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Medizin im Fokus
3 • 2020
Mangel an Serotonin verursacht Obstipation und Depressionen
Eine unzureichende Serotoninproduktion in Gehirn und Darm kann auf die Dauer sowohl zu Depressionen als auch zu chronischen Verstopfungen führen, berichteten amerikanische Wissenschaftler von der Columbia Universität in New York kürzlich in Gastroenterology. Durch die Gabe eines Vorläufermoleküls (5-Hydroxytryptophan) gelang es ihnen, den Neurotransmittermangel und seine Folgen auszugleichen, wie sich im Tierversuch zeigte (1).
Seit langem ist bekannt, dass der Botenstoff Serotonin sowohl die Darmfunktion als auch die
Psyche gleichermassen regulierend beeinflusst. So ist für Serotonin bekannt, dass das enterische Nervensystem des Darms deutlich mehr Serotonin-Rezeptoren enthält als das Gehirn. Kommt es durch einen Enzymdefekt zu Fehlfunktionen der Serotoninsynthese, steht den Nervenzellen in Darm und Gehirn nur noch ungenügend Serotonin zur Verfügung, was sowohl zu Störungen der Darmmotilität als auch zu depressiven Verstimmungen führen kann. Im Tierversuch mit enzymdefekten Mäusen, die einen um rund 70 Prozent reduzierten Serotoninspiegel im ZNS sowie im enterischen Nervensystem aufwiesen, zeigte sich, dass durch die Gabe von retardiertem 5-Hydroxytryptophan, einem Vor-
läufermolekül des Neurotransmitters, ein Anstieg des Serotoninspiegels bewirkt werden konnte. Unter der Behandlung liess sich nicht nur die Bildung neuer Darmneuronen sowie eine nachfolgende Besserung der Darmfunktion beobachten, die Mäuse waren auch deutlich besser gelaunt. Die Forscher planen nun klinische Studien, um die Wirksamkeit dieser Therapie bei Menschen zu überprüfen, die unter therapieresistenten Depressionen sowie chronischen Verstopfungen leiden.
CR
Literatur: 1. Israelyan N, Del Colle A, L Zhishan et al.: Effects of Serotonin and Slow-Release 5-Hydroxytryptophan on Gastrointestinal Motility in a Mouse Model of Depression. Gastroenterology 2019; 157(2):507521.e4. doi:10.1053/j.gastro.2019.04.022
Seelische Belastungen erhöhen das Sterberisiko älterer Menschen
In einer prospektiven Studie untersuchten Wissenschafter um Eli Puterman von der Universität British Columbia in Vancouver den Einfluss psychosozialer Faktoren auf die Sterblichkeit älterer Menschen. Ihre 2020 in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) publizierte Arbeit zeigte, dass neben den bekannten Risikofaktoren eines ungesunden Lebensstils (Rauchen, Alkoholabusus, Adipositas und mangelnde Bewegung) auch Krisensituationen wie Scheidung, Jobverlust und finanzielle Probleme einen mindestens ebenso hohen negativen Einfluss auf die Lebenserwartung haben (1).
Während die Auswirkungen eines jahrelangen ungesunden Lebensstils auf das Sterberisiko durch zahlreiche epidemiologische Untersuchungen vielfach belegt wurden, gibt es bisher eher wenig wissenschaftliche Daten zum Einfluss psychosozialer Krisen wie Arbeitslosigkeit, Armut, Familienprobleme oder Scheidung auf die Lebenserwartung. Solche Lebenskrisen, die für Menschen
oft über lange Zeit mit Stress und seelischen Nöten verbunden sind, bleiben jedoch langfristig nicht ohne Folgen für die Gesundheit. Die Gewichtung dieser belastenden Situationen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Sterberisiko der betroffenen Menschen war Ziel der kürzlich publizierten prospektiven Kohortenstudie. Dazu untersuchten und verglichen Puterman und Mitarbeiter den Einfluss von 57 sozioökonomischen, verhaltensrelevanten, sozialen und psychologischen Faktoren auf die Sterblichkeit, wobei sie Daten der amerikanischen Health and RetirementStudie nutzten, die 13 611 Erwachsene im Alter von 52 bis 104 Jahren einschloss. Diese Studienteilnehmer wurden ausführlich zu ihrer Biographie und ihren Lebensgewohnheiten befragt und die Antworten dem Sterberisiko in den nachfolgenden sechs Jahren statistisch zugeordnet.
Ehescheidung mit überraschend hohem Sterberisiko verbunden In der Wertung der verschiedenen Risikofaktoren zeigt sich Überraschendes: Während sich das Rauchen – noch wenig spektakulär – als mit Abstand am risikoreichsten erwies (Hazard Ratio
(HR): 1,91), das Sterberisiko also so gut wie ver-
doppelte, folgte mit einem HR von 1,45 bereits die
Ehescheidung und – mit leicht reduziertem Risiko
– der Alkoholmissbrauch (HR: 1,36). Auch aktuell
vorhandene finanzielle Probleme (HR: 1,32), Ar-
beitslosigkeit (HR: 1,32) und Unzufriedenheit mit
der Lebenssituation (HR: 1,31) erhöhten das Ster-
berisiko, ebenso wie eine unerwünschte Ehe-
losigkeit (HR: 1,30). Familiäre Schwierigkeiten
(HR: 1,23) oder Probleme mit den Kindern (HR:
1,22) können die Lebenserwartung ebenfalls
negativ beeinflussen – geringe Auswirkungen
zeigten dagegen frühkindliche Faktoren.
Die Untersuchung solcher Einflussfaktoren sollte
in Zukunft ausgeweitet werden, um mit Hilfe
transdisziplinärer Interventionsstudien herauszu-
finden, wie sich das individuelle Mortalitätsrisiko
in grösseren Populationen am besten beeinflus-
sen lässt, so die Autoren in ihrem Fazit.
CR
Literatur: 1. Puterman E, Weiss J, Hives BA, Gemmill A et al.: Predicting mortality from 57 economic, behavioral, social, and psychological factors. PNAS 2020; https://doi.org/10.1073/pnas.1918455117.
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