Transkript
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Interview
Zeitgeist und Innovation
Interview mit Dr. med. Adrian Palma über «docstation»
doXmart hat sich die neue Praxis in DübendorfStettbach angeschaut, die mit dem Namen «docstation» auffällt. Welche medizinische und geschäftliche Philosophie steckt dahinter? Welche Rolle spielt Galexis dabei? Mit Dr. med. Adrian Palma, dem Initianten, haben wir ein Gespräch geführt, um meh darüber zu erfahren.
Einleitung Ist der «gute alte» Hausarzt ausgestorben, wie seit Jahren vorhergesagt? Nicht überall verschwunden, das nicht, aber der Hausarzt, wie wir ihn noch kannten oder der wir selber waren: 30 Jahre im gleichen Ärztehaus im Dorf tätig, allein, assistiert von der Gattin, sechs oder gar sieben Tage pro Woche rund um die Uhr erreichbar, 95 Prozent der medizinischen Probleme selber lösend – nein, dieser Hausarzt ist längst zur Chimäre geworden. In Dübendorf-Stettbach geht die Patientin oder der Patient, die/der noch keinen Hausarzt hat oder seinen Hausarzt wegen altersbedingter Praxisaufgabe verloren hat, neu in die «docstation». Ist der Name bloss Konzession an den Zeitgeist oder Ausdruck für ein spezielles, vielleicht innovatives Konzept? doXmedical wollte mehr über die docstation wissen, die den Patienten seit Februar dieses Jahres in der Überbauung «Am Stadtrand 5» zugänglich ist. Wir sprachen mit dem Initianten des Projekts, Dr. med. Adrian Palma, und schauten uns die Praxis an. Das Gespräch war spannend und machte nachdenklich.
doXmedical: Herr Palma, Sie sind Chirurg, Sportmediziner, Vertrauensarzt und Gutachter – was sind Sie am liebsten? Oder am häufigsten? Dr. med. A. Palma: Ich bin eigentlich alles gerne, am liebsten das, was gerade gebraucht wird. Aber nein, im Ernst: Natürlich bin ich in erster Linie Chirurg.
Sie haben die docstation initiiert: eine Gemeinschaftspraxis von zurzeit fünf Ärzten mit verschiedenen Fachrichtungen – das ist ungewöhnlich für einen Chirurgen. Wie kam es dazu? Mit Corona kamen einige Privatkliniken in Schwierigkeiten. Ich war damals als Chirurg in einer Klinik tätig und sah mich vor die Entscheidung gestellt, «auf bessere Zeiten» zu warten oder selber etwas Neues aufzubauen. Auf Umwegen, nach Gesprächen mit Kollegen, wurde ich auf die Überbauung in Dübendorf-Stettbach aufmerksam. Sie schien mir eine attraktive Möglichkeit,
quasi «auf der grünen Wiese» selbständig, etwas aufzubauen, das meinen Vorstellungen einer Medizin als Dienstleisterin entspricht.
Das ganze Projekt wurde, so scheint es, in Rekordzeit konzipiert und umgesetzt. Wie lief das ab, vor allem im Hinblick auf die personelle Zusammensetzung der Praxis? Es stimmt, es ging sehr schnell. Das Projekt wurde innerhalb eines Jahres realisiert. Ich hatte das Glück, aus meinem Netzwerk Fachärzte rekrutieren zu können, die in mein Konzept einer umfassenden Grundversorgung gepasst haben. Selbstverständlich fehlt noch die eine oder andere Disziplin, aber die aktuelle Kombination mit Kardiologie, Dermatologie und Hausarztmedizin deckt einen grossen Teil der medizinischen Probleme ab. Zudem fand ich in der Lumina Health AG, einer Agentur für Marketing und Kommunikation im Gesundheitswesen, eine sehr kreative Partnerin, die für ein modernes Leit- und Erscheinungsbild sorgte.
Sie haben die Praxis eingerichtet mit Hilfe der Firma Galexis. Warum mit Galexis als Partner? Jede Arztpraxis benötigt einen Lieferanten. Einerseits für Medikamente und einen effizienten, praktischen Medikamenten-Roboter, andererseits auch für die gesamte moderne Praxiseinrichtung, die Geräte, Apparate und so weiter. Wir evaluierten deshalb die potenziellen Partner und Grossisten. Bedingung war, dass der Partner von Einrichtung, Führung, Betrieb, aber auch Marketing einer Arztpraxis etwas versteht, am besten sogar mehr als der Praktiker selber. Warum wir Galexis wählten und keinen andern? Ganz einfach: Die Zusammenarbeit begann mit einem Missverständnis. Die
Zur Person:
Dr. med. Adrian Palma absolvierte nach dem Medizinstudium die Ausbildung zum Facharzt Chirurgie. Er war an mehreren renommierten Kliniken im In- und Ausland tätig. Zuletzt als Leiter der Venenchirurgie an der Klinik für Gefässchirurgie am Universitätsspital Zürich. Zusätzlich absolvierte Dr. Palma die Ausbildung zum Sportmediziner der Sport & Exercise Medicine Switzerland (SEMS) sowie die Ausbildung zum Vertrauensarzt und Gutachter. Die Idee und das Konzept docstation wurde von ihm entworfen und umgesetzt. Sein Praxis-Schwerpunkt liegt in der Anwendung von Eigenfett und Stammzellen in den Bereichen der regenerativen Medizin und in der Schmerztherapie. Dr. Palma ist Hauptaktionär der Betreibergesellschaft Polymedics AG, Zürich. Wer mehr wissen will: https://docstation.ch/de/
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Art und Weise, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Galexis mit dem – sagen wir «Lapsus», es ging um eine Lieferung von Spritzen, – umgingen, überzeugte uns, dass wir die richtigen Partner gefunden hatten. Probleme sind ein Anlass, Lösungen zu finden. Und gemeinsam fanden wir auf die auftauchenden Fragen eine optimale Antwort. Die Bereitschaft von Galexis, im Rahmen ihrer ÄrztezentrenStrategie auch wirtschaftlich Hand zu bieten bei der Umsetzung unserer Vorstellungen, war zusätzlich hilfreich. Galexis war bereit, einen sehr kleinen, aber wesentlichen Teil des betriebswirtschaftlichen Risikos mitzutragen – und zwar ohne im Geringsten auf das Praxiskonzept oder gar die Betriebsführung Einfluss nehmen zu wollen.
Und das klappte alles ohne Probleme? Ja! Galexis erwies sich jedenfalls als kompetente Partnerin in jeder Phase des Projekts. Und für uns wichtig: Wir blieben zu jedem Zeitpunkt frei in unseren Entscheidungen. Auch finanziell.
In der docstation scheint der Patient eher Kunde zu sein – um es etwas plakativ zu sagen. Was bieten Sie Ihren Patienten anderes oder mehr als andere Hausarztpraxen und warum? Vielleicht verrät meine Vergangenheit etwas über mein Konzept. Ich komme ursprünglich aus dem Hotelfach. Das Medizinstudium begann ich erst mit 30, also auf dem zweiten Bildungsweg. Mein Interesse galt bald der Ästhetischen und Plastischen Chirurgie. Aus der Hotellerie nahm ich etwas Wichtiges mit, das ich als Mediziner nicht aufgeben wollte und konnte: Zu uns kommen Patienten, Leidende, aber sie sind gleichzeitig auch Kunden und vor allem: sie werden gerne so behandelt. Sie sollen sich – und das bereits am Empfang – eher wie willkommene Gäste fühlen, für die wir alles tun. Wir machen keine andere Medizin, aber wir bemühen uns, von der Praxisassistentin bis zum Arzt, die Patienten zuvorkommend zu begleiten. Sie sollen sich geborgen fühlen, keine Angst, sondern von Anfang an Vertrauen zu uns haben. Wir bieten ihnen alles, was sie sich wünschen und was für sie gut ist. Wir schauen in unserer Praxis auf «wichtige» Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen: Das kann der Kaffee sein, der über kurze Wartezeiten hinweg hilft, das ist aber auch die Ruhe und der Verzicht auf laute Telefonate. Nicht
In der docstation vertretene Fachbereiche und Dienstleistungen
• Hausarztmedizin • Kardiologie (nicht invasiv) • Dermatologie • Allergologie • Orthopädie • Chirurgie
• Venenzentrum (Phlebologie) • Sportmedizin • Schmerztherapie • Check-ups • Impfungen • Corporate Healthcare
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umsonst nennen wir uns «silent praxis». Wir vermeiden Hektik und Unruhe. Die administrativen Abläufe werden, wenn möglich, digital erfasst und vereinfacht. Wir sind freundlich, geduldig und behilflich.
Ist die ursprüngliche Hausarztpraxis «out»? Ich denke, ja. Das alte Modell der hausärztlichen Einzelpraxis ist wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig. Unser Konzept geht davon aus, dass eine letztlich defizitär arbeitende Hausarztpraxis nur im Verbund mit Fachärzten überleben kann. Der Hausarzt steuert zwar das meiste, ist in vielen Fällen «Zuweiser», aber dafür darf er bekanntlich nicht honoriert werden. Nur im Verbund einer Praxisgemeinschaft, in der auch nicht bezahlte Leistungen gewichtet werden, macht die Hausarztmedizin wirtschaftlich wieder Sinn. Seien wir ehrlich: Wirtschaftlich gesehen ist die ausschliesslich hausärztliche Tätigkeit plafoniert. Sie können nur eine bestimmte Anzahl Stunden arbeiten beziehungsweise den Krankenversicherern verrechnen. Die Zahl ist begrenzt und der Stundenansatz bescheiden. Wenn Sie keine medizinischen Angebote haben, die zusätzlich in Rechnung gestellt werden können, haben Sie es als Hausarzt schwer.
Das war früher nicht anders. Vielleicht gab’s damals mehr Möglichkeiten des Zuverdienens – von arbeitsmedizinischen Eintrittsuntersuchungen über phlebologische, neuraltherapeutische und andere Sprechstunden, Schulärztliche Dienste bis zur Mitarbeit an «Studien» der Pharmaindustrie. Sie haben ja auch heute noch EKG, Röntgen, Ultraschall und so weiter. Sicher, aber ist es nicht sinnvoller – nicht nur aus wirtschaftlichem Eigennutz, sondern auch qualitativ und gesamtwirtschaftlich betrachtet – das EKG dem Kardiologen, die Bildgebung dem Radiologen, die schwierige Beurteilung der Haut dem Dermatologen und die Kleinchirurgie dem Chirurgen im gleichen Haus zu übergeben? Vor allem wenn Sie sehen, dass die Überweisung an den Facharzt, beziehungsweise seine Konsultation am Ende ja doch erfolgen muss, in der klassischen Praxis einfach ein, zwei unnötige Konsultationen später?
In einem solchen Verbund entsteht doch die Gefahr einer wirtschaftlich motivierten Überversorgung? Die besteht in jeder Konstellation, letztlich sogar in der Einzelpraxis. Dem entgegen steht – auch bei uns – die ärztliche Ethik, die uns davon abhält, unnötige Untersuchungen zu veranlassen. Wir versuchen nicht etwa, viele Folgekonsultationen anzuordnen, sondern falls Folgekonsultationen nötig sind, diese im gleichen Haus zu behalten. Wir sind aber vor allem zuvorkommende Dienstleister – in der Hotellerie würden wir sagen: Gastgeber, die auch auf eine gute Kundenbindung setzen. Selbst-
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verständlich schicken wir die von Dritten zugewiesenen Patienten wieder zu ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten zurück, aber die, die von sich aus zu uns kommen, behalten wir gerne als Kunden.
Mitten in ihr Projekt funkte bekanntlich die Corona-Pandemie hinein. Machte Ihnen das spezielle Probleme? Es war auch eine Chance. Wir boten von Anfang an auch «Corporate Healthcare» an, das heisst gesundheitliche Dienstleistungen für Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das können Vorsorgeuntersuchungen sein, arbeitsmedizinische Abklärungen und im Fall von Corona waren das eben Impfungen. Insofern profitierten wir sogar von der Situation. Vorallem natürlich, nachdem die Tagesschau des Schweizer Fernsehens über uns berichtet hatte.
Nochmals kurz zum Namen «docstation». Ich nehme an, er entstand bei Diskussionen auch mit Ihrer Marketing-Agentur. Ja, wir haben die Kombination von «doc» als Kurzform von Doktor mit dem Begriff des «Andockens» verbunden – auch im Hinblick darauf, dass heute jedes e-Auto an einer elektrischen Ladestation andockt, was im übertragenen Sinn an das «Aufladen der Batterien» erinnert. Zusammen mit dem Umstand, dass wir uns in der Nähe des Bahnhofs («station») befinden, schien uns die «docstation» eine gelungene Wortschöpfung. Es ist eine Kombination, die auf etwas Innovatives, etwas Positives, verweist.
Warum entstand die docstation in der Agglomeration und nicht in der Stadt Zürich, im Zentrum? Wäre das nicht eine noch erfolgversprechendere Wahl gewesen? Die Leute in der Nähe von Schwammendingen reagieren auch nicht anders als in der Stadt. Sie schätzen unseren Service. Ausserdem sind – ehrlich gesagt – die Mietzinsen deutlich niedriger als im Zentrum der Stadt Zürich.
Das Konzept ist ja nicht speziell auf Dübendorf-Stettbach zugeschnitten. Es könnte auch an einem anderen Ort funktionieren. Planen Sie Ableger der docstation an andern Orten? In der Tat denken wir daran, das Konzept der docstation –
Das Team der docstation:
• Dr. med. Natalie Frabetti, Allgemeine Innere Medizin (50%-Pensum) • Pract med. Lars Koschorrek, Dermatologie (80%-Pensum) • Dr. med. Daniel Burger, Orthopädie, Traumatologie (60%-Pensum) • Dr. med. Adrian Palma, Chirurgie (100%-Pensum)
Alle Ärzte arbeiten als angestellte, rein nach Arbeitspensum entschädigte Mitarbeiter der Betreibergesellschaft Polymedics AG.
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möglichst viele Dienstleistungen im gleichen Haus, zusammen mit einer explizit Service-orientierten Betreuung – an weiteren Standorten aufzubauen. Beispielsweise werden wir eine docstation im Gesundheitszentrum in Emmen LU im November 2021 eröffnen.
Welches war und sind künftig die grössten Herausforderungen, Probleme sowie Widerstände, mit denen Sie sich konfrontiert sahen? Neben den üblichen, aber eigentlich sehr fruchtbaren Diskussionen mit Architekten, Designern und weiteren Experten waren vor allem die Diskussionen mit den – nicht ärztlich geführten – Netzwerken und Versicherungen kompliziert. Helsana und CSS akzeptieren uns zum Beispiel nicht in ihren Hausarztmodellen.
Docstation ist, soviel ist klar, keine klassische Hausarztpraxis – vielleicht ist sie die Zukunft. Trotzdem die Frage: Was bedeutet für Sie Hausarztmedizin? Die Hausarztmedizin ist und bleibt selbstverständlich der wichtigste Pfeiler einer umfassenden medizinischen Grundversorgung. In meinem Verständnis sollte der Hausarzt innert 15 Minuten ein medizinisches Problem erfassen und einer Lösung zuführen können. Und sie oder er sollte 90 Prozent der Fälle selber, ohne zusätzliche Hilfe, lösen können. In meiner Vorstellung verbessern zusätzliche Fachbereiche in unmittelbarer Nähe – am besten im gleichen Haus – die Behandlungsqualität. Weil dann erstens schneller und damit zweitens meist auch kostengünstiger abgeklärt und behandelt werden kann. Den Verdacht, dass dieses Konzept dazu führt, dass mehr Umsatz generiert wird, als nötig wäre, kenne ich. Ich halte ihn für unbegründet.
Würden Sie heute, fünf Monate nach Eröffnung der docstation
irgendetwas anders machen?
Nein. Denn der «Spirit» in der docstation stimmt. Jede und jeder,
Ärztinnen, Ärzte wie medizinisches Personal, kommen jeden Tag
gerne zur Arbeit. Und die Patienten schätzen das, was wir ihnen
bieten. Auch beim Personal gehen wir neue Wege. Wir versu-
chen, unseren Mitarbeitenden sogenannte «added values» zu
Gute kommen lassen. Auf Dauer können Mitarbeitende nicht
mit einer guten Bezahlung gehalten werden. Gegenseitiger
Respekt und Wertschätzung der Mitarbeitenden ist uns sehr
wichtig.
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Herr Kollege Palma, besten Dank!
Das Interview führte Richard Altorfer.