Transkript
Teil 4
Bioaktive sekundäre Pflanzenstoffe
Phytosterine: Sterine und Stanole
Phytosterine (Pflanzensterine) sind se-
kundäre Pflanzenstoffe, die eine cho-
lesterinähnliche Struktur aufweisen,
und daher als «pflanzliche Choleste-
rine» gelten. Wegen ihrer cholesterin-
senkenden Wirkung wurden sie in
Form von Margarinen, neuerdings
auch als Milchdrinks als Functional
Food, auf dem Lebensmittelmarkt ein-
geführt (1). Natürlicherweise kommen
Phytosterine in Ölen, Nüssen, Samen
und Körnern vor.
Peter E. Ballmer
Es werden zwei Gruppen von Phytosterinen unterschieden: • St erine: natürliche Substanzen in
Pflanzenölen, z.B. β-Sitosterin, Campesterin und Sigmasterin • St anole: hydrogenierte Pflanzensterine, z.B. Campestanol, Sitostanol. Die Einteilung in Sterine und Stanole erscheint in der Literatur uneinheitlich und führt zu Begriffsverwirrungen. Die Unterscheidung in die eigentlichen Sterine und die Stanole ist besonders wichtig geworden, da die Sterine neuerdings unter Verdacht stehen, beim Menschen potenziell atherogen zu wirken (siehe unten).
Vo r k o m m e n
Phytosterine liegen in Lebensmitteln vorwiegend in den fettreichen Pflanzenanteilen vor, während fettarme Pflanzen, wie viele Gemüse und Früchte, kaum Phytosterine enthalten. Sonnenblumenkerne und Sesam sind besonders reich an Phytosterinen, auch natives Sojaöl enthält reichlich Phytosterine, diese werden durch die Raffination der Öle allerdings stark re-
duziert. Mit einer vollwertigen, ausgewogenen Ernährung werden täglich Sterine in der Grössenordnung von 200 bis 400 mg und Stanole in Spuren eingenommen.
Entgegen früherer Meinungen werden Sterine substanziell durch den menschlichen Körper aufgenommen und sind im Blut chemisch nachweisbar. Dies trifft für die Stanole (mindestens nach bisherigem Wissen) nicht zu.
In der Tabelle sind die wesentlichen physiologischen Wirkungen der Phytosterine aufgelistet.
Studien mit Phytosterinen
Phytosterine als Nahrungssupplemente im Sinn von Functional Food sind seit einigen Jahren als Margarinen auf dem Markt. In der Schweiz sind Sterine in Form einer Margarine und Stanole neuerdings auch als Milchdrink erhältlich. Die cholesterinsenkende Wirkung dieser Functional Foods ist aufgrund mehrerer Studien unbestritten. Leider fehlen aber bis heute Studien mit harten Endpunkten (z.B. gesamte oder kardiovaskuläre Mortalität bzw. Morbidität), die den breiten Einsatz der Phytosterine rechtfertigen würden. So sind wir weiterhin darauf angewiesen, die nahe liegende günstige (aber nicht Evidenz-basierte) Wirkung der Phytosterine auf das kardiovaskuläre Risiko durch die Cholesterinsenkung per se anzunehmen. Inwieweit die Cholesterinsenkung bei solchen Studien ein «Surrogatmarker» ist, sei dahingestellt, trotzdem müssen Studien mit harten klinischen Endpunkten gefordert werden, bevor die Phytosterine auf breiter Basis zur primären und sekundären Prävention kardiovaskulärer Krankheiten eingesetzt werden können.
Die Cholesterinsenkung durch Phytosterine konnte beispielhaft durch Westrate und Mitarbeiter (3) gezeigt werden. Die Zufuhr von täglich 1,5–3,5 g Pflanzensterinen führte dabei zu einer Reduktion des Serumcholesterins und LDL-Cholesterins um 8 bis 13 Prozent. Diese Menge entspricht in etwa zwei bis drei Brotscheiben, bestrichen mit entsprechender Margarine (30 g Mar-
Tabelle:
Physiologische Wirkungen der Phytosterine (2)
•Hemmung der Resorption von Cholesterin aus dem Dünndarm
•Senkung des Serumcholesterins um ca. 5 bis 15 Prozent
•Senkung des LDL-Cholesterins um ca. 5 bis 15 Prozent
•Neutrale Wirkung auf HDL-Cholesterin und Triglyzeride
•Stanole senken die Serumkonzentration von Sterinen
•Sterine sind im Tierversuch antikanzerogen
•Inverse Korrelation zwischen der Zufuhr von Phytosterinen und der Inzidenz des Kolonkarzinoms beim Menschen (lediglich epidemiologische Beobachtungen!)
garine entsprachen 3 g Sterinen). Allgemein kann man davon ausgehen, dass die tägliche effektive Mindestdosis von Phytosterinen 1 g betragen muss, um eine substanzielle Wirkung auf die Serumlipide zu erzeugen (2).
Eine interessante Untersuchung ist kürzlich von Jenkins et al. (4) erschienen. In einer randomisierten und kontrollierten Studie haben diese Autoren die Wirkung einer Therapie mit Statinen gegenüber Phytosterinen verglichen. Die hyperlipämischen Probanden erhielten entweder eine vollkornreiche Diät mit wenig gesättigten Fettsäuren («Kontrolle») oder zusätzlich zu dieser Diät 20 mg Lovastatin («Statin») beziehungsweise 1 g/1000 kcal Pflanzensterine («Sterine»). In Abbildung 1 wird die Wirkung auf das LDL-Cholesterin zusammengefasst.
Exemplarisch folgte eine Studie, in der die Wirkung von Stanolen untersucht wurde (5): Im North Karelia Stanol Ester Trial wurden Margarinen mit und ohne Stanole (zwei Dosierungen: 1,8 g versus 2,6 g Sitostanol täglich) eingesetzt.
Aufgrund dieser und vieler anderer Studien ist an der Wirksamkeit der Cholesterinsenkung durch Phytosterine nicht zu zweifeln. Leider wurden bisher keine relevanten Endpunkte in solchen Studien untersucht, sodass der Beweis fehlt, dass sich durch eine The-
Nr. 4 • 2004
29
Teil 4
Bioaktive sekundäre Pflanzenstoffe
LDL-Reduktion
Cholesterin in der Nah-
0 rung vor, weisen jedoch
eine deutlich tiefere Re-
-5
sorptionsrate als Cho-
-10 lesterin auf. Die Wich-
Kontrolle tigkeit erhöhter Werte
-15
Statin Sterine
von Sterinen beim Men-
-20 schen wird durch die
genetisch determinierte
-25 Krankheit der Phytoste-
-30 rinämie unterstrichen (6). Patienten mit pri-
-35 Start
2 Wochen
4 Wochen
Abbildung 1: Wirkung einer Diät (Kontrolle) oder Diät plus Lovastatin beziehungsweise Diät plus Pflanzensterinen auf das LDL-Cholesterin
märer Phytosterinämie zeigen massiv erhöhte Plasmakonzentrationen von Sterinen, bedingt durch eine deutlich er-
LDL-Reduktion
höhte Resorption bei
4.4 gleichzeitig geringerer
biliärer Ausscheidung. 4.2 Diese Patienten entwi-
4 ckeln früh im Leben
mmol/l
3.8
3.6 13,5%
3.4 15,2%
3.2
Kontrolle 1,8 g Stanol 2,6 g Stanol
Xanthome und haben im jugendlichen Alter ein erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheiten. Bereits 1991 haben Glueck et al. (7) die Frage aufgeworfen, ob
3 Start
6 Monate
12 Monate
Abbildung 2: Wirkung von Stanolen auf das LDL-Cholesterin
Sterine nicht ein Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten bei
Menschen ohne primä-
hazard ratios 20
15
10
re Phytosterinämie sein
tiefe (< 5,25 µmol/l) könnten. Die Autoren 17,2 Sitosterin- fanden, dass die Plasma- Konzentration konzentrationen von hohe (> 5,25 µmol/l) SitosterinKonzentration
Campesterin bei Personen mit einer familiären Belastung für koro-
5
1,0 1,4 0 < 10
4,2 2,9
10–20
5,8 > 20
nare Herzkrankheiten höher lagen als bei jenen ohne familiäres Risiko.
In den letzten Jahren
häuften sich Meldun-
Abbildung 3: Anstieg des koronaren Risikos abhängig von der Sito- gen, dass Sterine, die
sterin-Konzentration
quantitativ relevant re-
sorbiert werden, eine
rapie mit diesen Functional Foods eine atherogene Wirkung haben könnten,
Senkung der kardiovaskulären Morbi- obgleich sie das Serumcholesterin zu-
dität und Mortalität erreichen lässt. verlässig senken. Die Behandlung mit
Eine Studie mit harten klinischen End- Statinen führt zu einer Erhöhung der
punkten ist jedoch umso dringlicher, Sterine im Blut. In der 4S-Studie (8)
da sich die Hinweise häufen, dass Ste- war aufgefallen, dass eine Unter-
rine, nicht aber Stanole, trotz Choles- gruppe von Patienten, die eine zuver-
terinsenkung eine atherogene Wir- lässige Cholesterinsenkung durch Sim-
kung haben könnten!
vastatin zeigte, dennoch eine erhöhte
Rezidivrate an koronarer Herzkrank-
Nebenwirkungen und Risiken heit aufwies. Diese Patienten zeigten
von Phytosterinen
deutlich erhöhte Sterinkonzentrationen im Blut.
Sterine sind strukturverwandt mit Sudhop und Koautoren (6) unter-
dem Cholesterin, kommen ähnlich wie suchten Patienten, die sich elektiv ei-
ner koronaren Bypassoperation unterzogen. Sie fanden bei den Patienten mit einer positiven Familienanamnese für koronare Herzkrankheiten signifikant höhere Plasmakonzentrationen von Campesterin und Sitosterin, während sich die Konzentrationen von Stanolen nicht unterschieden. Kürzlich haben Assmann und Mitarbeiter (9) gezeigt, dass der plötzliche Herztod und Myokardinfarkte bei einer Population mit erhöhten Blutkonzentrationen von Sitosterin gehäuft auftraten (siehe Abbildung 3).
Schlussfolgerungen
Trotz der beeindruckenden Senkung
des Gesamtcholesterins und LDL-Choles-
terins durch Phytosterine ist deren
therapeutischer Einsatz bisher nicht
geklärt. Die mögliche atherogene Wir-
kung der Sterine lässt aufhorchen. Ob-
gleich Stanole keine vergleichbaren
detrimentalen Nebenwirkungen zu ha-
ben scheinen, fehlt auch hier der
Nachweis der günstigen Wirkung im
Rahmen einer prospektiven kontrol-
lierten Studie. Wird aufgrund der Cho-
lesterinsenkung argumentiert, müss-
ten Stanole eine günstige Wirkung auf
das kardiovaskuläre Risiko haben. Dies
muss allerdings in Zukunft noch ge-
zeigt werden, bevor wir in der Lage
sind, Stanole prophylaktisch breit als
Mittel zur kardiovaskulären Prävention
einzusetzen.
I
Autor: Prof. Peter E. Ballmer Chefarzt Medizinische Klinik Departement Innere Medizin Kantonsspital 8400 Winterthur E-Mail: peter.ballmer@ksw.ch
Ich danke Frau Dr. Pia Salo, Finnland, für ihre wertvollen Informationen über Sterine und Stanole.
Literatur: 1. www.ifst.org/hottop29.htm 2. Watzl et al.: Ernährungs-Umschau 2001; 31: 161. 3. Westrate et al.: Eur J Clin Nutr 1998; 52: 334. 4. Jenkins et al.: JAMA 2003; 290: 502. 5. Miettinen et al.: N Engl J Med 1995; 333: 135. 6. Sudhop et al.: Metabolism 2002; 51: 1519. 7. Glueck et al.: Metabolism 1991; 40: 842. 8. Miettinen et al.: BMJ 1998; 316: 1127. 9. Assmann et al.: American Heart Association 2003 (Abstract).
30 Nr. 4 • 2004