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Thema
Vergleichbar aber nicht gleich
Biologika versus Biosimilars – wie die Psyche bremst
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Biologika sind hochkomplexe, in leben-
tisch, sondern ähnlich («similar») – also in
den Mikroorganismen hergestellte
etwa vergleichbar mit einem eineiigen Zwilling.
Medikamente, die sich seit ihrer ersten
Für das Zulassungsverfahren müssen Biosimi-
Zulassung vor zwanzig Jahren in unter-
lars ihre Wirksamkeit und Sicherheit im Ver-
schiedlichen Anwendungsbereichen als
gleich mit dem Original durch entsprechende
hochwirksame Therapeutika erwiesen
Daten belegen.
haben. Seit dem Patentablauf verschie-
dener Biologika haben sich mit Biosimi-
Bei welchen Indikationen spielen Biologika
lars Nachahmerprodukte etabliert, die
heute die grösste Rolle?
über eine den Referenzprodukten ver-
Nimmt man die weltweit umsatzstärksten Me-
gleichbare Wirksamkeit und Sicherheit
dikamente als Massstab, ist der entzündungs-
verfügen, aber deutlich kostengünstiger
hemmende Antikörper Adalimumab die Num-
sind. Ihre Beliebtheit hält sich allerdings
mer 1, gefolgt von Etanercept und Infliximab.
in Grenzen. Wir sprachen mit dem Gas-
Alle drei werden bei rheumatischen Erkrankun-
troenterologen Professor Dr. med. Ste-
gen sowie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und
phan Vavricka, Zentrum für Hepatologie
Psoriasis eingesetzt. Danach kommen Sub-
und Gastroenterologie AG, Zürich, über den Stellenwert von Biosimilars, ihr tat-
Prof. Dr. med. Stephan Vavricka
stanzen, die man aus der Krebstherapie kennt, wie beispielsweise Rituximab oder Trastuzu-
sächliches Einsparpotenzial und die psy-
mab, gefolgt u.a. von Insulinanaloga zur Dia-
chologischen Hürden, die dem breiten Einsatz die-
betestherapie. Von den erwähnten Wirkstoffen – und nicht
ser Nachahmerprodukte gelegentlich im Wege
nur von diesen – sind inzwischen verschiedene Biosimilars
stehen.
erhältlich …
«Biosimilars sind Nachahmerprodukte von Biologika, deren Patentschutz abgelaufen ist.»
… die sicher auch wertmässig zu den wichtigsten Biosimilars gehören? Ja, genau!
doXmedical: Herr Professor Vavricka, könnten Sie kurz zusammenfassen, worin sich Biologika und Biosimilars unterscheiden? Prof. Dr. med. Stephan Vavricka: Biologika sind biotechnologisch hergestellte Moleküle, die deutlich grösser und in ihrem Aufbau komplexer sind als herkömmliche Arzneimittel, die in der Regel einen chemisch-synthetisch hergestellten Wirkstoff enthalten. Biologika wirken im menschlichen Körper gezielt auf pathologische Vorgänge in der Zelle ein. Biosimilars sind Nachahmerprodukte von Biologika, deren Patentschutz abgelaufen ist. Sie werden ebenfalls biotechnologisch hergestellt. Ihr Wirkstoff ist zwar vergleichbar mit dem des Originals (Referenzprodukt), allerdings nie iden-
Gemäss verschiedener Analysen von Krankenkassen, Wirtschaftsverbänden oder der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZAHW) zum Einsatz beziehungsweise dem Einsparpotenzial von Biosimilars in der Schweiz würden sich die Arzneimittelkosten durch einen konsequenteren Einsatz von Biosimilars gegenüber Biologika um einen zweistelligen Millionenbetrag reduzieren lassen. Entspricht dieses Einsparpotenzial Ihren Erwartungen? Absolut – ich bin überzeugt, dass sich durch eine vermehrte Verschreibung von Biosimilars ein Einsparpotenzial von mindestens 20 Prozent erzielen lässt. Es handelt sich um ein enormes Sparpotenzial; von daher kann es sich lohnen, gerade bei Patienten, die neu eingestellt werden, statt der teureren Referenzprodukte über den Einsatz von Biosimilars
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nachzudenken. Ich finde es allerdings falsch, Patienten
Wenn es kleine Unterschiede gibt, so sind sie nicht relevant.
umzustellen, die bereits erfolgreich mit einem Biologikum
Im Gegenteil, manchmal kann ein Biosimilar in Wirkung und
therapiert werden. Aus meiner Sicht ist eine solche Thera-
Verträglichkeit sogar besser sein als das Referenzprodukt.
pieumstellung (genannt «Switch») ungünstig.
Dafür gibt’s auch Beispiele. So hat man zum Beispiel die
Pharmakokinetik eines Filgrastim Biologikums verbessert
Weshalb erachten Sie das für ungünstig?
und so quasi ein Zweitgeneration-Biosimilar hergestellt, das
Jedes dieser Biologika verliert mit der Zeit seine Wirkung.
auch eine bessere Wirksamkeit zeigte. Dies nennt man auch
Sollte das ausgerechnet dann passieren, wenn eine Umstel-
«Biobetter».
lung beziehungsweise ein Switch der Medikation erfolgt ist,
werde ich als behandelnder Arzt dafür verantwortlich ge-
macht, denn aus Sicht des Patienten kann der Wirkverlust ja nur an der Umstellung vom Originalprodukt auf das Biosimilar liegen. Es handelt sich hier um ein psychologisches Problem und das versuche ich zu umgehen, indem ich vorwiegend
«Ich glaube dieses Hin- und Herwechseln zwischen
Biosimilars und Originalpräparaten ist grundsätzlich
ungünstig.»
Neueinstellungen mit Biosimilars mache, aber keinen Switch.
Ich glaube dieses Hin- und Herwechseln zwischen Biosimilars
Wie werden die Qualitätsstandards der Biosimilars über-
und Originalpräparaten ist grundsätzlich ungünstig.
prüft?
Basis dieser Überprüfung ist das Prinzip des «Stepwise
Wie sieht es mit der Verträglichkeit der Biosimilars im Ver-
comparability exercise». Man kann ein Biosimilar-Produkt
gleich zu den Referenzprodukten aus? Von Generika weiss
ja nicht durch alle klinischen Studien schicken, wie das Ori-
man ja, dass manche Nachahmerprodukte in ihrer Verträg-
ginalprodukt, sondern man führt im Rahmen des «Stepwise
lichkeit durchaus gewisse Unterschiede zum Original auf-
comparability exercise» auf verschiedenen Ebenen eine
weisen können.
Reihe vergleichender Untersuchungen und Studien durch.
Bei Biosimilars unterscheidet sich die Verträglichkeit nach
In Schritt 1 geht es darum nachzuweisen, dass das Biosimi-
meinen Erfahrungen absolut nicht vom Originalprodukt.
lar vergleichbare chemische, physikalische und biologische
Charakteristika besitzt wie das Referenzprodukt. Im zweiten
Network Biosimilars CH
und dritten Schritt wird überprüft, ob die Substanz auch dem Referenzprodukt vergleichbare pharmakodynamische
Biosimilars werden in der Schweiz bisher sehr zurückhal-
tend eingesetzt. Das grosse Sparpotenzial, das diese gleich-
wertigen, aber kostengünstigeren Therapien bieten, bleibt
ungenutzt. Der im Januar 2020 gegründete Verein Network
Biosimilars CH hat sich zum Ziel gesetzt, das gesellschafts-
und gesundheitspolitische Verständnis für dieses brachlie-
gende Potenzial zu steigern und den bedarfsgerechten Ein-
satz von Biosimilars, insbesondere bei Neuverschreibungen,
zu fördern. Dabei setzt der Verein auf die Information des medizinischen Fachpublikums und der breiten Bevölkerung sowie auf die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingun-
Dr. phil.-nat. Roger Konrad
gen.
Network Biosimilars CH verfolgt einen partnerschaftlichen Ansatz. Der Verein strebt
den Dialog und die Zusammenarbeit mit allen zentralen Interessengruppen im Bereich
Biosimilars an, namentlich der Ärzteschaft, Patientenorganisationen, Politik und Be-
hörden, Pharmazie, Krankenkassen, Pharmaunternehmen sowie Branchenverbänden.
Anfang 2020 hat er Vertreter aller dieser Akteure zum Round Table «Biosimilars in der
Schweiz» geladen und im Anschluss ein gemeinsam verfasstes Positionspapier ver-
öffentlicht. Seither wurde der Dialog mit den Akteuren intensiviert.
Die Mitgliedschaft bei Network Biosimilars CH steht allen natürlichen und juristischen
Personen offen, die den Vereinszweck zu fördern bereit sind. Getragen wird der Verein
aktuell von Accord Healthcare AG, Fresenius Kabi (Schweiz) AG sowie Mundipharma
Medical Company. Weitere Informationen unter www.network-biosimilars.ch
und pharmakokinetische Eigenschaften aufweist und toxikologisch unbedenklich ist. Erst dann folgt mit Schritt 4 der Einsatz des Biosimilars in vergleichenden klinischen Studien. Was man den Biosimilars vorwerfen kann, ist, dass sie meistens in klinischen Studien geprüft werden, in die möglichst schnell möglichst viele Patienten eingeschlossen werden können, also zum Beispiel bei rheumatoider Arthritis. Auf Basis dieser einen Studie in rheumatoider Arthritis erfolgt dann eine «Extrapolation der Indikation». Man sagt also: Gemäss dem «comparability exercise» hat die Substanz in jeder Hinsicht vergleichbare physikochemische, biologische und pharmakologische Eigenschaften gezeigt wie das Referenzprodukt. Zudem konnte in der durchgeführten Studie eine vergleichbar gute Wirksamkeit nachgewiesen werden. Also kann davon ausgegangen werden, dass dies auch auf die anderen Indikationen zutrifft. Mit diesem Vorgehen haben viele Ärzte Probleme. Gerade
Dr. phil.-nat. Roger Konrad Geschäftsführer, Network Biosimilars CH
Gastroenterologen sind der Meinung, dass unser Patientenund Krankheitsgut so heikel ist, dass wir solche Substanzen lieber in unserem eigenen Patientengut überprüfen würden.
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Es scheint, als ob die grössten Hürden, die einer breiteren Anwendung der Biosimilars im Wege stehen, im psychologischen Bereich liegen und weniger mit Sicherheit, Verträglichkeit oder Wirksamkeit zu tun haben? Ja, genau! Ich glaube, das Ganze hat einen vorwiegend psychologischen Hintergrund. Dazu gehört natürlich auch – der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier – dass Ärzte, die jahrelang mit einem bestimmten Präparat recht gute Erfahrungen gemacht haben, und/oder sich zum Beispiel durch den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen intensiver damit beschäftigt haben, oder den Aussendienstmitarbeiter kennen, vielleicht zurückhaltender sind, einen Wechsel zu einem anderen Präparat vorzunehmen.
Die Psyche spielt also auch bei den Ärzten eine grosse Rolle im Umgang mit Biosimilars. Allerdings gibt es ja ausser dem Einsparpotenzial kaum rationale Gründe, die für den Einsatz von Biosimilars sprechen? Wenn man davon ausgeht, dass diese Medikamente in Wirkung und Sicherheit mit den Referenzprodukten vergleichbar sind, dürfte es keine weiteren Gründe geben.
Das heisst, nur wer kostenbewusst denkt, wird sich leichter überzeugen lassen. Auf jeden Fall.
Erwarten Sie in dieser Hinsicht mehr Unterstützung von den Fachmedien? Das Thema wird in den Fachmedien durchaus bereits aufgegriffen. Wir sehen immer wieder Aus- und Weiterbildungen
zu diesem Thema, wo den Ärzten beigebracht wird, dass Biologika und Biosimilars in ihrer Wirksamkeit, Sicherheit und Stabilität vergleichbar und damit austauschbar sind. Ich denke, die Fachmedien machen schon ganz gute Überzeugungsarbeit.
Dennoch: Wie sollte ein Facharzt vorgehen, wenn er einen
Patienten, der seit Jahren mit einem Biologikum behandelt
wird, das seine Wirksamkeit in Kürze verlieren könnte, auf
ein Biosimilar umstellen möchte?
Wenn wir mal davon ausgehen, dass eine Infliximabtherapie
ihre Wirksamkeit verliert wegen Ausbildung von anti-Inflixi-
mab-Antikörpern, sollte ein Wechsel erfolgen. Dann sollte
man den Patienten darüber informieren, dass man zum Bei-
spiel gern einen anderen TNF-Antikörper einsetzen würde,
von dem es Originalprodukte und Biosimilar gibt. Nachdem
der Patentschutz des Originalprodukts abgelaufen ist,
könnte er ihm also auch das Biosimilar anbieten, was den
Vorteil hat, dass das Medikament 10 bis 20 Prozent günstiger
ist, in Studien jedoch genau die gleiche Wirksamkeit und
Sicherheit gezeigt hat. Vom Patienten kommen dann aber im-
mer kritische Fragen wie: «Ja aber, ist es denn genau gleich?»
«Müssen wir uns jetzt Sorgen machen?» «Warum ist das
denn nötig?» usw. Da muss man sich als Arzt auf schwierige
Diskussionen einstellen. Die Patienten lassen sich leider
nicht immer so leicht überzeugen.
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Wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.
Das Interview führte Claudia Reinke
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