive Effekte nicht bestätigt werden (13). Eine allgemeingültige Schlussfolgerung zum Nutzen der Trinknahrung für die funktionellen Fähigkeiten ist in Anbetracht der heterogenen Datenlage und der limitierten Anzahl Analysen deshalb noch nicht möglich. Die medizinische Wirksamkeit der Trinknahrung auf relevante klinische Parameter wie Komplikationsrate und Mortalität hingegen ist ausreichend und einwandfrei belegt (Tabelle). Die Metaanalyse von NICE zeigte eine signifikante Abnahme der Mortalität bei mangelernährten Patienten in verschiedenen Umgebungen (10). Übereinstimmend ergab eine andere Metaanalyse, dass die Mortalität im Spital durch eine Verabreichung von Trinknahrung von 25 Prozent auf 19 Prozent gesenkt werden kann. Dieselbe Analyse zeigte, dass auch Komplikationen wie Druckgeschwüre, Infektionen, Anämien und kardiale Probleme durch den Konsum von Trinknahrung reduziert werden. Mit einer Komplikationsrate von 18 Prozent bei hospitalisierten Patienten mit Trinknahrung versus 41 Prozent bei hospitalisierten Patienten ohne Trinknahrung war der Unterschied hochsignifikant (4). Insbesondere akut kranke, ältere und chirurgische Patienten profitierten in
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hohem Masse von Trinknahrung – unabhängig vom Behandlungsort (8). Die geringere Komplikationsrate wirkt sich unmittelbar auf die durchschnittliche Dauer des Krankenhausaufenthalts aus. Mehrere randomisierte kontrollierte Studien zeigten übereinstimmend, dass eine supportive Verabreichung von Trinknahrung die Länge des Krankenhausaufenthalts signifikant zu reduzieren und ungeplanten Rehospitalisationen akut kranker älterer Personen vorzubeugen vermag. Die durchschnittliche Reduktion der Spitalaufenthaltsdauer reichte von 2 Tagen bei chirurgischen Patienten bis zu 33 Tagen bei orthopädischen Patienten (4, 14). Auch wenn in der Vielzahl der vorhandenen Studien zu Trinknahrung die schlechte Qualität einzelner Studien und deren Heterogenität kritisch zu betrachten sind (3), ist ausreichend belegt: Durch die Gabe von Trinknahrung wird die normale Nahrungsaufnahme nicht reduziert, und es kommt zu einer deutlichen Zunahme und Verbesserung der täglichen Nährstoff- und Energiezufuhr. Trinknahrung vermag signifikant die Komplikationsrate, die Krankenhausverweildauer und die Mortalität mangelernährter Patienten oder von Patienten mit hohem Risiko für Mangelernährung zu senken. Die Wirksamkeit von Trinknahrung, im Sinne eines therapeutischen Mittels mit positivem gesundheitsrelevantem Effekt, ist somit eindeutig gegeben.
Zweckmässigkeit
Erhebliche nachteilige Effekte der Trinknahrung auf das Therapieergebnis wurden in den systematischen Reviews, Metaanalysen oder Studien nirgends beschrieben. Vereinzelt können aber geringfügige gastrointestinale Symptome, wie leichte Übelkeit, Völlegefühl oder Durchfall, nach Einnahme einer Trinknahrung auftreten. Insgesamt kann Trinknahrung jedoch als sicheres und sehr gut verträgliches Mittel zur Bekämpfung der Mangelernährung betrachtet werden. Die verschiedenen Produkte auf dem Markt stossen dank der vielfältigen Auswahl auf breite Akzeptanz bei den Patienten. Die durchschnittliche Compliance
bei Trinknahrung beträgt 78 Prozent und ist somit vergleichbar mit jener von Medikamenten (15). Betreut von einer entsprechenden Fachperson, können Patienten gemäss ihren Vorlieben und unter Berücksichtigung der medizinischen Indikation das passende Produkt auswählen. Die vorgefertigten Produkte sind einfach und sofort konsumierbar. Verglichen mit der konkurrierenden Behandlung, der enteralen Ernährung mit Sonde, muss die Ernährungsintervention nicht invasiv erfolgen. Die Patienten werden bei ihren Alltagsaktivitäten nicht eingeschränkt, und die Lebensqualität bleibt bestmöglich erhalten.
Wirtschaftlichkeit
In Zeiten steigender Gesundheitskosten müssen medizinische Behandlungen nicht nur wirksam und zweckmässig, sondern auch wirtschaftlich sein. Aufwand und Ertrag einer medizinischen Leistung sollten sich mindestens entsprechen oder, besser noch, der Ertrag sollte den Aufwand überwiegen. Problematisch ist jedoch, dass die Einschätzung von Aufwand und Ertrag bei einer medizinischen Behandlung häufig schwierig zu beurteilen ist und heikle sozialethische Fragen aufwirft. Auch der Ertrag einer Ernährungsintervention durch den Einsatz von Trinknahrungen war bis vor einigen Jahren nur schwer quantifizierbar, während die Kosten dieser Behandlung wesentlich einfacher berechnet werden konnten. Allerdings belegen nun neue wissenschaftliche Daten, dass die Verabreichung von Trinknahrung in vielen Fällen die Kosten auf betriebs- und volkswirtschaftlicher Ebene relevant und nachhaltig senken kann. In den Niederlanden berechneten Forscher die Wirtschaftlichkeit einer Behandlung mit Trinknahrung bei Patienten, die sich einem viszeralchirurgischen Eingriff unterziehen mussten. Dabei berücksichtigten die Autoren in ihrem Rechnungsmodell die Mehrkosten der Trinknahrung und die Einsparungen bei den Spitalkosten. Vorteilhafte Auswirkungen auf weitere Kostenfaktoren wie Komplikationen und Mobilität wurden aufgrund fehlender Daten in der Kostenanalyse nicht
mit einbezogen. Dennoch zeigte die konservative Berechnung, dass die konsequente Einnahme von Trinknahrung 8,5 Tage vor der Operation bis 8,5 Tage nach der Operation zu Kosteneinsparungen von 252 Euro pro Patient führt und dass die Spitalkosten von 3318 auf 3044 Euro pro Patient (8,3% Kosteneinsparungen) reduziert werden können. Gesamthaft liessen sich jährliche Kosten von 40,4 Millionen Euro einsparen (16). Weitere Studien zeigten, dass Ernährungsmassnahmen unter Miteinbezug von Trinknahrung die Lebensqualität von mangelernährten Patienten steigerten. Auch wenn die Intervention mit deutlich höheren Kosten verbunden war, so wurde sie, mit Verweis auf die internationale Kostengrenze für zusätzliche Lebensqualität QALY (< 50 000 Euro/QALY), als kosteneffektiv angesehen (17). In Grossbritannien berechnete eine Studie, dass der Einsatz von Trinknahrung bei orthopädischen, chirurgischen und geriatrischen Patienten sowie vor schweren Operationen zu Nettoeinsparungen bei den Gesundheitskosten führt. Dabei wurden die durchschnittlichen Kosteneinsparungen bei viszeralchirurgischen Patienten auf 700 Pfund pro Patient beziffert (18). Wirtschaftlichkeit in der Schweiz Die vielen Studien zeigen, dass die Behandlung der Mangelernährung mittels Trinknahrung ein effektives und wirtschaftliches Mittel zu ihrer Bekämpfung darstellt. Doch trotz grosser wissenschaftlicher Evidenz und überzeugenden Argumenten für den Einsatz von Trinknahrungen werden die damit verbundenen Kosten bei einer Einnahme zu Hause in zahlreichen Ländern nicht von der Krankenkasse übernommen. Bis vor Kurzem zählte auch die Schweiz zu diesen Ländern. Zwar wurden die Kosten für die «Enterale Ernährung zu Hause» (Sondennahrung) von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen, nicht aber die «sondenfreie enterale Ernährung zu Hause» (Trinknahrung). Aufgrund der unterschiedlichen Kostenregelung wurden viele mangelernährte Patienten ohne oder mit unzureichender Zusatzversiche- 9 4/12 TRINKNAHRUNG rung vor die Wahl gestellt, entweder die invasive und kostenintensive enterale Ernährung mit Sonde einzuleiten oder sich für die Ernährungstherapie in Spitalpflege zu begeben (wo die Kosten für Trinknahrung gedeckt sind) und andernfalls auf eine gezielte Therapie der Mangelernährung zu verzichten. Die Daten des Schweizerischen Verbandes für Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversicherer (SVK) belegen, dass in 10 Prozent der abgelehnten Gesuche zur Kostenübernahme der Trinknahrung anschliessend eine enterale Ernährung mit Sonde eingeleitet wurde. Da bei gleicher Kalorienzufuhr (300–400 kcal) die monatlichen Kosten der enteralen Sondenernährung (Fr. 400.–) mehr als doppelt so hoch sind wie die monatlichen Kosten der enteralen Ernährung mit Trinknahrung (Fr. 170.–), führte dies zu jährlichen Mehrkosten von bis zu 100 000 Franken (19). Noch höher dürften die nicht direkt quantifizierbaren Mehrkosten dieser Kostenregelung ausgefallen sein, da betroffene Personen häufig die Kosten der Trinknahrung nicht selber tragen wollten und auf die invasive enterale Ernährung zu Hause verzichteten. In diesen Fällen blieb eine bestehende Mangelernährung unbehandelt. Die durch Mangelernährung bedingten Mehrkosten liegen gemäss einem vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegebenen Bericht bei geschätzten 3300 Franken pro Patient. Bei einer Prävalenz der Mangelernährung in der Schweiz von 20 Prozent ergeben sich daraus Mehrkosten von 526 Millionen Franken. Diese Mehrkosten wurden im Bericht des BAG als vorsichtige Schätzung bewertet und mit den verschiedenen Folgen der Mangelernährung begründet (erhöhte Mortalität, vermehrt auftretende infektiöse und nicht infektiöse Komplikationen, höherer Medikamentenverbrauch, geringe Selbstständigkeit bei Entlassung aus dem Spital). Interventionen zur Erkennung und Behandlung der Mangelernährung wurden dagegen als verfügbar, wirksam und insgesamt kostensparend beurteilt. Kosteneinsparungen von 1400 bis 2800 Franken pro Patient bei einem Aufwand von wenigen hundert Franken erschienen dem Autor als realistisch (6). Neue Kostenregelung in der Schweiz Die unbefriedigende Kostenregelung hat das BAG auf Antragstellung der Gesellschaft für klinische Ernährung Schweiz (GESKES) nun überprüft und anerkannt, dass Trinknahrung die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllt. Somit werden seit dem 1. Juli 2012 die Kosten der «sondenfreien enteralen Ernährung zu Hause» (Trinknahrung) durch die OKP übernommen, sofern die Indikationsstellung gemäss den «Richtlinien der Gesellschaft für klinische Ernährung» vom Januar 2009 erfüllt ist. Die neue Regelung zur Kostenübernahme der medizinisch indizierten Behandlung mit Trinknahrung stellt einen grossen Fortschritt in der Therapie und Prävention der Mangelernährung dar. Sie beseitigt ungerechte Kostenbelastungen von Patienten und erleichtert eine effektive und kostengünstige Ernährungsintervention. Gleichzeitig bedingt die neue Regelung eine grosse Verantwortung für die Behandelnden: Entscheidungen zum Einsatz von Trinknahrung zu Hause müssen frühzeitig, gezielt und vor allem evidenzbasiert getroffen werden. Nur dann wird sich der Einsatz von Trinknahrung auch in der Praxis als wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich erweisen. Korrespondenzadresse: Alexandra Uster Lebensmittelwissenschaftlerin MSc ETH Departement Medizin Kantonspital Winterthur Brauerstr. 15, 8400 Winterthur E-Mail: alexandra.uster@ksw.ch Literatur: 1. Pirlich M, Schütz T, Norman K, Gastell S, Lübke HJ, Bischoff SC, Bolder U, Frieling T, Güldenzoph H, Hahn K, Jauch KW, Schindler K, Stein J, Volkert D, Weimann A, Werner H, Wolf C, Zürcher G, Baucher P, Lochs H. The German hospital malnutrition study. Clin Nutr. 2006; 25: 563–572. 2. Imoberdorf R, Meier R, Krebs P, Hangartner PJ, Hess B, Stäubli M, Wegmann D, Rühlin M, Ballmer PE. Prevalence of undernutrition on admission to Swiss hospitals. Clin Nutr. 2010; 29: 38–41. 3. Löser C. Unter-/Mangelernährung im Krankenhaus. Aktuel Ernährungsmed. 2011; 36: 57–75. 4. Strattion RJ, Green CJ, Elia M. Disease-related malnutrition: an evidence-based approach to treatment. Oxon: CABI Publishing. 2003. 5. Imoberdorf R, Rühlin M, Beerli A, Ballmer PE. Man- gelernährung – Unterernährung. 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