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NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL
Regulatorische Aspekte und gesundheitsbezogene Angaben von Nahrungsergänzungsmitteln
TIM ADETONA, BURKHARD KRIWET
Tim Adetona
Die positive Bedeutung von Lebensmitteln für Gesundheit und Wohlbefinden ist seit Urzeiten bekannt. Heute werden Lebensmittelprodukte gerade in dieser Hinsicht stark vermarktet, wobei man sich unterschiedlicher Aussagen bedient, mit denen die nährstoff- und gesundheitsbezogenen Vorteile herausgestellt werden sollen, die sich aus dem Verzehr ergeben. Daher erachteten es sowohl die Staaten der Europäischen Union (EU) als auch die Schweiz als zwingend erforderlich, die Angaben auf Lebensmitteln und Lebensmittelprodukten gesetzlich zu regeln, um Falschinformationen zu vermeiden und so den Verbraucherschutz zu gewährleisten.
Der vorliegende Artikel
geht – stellvertretend für
den gesamten Lebensmit-
Burkhard Kriwet
telbereich – vor allem auf jene Kategorie ein, die hier im Fokus steht, nämlich
die sogenannten Nah-
rungsergänzungsmittel. Ihre Abgrenzung
zu Arzneimitteln ist nicht immer einfach.
So ergaben sich immer wieder Fälle, wo
Produkte in einem Land als Lebensmittel,
im anderen als Arzneimittel eingestuft
wurden; die Folge waren häufig Rechts-
streitigkeiten. Den Herstellern, Gross-
händlern und Importeuren von Lebens-
mitteln und Lebensmittelprodukten
fehlte die zuverlässige rechtliche Grund-
lage für ihre europaweiten Geschäfte. Die
EU reagierte darauf mit der Einführung
mehrerer Verordnungen und Richt-
linien. Eine davon ist die Verordnung
1924/2006 EU (Health-Claims-Verord-
nung), die nährstoff- und gesundheits-
bezogene Angaben auf Lebensmitteln
grundlegend regelt, um unter anderem
zu gewährleisten, dass sie klar, genau und
wissenschaftlich fundiert sind. Dazu ge-
hört auch die Verordnung 1925/2006 EU,
die den Zusatz von Vitaminen, Mineralien
und anderen Stoffen zu Lebensmitteln re-
gelt. Diese beiden Verordnungen sind seit dem 1. Juli 2007 in Kraft. In der Schweiz sind neu seit dem 1. April 2008 nährwertund gesundheitsbezogene Angaben zu Lebensmitteln zulässig; diese Regelungen wurden aus der EG-Verordnung 1924/2006 übernommen. Nachfolgend soll auf den aktuellen Stand der Umsetzung und auf die rechtliche Situation in der Schweiz näher eingegangen werden.
Was sind Nahrungsergänzungsmittel?
Nach der Definition der EU (Richtlinie 2004/45/EC) handelt es sich bei Nahrungsergänzungsmitteln um Lebensmittel, die 1. dazu bestimmt sind, die Ernährung zu
ergänzen 2. ein Konzentrat von Nährstoffen und
sonstigen Substanzen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung darstellen 3. in genau dosierten festen oder flüssigen Darreichungsformen in den Handel gebracht werden. Aus diesen Definitionen ergeben sich folgende Begriffe, aus denen sich ableiten
lässt, wann ein Nahrungsergänzungsmittel vorliegt und wann nicht.
Lebensmittel Substanzen, die nicht in Lebensmitteln vorkommen, können auch nicht als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt gebracht werden. Damit werden zahlreiche synthetische Substanzen, die als Wirkstoffe in Arzneimitteln verwendet werden, ausgeschlossen.
Konzentrat Die zur Nahrungsergänzung angebotenen Nährstoffe liegen in konzentrierter Form vor. Lebensmittel, die nicht aufbereitet sind und die die wertbestimmenden Substanzen nicht in konzentrierter Form enthalten, wären demnach nicht als Nahrungsergänzungsmittel anzusehen (z.B. ein Gemüsepulver).
Dosierte Darreichungsformen Ziel dieser Regel ist die genaue Dosierbarkeit und exakte Deklaration der zur Substitution eingesetzten Nährstoffe. Durch die Verwendung der klassischen Arzneiformen (z.B. Kapseln, Tabletten, Tropfen) scheinen sich die Grenzen zwischen Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel
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zu überlappen. Ohne den Inhalt der Be- des Begriffs «sonstige Stoffe mit ernäh- sind. Die Intention des BAG ist dabei die
gleittexte auf Packung und Beipackzettel rungsphysiologischer Wirkung» – von Einhaltung der allgemeinen Ziele der
zu kennen, wissen weder Konsumenten sehr liberal (z.B. in den Benelux-Staaten Lebensmittelgesetzgebung, insbesonde-
noch Fachleute, ob es sich bei einem Blis- und Grossbritannien) bis zu restriktiv (z.B. re des Gesundheitsschutzes (keine phar-
ter mit Filmtabletten um ein Nahrungser- in Deutschland). Die Schweiz ist hier sogar makologische Wirkung) und des Täu-
gänzungsmittel oder ein Arzneimittel als sehr restriktiv anzusehen – zum einen schungsschutzes (kein Vorgaukeln eines
handelt. Hinter der Forderung an eine do- durch die Bewilligungspflicht neuer Arzneimittels) bei zugesetzten Stoffen.
sierte Form steht jedoch indirekt auch ei- pflanzlicher Zusätze in Nahrungsergän- Das sicherste Zeichen, dass es sich bei ei-
ne Hygienemassnahme, die sich bei Nähr- zungsmitteln, zum anderen durch die In- nem Produkt um ein Nahrungsergän-
stoffen in abgepackter Form besser terpretation der Abgrenzung zwischen Le- zungsmittel handelt, ist die Pflichtdekla-
erfüllen lässt.
bensmittel und Arzneimittel, wie sie in der ration «Nahrungsergänzungsmittel» auf
vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Packung. Daneben erfolgt die Nähr-
Ergänzung der Ernährung
von der Swissmedic gemeinsam herausge- wertkennzeichnung bezogen auf die
Die Einnahme eines Nahrungsergän- gebenen Abgrenzungsliste (Einstufung Tagesdosis. Im Gegensatz zu Arzneimit-
zungsmittels erfolgt mit dem Ziel der Ge- von pflanzlichen Stoffen als Arzneimittel teln sind auch alle übrigen Zutaten zu
sunderhaltung und der normalen Ent- oder Lebensmittel) zum Ausdruck kommt. deklarieren. Zu beachten ist noch die
wicklung des Organismus. Damit erfolgt Reguliert ist der Bereich der Nahrungser- Unterscheidung zwischen Nahrungser-
eine deutliche Abgrenzung gegenüber gänzungsmittel in der Schweiz über ver- gänzungsmitteln und der Kategorie «Diä-
Arzneimitteln und ihrer
tetische Lebensmittel für
Zweckbestimmung, der Heilung und Linderung von Krankheiten, sowie gegenüber einer anderen
« Die neue Health-Claims-Verordnung »birgt grosse Herausforderungen für Marketing,
Forschung und Entwicklung.
besondere medizinische Zwecke», die Anfang 2007 neu in die Verordnung über Speziallebensmittel aufge-
Kategorie spezieller Le-
nommen wurde. Diese Kate-
bensmittel, den diätetischen Lebensmit- schiedene Gesetze und Verordnungen gorie ist für Personen gedacht, die an
teln, die bei verschiedenen Krankheiten des Lebensmittelrechts. Durch die Neu- einer Krankheit leiden und einer spezifi-
oder Absorptionsstörungen eingesetzt gliederung des Lebensmittelrechts An- schen Ernährung bedürfen. Daher dürfen
werden.
fang 2006 ist inzwischen eine rechtliche beziehungsweise müssen hier die spezi-
Angleichung an die EU erfolgt. Die Ver- fischen Anwendungsgebiete mit der
Nährstoffe und sonstige Stoffe
ordnung über Speziallebensmittel um- entsprechenden Erkrankung in Zusam-
Während die Nährstoffe als Vitamine und fasst diverse Kategorien, insbesondere al- menhang gebracht werden, was bei Nah-
Mineralstoffe einschliesslich der Spuren- le Lebensmittel, die für eine gezielte rungsergänzungsmitteln nicht erlaubt ist.
elemente sehr genau definiert sind, lässt der Begriff «sonstige Stoffe» mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung (fast) alles offen, da er nur
ernährungsphysiologische Wirkung verwendet werden beziehungsweise die für Menschen bestimmt sind, die aus gesundheitlichen Gründen eine spezifische
Wie erfolgt die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln?
schwer einzugrenzen ist. In der Regel Ernährung benötigen (z.B. glutenfrei, Nach der EU-Richtlinie 2001/83/EC, er-
handelt es sich dabei um chemisch defi- kochsalzarm, eiweissangereichert etc.). gänzt durch Richtlinie 2004/27/EC, gibt es
nierte Substanzen, die durch Extraktion Die Nahrungsergänzungsmittel stellen zwei grundsätzliche Kriterien, wann ein
oder andere Aufbereitungsarten aus na- nur eine dieser Kategorien dar (Artikel 22 Produkt ein Arzneimittel darstellt:
türlichen Ursprungsmaterialien gewon- der Verordnung); die Anforderungen sind 1. Das Produkt wird als Arzneimittel prä-
nen werden. Wissenschaftlich weitge- jedoch detailliert aufgeführt, so zum Bei- sentiert (= Präsentationsarzneimittel).
hend akzeptiert sind hier:
spiel die für Nahrungsergänzungsmittel Ein Produkt, das zur Heilung oder Ver-
• Ballaststoffe
zulässigen Stoffe (Anhang 13) und die zu- hütung menschlicher Krankheiten be-
• Fettsäuren wie Eicosapentaensäure, lässigen Verbindungen (z.B. die diversen stimmt ist, ist als Arzneimittel anzuse-
Docosahexaensäure, Linolsäure, Alpha- Salze) dieser Stoffe (Anhang 14). Wenn die hen. Dabei muss es nicht einmal eine
Linolensäure
Produkte den Anforderungen entspre- reelle Wirkung besitzen – das Kriterium
• Carotinoide wie Lutein, Lycopen
chen, sind sie nach einer Notifikation an bezieht sich vielmehr auf die Indikati-
• Coenzym Q10.
das BAG frei verkäuflich. Diese Notifikati- onsaussage. Wird also eine beliebige
Bis heute fehlt hier, wie auch für soge- onspflicht kennen auch andere europäi- Substanz als Arzneimittel präsentiert
nannte «Botanicals» (Pflanzenpulver, Ex- sche Staaten, jedoch ist man dort bei den (z.B. durch die Deklaration «Arzneimit-
trakte, etc.), jegliche Harmonisierung. In Inhaltsstoffen liberaler. In der Schweiz gilt tel» auf der Packung oder durch Anga-
den EU-Staaten bestehen dazu erhebli- nämlich eine Bewilligungspflicht für Stof- be einer Indikation im Beipackzettel),
che Unterschiede in der Interpretation fe, die nicht im Anhang 13 aufgeführt wird sie rechtlich auch als Arzneimittel
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angesehen. Liegt für diese Substanz jedoch keine Zulassung als Arzneimittel vor, schreitet die Überwachungsbehörde ein, da es sich dann entweder um ein Lebensmittel mit unzulässiger Heilanpreisung oder um ein nicht zugelassenes Arzneimittel handelt. Es geht in dieser Kategorie also zunächst nicht um die Wirkung, sondern um die Wirkaussage und die subjektive Wahrnehmung durch die Anwender. Ein Arzneimittel kann aber auch zur Prävention von Krankheiten eingesetzt werden – hier wird die Grenze zum Nahrungsergänzungsmittel unscharf. Eine mögliche Abgrenzung zwischen diesen Begriffen könnte lauten: Die Indikation für ein Arzneimittel ist die Therapie und Prävention von Krankheiten, die Indikation für ein Nahrungsergänzungsmittel dagegen die Gesunderhaltung des menschlichen Organismus. Aus dem Gesagten wird offensichtlich, dass die Unterschiede eher semantischer Natur sind. 2. Das Produkt besitzt die Eigenschaften eines Arzneimittels (= Funktionsarzneimittel). Alle verabreichten Stoffe, die entweder eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Funktion haben und die physiologischen Funktionen des menschlichen Organismus wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen sollen, fallen unter dieses Kriterium. Bei dieser Kategorie geht es also nicht um die Wirkaussage, sondern um die objektive Wirkung. Bei der Einstufung als Funktionsarzneimittel sind vor allem folgende Punkte zu berücksichtigen: • Zusammensetzung, chemische Eigenschaften der Inhaltsstoffe • Pharmakologische Eigenschaften und ihre Gewichtung gegenüber einer ernährungsphysiologischen Wirkung • Auswirkungen auf den Stoffwechsel • Verbraucherpraxis. Natürlich können auch Inhaltsstoffe von Lebensmitteln eine gewisse pharmakologische Wirkung entfalten und – ganz sicher sogar – einen Einfluss auf den Stoffwechsel haben, aber solange diese Wirkungen nicht über das hinaus-
gehen, was beim Verzehr eines Lebensmittels ausgelöst wird, ist das Produkt nicht als Arzneimittel anzusehen. Also kann trotz objektiver pharmakologischer Wirkung ein Nahrungsergänzungsmittel nicht a priori als Arzneimittel gelten, wenn sich die zugeführte Nährstoffkonzentration in der Grössenordnung der mit der normalen Nahrung aufgenommenen Menge bewegt. Die Frage, ob ein Funktionsarzneimittel vorliegt, lässt sich also nicht an einem einzelnen Kriterium festmachen, sondern nur in der Betrachtung aller Faktoren: Handelt es sich um ein Lebensmittel mit überwiegend ernährungsphysiologischer Wirkung für den Aufbau und Unterhalt des Organismus oder um ein Arzneimittel mit überwiegend pharmakologischer Wirkung zu medizinischen Zwecken? Dieser europäische Arzneimittelbegriff mit Präsentations- und Funktionsarzneimittel ist in den einzelnen Staaten der EU noch nicht vollständig harmonisiert; so enthält das deutsche Arzneimittelgesetz eine andere Definition. Grundsätzlich ist der Begriff jedoch allgemein anerkannt und wird bei der Rechtsprechung in den EU-Staaten angewendet. Auch in der Schweiz gelten diese Kriterien zur Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln, und zwar über die entsprechenden Definitionen im Heilmittel(Artikel 4) und Lebensmittelgesetz (Artikel 3). Eine Einstufung in einer der beiden Kategorien heisst aber nicht, dass ein Produkt verkehrsfähig ist; hier sind natürlich die weiteren Anforderungen der entsprechenden Gesetzgebung zu beachten.
Die Auswirkungen der neuen Health-Claims-Verordnung
Die neue Gesetzgebung zum Nachweis gesundheitsbezogener Angaben (Claims) birgt nicht nur hinsichtlich Marketing-, Forschungs- und Entwicklungsstrategien, sondern auch für die Forschung in der Ernährungswissenschaft neue Herausforderungen. Daraus ergeben sich aber auch neue Möglichkeiten: Unser Verständnis über Funktion und Einfluss von Lebensmitteln und deren Bestandteile auf die Erhaltung und Verbesserung der Gesund-
heit kann geschärft werden. Ferner lassen sich vorteilhafte Wechselwirkungen zwischen dem Vorhandensein oder Fehlen eines Lebensmittelbestandteils und bestimmten Körperfunktionen ermitteln und nachweisen. Damit können wissenschaftlich begründete Ansätze zur Unterstützung weltweiter Entwicklungen in der Lebensmittelgesetzgebung hinsichtlich nährstoff- und gesundheitsbezogener Angaben etabliert werden. Ausserdem liefert sie Ernährungsberatern, Apothekern und Ärzten eine solide wissenschaftliche Grundlage, die es ihnen ermöglicht, evidenzbasierte Ernährungsempfehlungen zu geben, um Menschen im Umgang mit ihrer Gesundheit oder ihrer Erkrankung zu helfen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat die Aufgabe, die EU-Entscheidungsträger bei der Umsetzung der Verordnung zur Verwendung nährstoffbezogener und gesundheitsbezogener Angaben, den beiden wichtigsten Deklarationskategorien bei Lebensmitteln, wissenschaftlich zu beraten. Nährwertbezogene Angaben sind beschreibender Natur und liefern Informationen zum Nährstoffgehalt der Lebensmittel oder Lebensmittelprodukte. Sie enthalten keine Angaben zu funktionellen oder physiologischen Wirkungen der Nährstoffe, sondern sind vergleichender Natur. Nährwertbezogene Angaben erklären oder suggerieren also, dass ein Lebensmittel über positive Nährwerteigenschaften verfügt, wie etwa «fettarm», «ohne Zuckerzusatz» oder «reich an Ballaststoffen». In der Positivliste der Europäischen Kommission (EK) für nährwertbezogene Angaben sind die Bedingungen festgelegt, die solche Angaben erfüllen müssen, damit sie gültig sind. Zum Beispiel muss ein Produkt mit der Angabe «erhöhter Anteil an Omega-3Fettsäuren» mindestens 30 Prozent mehr Fettsäuren enthalten als ein vergleichbares Produkt. Bei der Angabe «enthält Omega-3-Fettsäuren» müssen die im Produkt enthaltenen Omega-3-Fettsäuren mindestens 15 Prozent des empfohlenen Tagesbedarfs ausmachen. Produkte mit nährwertbezogenen Angaben, die nicht in der Positivliste enthalten sind, können
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bis zu ihrem Verfallsdatum, maximal jedoch nur bis zum 31.7.2009, weiter vertrieben werden. Angaben, die vor dem 1.1.2006 bereits verwendet wurden, können bis zum 19.1.2010 Verwendung finden. Gesundheitsbezogene Angaben sind Angaben auf Etiketten sowie in Marketing- oder Werbematerial, die besagen, dass sich der Verzehr eines bestimmten Lebensmittels positiv auf die Gesundheit auswirken kann. Zum Beispiel, dass ein bestimmtes Produkt «die Lernfähigkeit verbessert» oder «die natürlichen Abwehrkräfte» stärkt. Gemäss Artikel 2 (5) der Verordnung 1924/2006 EU ist jede Angabe eine gesundheitsbezoge Angabe, wenn erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile und der Gesundheit besteht. Diese Angaben müssen wissenschaftlich nachgewiesen sein, vom Hersteller begründet werden können und vom durchschnittlichen Verbraucher richtig verstanden werden sowie über die Tageszufuhr informieren, die erforderlich ist, um die angegebene Wirkung zu erzielen. Gesundheitsbezogene Angaben werden in drei Kategorien unterteilt: 1. Angaben, die sich auf allgemein aner-
kannte wissenschaftliche Daten stützen (Artikel 13). Diese Angaben können sich zum Beispiel auf Wachstum, Entwicklung, körperliche oder psychische Funktionen oder Eigenschaften beziehen. Die EFSA plant die Erstellung einer Positivliste für diese Kategorie mit Angaben, die jeder verwenden kann. Das Ziel, im Januar 2010 diese Liste zu veröffentlichen, ist bei der Vielzahl der eingereichten Angaben jedoch mehr als fraglich. 2. Angaben, die auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und daher für eine Dauer von fünf Jahren Schutzanspruch haben (Artikel 13.5). Die Antragsverfahren dauern etwa fünf bis sieben Monate. Anträge können seit dem 1.2.2008 gestellt werden. 3. Angaben, die sich auf die Verringerung eines Krankheitsrisikos oder die Ent-
wicklung und Gesundheit von Kindern beziehen (Artikel 14). Gemäss Artikel 2 (6) der Verordnung ist jede gesundheitsbezogene Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass der Verzehr einer Lebensmittelkategorie das Risiko für die Entwicklung einer Krankheit beim Menschen deutlich senkt, eine Angabe zur Reduktion des Krankheitsrisikos. Solche Angaben sowie Angaben zur Entwicklung und Gesundheit von Kindern bedürfen eindeutiger wissenschaftlicher Nachweise, die in einem umfassenden Dossier vorzulegen und jeweils individuell von der EFSA zu genehmigen sind. Prinzipiell nicht zulässig sind medizinische Claims zur Behandlung oder Heilung einer Krankheit oder solche, die sich auf Empfehlungen von Ärzten oder Medizinalpersonen beziehen. Ebenso wenig zulässig sind falsche oder irreführende Angaben oder Angaben, die zum übermässigen Verzehr von Lebensmitteln ermutigen oder nicht von der EFSA genehmigt wurden. Ähnlich wie bei nährwertbezogenen Angaben können bereits auf dem Markt befindliche Produkte mit nicht nachgewiesenen gesundheitsbezogenen Angaben bis zu ihrem Verfallsdatum, maximal jedoch nur bis zum 31.7.2009 weiter vertrieben werden. Marken oder Markennamen, die gesundheitsbezogene Angaben enthalten, können sogar bis zum 19.1.2022 verwendet werden. Produkte mit Angaben, die bei der EFSA eingereicht wurden (für die Positivliste gem. Artikel 13, die individuelle Prüfung gem. Artikel 14 oder auf Grundlage neuer wissenschaftlicher Daten gem. Artikel 13.5), können bis zur Veröffentlichung der Liste oder der Entscheidung über den Antrag weiter verwendet werden, sofern sie nicht ausdrücklich bereits vor diesem Zeitpunkt abgelehnt wurden. In den Einzelstaaten sind etwa 44 000 gesundheitsbezogene Angaben (gem. Artikel 13, also beruhend auf allgemein anerkannten wissenschaftlichen Daten) eingegangen. Derzeit erörtert die EFSA gemeinsam mit der EK, wie sich der von der EK geforderte Entwurf der Liste mit gesundheitsbezogenen Angaben am
besten umsetzen lässt. Zudem sind etwa 230 Dossiers mit Angaben gemäss Artikel 14 (mit Bezug auf die Reduktion des Krankheitsrisikos oder die Entwicklung von Kindern) bei der EFSA eingegangen. Zu ersten Dossiers, die zu den gesundheitsbezogenen Angaben eingereicht wurden, hat die EFSA inzwischen Stellungnahmen abgegeben. Die meisten Dossiers wurden zurückgewiesen (Stand Anfang November 2008: 17 von 22 Claims). Die Begründungen der EFSA sind wissenschaftlich korrekt, hinterlassen aber eine erstaunte – wenn nicht sogar geschockte – Industrie: 1. Die Anforderungen an die Studien mit
dem jeweiligen Produkt sind sehr hoch und kommen denen für Arzneimittel nahe. Die Auswirkung auf die Kosten ist beträchtlich und kann dazu führen, dass kleine und mittlere Firmen ihre Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel einstellen müssen. Es ist noch zu beachten, dass die Schutzphase für einen neuen Claim nur fünf Jahre beträgt, danach kann das Produkt von anderen kopiert, und die Angaben können übernommen werden. Es ist also nicht erstaunlich, dass der erste Claim, der von der EFSA positiv beurteilt wurde, von einem Grosskonzern stammt, der Millionen in sein Produkt investiert hatte und der sein Produkt international vermarktet. 2. Die Studien müssen die Zielgruppe genau umfassen, eine Übertragung auf andere Altersgruppen wird nicht akzeptiert. Ein Beispiel hierfür ist der zurückgewiesene Claim der Firma Martek, die mit ihren Produkten Docosahexaensäure (DHA) und Arachidonsäure (AA) Weltmarktführer bei der Supplementierung dieser essenziellen Fettsäuren in Babymilchpulver sind. Der positive Effekt der Supplementierung auf die Entwicklung von Gehirn und Augen ist allgemein anerkannt, die von Martek beantragte Altersgruppe über sechs Monate hinaus bis zu drei Jahren wurde jedoch abgelehnt. Dabei hört die Entwicklung von Gehirn und Augen nicht nach sechs Monaten auf, und es ist unbestritten, dass DHA und AA hier
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die wichtigsten Fettsäuren der entsprechenden Zellmembranen sind. 3. Als zusätzliche Anforderung an die Akzeptanz der gesundheitsbezogenen Angaben wird verlangt, dass eine allgemeine Unterversorgung mit dem entsprechenden Nährstoff besteht. Die EFSA bestätigt in dem Fall (Claim: Alpha-Linolensäure und Linolsäure sowie Wachstum/Entwicklung von Kindern) einen Zusammenhang zwischen Nährstoffen und Funktion, beurteilt jedoch den Nutzen der Nährstoffe dennoch kritisch, da die Kinder in der EU im Durchschnitt ausreichend mit den Substanzen versorgt sind. Würde diese Argumentation zum Beispiel auf Vitamine und Mineralstoffe übertragen (bedenke auch Claims nach Artikel 13), dürfte die EFSA auch für die Mehrzahl dieser Stoffe keine gesundheitsbezogenen Angaben akzeptieren! Überspitzt gesagt dürfen Sie zu Vitamin C keine Angaben machen, weil die Mehrheit der Bevölkerung ausreichend versorgt ist. 4. Die Möglichkeit, gesundheitsbezogene Angaben zur Reduktion des Krankheitsrisikos zu machen, verwischt die heute schon schwer zu definierende Grenze zwischen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln noch weiter. Zudem sieht das Heilmittelgesetz vor, ein Produkt zur Verhütung von Krankheiten als Arzneimittel einzustufen. Es ist davon auszugehen, dass mehrere qualitativ hochwertige Studien einzureichen sind, um einen solchen Claim zu erhalten, die auch als Basis für eine Arzneimittelregistrierung dienen könnten. 5. Wird der gleiche Massstab der wissenschaftlichen Beurteilung auch an die allgemeineren Angaben der Kategorie
13 gelegt – und dies wird nach Aussage der EFSA der Fall sein –, werden nur wenige Claims akzeptiert werden. Viele positive Aussagen zu Nährstoffen, die wir heute als wissenschaftlich anerkannt ansehen, stammen nicht aus qualitativ hochstehenden Interventionsstudien, sondern aus epidemiologischen Studien und jahrhundertealten Erfahrungen. Was geschieht, wenn die Beurteilung der EFSA nicht mit den Empfehlungen nationaler Behörden oder anderer wissenschaftlicher Gremien übereinstimmt? Die EFSA hat bereits auf die Kritik am Standard ihrer Beurteilungen reagiert und erklärt, dass sie sich nur an die Vorgaben hält, die ihr durch den Auftrag der Europäischen Kommission (EK) und die Verordnungen auferlegt wurden.
Ausblick für die nächsten Jahre
Die EFSA möchte bis 2010 die EU-weite Liste mit zulässigen gesundheitsbezogenen Angaben herausgeben. Darüber hinaus wird die EFSA laufend die wissenschaftliche Zuverlässigkeit und Berechtigung bereits eingereichter und neuer gesundheitsbezogener Angaben sowohl hinsichtlich ihrer Funktionen als auch im Hinblick auf die Reduktion eines Krankheitsrisikos oder die Entwicklung und Gesundheit von Kindern beurteilen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass zahlreiche Claims von vielen heute auf dem Markt befindlichen Produkte durch die EFSA negativ beurteilt werden. Wenn die EK und die Mitgliedsstaaten diese Beurteilung übernehmen, können die gesundheitsbezogenen Angaben nur noch für maximal sechs Monate verwendet werden. Eine Lösung für die davon betroffenen Nahrungsergänzungsmittel scheint sich
aber anzubahnen: In einer Mitteilung an den Europarat und das Europäische Parlament im September 2008 äusserte die EK den starken Wunsch, das vereinfachte Zulassungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel (traditional herbal medicinal products, THMP) auf Grundlage von Artikel 16i der Richtlinie 2001/83/EC (Humanarzneimittel) auch auf andere Kategorien auszuweiten. Durch die vorgeschlagene Erweiterung könnte das vereinfachte Zulassungsverfahren für bestimmte Arzneimittelprodukte aus europäischen oder nicht europäischen Arzneimittelsystemen (dazu gehören auch traditionell angewandte Produkte mit langer Anwendungserfahrung in der EU) Anwendung finden, um sie als traditionell angewandte Arzneimittel auf den Markt bringen zu können. Dazu gehören beispielsweise Honig, Gelée royale, Propolis, Fischöle, Mineralien, Mikroorganismen und «andere Stoffe». Dies wird in Zukunft vermutlich auch eine Reihe von Produkten betreffen, die in der EU derzeit als Nahrungsergänzungsmittel eingestuft sind.
Korrespondenzadresse: Vifor Pharma Vifor AG Dr. Burkhard Kriwet Route de Moncor 10 1752 Villars-sur-Glâne
Links zu den Behörden: – Bundesamt für Gesundheit: www.bag.admin.ch – Swissmedic: www.swissmedic.ch – Einstufung pflanzlicher Stoffe: www. swissme-
dic.ch/files/pdf/Positivliste_von_Stoffliste_zur_Abgrenzung_AM-LM-final-D.pdf – Sammlung des Bundesrechts: www.admin.ch/ ch/d/sr/sr.html – EFSA: www.efsa.europa.eu/EFSA/KeyTopics/ efsa_locale-1178620753812_NutritionAndHealthClaims.htm
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