Transkript
ALKOHOL IN DER ERNÄHRUNG
Alkohol – Belohnungseffekte, Enthemmung und Sucht
RAINER SPANAGEL*
Alkohol ist ein Genussmittel mit einem hohen kalorischen Wert und drogenähnlichen Verstärkereigenschaften und wird deswegen auch als eine zusätzliche Nahrungsquelle konsumiert. So trägt die chronische Einnahme von Alkohol zu einer Gewichtszunahme bei, und es tritt eine Vielzahl von medizinischen Problemen auf bis hin zur Abhängigkeit und Schädigung von Organfunktionen. Der Gebrauch und Missbrauch von Alkohol betreffen alle sozialen Gruppen. Man schätzt, dass von allen Faktoren, die zur globalen Krankheitslast beitragen, Alkohol weltweit für 3,2 Prozent aller Todesfälle verantwortlich ist. In den letzten Jahren hat die Alkoholforschung enorme Fortschritte verzeichnet, und so werden heute die durch Alkohol hervorgerufenen Organschädigungen und insbesondere die Alkoholsucht besser verstanden. In diesem Beitrag werden der aktuelle Stand der Alkoholsuchtforschung skizziert und neue Behandlungswege aufgezeigt.
Alkoholabhängigkeit und Sucht, hier gleichgesetzt mit Alkoholismus, stellt klinisch ein Krankheitsbild dar, bei dem das starke Verlangen nach Alkohol zur zentralen Motivation des Verhaltens wird, sodass die normale Verhaltenskontrolle beim Patienten verloren geht, was häufig zu einer Entgleisung aus dem sozialen Umfeld führt. Neben dem Kontrollverlust beim Trinken treten andere Symptome auf, wie Toleranz, körperliche Abhängigkeit sowie Rückfallverhalten nach Abstinenzphasen. Viele Situationen können einen Rückfall provozieren: zum Beispiel plötzlicher Stress bei der Arbeit oder der Verlust eines Partners. Die meisten Menschen kommen mit Phasen starker Belastung ganz gut klar und können auch tragische Vorfälle mit der Zeit überwinden. Nicht so bei alkoholabhängigen Personen: selbst nach Jahren der erfolgreichen Abstinenz können solche Situationen unkontrollierten, exzessiven Alkoholkonsum wiederaufleben lassen. Warum ist
*Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Universität Heidelberg
das so? Um Rückfall und abhängiges Verhalten auf neurobiologischer Ebene besser verstehen zu können, sind wir auf moderne Verfahren der Kernspintomografie und auf Tiermodelle angewiesen. Insbesondere Tierversuche im Suchtbereich sind heute eine unverzichtbare Grundlage, um neurobiologische Mechanismen der Alkoholsucht zu untersuchen und dadurch neue medikamentöse Therapieverfahren zu entwickeln. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren mit Hilfe von Tierversuchen Acamprosat (Campral®) (siehe Seite 50) und Naltrexon (Nemexin®) entwickelt. Diese Medikamente werden heute als Rückfallprophylaxen eingesetzt (11).
Tiermodelle zur Untersuchung der Alkoholsucht
Seit 1940 ist bekannt, dass Nagetiere in einer Laborumgebung freiwillig Alkohol zu sich nehmen. Man nimmt an, dass freiwilliger Alkoholkonsum bei Nage- und anderen Säugetieren auch in freier Wildbahn vorkommt. In der Tat konnte vor Kurzem gezeigt werden, dass ein regel-
mässiger hoher Alkoholkonsum schon sehr früh in der Evolution der Primaten vorkam. Alkoholkonsumierende Federschwanzspitzhörnchen, die in Malaysia beheimatet sind, gehören zu den engsten lebenden Verwandten der Primaten und kommen in ihrer Ökologie und ihrem Verhalten unseren gemeinsamen Ahnen, die vor mehr als 55 Millionen Jahren gelebt haben, sehr nahe. Im Regenwald verbringt das Federschwanzspitzhörnchen die Nächte damit, vergorenen Nektar der Bertampalme zu konsumieren. Diese Palme produziert aktiv Alkohol mit dem höchsten Alkoholgehalt, der jemals in einem natürlichen Nahrungsbestandteil gefunden wurde (16). Die Palme hält ihren stark riechenden Alkoholnektar in Blütenknospen bereit, bis der Pollen reif ist, um den Besuch von bestäubenden Federschwanzspitzhörnchen zu garantieren. Der Alkoholnektar ist die Hauptnahrungsquelle dieser Tiere. Da die Bertampalme über das ganze Jahr hinweg blüht, wird der Alkoholkonsum der Spitzhörnchen chronisch. Verglichen mit dem Menschen müssten sie bei ihrem Nektarkon-
13 1/09
ALKOHOL IN DER ERNÄHRUNG
sum jeden Tag betrunken sein. In einem Lebensraum mit Raubfeinden sind durch Alkohol eingeschränkte Sinne jedoch ein tödliches Risiko. Trotzdem überleben die Spitzhörnchen in diesem eng umschriebenen Ökosystem seit Jahrmillionen. Der Grund hierfür liegt in einer erhöhten metabolischen Toleranz, sprich: die Tiere können Alkohol besser als der Mensch verstoffwechseln (16). Freiwilliger Alkoholkonsum, der häufig zusammen mit der Einnahme von schmackhaftem Futter oder wohlschmeckender Flüssigkeit beobachtet wird, kann daher als ein Bestandteil des normalen Verhaltensrepertoires einiger Säugetiere angesehen werden. Diese Beobachtungen an Spitzhörnchen in der freien Wildbahn unterstützen die Übertragbarkeit von tierexperimentellen Befunden auf den Menschen. In der Tat sind in der Alkoholforschung
Labortiere wie Ratten und Mäuse gut geeignet, um physiologische, neurochemische und molekulare Veränderungen im zentralen Nervensystem nach chronischer Alkoholaufnahme zu untersuchen. Unter Laborbedingungen können Ratten freiwillig über mehrere Monate Alkohol konsumieren. Alkohol wirkt dabei zunächst als positiver Verstärker. Die Verstärkung, das positive «Reinforcement», ist ein angenehmer Reiz (Belohnung), der auf eine Verhaltensweise folgt und dadurch die Wiederholung einer vergleichbaren Aktivität hervorruft. Überwiegend phylogenetisch alte Hirnstrukturen sind bei der Ausbildung von Verstärkungsprozessen notwendig. Diese Hirnstrukturen wurden durch intrakranielle Selbststimulationsexperimente identifiziert: Olds und Milner stellten 1954 (7) durch Untersuchungen, in denen sie das Gehirn bei
Ratten elektrisch reizten, fest, dass im Gehirn spezialisierte Bereiche vorhanden sind, die Verstärkung und zielgerichtetes Verhalten vermitteln. Wird einer Ratte ermöglicht, sich in diesen Gehirnarealen selbst elektrisch zu reizen, dann wird sie dies häufig, regelmässig und über lange Zeiträume hinweg tun. Insbesondere das Dopaminsystem des Mittelhirns reagiert sensitiv auf elektrische Selbstreizung und ist als die neurochemische Grundlage verstärkender Wirkungen identifiziert worden (17). Dopamin verursacht jedoch keine subjektiven Empfindungen wie Freude und Euphorie, hierfür sind körpereigene Opioid- und Cannabinoidsysteme zuständig (9), vielmehr übernimmt es eine «Gating»-Funktion für verstärkende Reize und signalisiert dem Gehirn, dass es sich hier für den Organismus um relevante Reize handelt. Dopaminerge Mittel-
ALKOHOL IN DER ERNÄHRUNG
hirnneurone, die an der Vermittlung von positiver Verstärkung beteiligt sind, haben ihren Ursprung in der Area ventralis tegmentalis und projizieren zu Strukturen, die eng mit dem limbischen System verbunden sind, hauptsächlich zur «Shell»-Region des Nucleus accumbens. Nicht nur natürliche Belohnungsreize wie Futter, Wasser und sexuelle Aktivität steigern die Dopaminfreisetzung in der «Shell»-Region des Nucleus accumbens, sondern auch Alkohol und eine Vielzahl von Drogen, die vom Menschen missbraucht werden (2). Positive Verstärkungsprozesse, die durch Alkohol initiiert werden und die zu weiterem Alkoholkonsum führen, sind von genetischen Faktoren und einer Vielzahl von Umweltfaktoren abhängig. Zum Beispiel können stressvolle Ereignisse einen entscheidenden Einfluss nehmen (15). Der Alkoholkonsum wird dementsprechend reguliert und angepasst, das Verlangen nach Alkohol steigt oder lässt nach. Sämtliche hierfür relevanten Variablen werden vom mesolimbischen dopaminergen Belohnungssystem integriert und der Alkoholkonsum entsprechend angepasst. Über die Zeit entsteht so ein schwankender, jedoch kontrollierter Konsum, zum Beispiel das soziale Trinken. Bei zunehmendem Alkoholkonsum kann jedoch die positive Verstärkung in den Hintergrund treten. Dies lässt sich auch bei Ratten nach Langzeitkonsum beobachten. Nimmt man den Ratten nach chronischer Alkoholaufnahme den Alkohol für einige Tage weg, treten körperliche und psychische Entzugserscheinungen auf, und die erneute Verfügbarkeit von Alkohollösungen führt zu einem deutlichen vorübergehenden Anstieg der Alkoholaufnahme. Dies nennt man den Alkoholdeprivationseffekt. Nach mehreren Monaten freiwilligen Alkoholkonsums und wiederholten Entzugsphasen ist die Drogeneinnahme, die einer Entzugsphase folgt, nicht nur durch den Alkoholdeprivationseffekt gekennzeichnet, sondern es treten auch Veränderungen des Alkoholtrinkmusters auf, und zwar dergestalt, dass die Tiere grosse Mengen hochkonzentrierter Alkohollösung zu aussergewöhnlichen Zeiten aufnehmen, zum Beispiel während
der Lichtphase im Tierhaus, in der die Tiere normalerweise inaktiv sind und die Trinkaktivität niedrig ist (10). Interessanterweise überdauert der Alkoholdeprivationseffekt bei langzeitig alkoholerfahrenen Ratten sehr lange Abstinenzperioden. Der selbst nach mehreren Monaten Abstinenz auftretende Alkoholdeprivationseffekt zeigt die Existenz eines spezifischen «Alkoholgedächtnisses» (10). Ähnliches ist auch bei Alkoholikern zu beobachten, die sogar noch nach langjähriger Abstinenz leicht einen Rückfall bekommen können. Unkontrolliertes Trinkverhalten während eines Akoholdeprivationseffekts lässt sich durch Chininvergällungsversuche darstellen (10). Dabei wird Chinin der Alkohollösung hinzugefügt, aber nicht dem Leitungswasser. Chinin ist eine sehr bitter schmeckende Substanz, die bei Ratten im Allgemeinen eine starke Geschmacksaversion hervorruft. Trotz dieser starken Geschmacksaversion nehmen Ratten nach einer Entzugsphase grosse Mengen der chininhaltigen Alkohollösung zu sich. Alkoholaufnahme und -präferenz sowie der zeitliche Verlauf des Alkoholdeprivationseffekts sind denen der Kontrolltiere ähnlich, die genau dieselbe experimentelle Vorgeschichte hatten, deren Alkohol jedoch nicht mit Chinin vergällt ist. Diese Ergebnisse zeigen, dass die auf eine Entzugsphase folgende Alkoholaufnahme bei langzeitig Alkohol trinkenden Ratten resistent ist gegenüber der Modifikation durch Geschmacksveränderung, mit anderen Worten, das Trinkverhalten wird bis zu einem gewissen Grad zwanghaft und unkontrolliert. Zusammengefasst finden sich in diesem Tiermodell einige der Kriterien wieder, die in der vierten Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Handbuchs der Psychischen Störungen (DSM-IV) zur Diagnose einer Alkoholabhängigkeit/-sucht aufgeführt sind. Die Tiere zeigen somit ein abhängiges Verhalten, das weniger durch positive Verstärkungsprozesse, sondern vielmehr durch negative Verstärkungsprozesse angetrieben wird, die insbesondere durch eine zentrale Übererregbarkeit und einen aversiven emotionalen Status getriggert werden. Negative Verstärkung führt zu Vermeidungsreak-
tionen. Ein alkoholabhängiger Patient, der im Entzug beziehungsweise konditionierten Entzug eine zentrale Übererregbarkeit und einen aversiven emotionalen Zustand erfährt, versucht diesen Zustand durch weiteres exzessives Trinken zu vermeiden. Die Lust und Freude am Alkoholkonsum, die ein sozialer Trinker erfährt, wird zum zwanghaften Konsum beim abhängigen Trinker. Die Glutamathypothese des Alkoholismus besagt, dass eine Unausgewogenheit zwischen glutamaterger Erregung und gabaerger Inhibition zu einer zentralen Übererregung führt. Hierfür scheinen insbesondere verschiedene hypertrophe Adaptationsmechanismen im glutamatergen System verantwortlich zu sein (3, 14). Spezifische neuroadaptive Prozesse treten auch in der Amygdala auf. Die Amygdala ist in der Ausprägung emotionaler Zustände involviert. Ein Schlüsselmechanismus in der Entstehung aversiver emotionaler Zustände scheint die Rekrutierung des cortikotropinfreisetzenden Hormons (CRH) zu sein, das eine erhöhte Aktivität zeigt. So wurde insbesondere in der Amygdala konsistent eine erhöhte Dichte von CRHRezeptoren nach exzessivem Alkoholkonsum nachgewiesen (5).
Die Rolle des glutamatergen Systems bei Alkoholsucht
Die Funktion des glutamatergen Systems wird durch Alkohol stark beeinflusst. 70 Prozent unserer erregenden Synapsen sind glutamaterg, und die Funktionalität ionotroper Glutamatrezeptoren wird durch Alkohol verändert. Zahlreiche Mikrodialysestudien zeigen, dass Alkoholkonsum in verschiedenen Gehirnregionen zu einer Verminderung von extrazellulärem Glutamat führt (3, 9). Der Mechanismus, der hinter der hemmenden Wirkung hoher berauschender Dosierungen von Alkohol auf die Glutamatfreisetzung steht, ist noch nicht vollständig aufgeklärt, jedoch werden in diesem Zusammenhang direkte Alkoholwirkungen an spannungsabhängigen Kalziumkanälen und gabaergen Interneuronen diskutiert. Die hemmende Wirkung von Alkohol führt bei chronischem Konsum zu verschiedenen neuroadapti-
15 1/09
ALKOHOL IN DER ERNÄHRUNG
resultiert jedoch nicht nur
in einer erhöhten Rezep-
tordichte, vielmehr wird die
Zusammensetzung von
NMDA-Rezeptoren spezi-
fisch verändert, das heisst,
nur bestimmte Unterein-
heiten und Splicevarianten
werden hochreguliert und
somit die spezifische Funk-
tionalität des Rezeptors
verbessert. Umbauprozes-
se von Rezeptorunterein-
heiten finden auch an
anderen ionotropen Gluta-
matrezeptoren statt. Ins-
besondere scheint die
Rekrutierung von GluR1-
beinhaltenden AMPA-Re-
zeptoren süchtiges Verhal-
ten mitzutriggern (6). In
der Tat findet sich in vivo
bei langzeitig Alkohol trin-
kenden Ratten eine erhöh-
te NMDA- und AMPA-Re-
zeptorfunktionalität, die
zu einer Übererregbarkeit
Federschwanzspitzhörnchen (Bild: Annette Zitzmann)
des zentralen Nervensystems während Alkoholent-
zug und Abstinenz führt
(9). Aus diesen Überlegun-
ven Prozessen innerhalb des glutamat- gen heraus stellen ionotrope Glutamatre-
ergen Systems. So ist nach chronischer zeptoren vielversprechende pharmakolo-
Alkoholaufnahme die extrazelluläre Glu- gische «Targets» zur Behandlung von
tamatkonzentration während des Ent- alkoholabhängigem Verhalten dar.
zugs erhöht, und erhöhte Glutamatspiegel korrelieren mit dem Auftreten Die Rolle des CRH-Systems bei verschiedener Entzugssymptome, insbe- Alkoholsucht
sondere auch von Krampfanfällen. Durch CRH (Corticotropin-releasing Hormon) ist
wiederholte Entzüge verstärkt sich die ein 41-Aminosäuren-Polypeptid, das
Glutamatfreisetzung weiter, parallel dazu 1981 als hypothalamisches Neuropeptid
kann sich auch die Entzugssymptomatik identifiziert wurde. Seine primäre Funkti-
verstärken («Kindling»-Phänomen). Fer- on ist die Steuerung der endokrinen
ner konnten auch erhöhte Glutamatspie- Stressachse. CRH steuert jedoch nicht nur
gel bei konditionierten Entzugsphäno- die hormonelle Antwort auf Stress, son-
menen nachgewiesen werden (3, 9). dern koordiniert auch eine ganze Reihe
Adaptive Prozesse auf molekularer Ebene von Verhaltensweisen, die geeignet sind,
finden sich auch an ionotropen Glutamat- eine Stresssituation zu bewältigen, wie
rezeptoren, insbesondere dem N-Methyl- beispielsweise Angst und Fluchtverhal-
D-Aspartat-(NMDA-)Rezeptor. Um die aku- ten. Im Gehirn ist CRH im limbischen Sys-
te hemmende Wirkung von Alkohol auf tem (insbesondere in der Amygdala) ak-
die Glutamatfreisetzung auszugleichen, tiv, also in Regionen, die das emotionale
findet eine Hochregulation von NMDA- Verhalten vermitteln. Zu den Rezeptoren,
Rezeptoren statt. Diese Hochregulation die das CRH-Signal hauptsächlich im lim-
bischen System aufnehmen und weitertransportieren, gehört der CRH-Rezeptor Typ 1 (CRH-R1). Um die physiologische Funktion dieses Rezeptors zu untersuchen, wurden Mäuse gezüchtet, die einen Defekt im CRH-R1-Gen tragen. Anhand dieser Mausmutanten konnte gezeigt werden, dass CRH-R1 die Freisetzung von Stresshormonen reguliert und das Angstverhalten steuert: Mäuse mit CRH-R1-Defekt sind weniger ängstlich als entsprechende Kontrolltiere (12). Diese Tiere stellen daher ein ideales Tiermodell dar, um den Zusammenhang zwischen Stress und Alkoholmissbrauch zu untersuchen. Hierzu wurden die Käfige der Mäuse mit Flaschen ausgestattet, die Wasser und Alkohol enthielten. Sowohl die Kontrollmäuse als auch die Tiere mit dem CRH-R1-Gendefekt waren zunächst Gelegenheitstrinker und tranken eher Wasser als Alkohol. Doch nach einigen Wochen unter sozialem Stress, zum Beispiel durch einen fremden Artgenossen im Käfig, stieg der Alkoholkonsum der Mausmutanten um das Dreifache. Dieser erhöhte exzessive Alkoholkonsum persistierte ein Leben lang, während die Kontrollmäuse ohne Gendefekt nach der Stresssituation wieder zu normalen Trinkgewohnheiten zurückkehrten (8). Ähnliche Befunde wurden bei einer alkoholpräferierenden Rattenlinie erhoben – in diesen msP-Ratten wurde eine genetische Variante im CRH-R1-Gen gefunden, die zu einer erhöhten CRH-R1-Rezeptordichte führt. Diese Tiere zeigen einen exzessiven Alkoholkonsum und sind besonders empfindlich auf stressinduzierten Alkoholkonsum (4). In Folge dieser tierexperimentellen Erkenntnisse konnten jetzt auch wiederholt bei genetischen Analysen alkoholabhängiger Patienten bestimmte genetische Varianten des humanen CRH-R1-Gens mit exzessivem Alkoholkonsum bei erhöhter Stressbelastung in Verbindung gebracht werden (1, 13).
Zusammenfassung
Mithilfe von Tierversuchen in der Alkoholsuchtforschung konnten grundlegende neurochemische und molekulare Mechanismen gefunden werden, die in
1/09
16
ALKOHOL IN DER ERNÄHRUNG
der Ausprägung von abhängigem Verhalten involviert sind. Neben anfänglichen Veränderungen im dopaminergen Belohnungssystem spielen hauptsächlich adaptive molekulare Veränderungen im glutamatergen System und beim CRHSystem eine entscheidende Rolle bei der Suchtentwicklung. Insbesondere stehen konditionierte Entzugsphänomene und stressbedingtes Rückfallverhalten in einem direkten Zusammenhang mit einem hypertrophen glutamatergen und CRHSystem.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Rainer Spanagel Leiter der Abteilung für Psychopharmakologie Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Universität Heidelberg J5 D-68159 Mannheim E-Mail: rainer.spanagel@zi-mannheim.de
Literatur: 1. Blomeyer D, Treutlein J, Esser G, Schmidt MH, Schumann G, Laucht M, Interaction between CRHR1 gene and stressful life events predicts adolescent heavy alcohol use. Biol Psychiatry 2008; 63, 146–151. 2. Di Chiara G, Imperato A, Drugs abused by humans preferentially increase synaptic dopamine concentrations in the mesolimbic system of freely moving rats. Proc Natl Acad Sci USA 1988; 85, 5274–5278. 3. Gass JT, Olive MF, Glutamatergic substrates of drug addiction and alcoholism. Biochem Pharmacol 2008; 75, 218–265. 4. Hansson AC, Cippitelli A, Sommer WH, Fedeli A, Bjork K, Soverchia L, Terasmaa A, Massi M, Heilig M, Ciccocioppo R, Variation at the rat Crhr1 locus and sensitivity to relapse into alcohol seeking induced by environmental stress. Proc Natl Acad Sci USA 2006; 103, 15236–15241. 5. Heilig M, Koob GF, A key role for corticotropin-releasing factor in alcohol dependence. Trends Neurosci 2007; 30, 399–406. 6. Kauer JA, Malenka RC, Synaptic plasticity and addiction. Nat Rev Neurosci 2007; 8, 844–858. 7. Olds J, Millner P, Positive reinforcement produced by electrical stimulation of septal area and other regions of the rat brain. J Comp Physiol Psychol 1954; 47, 419–426. 8. Sillaber I, Rammes G, Zimmermann S, Mahal B, Zieglgänsberger W, Wurst W, Holsboer F, Spanagel R, Enhanced and delayed stress-induced alcohol drinking in mice lacking functional CRH1 receptors. Science 2002; 296, 931–933. 9. Spanagel R, Alcoholism – a systems approach from molecular physiology to behavior. Physiol Rev 2009 [Epub ahead of print]
10. Spanagel R, Hölter SM, Long-term alcohol self-administration with repeated alcohol deprivation phases: an animal model of alcoholism? Alcohol Alcoholism 1999; 34, 231–243. 11. Spanagel R, Kiefer F, Drugs for Relapse Prevention of Alcoholism – 10 Years of Progress. Trends Pharmacol Sci 2008; 29, 109–115. 12. Timpl P, Spanagel R, Sillaber I, Kresse A, Reul JM, Stalla GK, Blanquet V, Steckler T, Holsboer F, Wurst W, Impaired stress response and reduced anxiety in mice lacking a functional corticotropin-releasing hormone receptor 1. Nat Genet 1998; 19, 162–166. 13. Treutlein J, Kissling C, Frank J, Wiemann S, Dong L, Depner M, Saam C, Lascorz J, Soyka M, Preuss UW, Rujescu D, Skowronek MH, Rietschel M, Spanagel R, Heinz A, Laucht M, Mann K, Schumann G, Genetic association of the human corticotropin releasing hormone receptor 1 (CRHR1) with binge drinking and alcohol intake patterns in two independent samples. Mol Psychiatry 2006; 11, 594–602. 14. Tsai G, Coyle JT, The role of glutamatergic neurotransmission in the pathophysiology of alcoholism. Annu Rev Med 1998; 49, 173–184. 15. Uhart M, Wand GS, Stress, alcohol and drug interaction: an update of human research. Addict Biol 2009; 14, 43–65. 16. Wiens F, Zitzmann A, Lachance MA, Yegeles M, Pragst F, Wurst FM, von Holst D, Guan SL, Spanagel R, The missing drink: the bertam palm of West-Malaysis gets wild mammals to chronically consume alcohol. Proc Natl Acad Sci USA 2008; 105, 10426–10431. 17. Wise RA, Rompre PP, Brain dopamine and reward. Ann Rev Psychol 1989; 40, 191–225.
17 1/09