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Thema
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Herausforderung in der Hausarztpraxis
Die vielen Gesichter der Depression
Depressionen sind nicht immer leicht zu erkennen. Ausser gedrückter Stimmung, Interessenverlust und vermindertem Antrieb existieren eine ganze Reihe von
Von Univ.-Prof. Dr. med. Elmar Etzersdorfer und Dr. med. Alexis Michaelides
ihn das selbstgesteckte Limit erreicht, es entstand der Gedanke, dass ein Leben unter diesen Umständen sinnlos sei. Wenig später unternahm er einen Suizidversuch und kam zu
Zusatzsymptomen. Schwierig wird es
uns in Behandlung.
insbesondere dann, wenn körperliche Symptome im
Depression lange verkannt: Der Patient zweifelte längere
Vordergrund stehen, die in eine falsche Richtung
Zeit daran, an einer Depression zu leiden, und schob die Be-
weisen.
schwerden auf eine Schwächung seines Immunsystems, be-
dingt durch eine eventuelle chronische Darmentzündung, die
Fallbeispiel:
nie nachgewiesen werden konnte. Erst im Rahmen einer län-
Depression tarnte sich als Darmerkrankung Der 43-jährige Patient lebt seit ein paar Jahren getrennt von seiner Ehefrau, das gemeinsame Kind ist abwechselnd bei
Prof. Dr. med. Elmar Etzersdorfer
geren Behandlung konnte er sich langsam davon lösen und anerkennen, dass es sich um eine Depression gehandelt hat. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie sich eine Depression durch
ihm und bei ihr. Die Beziehung wird vom Patienten als gut
die körperlichen Beschwerden maskiert. Die erhöhte Ermüd-
beschrieben. Vor zwei Jahren hat er sich zudem erfolgreich
barkeit, die diffusen körperlichen Symptome und der Um-
beruflich selbstständig gemacht. Er geht kaum zum Arzt, ist
stand, dass der Patient selbst auf seinen Darm fixiert war,
fast nie krank, arbeitet viel, hat einen grösseren Bekannten-
führten dazu, dass offenbar der Verdacht auf eine Depres-
kreis und enge familiäre Bindungen, stellt sich insgesamt als
sion nicht aufkam.
erfolgreich und mit seinem Leben zufrieden dar.
In der Vorgeschichte findet sich eine Darmoperation wegen eines unklaren Ileus vor 10 Jahren. Er habe schon immer einen empfindlichen Darm gehabt; er sei für ihn wie ein zen-
Dr. med. Alexis Michaelides
Depressive Krankheitsbilder kommen in der Allgemeinarztpraxis häufig vor, in einer Studie in 412 Hausarztpraxen fanden sie sich bei 10,9 Prozent aller Patienten (2). Zwei Drittel
trales Organ, wie sein Gehirn.
der Hausarztpatienten mit Depression erhalten eine Behand-
Zunehmende Erschöpfung durch Darmprobleme? Einige
lung, allerdings häufiger Psychopharmaka als Psychothera-
Monate vor der Aufnahme bei uns bemerkte er eine zuneh-
pie (1).
mende Erschöpfung. Er sei immer wieder zu unpassenden
Im ICD-10 werden für depressive Störungen Haupt- und Zu-
Zeiten eingeschlafen (z.B. beim Kaffeetrinken mit Freunden,
satzsymptome beschrieben. Der Schweregrad richtet sich
beim Fernsehen mit seinen Kindern). Am Anfang sei es nicht
nach der Zahl der jeweils vorliegenden Symptome. Die drei
besonders störend gewesen, er habe sofort an seinen Darm
Hauptsymptome sind:
gedacht und dies damit in Verbindung gebracht. Die rasche
1. gedrückte Stimmung
Ermüdbarkeit habe seine Arbeit am Anfang nicht beeinflusst.
2. Interessensverlust und Freudlosigkeit
Danach kamen jedoch diffuse Darmbeschwerden hinzu, wie
3. Verminderung des Antriebs und erhöhte Ermüdbarkeit.
Blähungen und ein diffuses Ziehen. Dann habe er auch ein
Für die Diagnose einer schweren depressiven Episode müs-
Wochenende lang fast nur geschlafen und entschied sich
sen alle drei Hauptsymptome und mindestens vier Zusatz-
dann, zum Arzt zu gehen. Er dachte an eine Resorptionsstö-
symptome vorliegen, und dies in der Regel über mindestens
rung, Vitaminmangel oder eine Schwächung seines Immun-
zwei Wochen.
systems aufgrund seiner Darmbeschwerden.
Zu den Zusatzsymptomen zählen verminderte Konzentration
Wunsch-Op. brachte keine Besserung: In der Folge kommt
und Aufmerksamkeit, reduziertes Selbstwertgefühl und
es zu einer Einweisung in die Chirurgische Klinik, in der er
Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosig-
früher operiert worden ist, und auf sein Drängen hin zu einer
keit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Ge-
Bauchoperation, um angebliche Verwachsungen zu lösen.
danken an oder erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhand-
Später konnte er einräumen, dass die Chirurgen mit der In-
lung, Schlafstörungen und verminderter Appetit. All diese
dikationsstellung durchaus gezögert hätten. Die Erschöp-
Symptome können im Gespräch erfragt werden, die Beob-
fung blieb jedoch bestehen, und nach vier Wochen war für
achtung bietet zusätzlich, vor allem bei gut bekannten
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Patienten, ein wichtiges Hilfsmittel. Daneben können weitere Beschwerden, die als «somatisches Symptom» bezeichnet werden, auftreten, wie die mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder günstige Ereignisse emotional zu reagieren, oder tageszeitliche Schwankungen (typisch ein Morgentief ), Appetit- und Gewichtsverlust. Mitunter sind diese Beschwerden aber nicht ganz einfach zu entdecken oder von anderen, oft körperlichen Beschwerden überlagert, man spricht auch von «larvierter Depression». Kopfschmerzen werden oft beschrieben, oft als diffuser Druck empfunden, Engegefühle im Brustkorb, diffuse Schmerzen oder Kreislaufstörungen oder funktionelle Magen-Darm-Beschwerden. Die Stimmungsveränderungen sind auch bei diesen Patienten vorhanden und feststellbar, manchmal kann der Patient sie nicht selbst wahrnehmen, schämt sich, sie zu benennen, oder die körperlichen Symptome schieben sich vor die Wahrnehmung, sodass ein gezieltes Nachfragen nötig ist. Es kann daher eine Herausforderung in der Hausarztpraxis sein, auch bei starken körperlichen Beschwerden daran zu denken, dass sich dahinter eine depressive Verstimmung verbergen kann.
Vorgehen und Abgrenzung Die Frage, wie der Patient sich fühlt und wie er die eigene Stimmung beschreiben würde, erlaubt, auf das Thema der Depressionssymptome zu kommen. Wichtig ist, die emotionale Situation offen zu erfragen und nicht vorschnell zu argumentieren oder das Beschriebene zu relativieren. Dazu gehört genauso, danach zu fragen, was dem Patienten eigentlich im Moment Freude macht, was ihn interessiert, um die emotionale Schwingungsfähigkeit und die Möglichkeit, Freude zu erleben, zu erfassen. Auch Suizidgedanken sollten dort, wo die Gesamtsituation daran denken lassen muss (wenn wenig Freude, eine stark gedrückte Stimmung, stark pessimistische oder hoffnungsarme Gedanken überwiegen), direkt angesprochen werden: Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass Sie gar nicht mehr leben wollen? Was haben Sie da genau gedacht, als Sie dachten, dass Sie lieber tot wären? Haben Sie auch überlegt, was Sie da tun könnten? Man kann damit schrittweise explorieren, Suizidgedanken und deren Stellenwert erfassen, wie auch Vorbereitungshandlungen erfragen.
Depressive Krankheitsbilder müssen von Trauerreaktionen
abgegrenzt werden, wie auch von organisch begründeten
Erkrankungen (hirnorganisch bedingte affektive Störungen
ebenso wie z.B. Reaktionen bei schweren körperlichen
Erkrankungen, Schilddrüsenunterfunktionen oder auf Medi-
kamente wie Kortison oder Reserpin). Komplikationen sind
neben dem Entwickeln von Suizidalität auch wahnhafte
Symptome, die bei schweren Depressionen das Bild kompli-
zieren können, die Verbindung mit Suchtmittelmissbrauch
oder -abhängigkeit wie auch Chronifizierungen.
Bei stärker ausgeprägten depressiven Symptomen sollte ein
Facharzt für Psychiatrie oder auch Psychosomatische Medi-
zin zugezogen werden. Bei Suizidgedanken, die nicht sicher
kontrolliert werden können, muss die Frage einer stationären
Aufnahme überprüft werden.Das Gleiche gilt in der Regel bei
einer schweren depressiven Episode, die mit deutlichen Ein-
engungen im Erleben und im Alltag einhergeht.
Aber auch Hausärzte können depressive Patienten behan-
deln. Schon das Anerkennen der emotionalen Situation im
Gespräch (Sie sehen im Moment alles sehr pessimistisch)
kann zumindest bei leichteren Verstimmungen eine erste
Entlastung bringen. Kollegen, die die Zusatzbezeichnung
Psychotherapie erworben haben, bieten oft eine psychothe-
rapeutische Begleitung an, die bei depressiven Störungen
klar indiziert ist, auch neben einer Pharmakotherapie. Psy-
chotherapie im engeren Sinn wird, auch nach den Leitlinien,
insgesamt als mindestens gleichwertig wie verfügbare
Medikamente eingeschätzt. Dabei kann das besondere Ver-
trauensverhältnis des Hausarztes zu seinem Patienten den
Zugang zu einer Behandlung erst ebnen oder auch aufrecht-
erhalten.
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Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. med.Elmar Etzersdorfer Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. med. Alexis Michaelides Facharzt für Psychiatrie, und Psychotherapie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Furtbachkrankenhaus D-70178 Stuttgart
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
Literatur: 1. Trautman S, Beesdo-Baum K (2017): Behandlung depressiver Störungen in der primärärztlichen Versorgung. Deutsches Ärzteblatt, 117: 721–728. 2. Wittchen HU, Pittrow D (2002): Prevalence, recognition and management of depression in primary care in Germany: the Depression 2000 study. Hum Psychopharmacol, 17, Suppl 1: S1–11.
Dieser Artikel erschien zuerst in: «Der Allgemeinarzt», 2019; 41 (1) Seite 19–21. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
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