Transkript
Medizin im Fokus
4 • 2020
Krebsforschung
Sauerstoffmangel im Primärtumor triggert Metastasenbildung
Wenn sich einzelne Zellen oder kleinere Zellverbände vom Primärtumor ablösen, gelangen sie mit dem Blutsstrom in andere Körperregionen und bilden dort neue Tumore. Was triggert jedoch dieses Ablösen und «Auswandern» der Zellcluster? Schweizer Wissenschafter der Universität Basel (Departement Biomedizin) sind dieser Frage nachgegangen und haben Erstaunliches entdeckt.
Wie Tierversuche ergaben, scheint ein Sauerstoffmangel im Inneren des Primärtumors das entscheidende Signal zu sein, das die Freisetzung einzelner Tumorzellen aus der Krebsgeschwulst einleitet und die Metastasenbildung auslöst. Forschungsleiter Professor Nicola Aceto und sein Team konnten zeigen, dass im Innern von Mammakarzinomen mehrere deutlich abgegrenzte Regionen existieren, in denen die Zellverbände mit geringerer Blutversorgung und niedrigerer Sauerstoffkonzentration zurechtkommen müs-
sen. In tierexperimentellen Untersuchungen mit Mäusen hat sich gezeigt, dass kleine Zellcluster, die sich aus solchen Tumoren herauslösten, eher Metastasen bildeten, wenn sie biochemische Merkmale von Sauerstoffmangel zeigten und auch beibehielten. Dagegen hatten freigesetzte sauerstoffreiche Tumorzellen einen deutlich geringeren Hang zur Metastasenbildung. Wäre das Tumorgewebe über eine gute Blutversorgung also ausreichend mit Sauerstoff versorgt, müssten die Tumorzellen nicht «auswandern» und Metastasen bilden.
Antiangiogenese oder Proangiogenese? Es gibt bereits antiangiogenetische Krebstherapeutika, die gezielt die Bildung von Blutgefässen unterdrücken und damit die Nährstoff- und Sauerstoffversorgung des Tumors verringern, ihn also quasi aushungern. Den neuen Erkenntnissen zufolge müsste eine solche Behandlung allerdings das Risiko einer Metastasierung erhöhen. Dies
konnten die Forscher bei Mäusen nachvollziehen:
die Antiangiogenese hatte zwar das Schrumpfen
des Primärtumors zur Folge, verstärkte jedoch die
Freisetzung von im Blut zirkulierenden metasta-
sierenden Krebszellen. Umgekehrt förderte eine
proangiogenetische Therapie, die zu einer besse-
ren Durchblutung und damit auch zu einer besse-
ren Sauerstoffversorgung des Tumors führte,
zwar dessen Wachstum, unterdrückte jedoch die
Entwicklung von Metastasen und verlängerte da-
mit die Überlebenszeit der Tiere.
Der Nachteil einer proangiogenetischen Therapie
liesse sich im klinischen Einsatz möglicherweise
durch eine zeitgleich einsetzende Chemotherapie
ausgleichen, die aufgrund der verstärkten Durch-
blutung besser wirksam wäre und das Tumor-
wachstum hemmen könnte, so die Autoren in
ihrem Fazit.
CR
Quelle: www.wissenschaft-aktuell.de
Literatur: Donato C, Kunz L, Castro-Giner F, Paasinen-Sohns A et al.: Hypoxia Triggers the Intravasation of clustered circulating Tumor Cells. Cell Rep 2020; 32(10): 108105. Doi: 10.1016/j.celrep.2020.108105.
– 34 –
DoXli meint:
Wer sieht, wie Fliegen versuchen, einen Adler zu fangen, sollte nicht beim Tierschutz anrufen, sondern beim Psychiater.