Transkript
Interview
«Für die Grossistin lohnt sich eine Pandemie nicht!»
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Die Coronakrise – man darf die Situation mit guten Gründen so benennen – begleitet uns seit einem Jahr. Wir waren und sind als Privatpersonen, manche als Risikopatienten oder als praktizierende Ärzte mannigfaltig davon betroffen. Wie aber hat eine Grossistin die Krise erlebt? Eigentlich müsste sie vor uns von den kommenden Problemen gewusst und ganz besonders hektische Zeiten durchlebt haben. Wir haben Christoph Metzler, Leiter Markt bei Galexis, dazu befragt.
doXmedical: Herr Metzler, Wann haben Sie privat erstmals von Corona gehört? Christoph Metzler: Wie alle andern im Dezember 2019. Zuerst war von einer Epidemie in China die Rede. Damals machten wir uns keine grossen Sorgen. Wir kannten solche Meldungen von früher, zum Beispiel von der Vogel- oder der Schweinegrippe und wir hatten bereits einmal Masken eingekauft, die wir dann nicht brauchten. Auch haben wir gewusst, dass es beim Bund Pläne für eine Pandemievorsorge gibt. Von der Geschwindigkeit der Entwicklung wurden wir wie fast alle Betroffenen überrascht.
Christoph Metzler
«Die Umsätze von Paracetamol schossen nach oben,
zeitweise waren die Lager praktisch leer und Lieferun-
gen von Produzenten stiessen auf grosse
Hindernisse.»
Wann wurde Ihnen erstmals bewusst, dass die Corona-Pandemie in China das Potential haben würde, die Arbeit von Galexis zu beeinflussen? Bis Mitte Februar beschäftigte uns Corona als Logistikdienstleisterin kaum. Als die Pandemie dann ganz plötzlich in Italien aufschlug, war klar, dass das etwas Grosses wird.
Wie wurde Corona anfänglich intern diskutiert? Ab anfangs März wurde die Lage ernst; die Planungen begannen. So fanden beispielsweise ab diesem Zeitpunkt keine Veranstaltungen mehr mit über 50 Personen statt und wir starteten mit der Vorbereitung von Informationskampagnen – vor allem der Bereitstellung von Informationsmaterial für die Apotheken. Vom Kanton kamen die ersten Anfragen bezüglich Masken und die Logistik ihrer Verteilung.
Welches waren die ersten Probleme und Herausforderungen? Sehr rasch – Mitte März 2020 – waren wir mit einer Mangelsituation konfrontiert. Es begannen die Hamsterkäufe nicht nur von Toilettenpapier, sondern auch von Paracetamol, Antibiotika und Asthmapräparaten. Die Umsätze von Paracetamol schossen nach oben, zeitweise waren die Lager praktisch leer und Lieferungen von Produzenten stiessen auf grosse Hindernisse. Ein Teil dieser Reaktionen des Publikums war zweifellos auf die alarmierenden Berichte der Medien zurückzuführen.
Wie war die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit den Bundesbehörden, mit BAG u.a.? Welche Probleme traten auf? Durchwegs der Situation angemessen. Am Anfang versuchten die Kantone, ihre Pflegeheime mit den notwendigen Medikamenten zu versorgen. Der Bund erliess Vorschriften zu den Mengen, die an einzelne Kunden geliefert werden durften. So durften wir beispielsweise die Substanz Hydroxychloroquin, von der man annahm, sie könnte gegen das Virus wirken, nur noch auf Anweisung des Bundes und in limitierter Menge an Apotheken und Arztpraxen liefern. Auch Hydroxychloroquin war zeitweise ausverkauft.
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Welches waren die ersten Güter, bei denen Sie einen Mangel feststellten und wie erlebten Sie diese Zeit? Neben Paracetamol gab es anfänglich kaum Desinfektionsmittel, obschon Sonderbewilligungen ausgestellt wurden für den Verkauf von Produkten ohne BAG-Zertifikat. Der Engpass betraf am Ende auch den Alkohol als Grundlage der meisten Desinfizienzien. Manche Firmen begannen Bier, beispielsweise Fasnachtsbier, das nicht verkauft werden konnte, zu destillieren und Alkohol zu gewinnen.
Wie stand es ums wichtige Propofol? Propofol war tatsächlich zeitweise nur noch über die Armeeapotheke erhältlich. Die Zuteilung erfolgte über die Bundesbehörden.
«Propofol war tatsächlich zeitweise nur noch über die Armeeapotheke erhältlich.»
Wie erlebten Sie die chaotische Situation mit den Masken? Das lief in der Tat chaotisch ab. Masken sind Produkte, die in normalen Zeiten nur in kleinen Mengen an Lager gehalten werden. Sie waren in kürzester Zeit ausverkauft und Nachschub war angesichts der weltweit identischen Mangelsituation schwierig zu organisieren – vor allem qualitativ gute Masken.
Wie konnten Sie den Normalbetrieb aufrechterhalten? Zeitweise waren wir gezwungen, ganze Sortimentslinien zu sperren. Nicht lebensnotwendige Produkte wie beispielsweise Kosmetika waren für eine gewisse Zeit nicht erhältlich. Nicht nur die Lagerbewirtschaftung, sondern auch die Auslieferung hat unser Personal belastet. Wir mussten Fahrzeuge dazu mieten und zusätzliche Chauffeure rekrutieren.
Die Mangelsituation ist aber heute behoben? Grundsätzlich ja. Es wurden beispielsweise innert drei Wochen Paracetamol im Umfang von normalerweise drei Monaten verkauft. Diese Probleme sind behoben. Lediglich im Herbst erlebten wir nochmals einen «Hype», als Echinacea in den Medien als mögliches Heilmittel bei Covid-19 diskutiert wurde. Alle Echinacea-Präparate waren innert eines Tages ausverkauft. Aus wirtschaftlicher Sicht ist zu erwähnen, dass in diesem Winter die Verkaufszahlen für Erkältungsmittel aller Art massiv gesunken sind. Nicht nur weil in Apotheken und Ärzteapotheken noch viel Schnupfen-, Husten- und Halswehmittel vorrätig sind, sondern auch weil es wegen der Corona-Hygienemassnahmen viel weniger «banale» Infektionen oder grippale Infekte gibt. Weniger verkauft wurden logischerweise auch Sonnenschutzmittel und ähnliches. Zugenommen haben hingegen die Verkäufe von Antiallergika – wofür ich keine Erklärung habe – Vitaminen (v.a. Vitamin D und Vitamin C) und Zink, und zwar um bis zu 80 Prozent. Zugenommen haben in diesem Winter aber auch die Verkäufe von pflanzlichen Antidepressiva.
Der Bund hat teilweise schlechte Erfahrungen gemacht und wurde von cleveren, aber wenig seriösen Geschäftsleuten übers Ohr gehauen. Wie erging es Galexis in dieser Hinsicht? Wir erhielten ohne Übertreibung zeitweise pro Tag über 100 Angebote für Schutzmasken. Die meisten qualitativ ungenügend, mit gefälschten oder überklebten Aufdrucken, ohne Zertifikate oder mit Zertifikaten von Institutionen, die bei einer Nachkontrolle gar nicht existierten. In den ersten Wochen erreichte uns kein einziges Angebot von Masken, die unseren strengen Richtlinien genügten. Unsere Fachleute waren permanent damit beschäftigt, die Qualität der Angebote zu evaluieren. Und wenn uns dann akzeptable Masken angeboten wurden, waren sie teilweise dermassen überteuert, sodass wir deswegen darauf verzichteten. Das für uns Ärgerliche an der Situation war, dass es nach einiger Zeit überall Masken zu kaufen gab, nur nicht bei uns. Wiederverkäufer kauften zu Wucherpreisen alles ein, was sie kriegen konnten, ohne auf die Qualität zu achten. Galexis setzte seinerseits die strengen Richtlinien durch, auch wenn unsere Infrastruktur bei all dem Aufwand beinahe kollabierte.
«In den ersten Wochen erreichte uns kein einziges
Angebot von Masken, die unseren strengen Richtlinien
genügten.»
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Gilt das Gleiche auch für die Masken? In Prozenten ausgedrückt hat der Verkauf von Schutzmasken dieses Jahr um mehrere tausend Prozent zugenommen. Zurzeit werden allerdings fast nur noch FFP2-Masken verkauft, alle andern sind kaum mehr verkäuflich und liegen in grossen Mengen an Lager. Das sind eben die Unwägbarkeiten einer Pandemie.
Wie reagierten Ihre Kunden – Ärzte und Apotheker – auf die Einschränkungen? In der Regel mit viel Verständnis. Lediglich bei den Masken gab es zeitweise Diskussionen, insbesondere wenn Masken andernorts erhältlich waren, die unseren Qualitätsansprüchen nicht genügten und wir daher nicht bereit waren, sie
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aus purem Opportunismus ebenfalls zu verkaufen. Sogar Klagen wegen einer vermutet ungerechten Verteilung rarer Güter hörten wir kaum.
Vertreiben Sie jetzt auch Impfstoffe? Ja, über Alloga, da Galexis nicht über die Logistik für Tiefkühlartikelprodukte, wie sie für den Pfizer-BioNTech-Impfstoff notwendig ist, verfügt. Den AstraZeneca-Impfstoff könnten wir an Lager halten.
Die One-Million-Dollar-Frage: Erwarten Sie eine dritte Welle? Wir können es nicht ausschliessen. Auch die zweite Welle ist gekommen und die dritte Welle kommt wahrscheinlich ebenfalls. Nur sind wir in dieser Hinsicht heute ganz anders aufgestellt als im letzten Frühjahr oder im Herbst.
Wie sieht Ihr Fazit aus, nicht am Ende, aber in der aktuellen Phase der Pandemie? Was haben Sie aus den Ereignissen des vergangenen Jahres gelernt?
Wir haben viel über Beschaffung in Mangelsituationen, die Bedeutung von Qualität und Kooperationen mit Lieferanten sowie mit staatlichen Stellen gelernt, haben wichtige Netzwerke aufgebaut und sind für kommende Probleme gut gerüstet.
Gehören die Logistiker – wie die Pharmaindustrie – zu den Gewinnern der Krise? Auf keinen Fall, und das ist kein «Understatement». Die Kosten, die sich aus den Unsicherheiten, aus der anfänglichen Hektik, aus der zusätzlichen Arbeit ergaben, haben jeglichen vorübergehenden Mehrumsatz «kompensiert». Oder kurz und deutlich gesagt: Für eine Grossistin lohnt sich eine Pandemie nicht.
Herr Metzler, wir danken Ihnen sehr für das offene Gespräch. x
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