Transkript
SARKOPENIE UND FRAILTY
Der Stellenwert körperlicher Aktivität im Rahmen der Prävention von Sarkopenie und Frailty
YVES J. GSCHWIND, RETO W. KRESSIG
Yves J. Gschwind
Reto W. Kressig
Physiologische Veränderungen an Organen und Körperfunktionen sind integraler Bestandteil des Alterungsprozesses. Mit zunehmendem Alter nimmt beispielsweise die maximale Kraftgenerierung ab, was zu einer Abhängigkeit im Alltag sowie zu Morbidität und Mortalität führen kann. Der Alterungsprozess führt zu einem Muskelabbau (Sarkopenie), der zwischen dem 30. und 80. Lebensjahr bis zu 30 Prozent der ursprünglichen Muskelmasse betragen kann (1). Der daraus resultierende Kraftverlust ist meist mit Mobilitätsstörungen und zunehmender funktioneller Abhängigkeit verbunden (2), was unter ungünstigen Umständen beim älteren Menschen zur Einschränkung funktioneller Reserven, verminderter Stressresistenz und Gebrechlichkeit («Frailty») führt. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken und gleichzeitig die Lebensqualität zu verbessern oder zu erhalten, nehmen körperliche Aktivität (KA), Bewegung und Sport, kombiniert mit einer ausreichenden und ausgewogenen Ernährung, einen wichtigen Stellenwert ein.
Sarkopenie
In den vergangenen zwei Dekaden hat der Begriff Sarkopenie bei Ärzten und Forschern zunehmend an Bedeutung gewonnen (3). Die Sarkopenie wird gemeinhin als alters- und geschlechtsassoziierter Muskel- und Kraftverlust eines Individuums beschrieben (2, 4). In Zahlen bedeutet dies, dass rund 50 Prozent der über 80Jährigen und 13 bis 24 Prozent der unter 70-Jährigen die Kriterien einer Sarkopenie erfüllen (5). Die Pathogenese der Sarkopenie ist multifaktoriell und kann sich als Einschränkung der Mobilität, Gleichgewichtsstörung, Beeinträchtigung des Gangbilds sowie als Funktionalitätsund Unabhängigkeitsverlust im Alltag äussern (3, 6). Die Folgen sind schwerwiegend und reichen von einer neuromuskulären Beeinträchtigung und Stürzen über die Pflege- oder Heimunterbringung bis hin zur Hospitalisation. Den altersabhängigen, physiologischen Veränderungen liegen zumeist eine Ab-
nahme der Muskelproteinsynthese, hormonelle Veränderungen, mitochondriale Dysfunktion und Apoptose zugrunde (7–9). Die genannten Faktoren bewirken eine Abnahme der Skelettmuskelmasse, die oft mit einem reduzierten Aktivitätsniveau einhergeht, was wiederum den energetischen Grundumsatz reduziert. In der Folge nimmt die Körperfettmasse zu, und es kann eine folgenschwere Kombination von Sarkopenie und Übergewicht, die sogenannte «sarcopenic obesity», entstehen (7, 10).
Frailty
Der Begriff Frailty umschreibt ein geriatrisches Syndrom der verminderten Reserven und Resistenz des menschlichen Organismus gegenüber Stressoren (4). Ursache dafür sind kumulierende Verschlechterungen mehrerer physiologischer Systeme, die die Folgen von Erkrankungen und Verletzungen negativ beeinflussen (4, 11). Pathologisch liegen
der Frailty zwei Konzepte zugrunde: Zum einen das Defizitmodell, das davon ausgeht, dass endokrine Faktoren, wie beispielsweise ein Mangel an Hormonen, Ursache der Gebrechlichkeit sind. Zum anderen das Exzessmodell, das oxidativen Stress und daraus resultierende Entzündungsvorgänge für die Frailty, die Sarkopenie und letztendlich das Altern per se verantwortlich macht (11). Frailty kann als multidimensionales (physisch, psychologisch und soziologisch) geriatrisches Syndrom verstanden werden, das gegenüber dem eindimensionalen Ansatz der Sarkopenie eine grössere klinische Relevanz hat (4). Bis dato gibt es aber auch für Frailty keine einheitliche Definition oder Klassifizierung. Beispielhaft seien hier die friedschen Kriterien (12) erwähnt, die besagen, dass für die Diagnose von Frailty mindestens drei der folgenden Bedingungen erfüllt sein müssen: Gewichtsverlust, physische und psychische Erschöpfung, Schwäche, Re-
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Gezieltes Krafttraining mit Theraband bei gebrechlichen älteren Personen.
duktion der Ganggeschwindigkeit und verminderte KA. Bei fortgeschrittenem Alter wird es jedoch zunehmend schwieriger, Frailty gegenüber den zu erwartenden Alterungsprozessen und somit auch der Sarkopenie abzugrenzen (4). Aufgrund der Ähnlichkeit der Symptome von Frailty und Sarkopenie werden hier beide Begriffe trainingsspezifisch identisch behandelt.
Der Skelettmuskel als Kraftwerk
Wird ein Trainingsreiz genügend hoch und oft gesetzt, stellen sich im Laufe der Zeit, neben den neuronalen und metabolischen, auch strukturell-morphologische sowie anatomisch-physiologische Veränderungen der Skelettmuskulatur ein. Diese Veränderungen vermögen teilweise der Atrophie, der Sarkopenie und den daraus resultierenden Verlusten an Skelettmuskelkraft entgegenzuwirken (13). Im menschlichen Organismus wird über den Glykogen/Glukose- und Fettstoffwechsel fortwährend Adenosintriphosphat (ATP) in den Mitochondrien synthetisiert, das für die Muskelkontraktion respektive die Querbrückenbildung der Aktin- und Myosinfilamente benötigt wird. Folglich ist für den Erhalt oder die Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit die absolute Anzahl der Mitochondrien in der Skelettmuskulatur massgebend. Primäres Ziel einer Bewegungsintervention soll somit die Steigerung der Mitochondriendichte im Skelettmuskel sein, die am akkuratesten mittels einer Muskelbiopsie über die Zunahme der Quer-
schnittsfläche des Skelettmuskels (Hypertrophie) gemessen werden kann. Ferner sind das Herzschlagvolumen, die Anzahl Erythrozyten sowie die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität (VO2max) wichtige Determinanten der körperlichen Leistungsfähigkeit, auf deren Ausführung in diesem Kontext jedoch verzichtet wird.
Determinanten der körperlichen Leistungsfähigkeit
Um Erfolg oder Misserfolg einer Präventionsmassnahme bei Sarkopenie oder Frailty zu messen, kommt der Proteinsynthese eine Schlüsselrolle zu, da sie bei einer ungenügenden Aktivierung eine Reduktion der Proteinvorräte im Skelettmuskel zur Folge hat (3). Da die Proteinreserven ihrerseits der Skelettmuskelmasse gleichzusetzen sind und diese massgeblich die Mobilität, Stürze, arthrotische Probleme, Osteoporosefrakturen und den funktionellen Status beeinflussen, wäre eine Degradation der Proteinsynthese insbesondere im höheren Alter verhängnisvoll (13). Die Proteinsynthese kann mittels geeigneter Trainingsreize und in Kombination mit einer zeitlich korrekt abgestimmten Proteineinnahme (min. 0,8 g/kg KG/Tag) gesteigert werden. Eine gesteigerte Proteinsynthese ist, neben weiteren trainingsinduzierten Faktoren, wie zum Beispiel durch die Mikrotraumata aktivierte Verschmelzung der Satellitenzellen mit den Muskelfasern, vornehmlich für das Zellwachstum im Skelettmuskel verantwortlich (14).
Hier gilt es festzuhalten, dass es neben einer Reduktion der Skelettmuskelmasse, eine Vielzahl von weiteren Einflussfaktoren gibt, die für die körperliche Leistungsfähigkeit massgebend sind. Als Beispiel hierfür nennen Clark und Manini (2) den neurologisch bedingten Kraftzuwachs nach Absolvierung der ersten Einheiten eines «Krafttrainingprogramms», der sich trotz ausbleibender morphologischer Veränderungen im Muskel einstellt. Grund dafür können Veränderungen im neuromuskulären System (bspw. Veränderungen im Rekrutierungsmuster oder der Synchronisation von motorischen Einheiten) sein, aber auch Veränderungen der Muskelarchitektur (verändertes Verhältnis zwischen Typ-I- und Typ-IIMuskelfasern), des Fiederungswinkels oder der Sehnensteifheit. Mit anderen Worten: Der alleinige Erhalt von Skelettmuskelmasse soll nicht als einziges Kriterium für eine wirksame präventive Bekämpfung des Kraftverlusts im Alter angesehen werden.
Trainingsindikation
Im Alter betrifft der Abbau der Muskelmasse hauptsächlich die schnellen Typ-IIMuskelfasern (9, 15). Die Typ-I-Muskelfasern, die eine geringere Mitochondriendichte aufweisen, bleiben erhalten und nehmen im Verhältnis zu den Typ-IIMuskelfasern zu. Zudem ist der altersbedingte Verlust an Skelettmuskelmasse bei den Männern stärker als bei den Frauen, die bereits in jüngeren Jahren über eine vergleichsweise verminderte absolute Skelettmuskelmasse verfügen (4). Diesen Umständen gilt es im Zusammenhang mit einer präventiven «Bewegungsintervention» besonders Rechnung zu tragen. Speziell für Frauen sollte deshalb spätestens ab 50 Jahren mit der Implementierung eines regelmässigen «Krafttrainingprogramms» begonnen werden. Eine Möglichkeit dazu bietet ein intensives, progressives Skelettmuskelkrafttraining (KT) (10). Dabei sollte insbesondere auf die Qualität der Übungsausführung geachtet werden, um allfälligen Verletzungen vorzubeugen. Generell bewirkt das KT eine vermehrte Einlagerung kontraktiler Proteine, eine Hypertrophie des
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Muskels und eine erhöhte VO2max (10, 16). Ferner können anabole Hormone, Genexpression, Insulinresistenz, Dyslipidämie, Adipositas sowie neurologische und psychologische Faktoren, die allesamt die Lebensqualität beeinträchtigen, mittels KT positiv beeinflusst werden (13, 17). Offensichtlich kann durch KT nicht nur die oft beklagte Muskelschwäche bei älteren Personen verbessert, sondern auch das habituelle Aktivitätsniveau, wie Treppensteigen oder Gehen, gesteigert werden (10).
Verschiedene Trainingsinterventionen – Evidenz aus der Literatur
Als klassische Interventionsmöglichkeit hat sich das KT als effektive Methode zur Verlangsamung des Muskelmassenverlusts sowie zur Erhaltung und zum Aufbau der Muskelkraft etabliert (8). Stellvertretend dafür konnten Wieser und Haber (18) anhand eines klassischen KT an Geräten, mit Freihanteln und am Kabelzug, einen Anstieg der Maximalkraft um bis zu 38 Prozent bei über 70-Jährigen nachweisen. Interessanterweise ergab sich kein signifkanter Kraftunterschied zwischen zwei und drei Trainingseinheiten pro Woche, was für die langfristige Implementierung eines Trainingprogramms bei älteren Personen durchaus von Bedeutung ist. Mit einem intensiven, multidimensionalen Trainingsprogramm (Kraft-, Gleichgewichts- und aerobes Training) konnten Binder et al. (19) bei älteren Personen mit sitzendem Lebensstil aufzeigen, dass sich Gleichgewicht, Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit bei den Studienteilnehmern deutlich verbesserten. Ein Übersichtsartikel von Baker et al. (20) hebt ebenfalls die Effizienz eines multidimensionalen Ansatzes hervor und rückt dabei den positiven Effekt auf die Sturzprävention bei älteren Personen ins Zentrum. In jüngster Vergangenheit hat sich das Forschungsinteresse im Zusammenhang mit KT vermehrt dem Training der Muskelschnellkraft («Power») zugewandt. Im Alterungsprozess verringert sich die Muskelschnellkraft (Kraft x Geschwindigkeit) gemäss de Vos et al. (21) schneller als die «rohe» Muskelkraft an sich. Der Verlust an Power könnte ein zusätzlicher Prädiktor
Tai-Chi für gebrechliche Patienten.
für das Sturzrisiko, Gleichgewichtsschwierigkeiten oder den funktionellen Abbau im Alter sein (22). Tatsächlich ist bei drohendem Gleichgewichtsverlust eine erfolgreiche Korrekturbewegung zur Gleichgewichtswiedererlangung massgeblich von einer schnellstmöglich mobilisierbaren Muskelschnellkraft abhängig. Diesbezüglich konnten Orr et al. (23) aufzeigen, dass ein Powertraining mit leichten Gewichten und hoher Ausführungsgeschwindigkeit das Gleichgewicht bei 70-Jährigen zu verbessern vermag. Henwood et al. (22) verglichen gängiges KT und KT mit hoher Ausführungsgeschwindigkeit und erzielten dabei vergleichbare Verbesserungen der Kraft- und Powerkomponenten. Interessant diesbezüglich ist, dass diese Resultate beim KT mit hoher Ausführungsgeschwindigkeit trotz
weniger Arbeit pro Trainingseinheit erreicht wurden. Eine neue Alternative zum hochintensiven KT mit Gewichten bietet gemäss Bogaerts et al. (15) das Vibrationskrafttraining, auch Whole Body Vibration (WBV) genannt. In seiner Studie konnte bei über 60-jährigen Männern gezeigt werden, dass WBV zu einer Zunahme von Muskelmasse und isometrischer sowie explosiver Muskelkraft führte, die mit der eines multidimensionalen «Fitnesstrainings» (KT kombiniert mit kardiovaskulärem Training, Gleichgewichts- und Beweglichkeitstraining) vergleichbar war, das nach den Kriterien des American College of Sports Medicine (ACSM)-Kriterien aufgebaut war. In Bezug auf KT bleibt jedoch offen, inwiefern sich «reine» Kraftgewinne auf die
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Verbesserung der Funktionalität im Alltag ummünzen lassen. Eine Möglichkeit für die Messung der Funktionalität im Alter bietet beispielsweise der Physical-Functional-Performance-(PFP-)10 Test (24, 25). Gegenüber einer isolierten Kraftmessung an einer Maschine zeichnet sich ein solcher Test insbesondere durch ein alltagsnahes Setting aus, das älteren Personen vertraut ist und wichtige Alltagsaktivitäten (Activities of Daily Living, ADL, u.a. Boden wischen, Einkaufstaschen tragen, Waschmaschine ausräumen) beinhaltet. Es bedarf nebst KT wohl weiterer Interventionsansätze, die vermehrt auch die Kognition in Kombination mit der motorischen Kontrolle berücksichtigen, um die funktionellen Beeinträchtigungen infolge Sarkopenie und Frailty ganzheitlich zu bekämpfen. Diesbezüglich untersuchte eine Reihe von Studien funktionelle, physiologische und psychologische Variablen sowie Umwelteinflüsse, die für Frailty im Alter verantwortlich sind. Diese Projekte widmeten sich insbesondere der Erforschung neuer Interventionsansätze und wurden unter dem Titel «The Frailty and Injuries: Cooperative Studies of Intervention Techniques» (FICSIT) zusammengefasst. Ein besonders eindrückliches Resultat gelang dabei Wolf et al. (26), die bei über 70-Jährigen mit einer moderaten Tai-ChiIntervention eine bessere Greifkraft, einen tieferen systolischen Blutdruck, weniger Sturzangst und eine beträchtliche Reduktion des Sturzrisikos (um 47,5%) gegenüber einer Kontrollgruppe mit Gleichgewichtstraining auf einer computerisierten Plattform nachweisen konnten. Zudem scheint Tai-Chi, neben einer reduzierten Sturzhäufigkeit, ebenfalls die posturale Stabilität und die Sturzangst bei älteren Personen zu verbessern (27). Als Ergänzung zum KT bietet sich ausserdem das Jaques-Dalcroze-Rhythmiktraining mit vielfältigen Bewegungs- und Übungsvariationen zur improvisierten Pianomusik an. Die Methode Jaques Dalcroze offenbarte ihr Potenzial in einer Studie von Kressig et al. (28). Die Gangzyklusdauervariabilität bei Dual-TaskAufgaben (ein Prädiktor für das Sturzrisi-
ko) war bei älteren Damen,
die über 40 Jahre ein
Rhythmiktraining besucht
hatten, gegenüber einer
jungen Kontrollgruppe
nicht signifikant verschie-
den. Offenbar bewirkt die
über die Musik gezielt ein-
gesetzte Frontalhirnstimu-
lation eine Mobilisation
von zerebralen Ressourcen
und Reserven («Hirnplasti-
zität»), die nicht nur kogni-
tive, sondern auch motori-
sche Vorteile mit sich bringen kann. Durch eine Tanzatelier in einem geriatrischen Spital.
gezielte regelmässige Ver-
bindung von Musik, Rhyth-
mus und Bewegung liessen sich damit • Ort (zu Hause, im Alters- und Pflege-
das motorische Gedächtnis stimulieren heim oder im Spital)
und Bewegungsabläufe im Alter aktiv er- • Einzel- oder Gruppentraining
leichtern (29).
• Instruktion (angeleitet oder individuell)
Das «aerobe» Training ist eine weitere be- • Ausgangsniveau (gesund, krank, multi-
deutende Komponente der Prävention morbid)
von Sarkopenie und Frailty. Das «aerobe» • Ernährungs- und Hydrationsstatus des
Training schützt vor Diabetes mellitus Trainierenden
Typ II, erhöht die funktionelle Kapazität • Art, Dauer, Intensität, Volumen und Fre-
(10), verringert das Apoptosepotenzial (8) quenz des Trainings
und schützt somit den Skelettmuskel. Bei • Spezifität der Übungen
älteren Personen ist wahrscheinlich eine • Qualität (z.B. Ausführungsgeschwin-
moderate Trainingsintensität (ca. 50% digkeit)
der Herzfrequenzreserve) aufgrund einer • Auswahl, Variation und Reihenfolge der
besseren Compliance zu bevorzugen, zu- Übungen
mal keine Unterschiede gegenüber einer • Erholung zwischen den einzelnen Übun-
höheren Intensität in Bezug auf Glukose- gen, Sätzen und Trainingseinheiten
toleranz, Insulinsensitivität oder Muskel- • langfristige Compliance
GLUT-4-Levels bestehen (10). Wie dem • Equipment (u.a. betreffend Sicherheit)
auch sei, bevor nicht ein ausreichendes • Selbstvertrauen und mentale Stärke
Kraft- und Gleichgewichtsniveau erreicht des Trainierenden.
ist, wird aus Sicherheitsgründen von Für eine erfolgreiche Standardisierung
«aerobem» Training abgeraten (13).
und Individualisierung von Trainingspro-
Implementierung von Bewegung, KA und KT
grammen ist die sinnvolle Kombination all dieser Trainingsvariablen eine grosse Herausforderung (6). Erschwerend kom-
Bewegung, KA und KT sind weit dehnbare men im hohen Alterssegment Einflussfak-
Begriffe und deshalb nicht einfach auf ein toren wie Genetik, neuropsychologische
universell anwendbares Trainingspro- Defizite, eine visuelle Beeinträchtigung,
gramm umzumünzen. Generell ist ein multiple und psychoaktive Medikation,
Vergleich der einzelnen Trainingspro- Gleichgewichts- und Gangstörungen so-
gramme oft schwierig, da grosse Unter- wie Probleme mit Alltagsaktivitäten
schiede hinsichtlich einer Vielzahl von (ADL) hinzu (31).
Trainingsvariablen bestehen (13, 20, 30): Generell sollten in den Empfehlungen zur
• Motivation (intrinsische vs. extrin- KA im Alter funktionelle «aerobe» Aktivi-
sische)
täten (z.B. Gehen) und Übungen, die eine
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Steigerung der Skelettmuskelmasse und der Muskelkraft erwirken, kombiniert werden (13). In einem weiteren Schritt ist schliesslich auch die halb- oder ganzjährliche, saisonale Periodisierung von Trainingseinheiten in Makro-, Meso- und Mikrozyklen einzuplanen. Letztlich gilt es, älteren Menschen realisierbare Aktivitätsprogramme anzubieten, die Spass machen und damit die Teilnehmer regelmässig einbinden. Nur so kann von einer nachhaltig präventiven Wirkung ausgegangen werden. Das ultimative Ziel für ein Individuum liegt schlussendlich in der Integration von Bewegung, KA und KT in den Alltag und somit weg von einer sitzenden Lebensweise hin zu einem aktiven Lebensstil.
Fazit
Prävention und Therapie der Sarkopenie und Frailty sind möglich und werden in einer demografisch alternden Gesellschaft zunehmend an Stellenwert gewinnen. Eckpfeiler zur Bekämpfung der mit Sarkopenie verbundenen funktionellen Beeinträchtigungen sind das KT (insbesondere Training der Muskelschnellkraft) mit aktiver Beteiligung der zerebral-motorischen Kontrolle (angewandte Formen wie Tai-Chi, Tanz, Rhythmik oder BetterBalance-Übungen [32]) und eine ausgewogene Ernährung mit ausreichender Protein- und Vitamin-D-Zufuhr. Ganzheitlich ausgerichtete Bewegungsprogramme, die neben soziokulturellen und ökonomischen Aspekten auch Faktoren wie Spass, Attraktivität des Programms, soziale Austauschmöglichkeiten (z.B. ein gemeinsames Abendessen im Anschluss an das Training) und die aktive Unterstützung durch Familie und Hausarzt integrieren, haben hinsichtlich Nachhaltigkeit die grössten Erfolgschancen. Denn das wichtigste Kriterium bleibt die langfristige und regelmässige Trainingsteilnahme, die primär durch eine qualifizierte Kurs- oder Programmleitung bestimmt ist, aber auch vom Trainingsort, der Trainingslokalität und der dem Zielpublikum angepassten Tageszeit abhängt (33). Zukünftige randomisierte und kontrollierte Forschungsprojekte werden weiter
Aufschluss darüber geben müssen, wie
die gemachten Bewegungs-, KA- und KT-
Trainingsempfehlungen langfristig er-
folgreich in verschiedensten Umfeldern
(z.B. Primärprävention in Stadt und Land,
Sekundärprävention in Spitälern, Alters-
und Pflegeheimen) implementiert und
praktisch umgesetzt werden können.
Korrespondenzadresse:
Yves J. Gschwind
Basel Mobility Center, Akutgeriatrie
Universitätsspital Basel
Schanzenstrasse 55
4031 Basel
E-Mail: YGschwind@uhbs.ch
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