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Thema
3 + 4 • 2021
Eisenmangel im Alter
Anämie wird zu wenig beachtet
Bei den über 80-Jährigen ist Multimorbidität eher die Regel als die Ausnahme. Auch eine Eisenmangelanämie ist in diesem Alter nicht selten, wird aber angesichts all der anderen gesundheitlichen Probleme oft zu wenig beachtet. Doch auch hochbetagte und multimorbide Patienten könnten von einer Eisensubstitution profitieren, betonte Prof. Cornel Sieber an der Iron Academy.
Aus Studien weiss man, dass 40 Prozent der älteren Spitalpatienten und 47 Prozent der Bewohner von Pflegeheimen eine Anämie haben (1), die als Hämoglobin-(Hb-)Wert < 12 g/dl bei Frauen und < 13 g/dl bei Männern definiert wird. Wie wenig Beachtung der Anämie im Alter seitens der behandelnden Ärzte in der Praxis zuteilwird, zeigte eine Studie mit 141 Geriatern in Grossbritannien: Eindeutig zu niedrige Hb-Werte von < 10 g/dl wurden von rund einem Drittel der Befragten noch als «normal» akzeptiert, und ein Viertel der Ärzte gab an, das Ferritin bei ihren betagten Patienten selten oder nie zu bestimmen (2).
Frailty und Anämie im Alter «Wenn der Hb-Wert unter 12,5 g/dl liegt, besteht meist auch ein Frailty-Syndrom», sagte Prof. Dr. med. Cornel Sieber, Chefarzt an der Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur. Damit bezeichnet man eine altersbedingte Gebrechlich-
KURZ & BÜNDIG
s Anämie im Alter ist häufig und wird oft nicht diagnostiziert.
s Eisenmangel ist im Alter ebenfalls häufig. s Die Eisensubstitution ist bei Eisenmangelanämie
auch bei Hochbetagten einfach und wirksam.
keit, die mit einem erhöhten Risiko für den Verlust der Selbstständigkeit, für Spitaleinweisung und Tod einhergeht. Klinisch zeigt sich Frailty als Gewichtsverlust, Erschöpfung, Schwäche, langsames Gehen und geringe körperliche Aktivität. Eine Anämie ist auch mit einer schlechteren Prognose für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert, die bei Älteren häufig vorkommen, wie Herzinsuffizienz (3), akutes Koronarsyndrom (4) und Schlaganfall (5). Auch eine geringere Muskelkraft gehe mit einem niedrigen Hb-Spiegel einher, was angesichts der Tatsache, dass über 30 Prozent der über 65-Jährigen mindestens einmal pro Jahr stürzten, relevant sei, sagte Sieber. Mangelernährung gehört ebenso zu den möglichen Ursachen einer Anämie wie chronische Niereninsuffizienz und andere Erkrankungen. Auch ein geringer, aber stetiger Blutverlust im MagenDarm-Trakt aufgrund von Leckagen der alternden «tight junctions» in der Darmschleimhaut sowie die weitverbreitete Medikation der Älteren mit Antikoagulanzien tragen dazu bei. Hinzu kommt eine altersbedingt weniger effiziente Erythropoese. Eine Anämie im Alter ist also meist multifaktoriell bedingt. Der Referent empfahl, sich in der Praxis zunächst auf diejenigen Faktoren zu konzentrieren, die relativ einfach zu beeinflussen seien, wie den Eisenstatus. Die Ferritinmessung ist die beste nicht invasive Methode zur Diagnose eines Eisenmangels. Bei älteren Personen hat die Sache aber einen Haken, denn der Ferritinwert ist im Alter nicht nur unspezifisch erhöht, sondern er steigt auch in der akuten Phase nach Stürzen, Hämatomen und anderem sowie im Verlauf verschiedener Erkrankungen an. Auf Nachfrage empfahl PD Dr. med. Jeroen S. Geode, Chefarzt Hämatologie am Kantonsspital Winterthur und Chairman an der Iron Academy, den Ferritinwert nicht in der akuten Phase zu mes-
sen, sondern erst nach Abklingen der Entzündungsproblematik. Auch Transferrinwert, Transferrinsättigung und das Blutbild könnten dabei helfen, einen Eisenmangel zu diagnostizieren, fügte Co-Chairman Prof. Edouard Battegay hinzu.
Eisenresorption im Darm
klappt auch im Alter
Die weitverbreitete Ansicht, dass der Darm im Al-
ter Eisen weniger gut resorbieren könne, sei
falsch, sagte Sieber: «Der Darm altert kaum.
Seine Resorptionsfähigkeit bleibt auch für Eisen
erhalten.» Falls Mangelerscheinungen auftreten,
obwohl die Zufuhr eines Nährstoffs ausreichend
ist, sei das kein normaler Alterungsprozess, son-
dern Anlass für die Suche nach einer Erkrankung,
die dafür verantwortlich sein könnte.
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Renate Bonifer
Quelle: «‹Eisenmangel bei ≥ 70-jährigen Patienten: Update 2021», Vortrag von Prof. Cornel Sieber an der Iron Academy, 17. Juni 2021.
Literatur: 1. Gaskell H et al.: Prevalence of anaemia in older persons: systematic review. BMC Geriatr. 2008;8:1. 2. Donaldson AIC et al.: Variability in the clinical management of iron deficiency anaemia in older adults: results from a survey of UK specialists in the care of older people. Ther Adv Drug Saf. 2019;10:2042098619854870. 3. Cleland JG et al.: Prevalence and Outcomes of Anemia and Hematinic Deficiencies in Patients With Chronic Heart Failure. JAMA Cardiol. 2016;1(5):539–547. 4. Farhan S, Baber U, Mehran R: Anemia and Acute Coronary Syndrome: Time for Intervention Studies. J Am Heart Assoc. 2016;5(11):e004908. 5. Barlas RS et al.: Impact of Hemoglobin Levels and Anemia on Mortality in Acute Stroke: Analysis of UK Regional Registry Data, Systematic Review, and Meta-Analysis. J Am Heart Assoc. 2016;5(8):e003019.
Dieser Artikel erschien zuerst in Ars Medici 19/21. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
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