Transkript
Was macht eigentlich ...
… Pro Senectute?
Vom Hilfswerk zum sozialen Dienstleistungsunternehmen
Am Anfang stand die Unterstützung
«notleidender Greise beiderlei Ge-
schlechtes». Pro Senectute oder die
Stiftung für das Alter, wie sie damals
hiess – verstand sich als Hilfswerk,
pointiert ausgedrückt: als Almosen-
verteilungsanstalt.
Heute, bald 90 Jahre später, ist Pro Senectute ein soziales Dienstleisungsunternehmen mit 26 kantonalen Geschäftsstellen. Nach wie vor sind die Sozialberatung und die Unterstützung finanziell benachteiligter Betagter das «Kerngeschäft». Daneben gibt es aber auch Angebote wie Treuhandschaften, ferner Essen zu Hause, Reinigungen, Gartenarbeiten, Kurswesen und Sport. Menschen ab 60 Jahren (im Sport bereits ab 50) haben unbeschränkten Zugang zu diesen Dienstleistungen, für die – abgesehen von der Sozialberatung – ein Entgelt entrichtet werden muss.
Die neuen Alten
Das Alter ist jünger geworden. In der Wirtschaft scheint man dem älteren Arbeitnehmer, wenn er nicht zur Garde der Topmanager und Verwaltungsratspräsidenten gehört, nicht mehr viel zuzutrauen. Man weiss, wie es in den vergangenen Jahren für Menschen ab 50 schwierig geworden ist, eine Stelle zu finden. Man gehört zum «alten Eisen», das dieselbe Wirtschaft aber paradoxerweise als kaufkräftige Konsumenten umwirbt.
Das Alter ist älter geworden. Wenn von Alterspolitik die Rede ist, so beschränkt man sich weit gehend auf Fragen im Zusammenhang mit Pflegeplätzen, Altersheimen und spitalexternen Diensten. Dabei sind nicht einmal 10 Prozent aller alten Menschen stationär untergebracht, während 90 Prozent aller über 80-Jährigen und immer noch 70 Prozent aller
über 90-Jährigen zu Hause leben, in den eigenen vier Wänden.
In Westeuropa ist heute fast jeder fünfte Mensch älter als 60. Noch nie im Lauf der Geschichte waren ältere Menschen derart mobil und haben über derart viel Zeit verfügt wie heute. Die Alten werden immer jünger, sie sind länger gesund, vitaler und aktiver als frühere Generationen. Diese aktiven älteren Menschen wollen ernst genommen werden, sind an ihrer Zukunft interessiert und lassen sich Lebensqualität gern etwas kosten.
Was heute Luxus ist,
ist morgen Standard
Im Verlauf der letzten Jahrzehnte sind die Ansprüche älterer Menschen an qualitativ hochwertige Dienstleistungen gewachsen. Hier und dort hört man die Frage, ob es eine Aufgabe von Hilfswerken sei, mit Angeboten «de luxe» auf den Markt zu gehen. Nun ist das, was man als Luxus bezeichnet, relativ. Vor allem besteht eine Zeitkomponente. In den Fünfzigerjahren war ein Fernsehapparat ein Luxusgut, ebenso ein VW-Käfer, Ferien an der Adria konnte sich nicht jeder leisten, und selbst ein Poulet auf dem Sonntagstisch galt als Luxus.
Ähnlich verhält es sich mit Dienstleistungen im sozialen Sektor. Als Pro Senectute in den Sechzigerjahren erstmals Tenniskurse ins Sportprogramm aufnahm, gab es einen Entrüstungssturm – wohlgemerkt, nicht bei den älteren Menschen, sondern bei den freiwilligen Sportgruppenleiterinnen, die vehement die Auffassung vertraten, Tennis sei ein Sport für Reiche und habe deshalb bei Pro Senectute keinen Platz. Als Tennis in den Neunzigerjahren längst als Volkssport akzeptiert war, hörten wir dieselben Argumente im Zusammenhang mit Golfkursen, die wir anboten. Es ist zu vermuten, dass bei einer ähnlichen
Organisation in Grossbritannien, Tennis und Golf von Anfang an auf Akzeptanz gestossen wären – ein Luxusgut, dies die Schlussfolgerung, hat auch eine geografische Komponente.
Gehört das Angebot, Sprachen zu lernen, zu den Luxusgütern? Wohl kaum, aber wenn es sich dabei um Altgriechisch handelt, das wir auch in unserem Programm haben, so handelt es sich um ein Angebot an eine ganz bestimmte soziale Schicht, die wohl kaum Probleme mit der Existenzsicherung hat. Ähnliches liesse sich zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer kulturhistorischen Führungen und Zyklen sagen.
Als wir in den Achtzigerjahren EDVKurse anzubieten begannen, führte dies zu grossen Diskussionen innerhalb der Organisation. Heute gehören Internet- und E-Mail-Kurse, Bild- und Videobearbeitungskurse sowie eine Homepage-Werkstatt zum selbstverständlichen Angebot unseres Kurszentrums.
Eine Organisation wie Pro Senectute, die sich der Altersarbeit verschrieben hat, will unter anderem Möglichkeiten schaffen, dass ältere Menschen, denen es gut geht, einen Beitrag dazu leisten, dass auch ihre schlechter gestellten Altersgenossen ein sorgenfreies Alter in Würde verbringen können. Um dieses Ziel zu erreichen, lohnt es sich, «Dienstleistungen à la carte» zu entwickeln, die dazu beitragen, dass finanziell besser gestellte Nutzerinnen und Nutzer einen Beitrag für jene leisten, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. I
Autor: Werner Ryser Geschäftsleiter Pro Senectute Kanton Basel-Stadt Luftgässlein 3, Postfach, 4051 Basel Internet: www.bs.pro-senectute.ch und www.pro-senectute.ch
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