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EEK – KOHLENHYDRATBERICHT (1)
Chemische und physiologische Aspekte von Nahrungskohlenhydraten
EVA ARRIGONI, RENATO AMADÒ
Kohlenhydrate sind nicht nur die in der Natur am weitesten verbreiteten organischen Verbindungen, sondern sie spielen auch für die menschliche Ernährung eine herausragende Rolle als quantitativ wichtigste Energiequelle. Von besonderer Bedeutung sind das pflanzliche Reservepolysaccharid Stärke und die vorwiegend in Früchten vorkommenden Mono- und Disaccharide Glukose, Fruktose und Saccharose. Aber auch in der Lebensmittelverarbeitung kommen Kohlenhydrate häufig zum Einsatz, sei es in grossen Mengen als Süssungsmittel oder als vielfältige Texturverbesserer. Ausserdem können sie aufgrund ihrer chemischen Reaktivität bei der Verarbeitung einen Beitrag zur Farb- und Geschmacksentwicklung leisten. Die chemische Einteilung von Kohlenhydraten erfolgt aufgrund der Anzahl Monomere. Zudem können Mehrfachzucker lineare oder verzweigte Strukturen bilden, was ihre physikalisch-chemischen Charakteristika und insbesondere ihre Hydratationseigenschaften stark beeinflusst. Dies ist nicht nur von Bedeutung für die Wirkungen von Kohlenhydraten in Lebensmitteln, sondern auch für ihr Verhalten im menschlichen Körper. Die physiologische Unterteilung von Kohlenhydraten unterscheidet sich von der chemischen und erfolgt einerseits aufgrund ihrer Verdaulichkeit und anderseits aufgrund ihrer Fermentierbarkeit. Verdauliche Kohlenhydrate liefern je nach Abbaubarkeit durch die menschlichen Verdauungsenzyme unterschiedlich schnell Energie. Die unverdaulichen Nahrungsfasern leisten als bioaktive Substanzen einen Beitrag zu Gesundheit und Wohlergehen. Diese lange Zeit als nicht wichtig angesehene Fraktion der Kohlenhydrate zeigt vielfältige positive Wirkungen sowohl im MagenDarm-Trakt als auch im Stoffwechsel, sodass eine Erhöhung der täglichen Zufuhr durchaus zu empfehlen ist.
Kohlenhydrate sind die in der Natur am weitesten verbreitete und auch quantitativ wichtigste Stoffklasse organischer Verbindungen. Sie nehmen bei Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen lebenswichtige Funktionen wahr als: • strukturgebendes Material (z.B. Zellulo-
se in Pflanzen, Chitin in Schalentieren) • Energiequelle (z.B. Glukose, Saccharo-
se, Laktose) • Energiereserve (z.B. Stärke in Pflanzen,
Glykogen in Tieren) • Bausteine von Nukleinsäuren (Ribose
und Deoxyribose) • Bausteine von Glykosiden (z.B. Flavonoi-
de), Glykoproteinen (z.B. Enzyme), Glykosaminoglykanen (Bindegewebe-Polysaccharide) und des Kohlenstoffskeletts von nicht essenziellen Aminosäuren.
In Lebensmitteln finden sich Kohlenhydrate einerseits als natürlicherweise vorliegende Inhaltsstoffe (Glukose, Fruktose, Saccharose, Laktose sowie Stärke und Nahrungsfasern) und anderseits als Ingredienzien, die im Lebensmittel verschiedene Aufgaben erfüllen. Mit Abstand am meisten werden Kohlenhydrate als Süssungsmittel verwendet, die unzähligen Lebensmitteln zugesetzt werden. Neben Haushaltszucker (Saccharose) kommen dafür Glukose- und zunehmend auch Fruktosesirupe zum Einsatz. Kohlenhydrate werden aber auch als Verdickungsmittel zur Erhöhung der Viskosität in Suppen, Cremes und Saucen sowie als Stabilisatoren (emulgierend in Saucen, suspendierend in trüben Fruchtsäften, Früchtejoghurts oder Schokoladegeträn-
ken oder die Kristallisation regulierend in Speiseeis und Tiefkühlprodukten) eingesetzt. Sie dienen auch als Bindemittel zur Verhinderung von Phasentrennungen in Früchtejoghurts, Fleisch- oder Tiefkühlprodukten sowie als Gelbildner in Konfitüren und Puddings. Weiter finden sie Verwendung als Überzüge von Torten und als Füllstoffe und kalorienarme Quellstoffe in Suppen sowie Biskuits. Erwähnenswert ist auch die breite Anwendung von Laktose in sehr vielen Fertigprodukten (z.B. Wurstwaren, Backwaren, Convenience-Food im Allgemeinen). Für den Menschen gehören Kohlenhydrate zu den Grundnährstoffen; sie dienen als Hauptenergieträger, aber auch als nicht verdauliche Nahrungsfasern (Ballaststoffe). Wichtigste Energiequelle für
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den Menschen ist das pflanzliche Reser- nicht verdauliche Kohlenhydrate im All- Polysaccharide 10 oder mehr Monomer-
vepolysaccharid Stärke. Damit diese als gemeinen. Demgegenüber empfiehlt die einheiten. Dementsprechend bestehen
Energielieferant genutzt werden kann, FAO/WHO, Nahrungsfasern generell mit Oligosaccharide aus 3 bis 9 Bausteinen.
muss sie im Verdauungstrakt zu Glukose 8 kJ zu berechnen.
abgebaut werden, die durch die Dünndarmwand absorbiert wird. Kartoffeln Chemische Aspekte
Mono-, Di- und Oligosaccharide Zur Gruppe der niedermolekularen Koh-
und Getreideprodukte stellen die haupt- 1. Einteilung
lenhydrate, auch Zucker genannt, gehö-
sächlichsten Stärkequellen dar. Der physi- Die quantitativ wichtigsten Lebensmittel- ren Mono-, Di- und Oligosaccharide. Glu-
kalische Brennwert, das heisst die Ener- kohlenhydrate sowie ihre hauptsäch- kose und Fruktose sind die wichtigsten
gie, die beim Verbrennen von einem lichsten Quellen und Verdaulichkeit sind Monosaccharide (Einfachzucker); sie lie-
Gramm Kohlenhydrate frei wird, beträgt in Tabelle 1 aufgelistet.
gen vor allem in Früchten, Beeren sowie
17 kJ (4 kcal). Weil bei der Verstoffwechse- Die Unterteilung in Mono-, Di-, Oligo- und gesüssten Getränken in erheblichen Men-
lung von Kohlenhydraten keine Energie Polysaccharide beruht auf der Anzahl gen vor. Galaktose kommt in freier Form –
aufgewendet werden muss, beträgt der Zuckerbausteine, die in den Molekülen ausser in fermentierten Milchprodukten –
physiologische Energiegehalt für die ver- vorliegen. In Di-, Oligo- und Polysacchari- kaum vor. Bei den Disacchariden (Zwei-
daulichen Kohlenhydrate ebenfalls 17 kJ den sind die einzelnen Monomerbaustei- fachzucker) sind vor allem Saccharose und
(1). Weiter hat die schweizerische Gesetz- ne mittels glykosidischer Bindungen mit- Laktose von Interesse. Saccharose ist in
gebung Energiewerte für Polydextrose einander verbunden. Gemäss einer Kon- ansehnlichen Mengen in Zuckerrüben
(4 kJ), Inulin (4 kJ) und Fruktooligosaccha- vention der International Union of Pure und -rohr vorhanden, während Laktose
ride (8 kJ) festgelegt, nicht aber für and Applied Chemistry (IUPAC) enthalten die relevante Kohlenstoffquelle der Milch
darstellt. Maltose ist ein
Tabelle 1: Nahrungskohlenhydrate – Hauptquellen und Verdaulichkeit
Stärkeabbauprodukt und wird als Gemisch mit ande-
Kohlenhydrat Monosaccharide Glukose (Traubenzucker)
Monomere Bausteine
Vorkommen Obst, Gemüse
Verdaulichkeit +
ren Stärkeabbauprodukten (Stärkesirup) in grossen Mengen in Fertigproduk-
Fruktose (Fruchtzucker) Galaktose Disaccharide Saccharose Laktose (Milchzucker) Maltose Oligosaccharide (OS) Raffinose, Stachyose, Verbaskose
Glukose und Fruktose Galaktose und Glukose Glukose
Galaktose, Glukose,
Obst, Gemüse fermentierte Milchprodukte
Zuckerrohr und -rüben Milch Malz, Stärkesirup
Leguminosen (Soja, Erbsen,
+ +
+ (+) +
–
ten als Süssungsmittel eingesetzt. Bei den Oligosacchariden (Mehrfachzucker) sind ausser den Stärkeabbauprodukten (Dextrine, Maltodextrine) auch Frukto- (FOS), Xylo- (XOS)
(Raffinosefamilie)
Fruktose
Bohnen usw.)
und Galaktooligosacchari-
Fruktooligomere (FOS) Xylooligomere (XOS) Galaktooligomere (GOS) Polysaccharide (PS) Stärke – Amylose – Amylopektin Nahrungsfasern
Fruktose Xylose Galaktose
Glukose
enzymatisch hergestellt enzymatisch hergestellt enzymatisch hergestellt
Getreide, Kartoffeln
– de (GOS) aus ernährungs– physiologischer Sicht inter– essant. FOS, XOS und GOS
+ werden als Präbiotika (Nahrung für Darmbakterien)
verschiedenen Lebensmit-
telprodukten beigegeben.
– Zellulose – Hemizellulosen
– Pektine
– Gummis
– Schleimstoffe
Glukose Arabinose, Xylose, Glukose, Mannose Galakturonsäure, Rhamnose, Galaktose Arabinose, Xylose, Uronsäuren, Galaktose Arabinose, Rhamnose,
Pflanzenzellwände Pflanzenzellwände
Pflanzenzellwände
Pflanzenexsudate
Algen
– Die Oligosaccharide der – Raffinosefamilie schliess-
lich, Raffinose (Tri-), Sta– chyose (Tetra-) und Ver-
– baskose (Pentasaccharid), kommen in Leguminosen
– (Hülsenfrüchten) wie Soja,
– Resistente Stärke
– Fruktane (Inulin) – Polydextrose
Uronsäuren, Galaktose Anhydro-Galaktose, Glukose
Fruktose, Glukose
Kartoffeln, Getreideprodukte
Zichorie synthetisch hergestellt
– –
Erbsen und Bohnen vor. Sie zeichnen sich durch α-galaktosidisch verknüpfte Galaktosereste aus und sind unverdaulich.
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Verdaulichkeit im oberen Gastrointestinaltrakt
ebenfalls nicht verdaubar und zählt somit zu den Nahrungsfasern.
Verdaulich Stärke, Maltooligosaccharide Glukose, Fruktose, Saccharose, Laktose
– Verdauungsrate – Absorptionsrate
➙ Glykämischer Index – Fruktose/Glukose-Verhältnis
Unverdaulich Zellulose, Hemizellulosen, Pektine, β-Glukane
Gelier- und Verdickungsmittel α-Galaktoside, Oligosaccharide
– Viskosität – Struktureigenschaften – Wasserbindungsvermögen – Fermentierbarkeit
Fermentierbar – Fermentationsrate – Ort der Fermentation – Fermentationsprodukte
Nicht fermentierbar – Wasserbindungsvermögen
Abbildung 1: Übersicht über die physiologischen Eigenschaften von Kohlenhydraten (nach [5])
Polysaccharide Die in Lebensmitteln natürlicherweise vorkommenden oder zur Erzielung bestimmter Funktionen zugegebenen Polysaccharide (Vielfachzucker) lassen sich aus ernährungsphysiologischer Sicht in zwei Gruppen einteilen. Bei der Stärke, dem pflanzlichen Reservepolysaccharid, handelt es sich um ein α-D-Glukan, bestehend aus einer linearen Fraktion, der Amylose, und einer verzweigten Fraktion, dem Amylopektin. Nativ liegt die Stärke in Form von Stärkekörnern in der Pflanze
Tabelle 2: Glykämischer Index (GI) verschiedener Lebensmittel, berechnet mit Weissbrot (GIWB) bzw. Glukose (GIG) als Standard (nach [7])
Lebensmittel Saccharose Glukose Fruktose Laktose Weissbrot Cornflakes Teigwaren Reis, parboiled Kartoffeln Linsen, rot, getrocknet Orangen Bananen Äpfel
GIWB 92 138 32 63 100 107–139 46–88 58–78 66–120 25–45 44–73 43–99 40–57
GIG 61–67 100
23 46 72 78–100 33–64 42–56 48–87 18–33 32–53 31–72 29–41
vor. Das Amylose/Amylopektin-Verhältnis variiert zwischen den Pflanzenarten. Zum Teil ist Stärke erst nach Zerstörung des Korns durch die endogenen (pflanzeneigenen) Amylasen angreifbar und verdaubar; es wird damit zur wichtigsten Energiequelle. Im Gegensatz dazu sind die Nahrungsfasern (Nicht-Stärke-Polysaccharide) per definitionem unverdaulich. Bei diesen handelt es sich hauptsächlich um die Polysaccharide der pflanzlichen Zellwand (Zellulose, ein lineares α-D-Glukan, Hemizellulosen und Pektin). Zu den Nahrungsfasern gehören aber auch pflanzliche und mikrobielle Polysaccharide, die als Zusatzstoffe zur Erzielung bestimmter physikalischer Eigenschaften oder zur Verbesserung der Textur im Einsatz sind. So spielen Pflanzengummis (z.B. Gummi arabicum), Polysaccharide aus Leguminosensamen (Guar, Carubin, Tara), Schleimstoffe aus Algen (z.B. Alginsäure, Carrageenane) und enzymresistente Stärken eine bedeutende Rolle als Nahrungsfaserquellen. Fruktane (z.B. das aus Zichorie gewonnene Inulin) gehören als unverdauliche Polysaccharide ebenfalls in die Gruppe der Nahrungsfasern und zeichnen sich zudem durch eine präbiotische Wirkung aus. Die synthetisch durch Polymerisation von D-Glukose hergestellte Polydextrose dient hauptsächlich als Füllmittel, ist
2. Physikalisch-chemische Eigenschaften Chemisch gehören die Kohlenhydrate zur Gruppe der Polyhydroxycarbonylverbindungen. Sie tragen neben mehreren Hydroxylgruppen eine reduzierend wirkende Carbonylgruppe (entweder eine Aldehyd- oder eine Ketogruppe (Aldosen und Ketosen). Zucker zeichnen sich deshalb durch eine hohe Wasseraufnahme aus, was bei zuckerhaltigen Pulvern und Granulaten durch Zusammenklumpen zu einer Verschlechterung der Löslichkeitseigenschaften führen kann. Auf der andern Seite trägt die hohe Wasseraufnahme von konzentrierten Zuckerlösungen, etwa Stärke- oder Glukosesirup, zur Feuchthaltung von Lebensmitteln bei. Mono-, Di- und Oligosaccharide sind im Allgemeinen gut wasserlöslich, während bei Polysacchariden die beteiligten Monomerbausteine (Neutralzucker, Uronsäuren) und vor allem die Struktur (linear oder verzweigt) für die Wasserlöslichkeit entscheidend sind. Die Palette reicht von vollständig unlöslichen (z.B. Zellulose, Amylose) bis zu gut quellenden, in heissem (z.B. Stärke, Carubin) oder kaltem (z.B. Guar) Wasser löslichen Polymeren. Verzweigte Polysaccharide sind besser löslich als lineare, weil durch die verzweigte Struktur Interaktionen zwischen den einzelnen Makromolekülen kleiner sind. Polysaccharide, die Carboxylgruppen tragen (z.B. Pektin, Alginat), sind im neutralen und leicht alkalischen Milieu als Alkalisalze gut löslich. Bei pH-Werten unter 3 erfolgt entweder Gelbildung oder Ausfällung. Polysaccharide mit starken sauren Gruppen (Schwefelsäureester, Phosphorsäureester wie z.B. Carrageenan oder phosphatierte Stärken) sind auch im sauren Milieu gut wasserlöslich. Je nach Polysaccharid besitzen Lösungen zum Teil selbst bei hoher Konzentration nur niedrige Viskosität (z.B. Gummi arabicum), zum Teil bereits bei niedriger Konzentration sehr hohe Viskosität (z.B. Guar). Einige Polysaccharide bilden bereits in tiefen Konzentrationen beim Abkühlen Gele aus (Alginate, Pektine), die oft beim
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Erhitzen wieder schmelzen. Die Fähigkeit, insbesondere der Polysaccharide, Wasser zu binden (Hydratationseigenschaften), ist für deren Anwendung in Lebensmitteln und auch für deren physiologische Wirkung, zum Beispiel als Nahrungsfasern, von ausserordentlicher Bedeutung.
3. Chemische Reaktivität Monosaccharide sind in neutraler und leicht saurer Lösung bei Raumtemperatur stabil. Werden schwach saure Monosaccharidlösungen erhitzt oder mit konzentrierten Säuren behandelt, wird aus den Molekülen Wasser abgespalten, und es kommt zur Bildung von Furanen. Aus Pentosen (z.B. Arabinose) entsteht Furfural, aus Hexosen (z.B. Glukose) Hydroxymethylfurfural (HMF). Die Anwesenheit von HMF in Lebensmitteln ist ein Hinweis, dass ein kohlenhydrathaltiges Lebensmittel erhitzt worden ist. Für die sensorische Qualität von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln ist die Reaktion zwischen reduzierenden Zuckern (Monosaccharide sowie reduzierende Di- und Oligosaccharide) und Aminogruppen, zum Beispiel aus Aminosäuren, von grosser Bedeutung. In einer Reaktionsfolge, der sogenannten Maillard-Reaktion, entstehen beim Erhitzen braun gefärbte Produkte sowie charakteristische Aromastoffe (2, 3). Im Allgemeinen ist die Maillardreaktion erwünscht, sie kann aber wie bei der Entstehung von Acrylamid während der Erhitzung von kohlenhydrathaltigen Produkten auch zu toxischen Stoffen führen (4).
Physiologische Aspekte
1. Physiologische Einteilung Die physiologische Unterteilung von Kohlenhydraten erfolgt aufgrund ihrer Verdaulichkeit und ihrer Fermentierbarkeit (Abbildung 1). In der Gruppe der verdaulichen Kohlenhydrate finden sich sowohl Mono- und Di- als auch Oligo- und Polysaccharide. Deren Verdauung wie auch deren Absorption verläuft unterschiedlich schnell. Dies ist insofern von grosser physiologischer Bedeutung, als dadurch der Verlauf des Blutzuckerspiegels stark beeinflusst wird. Als Mass für die Blutglukose erhöhende Wirkung von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln
wird der glykämische Index (GI) verwendet. Dieser wird im Vergleich eines Standards angegeben, dessen erhöhende Wirkung definitionsgemäss bei 100 Prozent liegt. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die GI-Werte verschiedener Lebensmittel, berechnet mit den beiden geläufigen Standards Glukoselösung und Weissbrot. Die Werte zeigen deutlich, dass die Absorptionsgeschwindigkeit der verschiedenen Zucker sehr unterschiedlich ist. Daneben beeinflussen verarbeitungsbedingte Veränderungen (z.B. Verkleisterung von Stärke, Aufschluss von Zellstrukturen) und die Partikelgrösse insbesondere die Verdauungsrate stark, während sich die Konsistenz der Nahrung sowie die Anwesenheit anderer Nährstoffe (z.B. Fett) oder von Stoffen, die Verdauungsenzyme hemmen (z.B. Amylasehemmer), eher auf die Absorptionsrate auswirken. Dies führt dazu, dass der GI auch innerhalb einzelner Produkte beträchtliche Schwankungsbreiten aufweisen kann (Tabelle 2). Für weiterführende Angaben und Daten sei auf die Literatur (6) und auf Kapitel 7 dieses Berichtes verwiesen. Obwohl sich dieses Konzept zur Klassifizierung in unterschiedliche GI-Gruppen eignet (hoher GI: ≥ 70; tiefer GI: ≤ 55), darf es nicht überbewertet werden, da auch individuelle Faktoren einen grossen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel haben. Die nicht verdaulichen Kohlenhydrate, zu denen Oligo- und Polysaccharide zu zählen sind (Abbildung 1; Tabelle 1), werden aus physiologischen Gründen als Nahrungsfasern bezeichnet. Gemäss Definition handelt es sich dabei um diejenigen Komponenten der Nahrung, die der Verdauung und der Absorption im menschlichen Dünndarm widerstehen und im Dickdarm ganz oder teilweise fermentiert werden (8). Quantitativ die grösste Bedeutung haben die Bestandteile pflanzlicher Zellwände (Tabelle 1), aber auch andere Kohlenhydrate wie resistente Stärke, nicht verdauliche Oligosaccharide sowie Gelierund Verdickungsmittel leisten einen Beitrag zur Nahrungsfaseraufnahme. Resistente Stärke kann aus verschiedenen Gründen für die menschlichen Verdauungsenzyme unzugänglich sein.
Dementsprechend wird sie in vier Typen unterteilt (9): • Typ 1 umschreibt physikalisch unzu-
gängliche Stärke, wie sie in teilweise vermahlenen Getreidekörnern oder in Samen vorkommt. • Typ 2 umfasst resistente Stärkekörner, wie sie in rohen Kartoffeln oder in grünen Bananen vorliegen (Getreidestärken sind im Gegensatz dazu in ihrer nativen Form verdaubar, wenn auch nur langsam). • Typ 3 ist definiert als retrogradierte Stärke, wie sie bei Verarbeitungsprozessen entsteht, indem nach Verkleisterung beim Abkühlen semikristalline Strukturen gebildet werden. Dies ist zum Beispiel bei altbackenem Brot, Cornflakes oder erkalteten Kartoffelprodukten der Fall. • Als Typ 4 werden diejenigen chemisch modifizierten Stärken bezeichnet, die durch Derivatisierung oder Vernetzungsreaktionen unverdaulich geworden sind und als Verdickungsmittel in verarbeiteten Lebensmitteln zur Anwendung gelangen. Trotz ihrer Unverdaulichkeit beeinflussen Nahrungsfasern die Vorgänge im oberen Verdauungstrakt. Dies ist auf ihre speziellen physikalisch-chemischen Eigenschaften zurückzuführen. Schliesslich werden sie im Dickdarm in unterschiedlichem Ausmass fermentiert, was die Abläufe in diesem Organ ebenfalls in unterschiedlicher Weise beeinflusst. Eine Übersicht über die physiologischen Wirkungen von Nahrungsfasern gibt Tabelle 3.
2. Verhalten im oberen Verdauungstrakt
Die Verdauung der Kohlenhydrate beginnt bereits in der Mundhöhle mithilfe der von den Speicheldrüsen gebildeten α-Amylase, die durch die Spaltung von 1,4-glukosidischen Bindungen im Innern der Stärkemoleküle für eine erste Zerkleinerung sorgt (Abbildung 2). Nach dem Eintritt des Nahrungsbreis in den Magen wird durch Einwirkung der Magensäure die Speichelamylase inaktiviert. Erst im Dünndarm, wo der Nahrungsbrei wieder neutralisiert wird, werden Stärke beziehungsweise deren Abbauprodukte (Dex-
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erhöhende Wirkung sowie auf die hohe
Zucker
Stärke Nahrungsfasern
Wasseraufnahmefähigkeit vorwiegend löslicher Nahrungsfasern und die damit
verbundene Volumenvergrösserung zu-
Mund
Speicheldrüsen
Speichel-Amylase
rückzuführen ist. Diese Eigenschaften führen auch im Dünndarm zu einer Ver-
langsamung der Verdauungsvorgänge
sowie zu einer Verzögerung der Nähr-
Speiseröhre
stoffaufnahme, die zudem über einen längeren Abschnitt des Dünndarms er-
folgt. Andererseits erhöhen unlösliche
Leber Dünndarm
Magen
Pankreas
Absorption von Glukose Fruktose Galaktose
Dextrine Pankreas-Amylase
Saccharose Maltose
Laktose
Maltotriose
Maltose
(Grenz)Dextrine
Nahrungsfasern die Transitgeschwindigkeit, sodass die Verweilzeit des Nahrungsbreis insbesondere im Ileum, dem letzten Abschnitt des Dünndarms, verkürzt und die Absorption von Nährstoffen tendenziell vermindert wird. Im Falle von Mine-
ralstoffen ist dieser Effekt unterschiedlich
zu bewerten. Während die Bindung toxi-
Substrate für die Dickdarmfermentation
scher Schwermetalle erwünscht ist, ist eine verminderte Bioverfügbarkeit essen-
zieller Mineralstoffe negativ zu beurtei-
Abbildung 2: Übersicht über die Verdauung von Kohlenhydraten (nach [11])
len. Dies ist nicht nur auf Viskositätseffek-
te zurückzuführen, sondern auch auf die
trine) unter Einwirkung von α-Amylase 13). Die physiologische Wirkung beginnt Tatsache, dass Pektine oder Phytinsäure
aus der Bauchspeicheldrüse (die eine hö- bereits im Mund. Die in pflanzlichen Zell- als nahrungsfaserassoziierte Substanz
here Aktivität als die Speichelamylase wänden vorwiegend unlöslich vorliegen- Kationen zu binden vermögen. Ein weite-
aufweist) weiter zu Maltose, Maltotriose den Nahrungsfasern führen zu einer Ver- rer Effekt im Dünndarm beruht auf der
und sogenannten Grenzdextrinen abge- längerung der Kauzeit und verlängern da- Bindung von Gallensäuren an Nahrungs-
baut. Die endgültige Zerlegung in Gluko- mit die Nahrungsaufnahme. Im Magen fasern. Dadurch wird deren enterohepa-
se erfolgt vorwiegend in den Mukosazel- führen sie zu einem länger anhaltenden tische Rezirkulation vermindert, was zu
len des Dünndarms mithilfe von Maltase Sättigungsgefühl, was auf die viskositäts- einer Erhöhung der Neusynthese führt.
und Isomaltase, wobei auch die 1,6-glu-
kosidischen Bindungen von Grenzdextri- Tabelle 3: Physiologische Eigenschaften von Nahrungsfasern nen, das heisst die aus Amylopektin
entstehenden Verzweigungsstellen innerhalb der Stärkeabbauprodukte, gespalten werden. Auch der Abbau von Saccharose und Laktose in ihre Monosaccharide erfolgt membrangebunden an den Mukosazellen mithilfe der dafür spezifischen Enzyme Saccharase und Laktase. Die Absorption der einzelnen Mono-
Mund – Magen – Dünndarm Erhöhte Kautätigkeit Erhöhte Magenfüllung Verzögerte Magenentleerung Verzögerte Nährstoffaufnahme
Bindung von organischen Substanzen Bindung von Mineralstoffen
➙ Reduzierte Nahrungsaufnahme ➙ Andauernde Sättigung ➙ Langsame Freisetzung des Nahrungsbreis in den Dünndarm ➙ Einfluss auf den Blutzuckerspiegel ➙ Einfluss auf den Blutinsulinspiegel ➙ Einfluss auf den Fettstoffwechsel
(Cholesterin, Gallensäuren) ➙ Einfluss auf die Mineralstoffabsorption
saccharide verläuft über spezifische Mechanismen und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Am schnellsten werden Glukose und Galaktose absorbiert, mit abnehmender Geschwindigkeit werden Fruktose, Mannose, Xylose und Arabinose
Dickdarm Fermentation Erhöhte Biomasse
Stimulierung des Wachstums Bildung von kurzkettigen
➙ Einfluss auf die Darmbeweglichkeit, Erhöhung des Stuhlgewichtes
➙ Präbiotische Eigenschaften ➙ Energie für Darmflora, Regulation des Wachstums und
aufgenommen (10). Nahrungsfasern passieren den oberen Verdauungstrakt zwar unverändert, beeinflussen aber die Vorgänge im oberen
Fettsäuren Wasserbindung durch nicht fermentierbare unlösliche Nahrungsfasern
der Differenzierung von Darmepithelzellen ➙ Weichheit und Geschmeidigkeit des Darminhalts,
erhöhte Stuhlmasse
Verdauungstrakt in vielfältiger Weise (12,
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Dazu wird Cholesterin für die Synthese der Gallensäuren abgezweigt, sodass eine Senkung des Serumcholesterinspiegels möglich wird.
– langsamere Fermentation – weniger Substrate verfügbar – Konzentration der Endprodukte reduziert
3. Verhalten im Dickdarm Nahrungsfasern und in beschränktem Masse auch nicht vollständig verdaute beziehungsweise absorbierte verdauliche Kohlenhydrate gelangen in den Dickdarm, wo sie verschiedene Auswirkungen zeigen. Nicht fermentierbare sowie schlecht fermentierbare Anteile wie Zellulose oder bestimmte Hemizellulosen (v.a. aus Getreide) behalten ihr Wasserbindungsvermögen vollständig oder teilweise (Abbildung 1). Die so gequollenen Substanzen stimulieren die Darmmotilität und führen zu einer Verkürzung der Zeit des Transits durch den Dickdarm. Durch den hohen Anteil an gebundenem Wasser werden Stuhlmasse und -volumen erhöht. Alle diese Effekte tragen zur laxierenden (abführenden) Wirkung von Nahrungsfasern bei. Der grössere Anteil der Nahrungsfasern wird aber durch die im Dickdarm ansässigen Mikroorganismen mehr oder weniger vollständig fermentiert. Die menschliche Darmflora stellt ein äusserst komplexes und biochemisch sehr aktives Ökoystem dar (14), dessen Zusammensetzung zwar erst bruchstückhaft erforscht, dessen Bedeutung für die menschliche Gesundheit aber allgemein anerkannt ist. Unverdauliche Kohlenhydrate sind für die fast ausschliesslich anaeroben Mikroorganismen die wichtigsten Substrate, aus denen sie auf verschiedensten Stoffwechselwegen Fermentationsprodukte bilden. Die Fermentation verläuft dynamisch entlang des gesamten Dickdarms (Abbildung 3). Im proximalen Dickdarm ist aufgrund der hohen Substratverfügbarkeit die Aktivität hoch, und gut fermentierbare Nahrungsfasern werden sehr effizient verstoffwechselt. Dies trifft vorwiegend auf niedermolekulare sowie auf lösliche Nahrungsfasern zu. Substrate, die sich durch Unlöslichkeit, schlechte Oberflächenzugänglichkeit und/oder einen komplexen chemischen Aufbau auszeichnen, können bis in den distalen Dickdarm gelangen, wo sie oft nur noch unvollständig
Proximaler Dickdarm – intensive KH-Fermentation – rascher Transit – tiefer pH-Wert (ca. 5,5–6,0)
Unverdaute Nahrungsbestandteile
(vorwiegend KH)
Distaler Dickdarm – weniger KH-Fermentation – pH-Wert höher – v.a. Proteinfermentation
Abbildung 3: Übersicht über die Fermentationsvorgänge im Dickdarm (nach [15])
verstoffwechselt werden. In diesem Darmabschnitt werden durch die Fermentation von Proteinen und Aminosäuren potenziell toxische Fermentationsprodukte wie Amine, Phenole und Ammoniak gebildet, die für das Auftreten verschiedener Darmerkrankungen verantwortlich gemacht werden. Deshalb ist die Verstoffwechselung von Kohlenhydraten in diesem Darmabschnitt durchaus erwünscht. Aber auch die Erhöhung der Transitzeit durch unlösliche Nahrungsfasern zeigt hier einen günstigen Effekt, da sie zu einer Verkürzung der Kontaktzeit mit unerwünschten Stoffen führt. Die wichtigsten Fermentationsprodukte, die aus Nahrungsfasern gebildet werden, sind Gase (Wasserstoff, Kohlendioxid und z.T. Methan) sowie kurzkettige Fettsäuren. Fermentationsgase sorgen dafür, dass die Stuhlmasse im Darm weitertransportiert wird, können aber bei der Aufnahme von grossen Mengen leicht fermentierbarer Nahrungsfasern (z.B. Oligosacchariden) beziehungsweise bei empfindlichen Personen zu Flatulenz führen. Allerdings ist zu vermerken, dass sich die Darmflora bei regelmässigem Konsum solcher Produkte gut an die veränderten Verhältnisse adaptieren kann. So verschwinden die unerwünschten Begleiterscheinungen nach einer Gewöhnungsphase meist, und sowohl Stuhlkon-
sistenz als auch -frequenz werden positiv beeinflusst. Die wichtigsten Vertreter der kurzkettigen Fettsäuren sind Essig-, Propion- und Buttersäure. Je nach Struktur der Nahrungsfasern werden unterschiedliche Mengen der einzelnen kurzkettigen Fettsäuren produziert. Pektine zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass hohe Mengen an Essigsäure gebildet werden (16), die Fermentation von Galaktomannanen (Guar, Carubin, Tara) liefert hohe Gehalte an Propionsäure (17), und resistente Stärken zeichnen sich durch hohe Buttersäurewerte aus (18). Physiologisch gesehen spielen kurzkettige Fettsäuren einerseits für den Stoffwechsel des Dickdarms eine wichtige Rolle. Sie sind an der Regelung des intestinalen pH-Wertes beteiligt und hemmen das Wachstum pathogener Keime. Zudem fördern sie sowohl die Wasser- wie auch die Elektrolytabsorption. Da sie weitgehend absorbiert werden, leisten sie auch einen Beitrag für den Energiehaushalt. Andererseits werden ihnen auch gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. Buttersäure dient vor allem als Energiequelle für die Darmwandzellen. Dabei soll sie auch antikanzerogene Eigenschaften zeigen, indem sie die Proliferation normaler Dickdarmzellen, aber auch den programmierten Zelltod (Apoptose) von Krebszellen im Dickdarm fördert. Propionsäure wird
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eine hemmende Wirkung auf die Cholesterinsynthese in der Leber nachgesagt, obwohl nicht mit Sicherheit nachgewiesen ist, dass die normalerweise im menschlichen Dickdarm gebildeten Mengen für diesen Effekt ausreichen. Einen Spezialfall stellen die sogenannten Präbiotika dar, die ebenfalls Teil der Nahrungsfaserfraktion sind. Neben den schon diskutierten physiologischen Eigenschaften (unter denen die ausgeprägte Gasbildung besonders zu erwähnen ist) zeichnen sich diese Kohlenhydrate dadurch aus, dass sie das Wachstum und/oder die Aktivität einer bestimmten oder einer begrenzten Anzahl von Bakterien im Dickdarm fördern, die sich positiv auf die Gesundheit des Menschen auswirken sollen (19). Dabei wird vor allem das Wachstum von Bifidobakterien und Laktobazillen, also sogenannt probiotischer Keime, gefördert. Am besten belegt ist der bifidogene Effekt. Nicht nur in In-vitro-Versuchen, sondern auch in Humanstudien konnte gezeigt werden, dass verschiedene Oligosaccharide wie FOS, GOS und XOS (vgl. Tabelle 1) sowie das Po-
lysaccharid Inulin in der Lage sind, den Anteil an Bifidobakterien in der menschlichen Darmflora zu steigern (20). Allerdings ist zu vermerken, dass dieser Effekt nur in einem begrenzten Bereich dosisabhängig ist und von der Bifidobakterienzahl vor der Intervention abhängt. Zudem zeigte sich, dass für die Aufrechterhaltung dieses bifidogenen Effektes Präbiotika regelmässig zugeführt werden müssen.
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