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SARKOPENIE
Lebensqualität im Alter – Muskelmasse und Muskelkraft im Fokus
RETO W. KRESSIG
Der altersbedingte Verlust von Muskelmasse und Muskelkraft (Sarkopenie) führt zu einer nachgewiesen erhöhten Morbidität und Mortalität sowie zu einer massiven Abnahme von Lebensqualität. Der nachfolgende Artikel berichtet über die Möglichkeiten der Prävention und Therapie.
Der Prozess des Alterns ist mit einer natürlichen Abnahme der Muskelmasse und/ oder Muskelkraft verbunden. Ab einem Alter von etwa 40 Jahren verliert der Mensch rund 8 Prozent seiner Muskelmasse innerhalb einer Dekade, ab einem Alter von 70 Jahren sogar rund 15 Prozent. Krankheit, Verletzungen oder Operationen mit konsekutiver kurz- oder langzeitiger Immobilisierung können diesen Prozess zusätzlich beschleunigen. Verstärkt wird der Effekt des Muskelverlustes auch durch die meist verminderte körperliche Aktivität und eine zu geringe Einnahme wichtiger Nährstoffe im höheren Alter (1). Die Muskelmasse spielt jedoch eine zentrale Rolle im Proteinstoffwechsel. Von ihr hängen die Gesundheit, die Heilung, die Kraft, die Funktionalität, die Organfunktionen, die Wundheilung und die Immunfunktion ab. So führt zum Beispiel bereits ein Verlust von 10 Prozent der Muskelmasse zu einer verminderten Immunantwort und einem erhöhten Infektionsrisiko. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass die fettfreie Beinmasse während einer dreitägigen Hospitalisation um 1 kg oder um 10 Prozent abnimmt, wenn die tägliche Proteinaufnahme weniger als 0,8 g pro kg Körpergewicht beträgt (2). Die Möglichkeiten für die Prävention und die Behandlung des Verlusts von Muskel-
masse und Muskelkraft sind limitiert und meistens praxisfern. Als Standard gelten die Förderung der Aktivität sowie eine Supplementation von Vitamin D. Nachfolgend werden die Nährstoffe beschrieben, die den wichtigsten Beitrag zum Erhalt der Muskelmasse sowie zu einer erfolgreichen Therapie leisten können.
Proteine
Das Nahrungsprotein spielt für den Erhalt der Muskelmasse eine entscheidende Rolle. Eine inadäquate Proteinzufuhr kann ein wichtiger Faktor für einen beschleunigten Abbau von Muskelmasse und/oder Muskelkraft sein. Untersuchungen bestätigen jedoch, dass ältere Personen meist eine zu geringe Proteinzufuhr aufweisen (3). Gleichzeitig sind bei älteren Personen der Proteinabbau sowie wahrscheinlich auch der Proteinbedarf erhöht. Die aktuellen Empfehlungen von 0,8 g pro kg Körpergewicht könnten demnach für diese Patientengruppe zu tief sein. Gaillard et al. empfehlen für geriatrische Patienten gar 1,3 g bis 1,6 g Protein pro kg/Körpergewicht, um eine positive Stickstoffbilanz zu erzielen (4).
β-Hydroxy-β-Methylbutyrat (HMB)
Mehr als 20 präklinische und klinische Studien zeigen, dass HMB (Metabolit der
Aminosäure Leucin) in der Behandlung von Muskelverlust effektiv ist, und unterstreichen damit das Potenzial dieser Substanz im Bereich der klinischen Ernährung. So zeigten beispielsweise ältere Frauen, die während 12 Wochen HMB erhielten, eine verbesserte Flexion der Kniebeuge, eine signifikante Verbesserung der Faustschlusskraft und signifikante Verbesserungen der Get-up-and-goPerformance. Dementsprechend konnten alle Aktivitäten, die im Alltag und für die Unabhängigkeit der Patienten wichtig sind, verbessert werden. HMB kann also helfen, die Kraft und die Funktionalität wiederherzustellen (5). HMB ist ein aktiver Metabolit der essenziellen Aminosäure Leucin, jedoch 200 Prozent wirksamer.
TAKE HOME MESSAGE
Durch ein frühzeitiges Screening von Muskelabbau im Alter und entsprechend präventive Massnahmen wie gesteigerte körperliche Aktivität, adäquate Proteinzufuhr, Supplementation von Vitamin D sowie möglicherweise HMB können Sarkopeniefolgen wie Stürze, Hüftfrakturen, eingeschränkte Funktionaliät, Hospitalisationsdauer sowie langfristig auch Gesundheitskosten minimiert werden.
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SARKOPENIE
Die Substanz hat protektive antikatabole Wirkungen und – über eine Aktivierung des intrazellulären Proteins mTOR – einen unmittelbaren Einfluss auf die Proteinsynthese. Ausserdem stabilisiert HMB als Substrat für die Cholesterinsynthese die Membrane der Muskelzellen. Über die Aktivierung des nukleären Faktors κB – ein Regulator, der den Proteinmetabolismus beeinflusst – kann HMB direkt in den Proteinabbau eingreifen. Um jedoch die oben genannten Effekte erzielen zu können, ist eine Menge von 3 g kalziumgebundenem HMB (CaHMB) erforderlich (6). Da HMB jedoch nur in geringen Mengen in natürlichen Lebensmitteln vorkommt, lohnt es sich, eine Supplementation in Form oraler Nahrungsergänzungsmittel zu überdenken.
Vitamin D
Zwischen 40 und 100 Prozent der Pflegeheimbewohner in den USA und in Europa weisen einen Vitamin-D-Mangel auf. Dieser ist unter anderem dadurch bedingt, dass ältere Personen eine geringere Kapazität besitzen, Vitamin D3 zu synthetisieren. Die Tatsache, dass sich ältere Menschen nicht mehr so häufig an der frischen Luft bewegen, verstärkt diese Problematik. Vitamin D hat durch spezifische Rezeptoren an den Muskelzellen einen direkten Einfluss auf die Muskelkraft. Es hilft, die normale Muskelfunktion zu erhalten, und verbessert die Kalziumaufnahme. Für ihre maximale Funktion benötigt die Skelettmuskulatur Vitamin D – bei einem Mangel droht daher Muskelschwäche. Ein verminderter Vitamin-D-Status korreliert zudem signifikant mit einem erhöhten Risiko für Stürze und Hüftfrakturen. Ein Mangel an Vitamin D ist damit einer der Faktoren, der den Verlust von Muskelmasse und/oder Muskelkraft beschleunigt. Bei Patienten mit Vitamin-DSupplementation konnte eine Reduktion des Sturzrisikos um 22 Prozent nachgewiesen werden. Die Mengen von 700 bis 1000 IE scheinen derzeit der Richtwert für eine Vitamin-D-Supplementation zu sein (7). Die Referenzwerte werden zurzeit in verschiedenen Ländern entsprechend überarbeitet und angepasst. So hat beispielsweise Deutschland seine Richtwer-
te für die Vitamin-D-Zufuhr kürzlich auf 800 IE erhöht. In der Schweiz gelten noch veraltete Richtwerte von 200 bis 400 IE. Das Screening und die Behandlung des Verlusts an Muskelmasse und Muskelkraft sollten ein integraler Bestandteil in der Therapie geriatrischer Patienten sein. Wenn der Verlust von Muskelmasse und/oder Muskelkraft frühzeitig erkannt wird, lassen sich präventive Massnahmen ergreifen, durch die sich die Lebensqualität der Patienten massiv verbessert und ihnen Unabhängigkeit und Mobilität ermöglicht. Der Fokus ist dabei auf eine adäquate Zufuhr von Proteinen (momentan noch 0,8 g/kg/Körpergewicht), Vitamin D (mind. 800 IE pro Tag) sowie möglicherweise eine allfällige Supplementation von HMB (3 g CaHMB) und auf eine gesteigerte körperliche Aktivität zu legen. Um jedoch weitere Fortschritte in der erfolgreichen Behandlung der Sarkopenie älterer Menschen mit dem Ziel einer verbesserten Funktionalität (kognitiv und körperlich) und somit auch der Lebensqualität zu erreichen, sind – neben einer weiteren Erhöhung der Awareness für die Thematik – dringend mehr randomisierte klinische Interventionsstudien erforderlich. Für die konkrete Umsetzung fehlt es zurzeit vor allem an einem einheitlichen Screening und an Behandlungsstandards. Da ältere Personen jedoch einen immer grösseren Anteil
unserer Gesellschaft ausmachen, ist es
sinnvoll, in diesem Bereich weitere For-
schungsanstrengungen zu unterneh-
men.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Reto W. Kressig
Akutgeriatrie, Universitätsspital Basel
E-Mail: rkressig@uhbs.ch
Literatur: 1. Castaneda C, Charnley JM, Evans WJ, Crim MC. Elderly women accommodate to a low-protein diet with losses of body cell mass, muscle function, and immune response. Am J Clin Nutr. 1995; 62: 30–39. 2. Paddon-Jones D. Lean body mass loss with age. In: Gussler J, ed. The Role of Nutrition in Accretion, Retention, and Recovery of Lean Body Mass. Report of the 110th Abbott Nutrition Research Conference: Selected Summaries. Columbus, Ohio: Abbott Nutrition: 2009; 9–14. 3. Dupertius YM, Kossovsky MP, Kyle UG, Raguso CA, Genton L, Pichard C. Food intake in 1707 hospitalised patients: a prospective comprehensive hospital survey. Clinical Nutrition. 2003; 22 (2): 115–123. 4. Gaillard C, Alix E, Boirie Y, Berrut G, Ritz P. Are elderly hospitalized patients getting enough protein? J Am Geriatr Soc. 2008; 56: 1045–1049. 5. Falkoll P, Sharp R, Baier S, Levenhagen D, Carr C, Nissen S. Effect of β-hydroxy-β-methylbutyrate, arginine, and lysine supplementation on strength, functionality, body composition, and protein metabolism in elderly women. Nutrition. 2004; 20: 445–451. 6. Wilson GJ, Wilson JM, Manninen AH. Effects of beta-hydroxy-beta-methylbutyrate (HMB) on exercise performance and body composition across varying levels of age, sex and training experience: a review. Nutr Metab. 2008; 5: 1–17. 7. Bischoff-Ferrari HA, Dawson-Hughes S, Staehelin HB, Orav JE, Stuck AE, Theiler R, Wong JB, Egli A, Kiel DP, Henschkowski J. Fall prevention with supplemental and active forms of vitamin D: a metaanalysis of randomised controlled trials. BMJ. 2009; 339: 843–846.
VERANSTALTUNG
Symposium Abbott Nutrition
80. Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin
«Muskelmasse und Muskelkraft als Schlüsselfaktoren für ein gesundes Alter» Prof. Dr. med. Reto W. Kressig, Universitätsspital Basel Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari, Universitätsspital Zürich
23. Mai 2012, 16.30 bis 17.30 Uhr Congress Center, Raum Osaka, Messeplatz 21, 4058 Basel
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