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LEBENSMITTELZUSATZSTOFFE
Lebensmittelzusatzstoffe
Teil 2 – Konservierungsmittel
STEFFEN THEOBALD*
Abgesehen von Kochsalz und Zucker haben sämtliche vom Menschen konsumierten Lebensmittel nur eine begrenzte Haltbarkeit. Die in Lebensmitteln enthaltenen Makronährstoffe Eiweiss, Fett und Kohlenhydrate unterliegen permanent enzymatischen, oxidativen und in Anwesenheit von Keimen auch mikrobiologischen Ab- und Umbauprozessen. Um Lebensmittel vor dem mehr oder weniger schnellen Verderb zu schützen, müssen diese also auf irgendeine Art und Weise konserviert werden. Im Folgenden soll erläutert werden, welche Konservierungsmethoden existieren und warum in vielen Fällen chemische Konservierungsmittel eingesetzt werden. In einem kleinen Lexikon werden häufige, in der Schweiz zugelassene Konservierungsstoffe, ihre wichtigsten Eigenschaften und Einsatzbereiche vorgestellt sowie in der Literatur diskutierte potenzielle gesundheitliche Risiken aufgezeigt.
Historisches zum Konservieren
Das Haltbarmachen von Lebensmitteln geht einher mit dem Übergang des Menschen vom Jäger und Sammler zum sesshaften Ackerbauer. Weil fortan Lebensmittel auf Vorrat produziert wurden und diese bis zur nächsten Vegetationsperiode reichen mussten, wurde es notwendig, sie haltbar zu machen (1). Wahrscheinlich war, abgesehen von den physikalischen Methoden des Kühlens mit Eis und Trocknens, das Räuchern die erste chemische Form der Konservierung. Die alten Ägypter setzten bereits Salz, Essig, Öl und Honig ein. Die antiken Griechen, Assyrer und Chinesen wussten um die antifungizide Wirkung von Schwefel bei der Weinherstellung. Das erste «moderne» Konservierungsmittel war Natriumtetraborat, bekannt als Borax. Der Stoff wurde von Hubert Franz Höfer 1778 in einer toskanischen Quelle entdeckt (2). Anfang des 20. Jahrhunderts wurden immer mehr chemisch wirksame Konservierungsmittel entdeckt respektive synthetisiert und eingesetzt, um die Nahrungsmittelversorgung der inzwischen rasch wachsenden Bevölkerung sicherzustellen. Der Kühlschrank war zwar bereits erfunden, aber aus technischen Gründen erst ab den Dreissigerjahren für den Hausgebrauch einsetzbar. Überall dort, wo keine oder nur begrenz-
*Berner Fachhochschule Gesundheit, Bern
te Kühlmöglichkeiten bestehen, haben die chemischen und physikochemischen Konservierungsmethoden noch heute eine grosse Bedeutung.
Einflussgrössen auf die Haltbarkeit von Lebensmitteln
Durch Kühlen beziehungsweise Tiefgefrieren verlangsamen sich enzymatische Prozesse und das Mikrobenwachstum, durch Erhitzen können beide inaktiviert werden. Sauerstoff dient aeroben Bakterien zum Wachstum und führt zur Oxidation von Lebensmittelinhaltsstoffen (z.B. Fettsäuren). Durch den Entzug von Sauerstoff beim Vakuumieren oder Verpacken in eine Schutzgasatmosphäre können diese Prozesse verzögert werden. Das Mikrobenwachstum ist weiter abhängig von der Feuchtigkeit des Lebensmittels, der sogenannten Wasseraktivität. Die aw-Wert genannte Wasseraktivität (von availability of water) ist das Verhältnis von Dampfdruck des Substrates zum Dampfdruck von reinem Wasser und beschreibt das für die Organismen tatsächlich verfügbare Wasser. Durch Trocknen oder die Zugabe bestimmter Substanzen wie Zucker oder Salz sinkt der aw-Wert, da diese Stoffe osmotisch Wasser binden, das Mikroorganismen dann nicht mehr für ihre Stoffwechselprozesse nutzen können (3). Ein Beispiel ist Konfitüre, die dank einer hohen Zuckerkonzentration jahrelang bei
Zimmertemperatur ohne zu schimmeln haltbar ist. Auch der pH-Wert spielt eine wichtige Rolle, da viele Lebensmittelverderber sich in saurem Milieu nicht oder schlechter vermehren können. Der pHWert kann durch Zusatz von Genusssäuren oder durch gezielte Fermentation gesenkt werden. Beispiele hierfür wären die Milchsäuregärung bei Joghurt oder Sauerkraut.
Warum sind chemische Konservierungsstoffe notwendig?
Chemische Konservierungsstoffe sind heute aus mehreren Gründen unverzichtbar. Zum einen sind die oben genannten physikalischen Haltbarmachungsverfahren sowie die Absenkung des pH-Werts für viele, aber eben nicht für alle Produkte geeignet. So kommt es durch Garen oder Erhitzen von Lebensmitten zu deutlichen Geschmacksveränderungen (z.B. bei UHTMilch, vielen Gemüsesorten). Das gilt auch für das Säuern, Salzen und Pökeln oder starke Zuckern. Zum anderen wird der grösste Teil der Lebensmittel nicht mehr lokal von kleinen Betrieben hergestellt und vermarktet, sondern oft in Grossbetrieben produziert, über lange Wege transportiert und en gros gelagert. Durch den mikrobiologischen Verderb eines Produktes könnten gleich grosse Mengen an Ware betroffen sein, mit gesundheitlichen Folgen für vie-
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le Endverbraucher. Die Verantwortung für die gesundheitliche Unbedenklichkeit liegt bis zur Abgabe an den Endverbraucher bei den Lebensmittelproduzenten sowie den Einzelhändlern, die die Waren meist in grossen Verbrauchermärkten mit mehreren tausend Produkten anbieten. Noch heute zählen Erkrankungen aufgrund des mikrobiellen Verderbs von Lebensmitteln, nach einer Über- beziehungsweise Fehlernährung, zu den bedeutendsten ernährungsbedingten Gesundheitsrisiken. Sie rangieren noch weit vor jenen, die durch natürliche Gifte, Rückstände oder Zusatzstoffe in Lebensmitteln bedingt sein können (4). So wurden 2009 von den Schweizer Gesundheitsbehörden 9086 Fälle von Lebensmittelinfektionen allein durch die beiden meldepflichtigen Lebensmittelvergifter Salmonella und Campylobacter gemeldet. Nicht enthalten ist in dieser Statistik eine schwer zu quantifizierende Dunkelziffer all jener Fälle, bei denen die Betroffenen nicht zum Arzt gegangen sind (5). Mit den Lebensmittelvergiftungen sind nicht nur Beschwerden bis hin zu Hospitalisierungen der betroffenen Personen verbunden, sondern auch ein beträchtlicher volkswirtschaftlicher Schaden durch Behandlungskosten und Arbeitsausfall. Somit gibt es auch vonseiten des Gesetzgebers ein grosses Interesse an der Vorbeugung von durch Lebensmittelverderb bedingten Erkrankungen. Der Einsatz konservierender Methoden und Stoffe sowie die Überwachung der Einhaltung dieser Massnahmen neben allgemeinen Hygienevorschriften stellen damit einen wichtigen Bereich der Gesundheitsvorsorge dar.
Rechtliche Regelungen zu Konservierungsmitteln
In der «Verordnung des Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) über die in Lebensmitteln zulässigen Zusatzstoffe (Zusatzstoffverordnung, ZuV)» in der Fassung vom 25. Mai 2009 sind sämtliche Substanzen aufgelistet, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen (6). Zusatzstoffe zählen gemäss Art. 3 des Lebensmittelgesetzes (LMG) zu den Zutaten und müssen wie Lebensmittel deklariert werden und in der Zutatenliste erscheinen (7). Die Zusatzstoffe werden gemäss Anhang 3
der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LKV) in 24 Klassen eingeteilt. Darunter befinden sich auch die Konservierungsmittel/Konservierungsstoffe (8). Die LKV definiert im Anhang 3 Konservierungsmittel als «Stoffe, die die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern, indem sie sie vor den schädlichen Auswirkungen von Mikroorganismen schützen» (8). Nur wenige Konservierungsstoffe gelten als toxikologisch unbedenklich, sodass sie in unbegrenzten Mengen eingesetzt werden dürfen. Hierzu zählen die Milchsäure (E270), Essigsäure (E266) oder die Zitronensäure (E320) sowie Gase wie Kohlendioxid, Stickstoff oder Argon, die als Schutzgase in Lebensmittelverpackungen verwendet werden (9). Andere Konservierungsmittel gelten wiederum per Definition als Lebensmittel und nicht als Zusatzstoffe, wie zum Beispiel das Kochsalz oder der Haushaltszucker (Saccharose) und werden deshalb in der ZuV nicht aufgelistet. Die meisten Zusatzstoffe unterliegen jedoch Mengenbegrenzungen. Die Grenzwerte entstehen dabei unter Abwägung von toxikologischen, technologischen, sensorischen und ökonomischen Gründen. Sofern es keine toxikologischen Bedenken bezüglich der Höchstmenge eines Konservierungsstoffes in einem Lebensmittel gibt, gelten die Richtlinien guter Herstellungspraxis (GHP). Kriterien einer guten Herstellungspraxis sind beispielsweise solche Mengen, die 1. gemäss Rezeptur zu einem branchen-
üblichen Qualitätsprodukt führen; 2. nicht zu einer Verbrauchertäuschung
führen; 3. nicht grösser sind als zur Erzielung der
gewünschten Wirkung benötigt (6). So lässt sich erklären, weshalb derselbe Konservierungsstoff verschiedenen Lebensmitteln unter Umständen in unterschiedlichen Mengen zugesetzt werden darf. Zuständig für die toxikologische Bewertung von Zusatzstoffen ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Das Panel on food additives and nutrient sources added to food (ANS) reevaluiert dabei anhand der jeweils aktuellen Studienlage in regelmässigen Abständen alle zugelassenen Zusatzstoffe und
kommentiert dabei auch neue Studienergebnisse, die Verdachtsmomente für eine schädigende Wirkung finden (10). In der sogenannten «Anwendungsliste» im Anhang 7 der Zusatzstoffverordnung lässt sich für jedes Lebensmittel die Höchstmenge des jeweiligen Konservierungsstoffes, die zugesetzt werden darf, nachlesen (6).
Fazit für die Beratungspraxis
In vielen Fällen ist es möglich, die Haltbarkeit von Lebensmitteln durch physikalische oder physikochemische Verfahren wie Trocknen, Erhitzen, Salzen, Säuern oder Zuckern zu verlängern. Für andere, insbesondere frische Produkte ist dies jedoch nur begrenzt möglich. Hier haben chemische Konservierungsstoffe einen wichtigen Stellenwert beim Schutz von Lebensmitteln vor dem Verderb und letztlich auch beim vorbeugenden Verbraucherschutz. Die Unbedenklichkeit der Konservierungsstoffe wird durch einzelne Toxizitätsstudien oder grundsätzliche Skepsis und Verunsicherung in der Bevölkerung immer wieder infrage gestellt werden. Durch die regelmässige Evaluation der publizierten Studien durch die EFSA sowie die Bewertung der Datenlage durch das Bundesamt für Gesundheit kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die in der Schweiz zugelassenen Konservierungsstoffe zurzeit als sicher gelten. Da die Einschätzung der Behörden immer nur eine Momentaufnahme sein kann, obliegt es jedoch den Beratungsfachkräften, sich diesbezüglich durch regelmässige Konsultation der gesetzlichen Bestimmungen auf dem Laufenden zu halten, um das individuelle Gesundheitsrisiko, insbesondere für empfindliche Personen, abwägen zu können.
Kleines Lexikon der Konservierungsmittel
Im Folgenden sollen häufig angewandte und in der Schweiz zugelassene Konservierungsmittel vorgestellt werden. Dabei werden chemische und biologische Eigenschaften sowie die Verwendungsmöglichkeiten in Lebensmitteln beschrieben. Alle genannten Konservierungsstoffe sind vom EDI zugelassen,
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dürfen in Verkehr gebracht werden und gelten in den für das jeweilige Lebensmittel angegebenen Mengen grundsätzlich als sicher. Bei einigen der Substanzen wird deren toxikologische Unbedenklichkeit durch neuere experimentelle Studien infrage gestellt. Ob diese Zweifel berechtigt sind und es sich dabei tatsächlich um potenzielle Gesundheitsrisiken handelt, soll in den Porträts anhand der aktuellen Studienlage diskutiert werden.
Sorbinsäure (E200) und ihre Salze Die Sorbinsäure kommt in Form ihrer Vorstufe Parasorbinsäure natürlicherweise in den Beeren der Eberesche (Vogelbeere, bot. Sorbus aucuparia) vor. Die fungistatische Wirkung von Sorbinsäure wurde 1939 entdeckt. Sie beruht auf der Inaktivierung mikrobieller Enzyme (11). Die Substanz gilt als einer der am intensivsten geprüften Zusatzstoffe. Selbst in Dosen
von 5 bis 10 Prozent der Energiezufuhr zeigte sie in Tierversuchen keinerlei Toxizität. Das liegt daran, dass die 2,4-Hexadiensäure im menschlichen Körper genauso wie andere Fettsäuren verstoffwechselt wird. Einzelne empfindliche Personen können jedoch eine nichtimmunologische Reaktion wie eine Kontakturtikaria oder eine Pseudoallergie entwickeln (1, 12). Als Zusatzstoffe werden auch das Kaliumsorbat (E202) und das Kalziumsorbat (E203) eingesetzt. Eine gute Wirkung entfalten die Konservierungsstoffe in Lebensmitteln mit einem pH-Wert von maximal 6,5 im Endprodukt. In den verwendeten Konzentrationen (0,02–0,1%) sind sie geruchs- und geschmacksneutral und können zum Beispiel in Backwaren (Schnittbrot), Käse, Getränken, fettreduzierter Margarine, Traiteursalaten, Trockenfrüchten und Gelierzucker für die Zu-
bereitung zuckerreduzierter Marmeladen und Fruchtaufstrichen verwendet werden (13). In Hartkäse verhindern sie die Bildung von Schimmelpilzen in der Reifungsperiode. Als Kaliumsorbat kann der Zusatzstoff Frisch- und Schmelzkäse zugesetzt sein (11).
Benzoesäure (E210) und ihre Salze Auch die Benzoesäure findet sich in der Natur, vor allem in Preiselbeeren, in Konzentrationen von 20 bis 30 mg pro 100 g Frischsubstanz (11). Der Mensch verstoffwechselt Benzoesäure zu 90 Prozent zu Hippursäure und scheidet sie als solche aus, weshalb sie in den gemäss guter Herstellungspraxis verwendeten Dosierungen als harmlos gilt (1). Die konservierende Wirkung beruht auf der Hemmung der bakteriellen Katalase und der Peroxidase, was zu einer Akkumulation von toxischem Wasserstoffperoxid führt (14). Als
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Konservierungsstoff zugelassen sind auch das Natrium-, Kalium- und Kalziumsalz (E211 bis E213), wobei das Natriumbenzoat am häufigsten verwendet wird. Die Substanzen wirken gegen Hefen und Pilze, und das am besten in saurem Medium (bis pH 4,5), weshalb sie zum Beispiel in Sauerkonserven, Fischkonserven, Traiteursalaten und Mayonnaisen eingesetzt werden (11). Seit der Publikation einer randomisierten Studie mit 153 3-jährigen und 144 8- bis 9-jährigen Kindern, denen ein Testgetränk, das Benzoesäure sowie eine von zwei Lebensmittelfarbstoffmischungen oder Plazebo enthielt, verabreicht wurde, steht Benzoesäure in Verdacht, einen Einfluss auf das Hyperaktivitätssyndrom bei Kindern zu haben. In der Verumgruppe der 3-jährigen Kinder wurde eine signifikante Erhöhung der Hyperaktivität für eine und in der Verumgruppe der 8-jährigen Kinder für beide Farbstoff-/Benzoesäuremischungen beobachtet (15). Die EFSA unterzog diese Studie einer erneuten Bewertung und kam zu dem Schluss, dass die Interpretationen der Autoren aufgrund methodischer Mängel im Studiendesign nicht haltbar seien. Insofern gebe es keine Hinweise auf eine Gesundheitsgefährdung für Kinder beim Verzehr von Benzoesäure in den in Lebensmitteln zugelassenen Mengen (16).
PHB-Ester (E214, E215, E218, E219) Unter dem Begriff PHB-Ester werden die vier Para-Hydroxybenzoesäure-Ester Ethyl-p-hydroxybenzoat (E214), Natriummethyl-p-hydroxybenzoat (E215), Methyl-p-hydroxybenzoat (E218) und Natriummethyl-p-hydroxybenzoat (E219) zusammengefasst. Ihr Vorteil gegenüber der Benzoesäure und ihren Salzen ist, dass sie pH-unabhängig wirksam sind. Schimmelpilze und Hefen sowie einige gramnegative Bakterienstämme können in ihrem Wachstum gehemmt werden (11). Nachteilig ist, dass sie zu Fehlaromen führen können und deshalb nur begrenzt einsetzbar sind. Verwendet werden sie zum Beispiel in Füllungen für Backwaren, Fruchtsäften, Marmeladen, Sirupen, Oliven und Sauergemüsen (17). In den Mengen, in denen sie über Lebens-
mittel aufgenommen werden, gelten PHBEster bis heute als sicher. Sie dienen jedoch nicht nur der Konservierung von Nahrungsmitteln, sondern auch von Kosmetika. Seit bekannt ist, dass die Stoffe über die Haut resorbiert werden und in menschlichem Brustkrebsgewebe gefunden wurden, wurden zahlreiche toxikologische Studien in Tieren und in Zellkulturen durchgeführt (18). Die Substanzen könnten demnach genotoxische, Östrogenagonistische und Androgen-antagonistische Wirkungen haben. Ob diese Beobachtungen einen Einfluss auf das Risiko für Brustkrebs oder die Fertilität bei Männern haben, ist derzeit noch nicht geklärt (19). Die letzte toxikologische Bewertung der PHB-Ester durch die EFSA mit der Festlegung eines ADI-Wertes von 0 bis 10 mg/kg Körpergewicht als Summenwert für alle PHB-Ester stammt von 2004 (20). Eine Reevaluation der neueren Studienergebnisse durch die EFSA steht noch aus.
Schwefeldioxid (E220) und Sulfite Das Schwefeldioxid war wahrscheinlich das erste «chemische» Konservierungsmittel, das absichtlich Lebensmitteln zugesetzt wurde, im Gegensatz zur Milchsäure und Essigsäure, die natürlicherweise durch Fermentation entstehen. Bereits Homer beschreibt die Anwendung von schwefliger Säure in der Weinkellerei, die durch Verbrennen von Schwefel und Lösen des entstandenen Schwefeldioxids in Wasser/ Wein entsteht. Noch heute sind diese Schwefelverbindungen dort unverzichtbar, um unkontrollierte Gärungen durch Wildhefen zu verhindern (14). Da es keinen adäquaten Ersatz gibt, ist das «Schwefeln» der Fässer sogar im Bioweinbau erlaubt. Neben Schwefeldioxid sind auch die folgenden Salze der schwefligen Säure als Zusatzstoffe zugelassen: • Natriumsulfit (E221) • Natriumhydrogensulfit (E222) • Natriummetabisulfit (Dinatrium-
disulfit) (E223) • Kaliummetabisulfit (Dikaliumdisulfit)
(E224) • Kalziumsulfit (E226) • Kalziumhydrogensulfit (E227) • Kaliumhydrogensulfit (E228). Schwefeldioxid (SO2) und Sulfite wirken wachstumshemmend auf Bakterien, Hefen
und Pilze, und zwar umso stärker, je niedriger der pH-Wert ist (17). Neben ihrer konservierenden Wirkung sind SO2 und die Sulfite potente Antioxidanzien und Farbstabilisatoren, die enzymatische und nicht enzymatische Bräunungsreaktionen von Obst und Gemüse hemmen können. Sie dürfen deshalb in relativ hohen Mengen Trockenfrüchten (Äpfel, Aprikosen), geriebenem Meerrettich und Kartoffeltrockenprodukten zugesetzt werden. Der menschliche Organismus scheidet die Substanzen als Sulfat aus. Sie gelten als gering toxisch. Eine mutagene Wirkung wird diskutiert. Empfindliche Personen können jedoch auf in Lebensmitteln übliche Mengen SO2 und Sulfite mit Symptomen wie Hautrötungen, Urtikaria, Flushes, Bauchschmerzen, Diarrhöen oder Asthma reagieren. Etwa 3 bis 10 Prozent der Asthmatiker zeigen auch Symptome bei der Aufnahme von Sulfiten (21). Aus diesen Gründen erscheinen diese Zusatzstoffe in der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung in der Liste der Zutaten, die Allergien oder andere unerwünschte Reaktionen auslösen können (siehe Anhang 1, LKV, [8]). Sulfithaltige Lebensmittel müssen demnach bei einem Gehalt von mehr als 10 mg/kg oder 10 mg/l, ausgedrückt als SO2, mit einem Warnhinweis («enthält Sulfite») versehen werden.
Biphenyl (Diphenyl, E230), o-Phenylphenol (E231), Natrium-o-Phenylphenol (E232) Die Anwendung der antimykotisch wirksamen Substanzen Biphenyl, o-Phenylphenol und Natrium-o-Phenylphenol war bis zur Aufhebung der alten Zusatzstoffverordnung im Jahr 2005 zur Oberflächenbehandlung von Zitrusfrüchten in der Schweiz gestattet. In der EU sind diese Stoffe immer noch erlaubt, sodass Importware behandelt sein kann. Vonseiten der EFSA bestehen derzeit keine Bedenken zum Einsatz der Fungizide auf Zitrusfrüchten. Der Wirkmechanismus von Biphenyl, das über die Imprägnierung des Verpackungsmaterials Zitrusfruchtschalen konserviert, ist noch unbekannt. Nach einiger Zeit können die Schimmelpilze Resistenzen entwickeln. Die Konservierung mit o-Phenylphenol und Natrium-o-phenyl-
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phenol erfolgt durch Tauchen der Früchte in eine Lösung mit den Antimykotika (11).
Nisin (E234) Das Nisin ist ein Peptid aus 34 Aminosäuren, das von bestimmten Milchsäurebakterien (Streptococcus lactis, S. cremonis) gebildet wird und als natürliches Bakteriozin andere Bakterienspezies und -stämme am Wachstum hemmt. Dadurch können der Reifeprozess bei Käse gezielt gesteuert und Fehlaromen vermieden werden. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind die Haltbarmachung von Schmelzkäse und Pudding. Nisin wird als Peptid im menschlichen Körper in seine Aminosäuren zerlegt, beeinflusst nicht die menschliche Darmflora und gilt deshalb als nicht toxisch (11).
Natamycin (E235) Natamycin ist ebenfalls ein natürliches Antibiotikum aus Streptococcus natalensis, das sich ausschliesslich gegen Hefen und Schimmelpilze richtet. Es löst sich nur wenig in lipo- und hydrophilen Medien und wird deshalb zur Oberflächenkonservierung von Hartkäse und getrockneten Rohwürsten verwendet. Das Antibiotikum findet auch in der Medizin zur Pilzbehandlung bei Augen-, Mundschleimhaut-, Geschlechtskrankheiten und Fusspilz Anwendung und wird deshalb als Lebensmittelzusatzstoff in der Bevölkerung mit Skepsis betrachtet (11). In einer Stellungnahme der EFSA wird deutlich, dass die Bedenken bezüglich der möglichen Entwicklung einer Antibiotikaresistenz unbegründet sind. Gegenüber dem Polyenantibiotikum Natamycin seien Bakterien grundsätzlich unempfindlich. Die über Hartkäse und Trockenwürste üblicherweise aufgenommenen Mengen an Natamycin gelten als unbedenklich (22).
Ameisensäure (E236) und ihre Salze Als starke organische Säure beruht die Wirkung der Ameisensäure beziehungsweise des Natrium- (E237) oder Kalziumformiats (E238) vor allem auf einer Absenkung des pH-Werts im Lebensmittel. In der EU sind die Ameisensäure und ihre Salze nicht mehr zugelassen, obwohl toxikologisch keine Bedenken gegen die Substanzen bestehen (3, 11).
Hexamethylentetramin (E239) Das Hexamethylentetramin ist ein umstrittener Konservierungsstoff, da er durch die Abspaltung von Formaldehyd wirkt, das in Gegenwart von Nitrit Nitrosamine bilden kann. Zur Bewertung von Nitrit siehe unten. Hexamethylentetramin wirkt spezifisch gegen Bakterien und darf ausschliesslich zur Oberflächenbehandlung von Provolonekäse, auf dem sehr geringe Restmengen toleriert werden (25 mg/kg, berechnet als Formaldehyd), eingesetzt werden (6, 14).
Dimethyldicarbonat (E242) Der fruchtig, esterartig riechende Stoff eignet sich ideal zur Kaltpasteurisierung von Säften und Limonaden. Er wirkt sowohl gegen Hefen, Bakterien und Pilze und baut sich binnen Stunden zu CO2 und Methanol ab. Da Reste in Gegenwart von Ethanol zu Ethyluretan, das als kanzerogen eingestuft wird, reagieren können, dürfen diese vor dem Inverkehrbringen nicht mehr nachweisbar sein (6, 14).
Nitrite und Nitrate (E249 bis E252) Die Salze der salpetrigen Säure Kaliumnitrit (E249) und Natriumnitrit (E250) respektive der Salpetersäure Natriumnitrat (E251) und Kaliumnitrat (E252) sind die wohl am meisten diskutierten Konservierungsstoffe. Die Hauptzufuhrquellen für Nitrat sind dabei nicht tierische Lebensmittel, sondern Gemüse, insbesondere solche, die unter wenig Lichteinwirkung wachsen (Winter und Gewächshaus) und unkontrolliert gedüngt werden. Nitrit wird dagegen vor allem mit gepökelten Fleisch- und Wurstwaren aufgenommen. Die Toxizität von Nitrit für Säuglinge ist unbestritten, da diese durch die Oxidation von Nitrit zu Nitrat gebildetes Methämoglobin nicht ausreichend wieder in Hämoglobin umwandeln können, was zu einer Zyanose führen kann (17). Die Risikoabschätzung für den Erwachsenen sollte unter Abwägung der Nachteile, aber auch der Vorteile eines Einsatzes geschehen. Nahezu in Vergessenheit geraten ist, dass seit dem Einsatz von Nitrit beziehungsweise Nitrat zur Konservierung von rohen Fleisch- und Wurstwaren das Risiko für bakterielle Intoxikationen, vor allem mit Listerien oder dem hochgif-
tigen Botulinustoxin, drastisch gesunken ist und deshalb ein völliger Verzicht mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden wäre (9, 11). Weiter ist das Risiko einer Reaktion von Nitrit im Gastrointestinaltrakt mit Aminen zu kanzerogenen Nitrosaminen lange Zeit überschätzt worden. Durch gleichzeitig aufgenommene Antioxidanzien wie Ascorbinsäure und Tocopherole sowie eine Verringerung der Nitrataufnahme mit Gemüse kann das Risiko deutlich gesenkt werden (17). Dennoch gelten strenge Richtlinien für die Verwendung von Nitrit und Nitrat. Nitrit darf nur als Nitritpökelsalz (Gemisch mit Kochsalz) in Mengen zwischen 50 und 150 mg/kg Fleischware eingesetzt werden (6). Zur Umrötung von Fleisch- und Wurstwaren sind nur Mengen von 20 mg/kg notwendig (11).
Propionsäure (E280) und Propinate (E281 bis E283) Die Propionsäure und ihr Natrium- (E281), Kalzium- (E282) oder Kaliumsalz (E283) dürfen nur in geschnittenem, abgepacktem Brot verwendet werden (6). Zwischenzeitlich waren die Substanzen in der EU nicht zugelassen, sind nun jedoch wieder gelistet. Propionsäure entsteht bei der Reifung von Emmentaler Käse aus Bernsteinsäure und ist für das typische Aroma verantwortlich (9).
Borsäure (E284) und Natriumtetraborat (E285) Die Borsäure ist in Form von «Borwasser» als äusserlich angewendetes, schwaches Antiseptikum bekannt. Da Borsäure nur langsam ausgeschieden wird und sich in Fettgewebe und im ZNS anreichert, wird die Säure oder das Salz in der Lebensmittelindustrie nur noch in Kaviar verwendet (14).
Korrespondenzadresse: Prof. Steffen Theobald, Dipl. oec. troph. Berner Fachhochschule Gesundheit Studiengang Ernährung und Diätetik Murtenstr. 10, 3008 Bern E-Mail: steffen.theobald@bfh.ch
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