Transkript
3 • 2020
Standespolitik
Das Pandemiekonzept des BAG – nichts für Grundversorger
Unter dem Titel «Das Schweizer Gesundheitswesen nach dem Corona-Stresstest» beschäftigte sich die Sonder-Academy on Health Care Policy am 26. August 20 in Bern mit den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und den Lehren, die daraus zu ziehen wären. Für Dr. med. Adrian Müller, FA für Allgemeine Innere Medizin FMH in Horgen und Präsident der APA (Ärzte mit Patientenapotheke), der das Pandemiekonzept des Bundesamts für Gesundheit BAG kritisch sieht, waren unter anderem die Ausführungen des BAG-Direktors Pascal Strupler mit Retrospektive und Ausblick zur Thematik von besonderem Interesse. doXmedical sprach mit dem Mediziner über seine Kritikpunkte und die Lehren, die daraus zu ziehen sind.
doXmedical: Herr Dr. Müller, Welche Erkenntnisse haben Sie von der Veranstaltung der «SonderAcademy on Health Care Policy» zur Corona-Pandemie mitgenommen – war die Veranstaltung für Sie interessant? Dr. med. Adrian Müller: Ja, auf jeden Fall, denn die Frage, wie sehr die Akteure im Gesundheitswesen von der Corona-Pandemie betroffen sind und wie wenig sich das BAG oder die Politik dessen bewusst sind, das hat mich sehr beschäftigt. In diesem Zusammenhang bin ich über die Ausführungen des BAG-Direktors sehr erstaunt gewesen, denn er hat den Eindruck vermittelt, dass in seinem Hause alles perfekt gelaufen sei.
Haben Sie das Gefühl, diese Veranstaltung könnte dazu beigetragen haben, dass sich etwas ändert? Zumindest hat diese Veranstaltung dazu beigetragen, den Teilnehmern erneut den Zusammenhang zwischen zunehmendem Preis-Dumping und der Destabilisierung des Gesundheitswesens ins Bewusstsein zu rufen. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Pharmaindustrie ihre Wirkstoffe selbstverständlich liefert, egal zu welchem Preis! Vielmehr braucht es eine entsprechende Finanzierung, um einen gewissen Qualitätsstan-
dard aufrecht erhalten zu können, der auch in Krisenzeiten eine innereuropäische Versorgung garantiert. Ein Kaugummi kann nicht mehr kosten als ein Medikament, das geht einfach nicht.
Was haben Sie am Pandemiekonzept des BAG auszusetzen bzw. was hätte man aus Ihrer Sicht besser machen können/müssen? In dem gesamten umfangreichen Pandemiekonzept des BAG wurden wir Grundversorger, also Ärzte und Apotheker, gerade viermal erwähnt. Aber irgendwo in dem Papier steht immerhin ganz lapidar in einem Nebensatz, dass wir für 40 bis 60 Prozent der Pandemie-Patienten die primäre Anlaufstelle seien. Gleichzeitig legt uns das BAG jedoch ein Pandemiekonzept vor, dass sich über mehr als 100 Seiten mit allen möglichen Pandemiefragen beschäftigt, aber keine einzige Zeile gibt darüber Aufschluss, wie diese 40 bis 60 Prozent der Patienten versorgt werden sollen. Es steht einfach nichts drin! Weder werden spezielle Aufgaben für die Grundversorgung erwähnt, noch findet man eine Triage oder etwa eine Einteilung oder Unterteilung der verschiedenen Aufgabengebiete; kurz: es fehlen alle wichtigen Informationen, die erforderlich wären, um immerhin die Hälfte der Patientenpopulation sachgerecht zu behandeln. Das ist wirklich grotesk!
Womit beschäftigt sich denn dann dieses Pandemiekonzept? Das Pandemiekonzept informiert in erster Linie über die Zuständigkeiten zwischen den Kantonen und den einzelnen Bundesämtern etc. Das alte Pandemiekonzept war nur ein Fünftel so dick, aber da war alles klar geregelt. Das neue dagegen besteht aus einem Haufen Papier mit sehr wenig Inhalt, so dass es praktisch niemand gelesen hat. Es kann ja nicht sein, dass ich ein Pandemiekonzept habe, das ich als Grundversorger kennen müsste, aber gar nicht dazu komme, weil ich vom BAG noch mit weiteren 3000 BAG-Infoseiten überschwemmt werde und ich mich zudem als «Grundversorger» in diesem umfangreichen pdf noch mühsam suchen muss. Eigentlich würde man wie vorher gesagt ein spezielles Kapitel zum Thema «Grundversorgung» erwarten.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen Erfahrungen für Ihre weitere Praxistätigkeit? Corona ist ja noch nicht überstanden! Dass wir uns selbst organisieren müssen, weil von den Behörden nichts zu erwarten ist. Im Gegensatz zum BAG, von dem wir bisher nichts gehört haben, sind wir vor 4 Tagen als Vorstand der regionalen Ärztegesellschaft bereits mit den Corona-Verantwortlichen vom Spital zusammengesessen. Also wir werden jetzt selbst aktiv.
Aus Ihren Vortragsunterlagen habe ich entnommen, dass Praxen für die Durchführung von Coronatests (hochgerechnet 875 Tests/Monat) einen Verlust von monatlich rund 31 000 Franken erwirtschaften. Haben Sie diese Tests tatsächlich alle durchgeführt oder beruhen diese Zahlen auf theoretischen Berechnungen? Das ist eine Berechnung, der reale Zahlen zugrunde liegen, die aus zwei grösseren Gruppenpraxen stammen.
Und wie kommt diese enorme Summe zustande
und wer kommt dafür auf? Trägt die Kranken-
kasse etwas dazu bei?
Das ist eigenes Risiko und Idealismus. Die Kran-
kenkasse zahlt nichts dazu; sie verweist darauf,
dass der Bund dafür aufkommen muss. Beim BAG
wurde dafür eine eigene TarMed Abrechnungspo-
sition geschaffen. Man hat für die ärztlichen
Grundkosten einfach 200 Fr./Std. festgelegt, da-
mit 50 Fr./Test/Viertelstunde. So wurde das wahr-
scheinlich berechnet. Aber dass ein Coronatest
nicht identisch ist mit einer normalen Sprech-
stunde, weil das Sprechzimmer jeweils desinfi-
ziert und gelüftet werden muss und anderes Ma-
terial sowie eine ganz andere Logistik und
Bürokratie benötigt wird, daran hat bei der Be-
rechnung niemand gedacht. Werden diese Kosten
berücksichtigt wird der Test deutlich teurer als
Fr. 50.–. Jeder Arzt, der seriös testet, verliert pro
Test mindestens Fr. 35.45. Hier müsste nachge-
bessert werden.
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Das Interview führte Claudia Reinke.
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