Transkript
Editorial
Anti-Aging, ein neues Modewort?
Die Antwort auf die Frage lautet sicher Ja. Sonnencremes, weitere Kosmetika und vieles mehr bis zu komplexen, nicht ganz harmlosen medizinischen Behandlungen haben zum Ziel, die Jugend zu bewahren und das Alter abzuwehren. Das Anliegen ist alt, wohl so alt wie die menschliche Kultur, die es uns ermöglicht, unser Schicksal zu reflektieren und bewusst zu beeinflussen. Neu ist die grosse Zahl derjenigen, die sich mit dem Alter als eigenem Schicksal oder dem von Angehörigen auseinander zu setzen haben. Im 16. Jahrhundert waren die Darstellungen der Jungbrunnen beliebt. Sie waren allerdings nur für Frauen vorgesehen. Aber auch Männer litten unter der Abwertung des Alters, und die Bewunderung und Sympathie galt Jünglingen oder Männern «in der Blüte ihrer Jahre»; das Alter ist mit dem Makel des Zerfalls behaftet. Aber seit je versuchte der Mensch, die Altersveränderungen zu verhindern oder hinauszuzögern. Noch im Brockhaus aus dem Jahr 1893 ist unter dem Stichwort «Greis» zu lesen, dass das Greisenalter oder Greisentum beim Mann zwischen dem 50. und 60., bei der Frau zwischen dem 40. und 55. Altersjahr beginnt. Heute hat sich die Schwelle deutlich in höhere Alterklassen ver-
schoben, aber die Tatsache, dass die Wörter «alt» und «Greis» in der Umgangssprache vermieden oder umschrieben werden, zeigt, dass es mit unserer Akzeptanz des Alters immer noch so eine Sache ist. Diese Haltung erklärt auch den Anti-Aging Boom. Dabei weist schon die Herkunft des Wortes «alt» auf die Ernährung hin. Es leitet sich von einem nicht mehr verwendeten Verb mit der Bedeutung «wachsen, aufziehen, ernähren» her und ist auch über seine lateinischen Ursprünge im französischen Wort «aliment» enthalten. Alt werden hat demzufolge viel mit der Ernährung zu tun, und so liegt es auf der Hand, dass sich auch Massnahmen, die das Altern verhindern oder verzögern sollen, auf die Ernährung abstützen. Heute noch mischen sich mystische Vorstellungen über die Kraft und Bedeutung von Nahrungsmitteln und Nährstoffen mit modernen naturwissenschaftlichen Vorstellungen. Mit der Aufklärung der chemischen Zusammensetzung der Nährstoffe und ihrer biochemischen Wirkung lag der Versuch nahe, durch geeignete Zufuhr von Nährstoffen bestimmte biologische Wirkungen im Organismus zu erzielen und den Alterungsprozess zu beein-
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Editorial
flussen. Dabei ist es sinnvoll, zwischen zwei Grundkonzepten zu unterscheiden, nämlich 1. durch die Ernährungsweise den Alterungsprozess allgemein zu beeinflussen und 2. durch die Ernährungsweise altersassoziierte Krankheiten zu vermeiden oder zu verzögern. Zum ersten Ansatz ist zu sagen, dass einzig die Kalorienrestriktion unter gleichzeitiger adäquater Zufuhr essenzieller Nährstoffe zu einem verzögerten Altern führte. Wie weit die verbesserte Versorgung mit Nährstoffen seit dem Zweiten Weltkrieg in den Industrienationen für die beobachtete Verlängerung der Lebenserwartung mitverantwortlich ist, bleibt offen. Wohl viel bedeutsamer ist die Ernährung im Rahmen der Prävention von chronischen Krankheiten, die dazu führt, dass eben der 70-Jährige nicht von Schmerzen geplagt, schwach und krank ist. Hier haben Ernährung und Lebensbedingungen, ganz besonders aber die moderne Medizin, dazu geführt, dass die Selbstständigkeit heute bis ins hohe Alter bewahrt wird. Durch die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Ernährung und Herz-KreislaufKrankheiten, Krebs aber auch rheumatischen und Knochenkrankheiten kann heute über eine primäre und sekundäre Prävention sehr viel dazu beigetragen werden, dass die körperlichen Funktionen bis ins hohe Alter erhalten bleiben. Hier können Supplemente und eine geeignete Zufuhr von Nahrungsmitteln mit günstiger Nährstoffdichte und Zusammensetzung (fünf-
mal Früchte und Gemüse am Tag, ausgewogene Öl- und Fettzufuhr, Salzrestriktion etc.) nachweisbar nützen. Das Altern wird damit nicht verhindert; aber die mit dem Alter gefürchteten Beschwerden werden abgewendet. Dies sollte auch das Ziel sein: dass unsere Gesellschaft dem Alter und den Alten einen angemessenen Platz gibt und nicht versucht, einen zeitlosen Stillstand in einer angeblichen «Jugend» ohne Alter zu erreichen. Das Altwerden ist Teil der Phylo- und Ontogenese, eine Herausforderung, der wir uns alle als Individuum und Gesellschaft stellen müssen. Mit Anti-Aging-Massnahmen wird dieser Herausforderung nicht begegnet. Dabei sind die Massnahmen, welche die seelische und körperliche Gesundheit erhalten, richtig und wichtig. Sie liegen letztlich in der Verantwortung des Einzelnen. Gerade die Entwicklung der letzten Jahre zeigt mit der Zunahme der Obesitas und der Prävalenz des Diabetes mellitus, dass die damit verbundenen Alterskrankheiten die Lebenserwartung wieder senken könnten. Aufgabe der Ernährungsmedizin bleibt es, durch geeignete Ernährung die Gesundheit und damit die Autonomie möglichst lange zu erhalten.
Prof. Dr. Hannes B. Staehelin Geriatrische Universitätsklinik
Universitätsspital 4031 Basel
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