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Thema
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Diabetische Dyslipidämie
LDL-Cholesterin bestimmen reicht nicht!
Die Verschärfung der Lipidzielwerte beruht auf der Erkenntnis, dass die kardiovaskuläre Mortalität unmittelbar mit dem LDL-Cholesterin-Spiegel korreliert. Für Patienten mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko, wie beispielsweise Diabetiker, eignet sich der ApoB-Wert jedoch besser für eine Therapieentscheidung als das LDL-Cholesterin, wie PD Dr. Stefan Bilz, Leiter der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Osteologie und Stoffwechselerkrankungen, Kantonsspital St. Gallen, darlegte.
2019 wurden die Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) für LDL-Cholesterin-(LDL-C-)Zielwerte überarbeitet und, abgestuft nach dem kardiovaskulären Risiko, erheblich verschärft (1). Die Arbeitsgemeinschaft Lipide und Atherosklerose (AGLA) übernahm 2020 diese Zielwerte weitgehend (2), sodass sie auch in der Schweiz ihre Gültigkeit haben. Gemäss diesen muss ein Patient mit Typ-2-Diabetes mit sehr hohem kardiovaskulären Risiko beziehungsweise mit bereits eingetretenen Organschäden oder mehr als 3 Hauptrisikofaktoren oder ein Typ-1-Diabetiker mit langer Erkrankungsdauer einen LDL-C-Zielwert von < 1,4 mmol/l erreichen. Für Diabetiker ohne Organschäden und mit einer Erkrankungsdauer von über 10 Jahren oder einem anderen zusätzlichen Risikofaktor beträgt der Zielwert 1,8 mmol/l. Diabetiker ohne zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren haben ein moderates Risiko und sollten einen Zielwert von 2,6 mmol/l anstreben. Da es aber gemäss Bilz praktisch keine Diabetespatienten mit moderatem oder tiefem kardiovaskulären Risiko gibt, gelten für fast alle die strengen Werte von 1,4 beziehungsweise 1,8 mmol/l oder eine Senkung von über 50 Prozent des Ausgangswerts. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass das Non-HDL-C und ApoB bessere Marker für das kardiovaskuläre Restrisiko darstellen als das LDL-C. Bei Patienten unter einer Statintherapie war das Risiko gemäss einer Studie bei zwar noch erhöhten LDL-C-Werten, aber tiefen ApoB-Werten nicht erhöht. Bei jenen mit einem tiefen LDL-C- und einem hohen ApoBWert ist dieses Risiko dagegen erhöht (3). Das Non-HDL-C reflektiert den Cholesteringehalt von allen atherogenen ApoB-haltigen Lipoproteinen, inklusive der triglyzeridreichen Lipoproteine, LDL-C und Lipoprotein(a), während die ApoBKonzentration die Anzahl beschreibt (4). Bei Patienten mit hohen Triglyzeridwerten, Diabetes, Adipositas, metaboli-
Abbildung:
Lipidmanagement bei Diabetespatienten mit kardiovaskulärem Risiko
(unter Berücksichtigung von Evidenz und Limitationen in der Schweiz)
hohes Risiko
Diabetes mellitus und hohes/sehr hohes kardiovaskuläres Risiko
Hochwirksames Statin (Atorvastatin ≥ 40 mg/Tag, Rosuvastatin ≥ 20 mg/Tag oder maximal tolerierte Dosis)
sehr hohes Risiko
ApoB < 0,8 g/l
ApoB > 0,8 g/l
ApoB > 0,65 g/l
ApoB < 0,65 g/l OK LDL < 2,6 mmol/l plus Ezetimibe OK LDL > 2,6 mmol/l
plus PCSK9-Hemmer
TG > 5–10 mmol/l
Fibrat erwägen
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schem Syndrom oder sehr tiefem LDL-C-Wert ist eine Bestimmung des ApoB-Werts empfohlen (1). Die entsprechenden ApoB-Zielwerte lägen dann für die Patienten mit sehr hohem kardiovaskulären Risiko bei < 0,65 g/l, für jene mit hohem Risiko bei 0,8 g/l, für Patienten mit moderatem Risiko bei < 1,0 g/l, erklärte Bilz am virtuellen Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie. Hohes Risiko auch bei Typ-1-Diabetes Für Patienten mit Typ-1-Diabetes ist das kardiovaskuläre Risiko gleich hoch oder höher als bei Typ-2-Diabetikern. Das zeigte eine kürzlich publizierte Beobachtungsstudie bei fast 60 000 altersgematchten Typ-1- und Typ-2-Diabetikern aus Schweden und Norwegen (5). Das liege daran, dass die Diabetesdauer der Typ-1-Diabetiker bei gleichem Alter meist erheblich länger sei als bei Typ-2-Diabetikern, so die Erklärung des Endokrinologen. Eine weitere schwedische Registerstudie zeigte eine Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen und kardiovaskulärem Tod um 20 bis 44 Prozent bei Typ-1Diabetikern mit einer Lipidsenkertherapie im Vergleich zu keiner Lipidsenkung (6). Womit sollen die Zielwerte erreicht werden? Gemäss Erhebungen im Rahmen der prospektiven, seit 2013 laufenden SwissDiab-Kohortenstudie mit 600 Typ-1- und Typ2-Diabetikern ist das Erreichen der Lipidzielwerte noch ein weiter Weg. Bis zu drei Viertel der Patienten erreichen mo- 3 + 4 • 2021 Thema mentan nicht einmal die weniger strengen LDL-C-Zielwerte der ESC von 2016 (1,8/2,6 mmol/l oder 50% Reduktion [7]). Die Verschärfungen in den neuen Empfehlungen machen es nicht einfacher. Gemäss einer Analyse der SwissDiab-Kohorte könnten die derzeitigen Lipidziele bei etwa der Hälfte der Patienten mit hochwirksamen Statinen oder einer Kombination aus Statinen und Ezetimibe erreicht werden, und bei der anderen Hälfte bräuchten alle Patienten zusätzlich einen PCSK9-Hemmer, erklärte der Referent. Patienten mit Diabetes profitieren besonders von einer Lipidsenkung. Das zeigte schon die IMPROVE-IT-Studie mit Statin/Ezetimibe, in der das absolute Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis bei der Diabetikersubgruppe bei 5,5 Prozent lag und sich eine entsprechend tiefe NNT(number needed to treat) von 18 ergab (8). Auch PCSK9-Hemmer bewirken bei Patienten mit Diabetes eine stärkere Senkung des absoluten Risikos (2,3%) für kardiovaskuläre Ereignisse als bei Nichtdiabetikern (1,2%) (9). Modernes Lipidmanagement Beim modernen Lipidmanagement anhand des ApoB-Werts erhalten Diabetiker mit hohem kardiovaskulären Risiko gemäss den ESC/AGLA-Guidelines ein hochwirksames Statin in maximal verträglicher Dosierung (Atorvastatin ≥ 40 mg/ Tag, Rosuvastatin ≥ 20 mg/Tag) (Abbildung). In der weiteren Therapieplanung muss neben dem LDL-C besonders das ApoB berücksichtigt werden. Wenn dieses < 0,8 g/l beziehungsweise bei sehr hohem Risiko < 0,65 g/l beträgt, ist die Therapie ausreichend. Liegt der ApoB-Wert über dieser Grenze, soll bei einem LDL-C-Wert < 2,6 mmol/l Ezetimibe hinzugefügt werden, bei Werten > 2,6 mmol/l ein PCSK9Hemmer. Diese Empfehlung des Referenten berücksichtigt neben den erwähnten Guidelines auch die aktuell in der Schweiz geltenden Limitationen der Spezialitätenliste. Weisen die Patienten hohe Nüchterntriglyzeridwerte (> 5– 10 mmol/l) auf, soll die Ernährung angepasst werden. Ist das nicht erfolgreich, kann die Zugabe eines Fibrats (Fenofibrat) erwogen werden. Eine weitere Option wird in Zukunft möglicherweise mit Icosapentethylester bestehen. In der REDUCEIT-Studie konnte damit (vs. Plazebo) bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten eine Senkung des absoluten Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse um 4,8 Prozent beobachtet werden. Unter den Teilnehmern befanden sich 57 Prozent Typ-2Diabetiker. Zusätzlich zeigte sich eine Reduktion der Triglyzeride um 19 Prozent (10). Damit könnte das Fischölpräparat
für Typ-2-Diabetiker mit Dyslipidämie und hohen Triglyzerid-
werten zusätzlich zu einer Statintherapie eine erhebliche
Risikoreduktion bieten, so Bilz. In den USA und kürzlich auch
in der EU wurde das Fischölpräparat (Vakzepa®) bereits zu-
gelassen.
Ein neuer Ansatz wird mit Bempedoinsäure verfolgt, die in
Kombination mit Ezetimibe eine LDL-C-Reduktion von 38 Pro-
zent erreicht. Bempedoinsäure beziehungsweise ihre aktive
Wirkform hemmt wie die Statine die Cholesterinsynthese,
greift aber an einer anderen Stelle durch Hemmung der ATP-
Citrat-Lyase an. Die Suppression der Cholesterinsynthese ist
leberspezifisch. Das durch Bempedoinsäure aktivierende En-
zym ist in Skelettmuskelzellen nicht vorhanden, sodass der
neue Wirkstoff anders als die Statine keine muskelbezoge-
nen Nebenwirkungen hat.
Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren neuen Ansatz:
Inclisiran ist ein synthetisches RNA-Molekül, das durch RNA-
Interferenz selektiv die Synthese von PCSK9 verhindert.
Seine LDL-C-senkende Wirkung ist mit jener von PCSK9-Hem-
mern vergleichbar (52%). Inclisiran wird alle 6 Monate in
einer Dosis von 284 mg subkutan verabreicht (11).
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Valérie Herzog
Quelle: «Update: Lipids and Diabetes», FOSPED/SGED-Kongress, 22. April 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipid-aemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111-188. 2. Arbeitsgemeinschaft Lipide und Atherosklerose (AGLA): Prävention der Atherosklerose 2020 – Fokus Dyslipidämie. www.agla.ch. 3. Johannesen CDL et al.: Apolipoprotein B and Non-HDL Cholesterol Better Reflect Residual Risk Than LDL Cholesterol in Statin-Treated Patients. J Am Coll Cardiol. 2021;77(11):1439-1450. 4. Watts GF et al.: Atherogenic Dyslipoproteinemia and Management of ASCVD: Will New Indices Untie the Gordian Knot? J Am Coll Cardiol. 2020;75(17):2136-2139. 5. Kristófi R et al.: Cardiovascular and renal disease burden in type 1 compared with type 2 diabetes: a two-country nationwide observational study. Diabetes Care. 2021;dc202839. 6. Hero C et al.: Association between use of lipid-lowering therapy and cardiovascular diseases and death in individuals with type 1 diabetes. Diabetes Care. 2016;39(6):9961003. 8. Giugliano RP et al.: Benefit of adding ezetimibe to statin therapy on cardiovascular outcomes and safety in patients with versus without diabetes mellitus: results from IMPROVE-IT (Improved Reduction of Outcomes: Vytorin Efficacy International Trial). Circulation. 2018;137(15):1571-1582. 9. Ray KK et al.: Effects of alirocumab on cardiovascular and metabolic outcomes after acute coronary syndrome in patients with or without diabetes: a prespecified analysis of the ODYSSEY OUTCOMES randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol. 2019;7(8):618-628. 10. Bhatt DL et al.: Reduction in first and total ischemic events with icosapent ethyl across baseline triglyceride tertiles. J Am Coll Cardiol. 2019;74(8):1159-1161. 11. Fachinformation Leqvio® (EU): https://www.fachinfo.de/pdf/023202
Dieser Artikel erschien zuerst in Ars Medici 20/21. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
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