Transkript
LEBENSMITTELZUSATZSTOFFE
Lebensmittelzusatzstoffe
Teil 4: Farbstoffe
STEFFEN THEOBALD
Farben haben einen grossen Einfluss auf den Genusswert von Lebensmitteln. In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass die Farbe eines Lebensmittels oder einer Speise nicht nur deren optische Attraktivität, sondern auch die qualitative und quantitative Geschmackswahrnehmung und die Verzehrmenge beeinflussen kann (1–4). Die überwiegend industrielle Produktion von Lebensmitteln, zum Teil weite Distributionswege und lange Lagerung können bis zum Verzehr zu Nährstoff-, aber vielfach auch zu sensorischen Qualitätsverlusten führen. Um dennoch ein auch optisch attraktives Produkt anbieten zu können, dürfen und werden zahlreichen Lebensmitteln Farbstoffe zugesetzt. Welche Farbstoffe dabei erlaubt sind und warum einige bezüglich ihrer Unbedenklichkeit umstritten sind, zeigt der folgende Beitrag.
Historisches
Die Verwendung von Farbstoffen in Lebensmitteln hat eine Jahrtausende zurückreichende Tradition. Bereits im Altertum wurden färbende Lebensmittelextrakte wie Rote-Bete-Saft, Karottensaft oder Chlorophyll aus Pflanzenblättern zur optischen Aufwertung von Lebensmitteln verwendet (5). Die Farbpalette und auch die Stabilität der Farben waren begrenzt und wurden erst im Mittelalter erweitert. Bekannt ist zum Beispiel, dass die Zuckerbäcker Lebkuchen mit intensiv gefärbten und stabilen Kupfer-, Quecksilber-, Cadmium- oder Bleiverbindungen dekorierten (6). Erst 1887 wurden diese giftigen Stoffe mit dem ersten Farbengesetz verboten (7). Als Ersatz boten sich die im Zuge der raschen Entwicklung der organischen Chemie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckten Azofarbstoffe an. Diese leuchtenden und wie die Schwermetallsalze meist stabilen Verbindungen wurden anfangs zum Färben von Textilien, bald jedoch auch in Lebensmitteln verwendet (6).
Warum werden Lebensmittel gefärbt?
Insbesondere bei pflanzlichen Lebensmitteln kann die kräftige Farbe des Rohstoffs durch die Verarbeitung (Zerkleinern, Erhitzen, Trocknen, Gefrieren) und Lagerung verblassen oder ganz verloren gehen. Durch den Zusatz von Farbstoffen oder färbenden Lebensmitteln können diese Farbverluste im Endprodukt kompensiert werden. Bei anderen Produkten würde die ausschliessliche Verwendung einer natürlichen Zutat nicht ausreichen, um einen attraktiven Farbton zu erzielen. Weiter sollen bestimmte Verbrauchererwartungen an die Farbe eines Produkts erfüllt werden. Ein schönes, weil paradoxes Beispiel hierfür ist die gelbe Farbe eines Vanillepuddings, obwohl die echte Vanille überhaupt keine gelb färbenden Eigenschaften besitzt (6).
Farbstoffe in der Lebensmittelverarbeitung
Grundsätzlich kann zwischen den folgenden Kategorien von färbenden Substanzen unterschieden werden:
• Färbende Lebensmittel, die natürlicherweise kräftig färben und direkt zum Färben verwendet werden (z.B. Paprikapulver, Kurkuma)
• Färbende Substanzen, die aus natürlichen Lebensmitteln isoliert werden (z.B. Betakarotin aus Karotten)
• In der Natur vorkommende Farbstoffe, die synthetisiert werden (z.B. Betakarotin, Pflanzenkohle)
• Synthetische Farbstoffe (z.B. Azofarbstoffe wie Azorubin oder Patentblau V)
• Anorganische Farbstoffe natürlichen Ursprungs (z.B. Kalziumkarbonat, Silber, Gold).
Färbende Lebensmittel sind häufig Pflanzenextrakte oder Fruchtsaft(konzentrate), wie zum Beispiel Karottensaft oder Rote-Bete-Saft. Obwohl diese Extrakte als Färbemittel dienen, gelten sie rechtlich nicht als Zusatzstoffe, sondern als Lebensmittel. Stark färbende Lebensmittel wie Safran oder Kurkuma, die aus geschmacklichen Gründen und nicht in erster Linie zum Färben zugesetzt werden, gelten ebenfalls als Lebensmittel. Wird jedoch nur der färbende, isolierte
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Tabelle: Eigenschaften der in der Schweiz zugelassenen Farbstoffe (modifiziert nach [6, 9, 10, 17])
E-Nr. Substanz (1)
100 Kurkumin 101 Riboflavine (Riboflavin oder Lakto-
flavin, Riboflavin-5´-phosphat) 102 Tartrazin 104 Chinolingelb 110 Gelborange S 120 Cochenille (Echtes Karmin, Karminsäure) 122 Azorubin (Carmoisin) 123 Amaranth* 124 Ponceau 4R (Cochenillerot A) 127 Erythrosin* 129 Allurarot AC 131 Patentblau V 132 Indigotin (Indigokarmin)
133 Brillantblau FCF 140 Chlorophylle, Chlorophylline (Blattgrün)
141 Kupferhaltige Komplexe der Chlorophylle und Chlorophylline
142 Grün S 150a Einfache Zuckerkulör 150b Sulfitlaugen-Zuckerkulör 150c Ammoniak-Zuckerkulör 150d Ammonsulfit-Zuckerkulör 151 Brillantschwarz BN (Schwarz PN) 153 Pflanzenkohle 155 Braun HT 160a Karotine (gemischte Karotine, Betakarotin) 160b Annatto (Bixin, Norbixin)* 160c Paprikaextrakt, Capsanthin, Capsorubin 160d Lykopin 160e Apocarotinal (beta-apo-8'-Carotinal) 160f Apocarotinsäureester (beta-apo-8'-
Carotinsäureethylester) 161b Lutein 161g Canthaxanthin* 162 Beetenrot (Betanin) 163 Anthocyane 170 Kalziumkarbonat
171 Titandioxid 172 Eisenoxide und -hydroxide 173 Aluminium* 174 Silber 175 Gold 180 Litholrubin BK*
Stoffklasse
Phenole Flavine
Farbe
orangegelb gelb
Monoazofarbstoff Chinophtalone Azofarbstoff Antrachinone Monoazofarbstoff Azofarbstoff Monoazofarbstoff Phtaleine Monoazofarbstoff Triphenylmethanfarbstoff Disulfonsäurederivat des Indigo Triarylmethanfarbstoff Chlorophylle
gelb grüngelb gelborange rot rot rot rot rot rot blau dunkelblau
hellblau grün
Chlorophyllderivate
Triarylmethanfarbstoff Zucker Zucker Zucker Zucker Bisazofarbstoff Element Bisazofarbstoff Karotinoide Karotinoide Karotinoid Karotinoid Karotinoid Karotinoid
grün, blaugrün grün braun braun braun braun schwarz schwarz braun orangegelb gelb bis orange orangerot rot orangerot orangerot bis gelb
Karotinoid Karotinoid Betalaine Anthocyanine Anorganisches Salz der Kohlensäure Anorganisches Salz Anorganische Salze Element Element Element Azofarbstoff
gelb orangerot rotviolett rot, blau, braun weiss
weiss gelb, rot, schwarz silberweiss silbern golden rot
Vorkommen
natürlich natürlich
synthetisch synthetisch synthetisch natürlich synthetisch synthetisch synthetisch synthetisch synthetisch synthetisch synthetisch
synthetisch natürlich, synthetisch (Chlorophylline) synthetisch
synthetisch natürlich, naturidentisch synthetisch synthetisch synthetisch synthetisch natürlich, naturidentisch synthetisch natürlich, naturidentisch natürlich natürlich natürlich naturidentisch naturidentisch
natürlich naturidentisch natürlich aus Rote Bete natürlich aus Rotweintrester natürlich (Kalk, Kreide)
natürlich, naturidentisch natürlich, naturidentisch natürlich natürlich natürlich synthetisch
(1) In Klammern sind die Einzelsubstanzen resp. Synonyme aufgeführt Die mit * gekennzeichneten Farbstoffe dürfen nicht direkt an den Konsumenten abgegeben werden.
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Anteil eines Lebensmittels einem Produkt zugesetzt, dann ist dieser als Zusatzstoff zu deklarieren, wie beispielsweise das Betakarotin aus Karotten in einer Margarine. Einige natürliche Farbstoffe werden in so grossen Mengen benötigt und müssen einen hohen Reinheitsgrad besitzen, dass sie naturidentisch synthetisiert werden. Neben den natürlichen und naturidentischen Farbstoffen kommen synthetische Substanzen zum Einsatz, die nicht nur bestimmte in der Natur nicht vorkommende Farben repräsentieren können, sondern vor allem eine hohe Farbintensität und Farbstabilität besitzen. Schliesslich eignen sich auch einige Elemente und anorganische Verbindungen zum Färben. Diese werden jedoch meist nur als Überzug für oder zur Dekoration von Süsswaren verwendet.
Rechtliche Regelungen für den Einsatz von Farbstoffen
Zunächst ist festzustellen, dass vielen Lebensmitteln überhaupt keine Farbstoffe zugesetzt werden. Hierzu gehören unter anderem frische Früchte und Gemüse, Milch, Natur-Sauermilchprodukte, Getreide, Nüsse, Samen und reines Pflanzenöl sowie Honig, Kaffee und natürliches Mineralwasser. Ein weiterer relativ hoher Anteil an Produkten wird mithilfe von Pflanzenextrakten gefärbt (z.B. Rote Bete, Saft in einem Kirschjoghurt). Wenn Farbstoffe im Sinne der Zusatzstoffverordnung (ZuV) verwendet werden, dann unterliegen diese meistens Mengenbegrenzungen oder dürfen nur in den Mengen eingesetzt werden, die einer guten Herstellungspraxis (GHP) entsprechen. Die Zusatzstoffverordnung regelt auch, welchen Lebensmitteln diese Farbstoffe zugesetzt werden dürfen. Anhang 1 der Zusatzstoffverordnung listet 41 Farbstoffe resp. Farbstoffgruppen auf, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen (8). Wie alle Zusatzstoffe unterliegen auch diese Farbstoffe vor ihrer Zulassung einer mehrstufigen toxikologischen Prüfung, die durch die European Food Safety Authority (EFSA) vorgenommen wird. Die EFSA führt darüber hinaus turnusmässig – bei Erscheinen von relevanten toxikologischen Studien auch frü-
her – Reevaluationen der Studienlage zu den zugelassenen Zusatzstoffen durch. Das Eidgenössische Department des Innern (EDI), das für die Zulassung der Zusatzstoffe in der Schweiz zuständig ist, folgt in der Regel den Gutachten der EFSA. Deshalb sind derzeit in der Schweiz dieselben Farbstoffe wie in der EU zugelassen (8, 9).
Farbstoffe und Lebensmittelqualität
Schon immer war das Ziel der Lebensmittelfärbung nicht nur ein appetitlicheres Aussehen durch Intensivierung des natürlichen Farbtons einer Speise. Durch Färben konnte auch eine höhere Qualität des Lebensmittels vorgetäuscht werden oder der wahre Frischegrad, der sich oft auch durch Farbveränderungen bemerkbar macht, kaschiert werden. Heute sind derartige vorsätzliche Veränderungen an Lebensmitteln ausdrücklich verboten. Dennoch gibt es von Seiten des Gesetzgebers immer wieder Lücken. Ein bekanntes Beispiel ist das Färben von hoch ausgemahlenem Brot und Kleingebäck mit Zuckerkulör. Durch die dunkle Farbe wurde suggeriert, dass es ein Produkt mit einem hohem Vollkornanteil und damit höherem Gesundheitswert sei. Da es sich hierbei um eine bewusste Verbrauchertäuschung handelte, wurde Zuckerkulör als Farbstoff in Brot und Brötchen Anfang der 1990er Jahre verboten. Heute kann derselbe Effekt legal durch die Zugabe von dunklem Malz erzielt werden. Anders verhält es sich mit dem «Umröten» von Fleisch mithilfe von Nitritpökelsalz. Dies ist erlaubt, da der Stoff nicht als Farb-, sondern als Konservierungsstoff verwendet wird. Im Folgenden finden sich Kurzporträts der wichtigsten in der Schweiz zugelassenen Zusatzstoffe. Weitere Informationen sind in der Übersichtstabelle dargestellt.
Kurkumin (E100) Kurkumin ist der gelbe Farbstoff der Zitwerwurzel (Curcuma zeodoara) und der Gelbwurz (Curcuma longa). Es ist der wesentliche farbgebende Bestandteil von Curry. Kurkumin ist lipophil und wird deshalb in der Industrie meist nur in Form von Emulsionen eingesetzt. Der Gehalt an
Kurkumin in verschiedenen CurcumaVarietäten kann bis zu 9 Prozent betragen (10). Deshalb ist eine Extraktion des Kurkumins aus der Pflanze zum Färben von Lebensmitteln meist nicht notwendig. Kurkumin darf in Sauermilchprodukten, Käseerzeugnissen, Fleischerzeugnissen, Würzmitteln, Backwaren, Überzügen, Knabbererzeugnissen, Cremes, gesalzenen Nüssen, Konfitüren, Zuckerwaren, Limonaden und alkoholhaltigen Getränken verwendet werden (8).
Riboflavine (E101) Das Riboflavin (Vitamin B2) ist ein natürlicher Farbstoff, der Milch ihre leicht gelbliche Farbe verleiht, weshalb es auch Lactoflavin genannt wird. Neben Riboflavin ist auch Riboflavin-5´-Phosphat als Zusatzstoff zugelassen. Als Lebensmittelfarbstoffe werden die Riboflavine meist den gleichen Lebensmitteln wie Kurkumin zugesetzt (s.o.) (8).
Cochenille (E120) Cochenille ist ein Gemisch von roten Pigmenten vor allem der Cochenille-Schildlaus (Dactylopius coccus), die in Mittelund Südamerika beheimatet ist. Das Insekt bildet Karminsäure, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Durch Kochen der Tiere und anschliessendes Fällen und Trocknen wird daraus Karmin gewonnen, ein leuchtend roter und recht stabiler Naturfarbstoff. Für 1 kg Karmin werden etwa 100 000 Tiere benötigt (6, 11). Trotz der hohen Kosten wird aufgrund der Bedenken in der Bevölkerung gegenüber dem synthetischen Azofarbstoff Ponceau 4R (E124, Cochenillerot A) der Naturstoff wieder vermehrt verwendet (11). Verwendet wird Cochenille unter anderem in roten Obstkonserven, Konfitüren, Wurst und Pasteten.
Chlorophylle, Chlorophylline (E140) und deren kupferhaltige Komplexe (E141) Als Chlorophylle werden die grünen Pigmente von Sauerstoff produzierenden Pflanzen bezeichnet. Sie werden aus Spinat, Brennnesseln und Algen extrahiert. Sie sind lipophil und deshalb nur begrenzt in wasserreichen Produkten ein-
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setzbar. Durch alkalische Verseifung der Estergruppen des Chlorophylls entstehen Chlorophylline, die in Wasser löslich sind. Durch Austausch des Magnesiums gegen Kupfer mithilfe von Kupferhydroxid entstehen die kupferhaltigen Derivate, die farbbeständiger sind als die Ausgangssubstanzen. Verwendet werden diese Farbstoffe vorwiegend in Süsswaren, Spirituosen, Fetten und Teigwaren (6).
Zuckerkulöre (E150a-d) Beim Erhitzen von Zucker entstehen Bräunungsprodukte, die auch als Karamell bekannt sind. In der Industrie werden zur Herstellung von Zuckerkulör konzentrierte Zuckerlösungen (meist Saccharose, Glukose, Glukose- oder Invertzuckersirup) in Gegenwart von Katalysatoren (Säuren oder Laugen) erhitzt. Für die Sulfitlaugen-Zuckerkulör werden darüber hinaus schweflige Säure oder Sulfite, für die Ammoniak-Zuckerkulör Ammoniak beziehungsweise Ammoniumsalze und für die Ammonsulfit-Zuckerkulör beides zugesetzt (6). Dadurch entsteht eine Palette von Brauntönen, die grösstenteils zum Färben von Spirituosen verwendet wird, obwohl ihr Einsatz auch in Milchprodukten, Käse, Wursthäuten, Fischwaren, Würzmitteln und vielen anderen Produkten erlaubt ist (8).
Karotinoide (E160a-f, E161b, E161g) Die gelb färbenden Karotine kommen natürlicherweise als Gemische (α-, β-, γ-Karotin) in pflanzlichen Ölen sowie vielen Gemüsesorten vor. Palmöl enthält relativ hohe Mengen an Betakarotin (13 bis 120 mg/100g) und wird deshalb direkt zum Färben in Margarine eingesetzt. Betakarotin wird aufgrund des hohen Bedarfs der Lebensmittelindustrie auch synthetisch hergestellt (11). Die Produktpalette reicht von Backwaren über Milchprodukte und Käse bis zu alkoholhaltigen und –freien Getränken. Beim β-Apo-8´Carotinal (E160e) und β-Apo-8´-Carotinsäureethylester (E160f ) handelt es sich um Abbauprodukte von Betakarotin. Sie kommen auch in der Natur vor, werden heute aber synthetisch hergestellt. Neben den Karotinderivaten kommen weitere rot und gelborange färbende Ka-
rotinoide zum Einsatz. Aus Paprika (Capsicum annuum) wird ein Karotinoidgemisch extrahiert, das aus Capsanthin, Capsorubin, Violaxanthin, β-Cryptoxanthin und hydrophilem Betakarotin besteht und unter der E-Nummer 160c gelistet ist. Durch Emulgation sind neben hydrophilen auch lipophile Extrakte erhältlich. Verwendet werden die relativ farbstabilen Paprikaextrakte in Käse, Würzmitteln, Backwaren, Snacks und Würsten (6). Lykopin ist der rote Farbstoff in Tomaten, Wassermelonen und roten Grapefruits. Es wirkt stark antioxidativ und kann nur in lipophilen Lebensmitteln wie Saucen, Mayonnaise und Dressings eingesetzt werden (6).
Annatto (E160b) Annatto ist ebenfalls ein natürliches Karotinoid-Farbstoffgemisch, das unter anderem aus den Substanzen Bixin, Norbixin und Methylbixin besteht (10). Es wird gewonnen aus Fruchtkapseln des Annattostrauchs (Bixa orellana). Durch verschiedene Verdünnungen und Laugenbehandlung ergeben sich orange bis gelbe Farbstoffe. Gefärbt werden damit vorwiegend Milchprodukte, Käse, Speisefette und -öle (10).
Betenrot (E162) Die Rote Bete (Beta vulgaris) ist Lieferant des Betenrots. Ursprünglich rechnete man die in der Roten Bete vorkommenden Betalaine zu den stickstoffhaltigen Anthocyanen. Inzwischen bilden sie jedoch eine eigene Farbstoffklasse (11). Das bekannteste Betalain, das Betanin, ist wasserlöslich, relativ pH-stabil in einem Bereich von 3 bis 7 und stark antioxidativ (6). Verwendet wird es unter anderem in Milchprodukten, Frühstücksgetreideprodukten, Fruchtjoghurts, Konfitüren, Wursthüllen, Panaden, Paté und Würzmitteln (8).
Aluminium (E173), Silber (E174), Gold (E175) Die drei Metalle haben eine sehr begrenzte Zulassung und dürfen nur als Überzug auf Konditorei- und Zuckerwaren sowie Feinbackwaren und zur Verzierung von
Pralinen verwendet werden. Silber und Gold dürfen zusätzlich als Metallpigmente in Schaum- und Perlwein und Likören enthalten sein (8).
Azofarbstoffe Unter den 19 in der Zusatzstoffverordnung genannten synthetischen Farbstoffen befinden sich 9 Azofarbstoffe (8). Die breite Farbpalette der Azofarbstoffe entsteht durch unterschiedliche aromatische Gruppen beiderseits der Azogruppe und reicht von Gelb, Orange über Rot bis Braun und Schwarz. Wegen ihrer hohen Stabilität und Farbtiefe ist diese Farbstoffgruppe bereits seit mehr als 100 Jahren in Lebensmitteln vertreten. Dabei werden immer wieder einzelne Azofarbstoffe verboten, während neue meist für einen eng begrenzten Anwendungsbereich zugelassen werden (11). Ein jüngeres Beispiel ist Braun FK (E154), ein Gemisch aus 5 Azofarbstoffen, das ausschliesslich für das Färben von Kippers, einer britischen Räucherheringsspezialität, zugelassen war. Es wurde 2010 von der EFSA neu bewertet, nachdem neuere Studien zur chronischen Toxizität und Karzinogenität erschienen waren. Da die Publikationen jedoch keine aussagekräftigen Daten zu den histopathologischen Untersuchungen lieferten, empfahl die EFSA der Europäischen Kommission, den Stoff nicht mehr zuzulassen. Auch in der Schweizer Zusatzstoffverordnung ist Braun FK nicht aufgeführt (8, 12, 13).
Azofarbstoffe und Hyperaktivitätssyndrom Doch auch die weiterhin zugelassenen Azofarbstoffe werden kontrovers diskutiert. Gerade weil sie vor allem in Süsswaren, Puddings, Desserts, Speiseeis und Fruchtkonserven verwendet und diese intensiv gefärbten Speisen gerne von Kindern gegessen werden, tauchen immer wieder Studien auf, die einen Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Störungen und dem (häufigen) Verzehr dieser Stoffe belegen. Seit der Publikation einer randomisierten Studie mit 153 3-jährigen und 144 8- bis 9-jährigen Kindern, denen ein Testge-
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tränk, das Benzoesäure sowie eine von zwei synthetischen Lebensmittelfarbstoffmischungen oder Plazebo enthielt, verabreicht wurde, stehen diese Substanzen im Verdacht, in Kombination einen Einfluss auf das Hyperaktivitätssyndrom bei Kindern zu haben. In der Verumgruppe der 3-jährigen Kinder wurde eine signifikante Erhöhung der Hyperaktivität für eine und in der Verumgruppe der 8jährigen Kinder für beide Farbstoff-/ Benzoesäuremischungen beobachtet (14). Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) unterzog diese Studie einer kritischen Bewertung und kam zum Schluss, dass die Interpretationen der Autoren aufgrund methodischer Mängel im Studiendesign nicht haltbar seien. Insofern gebe es keine Hinweise auf eine Gesundheitsgefährdung für Kinder beim Verzehr von Farbstoff-/ Benzoesäuremischungen in den in Lebensmitteln zugelassenen Mengen (15).
Azofarbstoffe und Intoleranzreaktionen Ein weiterer Zusammenhang wird zwischen dem Auslösen allergischer Intoleranzreaktionen und dem Konsum bestimmter Azofarbstoffe, insbesondere Tartrazin (E102), gesehen. Die bis dato publizierten Studien veranlassten die Europäische Kommission, die EFSA mit einer Reevaluation aller zugelassenen Azofarbstoffe zu beauftragen (16). Diese wurde 2010 abgeschlossen und kam zu folgendem Ergebnis: Zur Bewertung der Azofarbstoffe Tartrazin (E 102), Gelborange S (E110), Azorubin (E122), Amaranth (E123), Ponceau 4R (E124), Allurarot AC (E129), Brilliantschwarz BN (E151), Braun FK (E154), Braun HT (E155) und Litholrubin BK (E180) hinsichtlich ihres Allergierisikos mangle es an grossen Interventionsstudien, die mithilfe doppelblind plazebokontrollierter Provokationen wie in der Allergiediagnostik durchgeführt sein müssten. Die meisten vorliegenden Studien seien an selektierten Patienten durchgeführt worden. Die Häufigkeit einer Tartrazinintoleranz bei Urticaria- und Angioödempatienten werde auf unter 1 Prozent geschätzt. Zu Intoleranzreaktionen ge-
genüber Tartrazin und Ponceau 4R (E124) bei empfindlichen Personen lägen nur wenige Fallstudien vor, noch weniger zu Gelborange S (E110) und Amaranth (E123). Bei diesen seien Urticaria, Angioödeme und Lungengeräusche aufgetreten. Zu Braun FK, Braun HT, Litholrubin BK, Brilliantschwarz BN, Azorubin und Allurarot AC lägen keine gut dokumentierten Fallbeschreibungen nach oraler Aufnahme dieser Substanzen vor. Über Reaktionen nach dem Verzehr von Farbstoffmischungen, wie Urticaria, Augenschwellungen, Flush und höhere Hyperaktivitätsscores, gäbe es ebenfalls nur wenige Fallberichte. Das Expertengremium schliesse daraus, dass sowohl beim Verzehr einzelner Farbstoffe als auch von -kombinationen in den aktuell üblichen Konzentrationen schwere Unverträglichkeitsreaktionen auftreten könnten (16). Die Anpassung der Zusatzstoffverordnung der EU folgte per November 2011. Hier floss auch das Verbot von Braun FK ein (12). Fazit
Wie bei anderen Zusatzstoffen lässt sich eine Gesundheitsgefährdung einzelner, besonders empfindlicher oder durch chronische Zufuhr über dem Acceptable Daily Intake (ADI-Wert) exponierter Personen durch den Verzehr von Farbstoffen nicht ausschliessen. Aber gerade bei Farbstoffen lässt sich das Risiko relativ einfach vermindern, da vielen unverarbeiteten Lebensmitteln überhaupt keine Farbstoffe zugesetzt werden dürfen. Durch das sorgfältige Lesen der Zutatenlisten beim Einkauf und einer seriösen ENummern-Liste (9) kann der/die Verbraucher/in das individuelle Risiko auf ein Minimum reduzieren. Allergisch prädisponierte Personen sollten bei Verdacht auf eine Intoleranzreaktion in jedem Fall die professionelle Hilfe durch eine/n Arzt/ Ärztin und eine/n dipl. Ernährungsberater/in in Anspruch nehmen. Durch eine gezielte allergologische Diagnostik auf Zusatzstoffe, eine umfassende Ernährungsanamnese und daraus abgeleitete diagnostische Diäten lässt sich klären, ob tatsächlich eine Pseudoallergie auf Zusatzstoffe vorliegt. Bei positivem Befund
sollten die identifizierten Pseudoaller-
gene gemieden und gleichzeitig eine
bedarfsdeckende Lebensmittelauswahl
sichergestellt werden.
Korrespondenzadresse:
Prof. Steffen Theobald, Dipl. oec. troph.
Berner Fachhochschule Gesundheit
Studiengang Ernährung und Diätetik
Murtenstr. 10, 3008 Bern
E-Mail: steffen.theobald@bfh.ch
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Food Contact Materials (AFC). The EFSA Journal 2009; 660: 1–54. 16. EFSA Panel on Dietetic Products NaAN. Scientific Opinion on the appropriateness of the food azo-colours Tartrazine (E102), Sunset Yellow FCF (E110), Carmoisine (E 122), Amaranth (E 123), Ponceau 4R (E124), Allura Red AC (E129), Brilliant Black BN (E151), Brown FK (E154), Brown HT (E155) and Litholrubine BK (E 180) for inclusion in the list of food ingredients set up in Annex IIIa of Directive 2000/13/EC. EFSA Journal 2010; 8: 1778. 17. aid infodienst. Die E-Nummern in Lebensmitteln. Bonn: aid, 2009.
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