Transkript
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CORONA oder: wie man Freunde verliert …
Ein ziemlich subjektiver Rückblick auf sechs Monate Coronakrise, deren Entwicklung innerhalb des klassischen politischen LinksRechts-Schemas, den merkwürdig peinlichen Mut, Angst zu zeigen, nicht für möglich gehaltenes irrationales Potenzial bei gescheiten Leuten und das Erstaunen beim Diskutieren mit Freunden.
Was mach ich nur mit meinen Freunden von der konservativen, politisch bürgerlichen bis eher rechten Fraktion, mit denen ich vor Corona so oft gleicher Meinung war? Wenn’s um die EU ging, um Selbstverantwortung, um Migration, um den Gängel- und Verteilstaat. Seit dieses Virus Leben, Diskussionen, Psyche und Ferienpläne bestimmt verstehe ich manche Freunde nicht mehr. Liegt’s an mir? Vielleicht ist ja wirklich alles übertrieben, was der sorgende Staat so anordnet zu unserem Schutz vor dem Corona-Virus. Vielleicht sterben ja tatsächlich nicht mehr Leute an Covid-19 als an einer gewöhnlichen Grippe. Vielleicht gehöre ich ja auch bloss zu den «Verängstigten» und gehe den Panikpropagandisten auf den Leim.
● Beginnen wir beim Symbolträchtigsten und Banalsten, bei den Masken. Ist das Tragen einer Maske wirklich eine Zumutung? Beim Assistieren im OP habe ich jedenfalls nie einen Kollegen Chirurgen klagen hören und ich kenne keinen, der psychisch geschädigt aus dem Operationssaal gewankt wäre. Schneidende Kollegen mögen manchmal etwas eigen sein, aber an den Masken liegt das sicher nicht. Im Ernst, es gibt Menschen, die tragen acht Stunden täglich eine Maske und bleiben normal und gesund. Ist es nicht eher so: Maske verweigern ist eine überaus simple, völlig kostenlose, hochgradig symbolisch aufgeladene Haltung, ein Protest mit minimstem Aufwand.
Bin ich verängstigt? Eher nicht. Oder doch, ein bisschen: an Covid-19 möchte ich jedenfalls nicht erkranken. Die Chancen, ohne anschliessende Herz-, Nieren-, neurologische oder psychische Schäden aus der Krankheit raus zu kommen, sind schliesslich nicht so gross. Nicht einmal für jüngere als ich es bin. Aber es gibt auch 60-, 70-, 80Jährige, denen die Kranken- und Sterbestatistiken keinen Eindruck machen. Warum nicht? Weil sie die Infektions- und Epidemie-Statistiken und Kurven nicht verstehen? Oder weil ihnen wie allen Menschen ein sechster Sinn für Wahrscheinlichkeiten fehlt? Das habe ich eh mein Lebtag nicht verstanden, dass uns die Natur nicht mit einem Sinn für Statistik ausgestattet hat. Mit unserer sinnenmässigen Fehlausstattung fürchten wir uns mehr vor den seltenen und weniger vor den wahrscheinlichen, fatalen Ereignissen.
● Doch die Angst vor Krankheit ist ja nicht das Einzige, das so manchen meiner Freunde und Freundinnen abgeht. Sie fühlen sich von Maskenpflicht, Abstandsgebot, Quarantäne, Versammlungsverbot nicht etwa geschützt, sondern ihrer Freiheit beraubt. Von Behörden und Fachleuten, denen ich unter normalen Umständen genauso misstraue wie sie. Mach ich ja auch diesmal, nur eben anders herum. Die Herren Koch und Berset haben mich zu keinem Zeitpunkt überzeugt. Schon gar nicht damals, als keiner genau wusste, ob wir mit
Hunderten oder Zehntausenden von Toten rechnen müssen. Da agierten sie zögerlich, mutlos, verdattert vom Ausmass der Verantwortung, nicht willens, epidemiologische Vorhersagen zur Kenntnis zu nehmen und anzuordnen, was eigentlich notwendig gewesen wäre, kurz – wie ein respektloser Kollege meinte: «ohne Eier». Anders als der eher androgyne Sebastian Kurz, der früher die richtigen Entscheide traf und Österreich dementsprechend besser hat dastehen lassen. Meine Corona-kritischen Freunde hätten den Lockdown viel früher beendet und würden die Lockerungen viel weiter treiben als unsere Taskforce. Sie nerven sich über den Alarmismus von Regierungs- und anderen -räten. Das Schicksal, so spekulieren sie, waltet mit oder ohne Virus; die zwei, drei Personen, die zusätzlich sterben, wären früher oder später ohnehin von dannen gegangen. Haben sie recht? Gut möglich, dass 90-jährige krebskranke Pflegeheimbewohner nicht viel länger überlebt hätten und tatsächlich eher «mit» als «an» Covid-19 starben. Andererseits: So häufig sind moribunde coronapositive 90-Jährige nun auch wieder nicht, dass sie statistisch ins Gewicht fielen.
● Seit einigen Wochen sind «wir Vorsichtigen» (unsere rechten Freunde munkeln: «Feiglinge») mit der Frage konfrontiert: Wo sind die Toten? Die Intensivstationen bei uns sind dermassen leer, dass
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die Spitäler Kurzarbeit beantragen könnten. Haben die Coronakritiker also doch recht? Man generiert volkswirtschaftliche Kosten von Dutzenden Milliarden, stürzt Familien und Selbstständige ins Unglück, sperrt Alte ein, produziert so viele Arbeitslose wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr, setzt Grundrechte ausser Kraft, erlässt Gebote, von denen niemand sicher weiss, ob sie nützen – und wozu? Um Todesfälle zu vermeiden, die’s nirgends gibt.
● Aktuell ist gegen den Ärger der Corona-Kritiker leider kein Kraut gewachsen. Und auf das epidemiologische Zauberwort «noch» reagiert eh (noch) keiner. Epidemiologische Vorhersagen sind zu abstrakt. Und treffen am Ende gar nicht ein, wenn man die richtigen Gegenmassnahmen ergreift. Eine mögliche Bedrohung in einer eventuell eintretenden Zukunft ist ein viel zu vages Szenario. Meinte nicht sogar die damalige Präsidentin der GDK noch kurz vor Beginn der ersten Welle, man könne ja erst schauen und dann reagieren?
● Handeln in Zeiten der Pandemie heisst Handeln zu einem Zeitpunkt, in dem «noch» nichts passiert. Die Einschränkungen finden (noch) keine Entsprechung in der objektiv erlebten Wirklichkeit. Testen, Hinterlassen persönlicher Daten, App aktivieren, Zimmer lüften, Maske tragen, Auslandreisen meiden, auf Kino, Theater, Disco, Hochzeits- und Geburtstagsfeier verzichten haben (noch) keine unmittelbare Wirkung. Dass bald Herbst und Winter kommen, junge Infizierte ihre Eltern besuchen, die Aerosole in ungelüfteten Stuben, Sitzungsräumen und Schulzimmern Rambazamba feiern und am Ende junge Risikopatienten ebenso wie Ältere sterben, ist noch nicht sichtbar. Sinnvolle Prävention versus Panikmache? Ja, kann sein. Vielleicht hat bis Weihnachten das Virus seine Aggressivität tatsächlich abgelegt und vielleicht gibt’s doch früher eine Impfung oder ein wirksames Medikament. Vielleicht. Aber wahrscheinlich eher nicht.
● Vielen meiner Freunde geht es um Freiheit. Allerdings weniger um die Freiheit in sozialem, politischem oder philosophischem Sinn, sondern die plumpe Freiheit, genau das tun und lassen zu
können, was man hier und jetzt grad möchte. Aber ist das die Freiheit, die gemeint ist, wenn Leute auf der Strasse gegen die behördlichen Einschränkungen protestiert? Eher nicht. Wir alle hätten wohl (Gölä) «no viil blöder ta und hätte nüt an is verbii ga la», wenn wir in jungen Jahren gewusst hätten, dass wir alles schad- und straflos überstehen würden – aber doch nicht um jeden Preis, oder? Oder waren wir als Junge genauso sorg- wie rücksichtslos? Vielleicht ist der Coronastreit tatsächlich nur und hauptsächlich ein Generationenkonflikt. Weil man die stärker gefährdeten Alten nicht vor den weniger anfälligen Jungen schützen kann, ohne entweder die Alten ein- oder die Jungen auszusperren (aus Clubs und EasyjetFlugis).
● Zum Glück trennt wenigstens beim Impfen meine rechten Freunde nur selten etwas von mir, liegen viele von ihnen mit den esoterischen Coronaleugnern und Impfgegnern, die ihre Kinder lieber dem 1:1000-Risiko einer Masernenzephalitis aussetzen als dem 1:5000-Risiko eines Impfausschlags, genauso über Kreuz wie ich. Wie gesagt: wem nicht nur der Wahrscheinlichkeitssinn fehlt (wie uns allen), sondern zusätzlich noch Wille oder Fähigkeit, Wahrscheinlichkeiten wenigstens intellektuell logisch einzuordnen, dem oder der ist schwer zu helfen. Sie bleiben ja auch ungeimpft geschützt, die Impfmuffel, wenn sich genügend Impfwillige finden. Das wollen wir gerne akzeptieren; es ist schliesslich keine böswillige Dummheit, es ist bloss die natürliche Dummheit am linken Rand der Gaussschen IQ-Glocke.
● Wird Corona je vorbei sein? Einige meinen, das sei erst dann der Fall, wenn der kollektive Angstzustand überwunden sei. Wenn alle ihre Masken wegwerfen, Händchen halten, angstfrei knutschen, sich in Kirchen und Clubs aus voller Kehle anzusingen trauen, wenn alle Plexiglasscheiben zeremoniell entsorgt, alle Stadien, Museen und Massagesalons wieder geöffnet werden. Wenn Bildungsbeauftragte und Lehrer endlich einsehen, dass Kinder des Jahres 2020 wegen Masken und distancing, wegen Halbklassen und e-Learning und wegen des Hygienefimmels der Schulleitungen dauerhaft neurotisiert und quasi lebensunfähig in die Postcoronawelt entlassen
werden und das viel schlimmer ist als ein paar
tausend tote Alte. Wenn endlich die Menschheit
die Podcasts, Videoclips und Bücher von Leuten
wie Bhakdi, Dr. Schiffmann, Attila Hildmann und
andern Corona-Community-Gurus sehen, lesen
und glauben.
●
Bis dahin bleiben wir, so argwöhnen die Corona-
kritiker, der Willkür von Regierungsräten, Bundes-
räten, Kanzlern, Bill Gates, Epidemiologen oder
den Weltverschwörern im Silicon Valley überlas-
sen. Diese Pandemie ende erst, so ihr Credo,
wenn wir lernen, uns zu widersetzen. Hat nicht
Hannah Arendts gesagt: «Kein Mensch hat das
Recht, zu gehorchen.» Hat sie, allerdings hat sie
den Satz vermutlich anders gemeint: Niemand hat
das Recht zu gehorchen – ohne vorher zu prüfen,
welches die Folgen seines Gehorsams sein wer-
den. Nur, genau das Gleiche gilt für unüberprüftes
Nichtgehorchen.
●
Nein, ich glaube nicht, dass diese Pandemie ge-
nau dann vorbei ist, wenn wir uns der Obrigkeit
widersetzen und keine Angst mehr haben, son-
dern dass wir dann keine Angst mehr haben (müs-
sen) vor diesem Sars-Zeug, wenn wir des Virus
Herr (oder Frau) geworden sind. Weil – Pathos hin
oder her – die Klügsten, Cleversten, Kreativsten,
Fleissigsten, meinetwegen die Geschäftstüchtigs-
ten, es geschafft haben, Wissenschaft und Tech-
nik so zu nutzen, dass dem Virus grauslich wird
und es verschwindet, zerstört wird, ausgerottet,
vernichtet. Und wenn andere – hoffentlich – dafür
gesorgt haben, dass die beschränkte Anzahl Impf-
dosen gerecht verteilt wird. Bis dahin bleibe ich
ungern, aber ganz wohl, ein klein wenig anderer
Meinung als meine Freunde eher rechts. Und
wünsche ihnen, dass sie trotz aller Widerspens-
tigkeit vorsichtig bleiben. Dem Virus ist, so
fürchte ich, blosser Mangel an Angst nämlich
schei**egal.
x
Richard Altorfer
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