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Thema
Darm und Depression
Die therapeutische Wirksamkeit gegenwärtiger antidepressiver Medikation ist limitiert. Aus diesem Grund wird inten-
Von Else Schneider, Anna-Chiara Schaub, Jessica Roth und André Schmidt
nahme geführt, dass eine Wiederherstellung einer intakten Darm-Hirn-Interaktion ein neuer Therapieansatz für Depressionen darstellen
siv nach alternativen Therapieansätzen
könnte.
gesucht. Präklinische und erste klinische Versuche weisen auf das Potenzial von Darmmanipulationen
Die Darm-Hirn-Achse
für die Behandlung von Depressionen hin. Dieser
Allgemein bezeichnet die Darm-Hirn-Achse die bidirektionale
Übersichtsartikel stellt das Konzept der Darm-Hirn-
Kommunikation zwischen Magen-Darm-Trakt und Gehirn und
Achse vor, wie diese mittels Interventionen mani-
beschreibt damit den Zusammenhang zwischen peripheren
puliert werden kann, und die Ergebnisse erster kli-
intestinalen Funktionen und Verhalten. Im Magen-Darm-
nischer Studien sowie was noch nötig ist, um Else Schneider Trakt spielt vor allem die Darmmikrobiota, die Gemeinschaft
mikrobielle Therapieformen in der Klinik anbieten
der im Darm lebenden Mikroorganismen, eine wesentliche
zu können.
Rolle bei der Kommunikation mit dem Gehirn, weshalb oft
auch von der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse gesprochen wird.
Einleitung
Die menschliche Darmmikrobiota wiegt ungefähr 1 bis 2 kg
Die Depression mit mehr als 264 Millionen erkrankten Men-
und besteht aus Billionen symbiotischer Bakterien, Viren
schen weltweit (1) ist eine der häufigsten psychischen Er-
und Pilzen, die das Gehirn und das Verhalten beeinflussen
krankungen und steht im Zusammenhang mit erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität, die als sehr belastend empfunden werden (2). Wesentliche Grundlage der Be-
Anna-Chiara Schaub
(10). Häufig wird statt von der Darmmikrobiota auch vom Darmmikrobiom gesprochen, das die Darmmikrobiota inklusive der dazugehörigen genetischen Information bezeichnet.
handlung ist der Einsatz antidepressiver Medikamente, die
Obwohl diese beiden Begriffe nicht genau das Gleiche be-
ihre Wirkung über Monoamin-Neurotransmittersysteme wie
deuten (11), werden sie häufig synonym gebraucht. Hier wird
das Serotonin und das Noradrenalin erzielen. Ihre Wirksam-
fortan der breitere Begriff Darmmikrobiom verwendet.
keit ist jedoch begrenzt, und zirka zwei Drittel aller Patienten
Wie genau die Kommunikationswege zwischen dem Magen-
sprechen unzureichend auf eine erste Behandlung an (3).
Darm-Trakt und dem Gehirn aussehen, ist bis jetzt nicht ein-
Deshalb ist es wichtig, nach alternativen biologischen An-
deutig erforscht. Neben den Hormonen und Neurotransmit-
satzpunkten zu suchen, um effizientere Behandlungsformen entwickeln und anbieten zu können. In diesem Zusammen-
Jessica Roth
tern, die sowohl im Darm als auch im Gehirn produziert werden, spielen vor allem der Vagusnerv, das Immunsystem,
hang konzentrieren sich neue Forschungen auf die Interak-
die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
tion zwischen dem Magen-Darm-Trakt und dem zentralen
(hypothalamic-pituitary-adrenal axis, HPA-Achse) sowie
Nervensystem, besser bekannt als Darm-Hirn-Achse. Es gibt
kurzkettige Fettsäuren (short chain fatty acids, SCFA) eine
zunehmend Hinweise aus präklinischen Studien, dass die
wesentliche Rolle in der Darm-Hirn-Kommunikation. Auch
Zusammensetzung der Darmflora ein Hauptregulator wich-
wenn diese vier verschiedenen Pfade nicht unabhängig von-
tiger neurophysiologischer Prozesse ist, die bei Depressio-
einander die Kommunikation regulieren, werden sie im Fol-
nen beeinträchtigt sind (4). Die hohe Komorbidität zwischen Depressionen und gastrointestinalen Erkrankungen wider-
André Schmidt
genden kurz einzeln beschrieben.
spiegelt ebenfalls die Bedeutung der Darm-Hirn-Achse (5).
alle Fotos: zVg
Vagusnerv
Tatsächlich konnten Studien bei depressiven Patienten eine
Der Vagusnerv ist der 10. von 12 Hirnnerven und stellt den
veränderte fäkale Bakterienzusammensetzung zeigen (6),
schnellsten und direktesten Kommunikationsweg zwischen
die mit einer verstärkten Symptomatik und einer verminder-
Darm und Hirn dar. Die Nervenverbindung zwischen Darm
ten Lebensqualität einhergeht (7, 8). Nachweisstudien zeig-
und Gehirn besteht zu 80 Prozent aus afferenten Nervenfa-
ten zudem, dass eine Übertragung von Stuhlproben depres-
sern (bottom-up) und zu 20 Prozent aus efferenten Nerven-
siver Patienten bei Tieren zu Verhaltensauffälligkeiten führt,
fasern (top-down) (12). Durch die starke Innervation des
die mit Angst und Depressionen assoziiert werden (8, 9).
Darms kann der Vagusnerv bereits kleine Veränderungen bei
Eine Fülle von Erkenntnissen der letzten Jahre hat zur An-
den Metaboliten des Darmmikrobioms feststellen, diese In-
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formation an das Gehirn weiterleiten und eine entspre-
dung bei Depressionen sein (20). Eine Studie bei Mäusen
chende Antwort im Gehirn auslösen (13). Umgekehrt kann
konnte ausserdem zeigen, dass ein durch den Mangel an
der Vagusnerv die Permeabilität der Darmwand beeinflussen
Lymphozyten geschwächtes Immunsystem die Ängstlichkeit
und damit höchstwahrscheinlich die Zusammensetzung des
und die Gedächtnisleistung negativ beeinflusst, was durch
Darmmikrobioms mitbestimmen (14). Studien zur Vagusnerv-
die Gabe von Probiotika jedoch wieder ausgeglichen werden
stimulation (VNS) und zur Vagotomie (Trennung des Vagus-
konnte (21). Diese Erkenntnisse weisen auf die wichtige Rolle
nervs) belegen die Wichtigkeit dieser bidirektionalen Kom-
des Immunsystems in der Darm-Hirn-Achse hin.
munikation für eine adäquate Gehirnfunktion und ein
entsprechendes Verhalten (15, 16). Vor allem die Ergebnisse
HPA-Achse
der VNS haben gezeigt, dass der Vagusnerv eine wesentliche
Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
Rolle in der Emotionsregulation spielt (17).
(hypothalamic-pituitary-adrenal axis, HPA-Achse) ist Haupt-
bestandteil des neuroendokrinen Systems und wird häufig
Immunsystem
auch als Stressachse bezeichnet, da sie verschiedene Stress-
Der Darm ist das mächtigste Immunorgan des Körpers und
reaktionen kontrolliert und die Homöostase der Stresshor-
weist die grösste Ansammlung von Immunzellen in unserem
mone Cortisol, Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) und
Körper auf. Die Immunzellen sind im ständigen Austausch
adrenokortikotropes Hormon (adrenocorticotropic hormon,
mit den Billionen Mikroben im Darm, um die Abwehr patho-
ACTH) reguliert. Sie stellt die wichtigste nicht neuronale Ver-
gener Mikroorganismen und die Toleranz gegenüber einer
bindung von Darm und Gehirn dar und besteht aus einer
Vielzahl von Nahrungsmittelantigenen und nützlichen Mikro-
komplexen Abfolge von direkten Einflüssen und Feedback-
organismen zu ermöglichen (12). Das Darmmikrobiom ist zu-
schleifen zwischen den drei Hormondrüsen des Hypothala-
dem eng mit der Dynamik des restlichen Immunsystems ver-
mus, der Hypophyse und der Nebennierenrinde (12). Die
knüpft (18). Die Kommunikation zwischen Darm und
meisten Erkenntnisse zur Interaktion zwischen Darmmikro-
Immunsystem findet vor allem über die Darmschleimhaut als
biom und der HPA-Achse stammen aus der Forschung mit
Teil der Darmbarriere statt. Die Permeabilität der Darmbar-
keimfreien Mäusen. Dort konnte zum Beispiel gezeigt wer-
riere wird durch Tight-Junctions-Proteine kontrolliert, deren
den, dass keimfreie Mäuse im Vergleich zu gesunden Kon-
Expression wiederum durch das Darmmikrobiom reguliert
trollmäusen bei Stress durch Bewegungseinschränkung mit
wird (19). Defizite in der Darmpermeabilität können zum Bei-
überdurchschnittlich hohen Cortisol- und ACTH-Spiegeln rea-
spiel der Grund für die chronisch unterschwellige Entzün-
gieren, was aber durch die Gabe von Probiotika wieder regu-
liert werden kann (22). Umgekehrt konnte in
Tiermodellen auch gezeigt werden, dass eine
Kasten 1:
Die wichtigsten Kommunikationswege der Darm-Hirn-Achse
Dysregulierung der HPA-Achse Veränderungen des Darmmikrobioms zur Folge hat (23).
Kommunikationsweg Vagusnerv
Immunsystem
HPA-Achse (hypothalamicpituitary-adrenal axis) SCFA (short chain fatty acids)
System Peripheres Nervensystem
Immunsystem/ lymphatisches System
Endokrines System
Metaboliten
Funktion Der Vagusnerv ist der 10. Hirnnerv und stellt die schnellste und direkteste Verbindung der DarmHirn-Achse dar. Der Vagusnerv spielt eine wichtige Rolle bei der Emotionsregulation. Der Darm ist das grösste Immunorgan im menschlichen Körper und ist für die Abwehr von pathogenen Mikroorganismen und die Toleranz von Nahrungsmittelantigenen zuständig. Durch die Regulation der Immunzellenausschüttung ist der Darm mitverantwortlich für die Homöostase des Immunsystems. Die HPA-Achse ist die wichtigste nicht neuronale Verbindung von Darm und Gehirn und reguliert vor allem Stressreaktionen. Die HPA-Achse ist eng mit Immunsystem und Vagusnerv verknüpft. SCFA sind der Hauptbestandteil der im Darm produzierten Metaboliten. Sie können sowohl die Darmbarriere als auch die Blut-Hirn-Schranke passieren und spielen somit eine wesentliche Rolle in der Darm-Hirn-Kommunikation.
Auch bei Menschen mit Reizdarmsyndrom konnte diese Interaktion gefunden werden (24). Interessanterweise weist die HPA-Achse auch eine enge Verknüpfung zum Vagusnerv und zum Immunsystem auf.
SCFA Bioaktive kurzkettige Fettsäuren (short chain fatty acids, SCFA) bilden den Hauptbestandteil der im Darm produzierten Metaboliten und entstehen durch die Fermentierung von Ballaststoffen im Dickdarm. Sie können sowohl die Darmbarriere als auch die Blut-HirnSchranke passieren und dadurch auf humoralem Weg direkt sowie durch die Aktivierung neuronaler, immunologischer und hormonaler Wege indirekt mit dem Gehirn kommuni-
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zieren (25). SCFA nehmen dadurch Einfluss auf kognitive Funktionen wie Lernen, Gedächtnis und Emotionen. Studienergebnisse implizieren, dass sowohl depressive Mäuse als auch depressive Patienten eine signifikante Abnahme von verschiedenen SCFA wie Acetat, Butyrat und Propionat aufweisen (26, 27). Bei Mäusen konnte zudem gezeigt werden, dass eine orale Einnahme von SCFA die generelle Stressreaktion und die stressinduzierte Anhedonie verbessert (28). Jedoch sollte hier kurz angemerkt werden, dass ein erhöhtes Vorkommen von SCFA auch negative Konsequenzen haben kann und im Zusammenhang mit Erkrankungen wie der Parkinson-Krankheit und der Autismus-Spektrum-Störung steht (29, 30). Generell kann gesagt werden, dass eine starke direkte und indirekte Kommunikation zwischen Darm und Gehirn existiert. Bisherige Erkenntnisse weisen darauf hin, dass das Darmmikrobiom und die Darm-Hirn-Achse einen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten haben und im Zusammenhang mit verschiedenen psychiatrischen, neurologischen und neurodegenerativen Krankheiten stehen, wobei die genauen zugrunde liegenden Mechanismen noch weitgehend unbekannt sind.
Darmmanipulationen als neuer Therapieansatz bei Depressionen Um über den Magen-Darm-Trakt die Darm-Hirn-Achse zu beeinflussen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Schon durch eine veränderte Ernährung kann die Zusammensetzung der Darmbakterien beeinflusst werden (31). Die für den Darm relevanten Stoffe werden als Präbiotika, Probiotika und Postbiotika bezeichnet. Sie können über die Darm-Hirn-Achse positive Effekte auf die Psyche haben und werden übergreifend als «Psychobiotika» bezeichnet (32). Präbiotika sind Ballaststoffe und dienen als Nährstoffe für Bakterien im Darm (33). Postbiotika sind zum Beispiel SCFA und entstehen natürlicherweise bei Stoffwechselprozessen wie der Fermentierung im Darm (32). Zu Prä- und Postbiotika gibt es erste Hinweise, dass sie positive Einflüsse auf depressive Symptome haben könnten, die Datenlage ist jedoch aktuell noch spärlich (Kasten 2). Die meiste Forschung im Zusammenhang mit Depressionen existiert zu Probiotika. Deren Einsatz, gemeinsam mit der fäkalen Mikrobiota-Transplantation (FMT) als weitere Möglichkeit zur Manipulation der Darm-Hirn-Achse, wird im Folgenden detailliert vorgestellt.
Probiotika Probiotika sind lebende Mikroorganismen und haben in ausreichender Anzahl einen positiven Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Neben der Einnahme über die Nahrung
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und als Nahrungsergänzungsmittel gibt es auch probiotische Arzneimittel, die als Antidiarrhoika sowie zur Regulation der Darmflora eingesetzt werden. Probiotische Produkte enthalten einzelne Bakterienstämme oder die Kombination verschiedener Stämme, wie zum Beispiel Laktobazillen und Bifidobakterien (34). Diese probiotischen Bakterien sollen im Darm pathogene Bakterien verdrängen und das bestehende Darmmikrobiom ergänzen. Da Depressionen mit einem veränderten Darmmikrobiom in Zusammenhang stehen (6), wurde der Ansatz einer Darmmikrobiom-orientierten Therapie mit Probiotika entwickelt. Verschiedene Interventionsstudien haben die Wirkung von Probiotika auf depressive Symptome untersucht. Dabei zeigten etwa zwei Drittel der Studien positive Effekte der Probiotika im Vergleich zu Plazebo (35). Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die Studien verschiedene Studienpopulationen untersuchten und nur wenige Studien mit klinischen Stichproben durchgeführt wurden. Da vor allem bei Personen mit mittleren oder starken depressiven Symptomen Effekte von Probiotika gezeigt werden konnten und weniger bei jenen mit leichter Symptomausprägung, besteht die Annahme, dass die Wirkung von Probiotika von der Symptomausprägung abhängig ist (36). Bei Patienten mit Depressionen könnten Probiotika als Supplement zur bestehenden Therapie gegeben werden. Dieser Ansatz wird mit einer früheren Studie untermauert, bei der depressive Patienten neben Probiotika keine Antidepressiva nahmen. In dieser Studie konnte nach einer 8-wöchigen Intervention keine Überlegenheit von Probiotika gegenüber Plazebo gezeigt werden (37). Neben möglichen Effekten auf klinische Symptome wurden in einigen Studien auch Veränderungen von biologischen Faktoren untersucht. Dabei konnten Veränderungen in Gehirnfunktionen durch Probiotika gezeigt werden, wie zum Beispiel eine reduzierte Amygdalareaktivität auf emotionale Stimuli bei Patienten mit Reizdarmsyndrom und depressiven sowie Angstsymptomen (38). Derzeit ist noch nicht geklärt, mit welchen Veränderungen im Darmmikrobiom die Einnahme von Probiotika einhergeht. Einige Studien konnten keine signifikanten Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien nachweisen (38, 39). Mit weiteren Analysen konnten jedoch spezifischere Veränderungen, wie zum Beispiel in den Metaboliten der Darmbakterien, durch Probiotika gezeigt werden. Da weiterhin viele Fragen in Bezug auf die Mechanismen und die Effektivität von Probiotika bei Depressionen offen sind, wird zurzeit an den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel eine Studie mit stationären depressiven Patienten durchgeführt. Über einen Zeitraum von vier Wochen erhalten Patienten entweder ein Probiotika- oder ein Plazebo-
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Kasten 2:
Überblick über verschiedene mögliche Ansätze, um die Darm-Hirn-Achse zu manipulieren
Erfolg zur Behandlung bei Darminfektionen, wie der rezidivierenden Clostridium-difficileInfektion, eingesetzt (41, 42). Weiter gibt es
Präbiotika Probiotika Postbiotika FMT
Beispiele Inulin Fructooligosaccharide (FOS) Galactooligosaccharide (GOS) Laktobazillen Bifidobakterien: Bifidobacterium longum Kurzkettige Fettsäuren: Butyrat, Acetat, Propionat Gesamte Mikrobiota eines gesunden Spenders via Kapseln oder Kolonoskopie
Studien zu Depression Wenige Studien, erste Hinweise auf Effekt in Affekt und Kognition (50, 51)
Starke Hinweise auf einen positiven Effekt auf depressive Symptome durch Interventionsstudien, Reviews, Metaanalysen (35, 36) Antidepressiver und anxiolytischer Effekt im Tiermodell, keine Interventionsstudie beim Menschen bisher (32) Pilotstudien zeigen positive Effekte auf depressive Symptome (45) und Lebensqualität (46) bei Patienten mit Reizdarmsyndrom
Hinweise darauf, dass FMT beim Reizdarmsyndrom zu einer Verbesserung der Symptome führen kann (43). Viele Patienten mit einem Reizdarmsyndrom leiden zudem unter depressiver Symptomatik, wobei fast 30 Prozent der Reizdarmpatienten eine depressive Episode erleben (44). Reizdarmstudien konnten zudem zeigen, dass FMT nicht nur zu einer Reduktion der gastrointestinalen, sondern auch der depressiven Symptomatik
führen kann (45). Ebenso verbesserte FMT
präparat. Neben der Erhebung von klinischen Parametern
die Lebensqualität der Patienten (46). Anhand der oben be-
wie depressiven Symptomen sollen mit Stuhl-, Blut- und
schriebenen Erkenntnisse kann angenommen werden, dass
Speichelproben sowie bildgebenden Methoden die Darm-
FMT als Zusatzbehandlung zur Linderung depressiver Symp-
Hirn-Achse und deren Veränderungen über den Interventi-
tome beitragen kann. Nach unserem aktuellen Wissensstand
onszeitraum und darüber hinaus untersucht werden.
existiert jedoch bis jetzt keine randomisiert kontrollierte Stu-
die zur Untersuchung von FMT bei depressiven Patienten.
FMT Für die Anwendung von FMT bedarf es einer umfangreichen
Eine direkte Möglichkeit der Darmmanipulation stellt die fä-
Voruntersuchung eines gesunden Spenders, dessen Stuhl an-
kale Mikrobiota-Transplantation (FMT) dar. Bei FMT wird die
schliessend in den Körper einer erkrankten Person übertragen
Darmflora eines Individuums in den Magen-Darm-Trakt eines
wird (47). Studien und Stuhlbanken verfolgen daher ein strik-
anderen Individuums transferiert (40). FMT wird bereits mit
tes Screening, das laufend aktualisiert und optimiert werden
muss. Das Prozedere für Spender variiert zwar zwischen den
MERKPUNKTE:
verschiedenen Institutionen, wird jedoch jeweils durch eine externe Stelle kontrolliert. Allerdings gelten bestimmte Auf-
✔ Die Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen und führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität. Die Wirksamkeit bisheriger Behandlungsmethoden ist jedoch unzureichend, und Ansatzpunkte für neue Therapien werden dringend gebraucht.
✔ Die Darm-Hirn-Achse, die die Interaktion von peripheren intestinalen Funktionen und Gehirnfunktionen sowie Verhalten beschreibt, bietet einen neuen vielversprechenden Therapieansatz bei Depressionen, da die Darmflora wesentliche neuropsychologische Prozesse steuert, die bei Depression betroffen sind.
✔ Wesentliche Kommunikationswege der Darm-Hirn-Achse sind der Vagusnerv, das Immunsystem, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und kurzfettige Fettsäuren (Kasten 1). Über diese Wege kann der Darm sowohl direkt als auch indirekt mit dem Gehirn interagieren und wesentlichen Einfluss auf das Verhalten nehmen.
✔ Obwohl die genauen Mechanismen der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn noch nicht vollständig verstanden sind, weisen Studien auf ein grosses Potenzial von Darmmanipulationen als Therapieansatz bei Depression hin (Kasten 2). So konnten verschiedene Interventionsstudien eine Verbesserung der depressiven Symptome durch den Einsatz von Probiotika nachweisen, wobei man annimmt, dass die Wirksamkeit probiotischer Interventionen von der Symptomausprägung abhängig ist.
✔ Eine direkte Darmmanipulation ermöglicht die fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT), bei der der Stuhl und damit die Darmflora eines Individuums in den Darm eines anderen Individuums transplantiert wird. Erkenntnisse im Zusammenhang mit FMT-Behandlungen bei Reizdarm weisen darauf hin, dass eine FMT auch depressive Symptome positiv beeinflusst. Allerdings fehlen hier noch klinische Studien mit depressiven Patienten, die den Zusammenhang belegen.
nahme- und Ausschlusskriterien. So führen beispielsweise Krankengeschichten (z. B. Reizdarmsyndrom oder maligne Erkrankung), die Einnahme bestimmter Medikamente (z. B. Antibiotika) oder das Reisen in bestimmte Länder zum Ausschluss (48). Eine Reihe von Labortests wird durchgeführt, um diverse Faktoren und Krankheitserreger auszuschliessen. Dadurch wird insgesamt ein breites Feld abgedeckt, vom Blutstatus und serologischen Bild bis zur mikrobiellen Untersuchung des Stuhls auf bestimmte Viren und Bakterien (z. B. Escherichia coli) (48). Um beispielsweise bei der Stuhlbank OpenBiome (www.openbiome.org/) Stuhl zu spenden, müssen potenzielle Stuhlspender zwischen 18 und 50 Jahre alt und in der Lage sein, während 60 Tagen mindestens dreimal pro Woche Stuhl zu spenden. Nach einem umfangreichen Gesundheitsfragebogen folgen ein klinisches Interview mit Fragen zur Gesundheits- und Krankheitsgeschichte, eine Vitalparametermessung sowie die Entnahme von Blut- und Stuhlproben. Daraufhin wird während 60 Tagen regelmässig Stuhl abgegeben. Danach erfolgt wieder eine umfassende gesundheitliche Überprüfung. Wenn diese bestanden ist, wird der gespendete Stuhl für eine FMT verwendet.
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Der Stuhl kann frisch, gefroren oder in Form von Kapseln für die Transplantation verwendet werden. Die Übertragung findet entweder über eine Kolonoskopie oder oral beziehungsweise nasal statt (41, 42). Zurzeit wird rege darüber diskutiert, welche Übertragungsvariante effektiver ist, wie viel Stuhl übertragen werden soll, ob eine Einmaldosis ausreicht und ob es Stuhl von verschiedenen Spendern oder doch eher von einem (Super-)Spender sein soll (49). Die Übertragungsvariante, die Menge, die Häufigkeit sowie die Wahl des Spenders beziehungsweise der Spender können einen Einfluss auf die Wirksamkeit von FMT haben. Beispielsweise zeigte eine aktuelle Studie, dass der Effekt von FMT dosisabhängig ist (46). Leider gibt es immer wieder Meldungen von schwerwiegenden Nebenwirkungen nach FMT, die auf bestimmte Bakterien zurückzuführen sind (48). Es handelt sich dabei meist um Bakterien, die zu Infektionen führen können (48). Solche Berichte zeigen die absolute Notwendigkeit eines umfangreichen und genauen Screenings und einer sorgfältigen Auswahl der Spender sowie auch der Patienten, die FMT erhalten sollen. Bis heute ist noch nicht ganz klar, wie sich ein gesundheitsförderndes Darmmikrobiom genau zusammensetzt. Um dieser Schwierigkeit gerecht zu werden und die Sicherheit der Patienten gewährleisten zu können, bedarf es weiterer Forschung. Studien, welche die Defizite der Darmflora kranker Menschen sowie die positiven Aspekte des Darmmikrobioms untersuchen, werden unser Wissen über ein gesundheitsförderndes Darmmikrobiom und die Mechanismen der Darm-Hirn-Achse erweitern. Im Idealfall könnte das sogar dazu führen, dass fäkale Mikrobiotakapseln im Labor produziert werden. Dadurch wären adäquate Sicherheitskontrollen, Rückverfolgungen und eine erhebliche FMTProduktion möglich (49).
Fazit und Ausblick
Das Konzept der Darm-Hirn-Achse gewinnt zunehmend an
Bedeutung für die Behandlung von Depressionen. Die viel-
seitigen Kommunikationswege innerhalb der Darm-Hirn-
Achse liefern diverse Ansatzpunkte für neue Behandlungs-
formen. Erste klinische Studien weisen auf das grosse
Potenzial der Manipulation des Mikrobioms im Darm hin.
Weitere Studien sind jedoch erforderlich, um die bakteriellen
Veränderungen bei depressiven Patienten besser zu verste-
hen und gezielte mikrobielle Therapien entwickeln und tes-
ten zu können.
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Korrespondenzadresse: PD Dr. sc. Nat. André Schmidt Research Group Leader Neuropsychiatry and Brain Imaging Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Wilhelm-Klein-Strasse 27, 4002 Basel E-Mail: andre.schmidt@unibas.ch
Dieser Artikel erschien zuerst in «Psychiatrie + Neurologie» 1/21. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
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Thema
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