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Thema
Luftverschmutzung aus Sicht der Pneumologie
Und sie sterben doch! Schlechte Luft als Gesundheitskiller
Schadstoffbelastete Luft schadet der Gesundheit – daran sollte es heute aus
Von Adela Žatecky
Für den aktuellen Ausbruch zeichnen einige deutsche Ärzte verantwortlich, die zum Bei-
wissenschaftlicher Sicht keine Zweifel
spiel mit den folgenden Thesen aufwarteten:
mehr geben. Diesem emotional so belasteten
• «Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub sind in den heutigen
Thema wurde auf dem Jahreskongress der European
Konzentrationen in Europa harmlos; toxikologisch lassen
Respiratory Society eine ganze Session mit dem
sich Effekte erst in viel höheren Konzentrationen nachwei-
Titel «Stirbt Ihr Patient an Luftverschmutzung?»
sen.»
gewidmet. Einen Überblick über die wissenschaftli-
• «Epidemiologie zeigt nur eine Korrelation, aber keinen
chen Fakten gab Prof. Barbara Hoffmann aus Düs-
Kausalzusammenhang.»
seldorf (D).
• «Einige grosse Studien zeigen keine Effekte.» Das wird als
«Beweis» für einen fehlenden Effekt ausgeführt.
Eigentlich hätte der Schweizer Präventivmediziner und WHO-
• «Die unterschiedlichen gesetzlichen Grenzwerte beweisen
Experte für Luftverschmutzung, Prof. Nino Künzli aus Basel,
das Fehlen von evidenzbasierten Grenzwerten.»
diesen Vortrag halten sollen. Doch dieser zeigte, dass er
• «Ich habe noch nie einen Patienten an Luftverschmut-
seine Fachexpertise nicht nur akademisch beherrscht, son-
zung sterben gesehen.» (Originalwortlaut aus einer Stel-
dern auch in der Praxis umsetzt – und entschied sich, den
lungnahme von Prof. Dieter Köhler, Schmallenberg: «Lun-
CO2-Ausstoss, den er mit seinem Flug nach Madrid und zu-
genärzte sehen in ihren Praxen und Kliniken diese
rück für diesen einen Vortrag verursacht hätte, dieser Welt
Todesfälle an COPD und Lungenkrebs täglich; jedoch Tote
zu ersparen. Als eine wahrlich würdige Vertreterin erwies
durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese,
sich die deutsche Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann, die
nie.»)
mit sehr klaren Positionen den einleitenden Vortrag des Sym-
posiums übernahm:
Was ist Luftverschmutzung?
Zu Beginn des Jahres 2019 kam es mitten in Europa zu einem
Luftverschmutzung ist eine Mischung von Partikeln und Ga-
akuten Ausbruch einer «Krankheit», die sich «Wissenschafts-
sen. Von den Gasen sind es vor allem NO2 und Ozon, die An-
leugnung» nannte und sich zunächst schnell in Teilen der me-
lass zur Sorge bereiten. Die Partikel in der verschmutzten
dizinischen Community ausbreitete. Die weitere Ausbreitung
Luft haben unterschiedliche Quellen, Bestandteile und phy-
auf die Allgemeinbevölkerung erfolgte über einen Vektor, der
sikochemische Eigenschaften. Wenn verschmutzte Luft ein-
als Mainstream und Social Media auch für andere krankhafte
geatmet wird, gelangen die unterschiedlichen Bestandteile
Zustände der Gesellschaft verantwortlich ist. Das Hauptsymp-
in die unteren Atemwege und führen dort zunächst zu Lokal-
tom der Krankheit, die als «The German Outbreak» in die An-
reaktionen wie Entzündung, oxidativen Stress und karzino-
nalen der Medizin eingehen dürfte, war die Infragestellung der
gene Effekte. Durch die lokalen Reaktionen kann es zur Ent-
Evidenz aus 40 Jahren Forschung zu den Einflüssen von Um-
wicklung beziehungsweise Verschlechterung von Asthma,
weltverschmutzung. Eine solche Endemie der Wissenschafts-
COPD und Lungenkrebs kommen. Doch die Schädigung fin-
leugnung sei dabei nicht wirklich neu, betonte Hoffmann. Ähn-
det nicht nur lokal statt – über den Körperkreislauf können
liche Ausbrüche gab es bereits im letzten Jahrhundert zu
auch andere Organsysteme beeinflusst werden. So sind
anderen Themen – wie Rauchen und Passivrauchen. Bei die-
heute auch systemische Effekte von verschmutzter Luft in
sen Themen hatte es seinerzeit ein paar Dekaden gedauert,
Form von endothelialer Dysfunktion, Insulinresistenz und
um die Mehrheit der Bevölkerung – einschliesslich der Ärzte
Diabetes sowie indirekte Organeffekte beschrieben worden.
– zu überzeugen, dass Rauchen und Passivrauchen in der Tat
Über die Aktivierung von Reflexbahnen wird zudem auch das
gesundheitsschädlich sind. Die Wissenschaftsleugnung auf
autonome Nervensystem aktiviert, was sich in einem Blut-
dem Gebiet der menschengemachten Klimaveränderung ziehe
hochdruck sowie in kardialen Arrhythmien äussern kann. Da-
sich nun auch schon seit den Achtzigerjahren des letzten Jahr-
rüber hinaus können diejenigen Partikel, die in den systemi-
hunderts hin, erinnerte Hoffmann.
schen Kreislauf gelangen – wie ultrafeine Partikel, Metalle
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Pathologien, die mit Luftverschmutzung assoziiert sind
Doch neben solchen kurzfristigen Auswirkungen
Atemwegserkrankungen – Morbidität und Mortalität Lungenkrebs Pneumonie Symptome an oberen und unteren Atemwegen Atemwegsentzündung Abnahme von Lungenfunktion und Lungenwachstum
Insulinresistenz Typ-2-Diabetes Typ-1-Diabetes Knochenmetabolismus
Schlaganfall Einschränkungen bei neurologischer Entwicklung und mentaler Gesundheit Neurodegenerative Erkrankungen
Kardiovaskuläre Erkrankungen – Morbidität und Mortalität Myokardinfarkt Arrhythmie Kongestive Herzinsuffizienz Änderungen der Herzfrequenzvariabilität ST-Senkung
auf die Mortalität lassen sich auch langfristige Effekte beobachten. Als Beispiel nannte Hoffmann eine Langzeitstudie aus Kanada, in der die Assoziation zwischen der durchschnittlichen Feinstaubkonzentration am Wohnort und der Mortalität untersucht wurde. Das Ergebnis: Selbst bei den sehr geringen Feinstaubkonzentrationen, wie sie in Kanada gemessen werden, liess sich eine nahezu lineare Korrelation zwischen der Feinstaubkonzentration (PM25) und der kardiovaskulären Mortalitätsrate nachweisen (1).
Mortalität ist nur die Spitze des Eisbergs Allerdings werde die alleinige Betrachtung der
Bluthochdruck Endotheliale Dysfunktion Gesteigerte Blutgerinnung Systemische Inflammation Tiefe Beinvenenthrombose
Quelle: ERS/ATS policy statement 2017 (6)
Hautalterung
Frühgeburt Niedriges Geburtsgewicht Vermindertes Fetalwachstum Intrauterine Wachstumsverzögerung Verminderte Spermienqualität Präeklampsie
Mortalität den tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesundheit nicht gerecht, betonte Hoffmann: «An einer Exposition zu sterben, das ist nur die Spitze eines Eisbergs.» Denn es gibt viele weitere gesundheitliche Auswirkungen der Luftverschmutzung (Abbildung). Als wichtigen Aspekt beschrieb die Düsseldorfer Expertin die Auswirkungen auf die Atemwege, wie sie beispielsweise in einer britischen Studie dargestellt wurden (2): Darin wur-
den Patienten mit einem leichten, gut kontrollier-
und Toxine –, sich im Körper verteilen und zu direkten Organ-
ten Asthma randomisiert entweder 2 Stunden in die viel
schädigungen führen.
befahrene Oxford Street oder für die gleiche Zeit in den nahe
Die allererste grosse und bekannte Studie zum Thema
gelegenen Hyde Park geschickt. Bereits in dieser relativ kur-
Umweltverschmutzung war eine Untersuchung der täglichen
zen Expositionszeit liess sich nach dem Spaziergang in der
Todesraten während des grossen Smogs von London im De-
Oxford Street eine Reduktion der Lungenfunktion um 6,1 Pro-
zember 1952. Damals stieg aufgrund einer Inversionswetter-
zent in der Einsekundenkapazität (FEV1) beziehungsweise
lage die Konzentration von Luftschadstoffen auf ein Vielfa-
um 5,4 Prozent in der forcierten Vitalkapazität (FVC) gegen-
ches der üblichen Werte. In der gleichen Zeit hatten sich die
über dem Ausgangswert nachweisen, während die entspre-
Todesraten mehr als verdoppelt; anschliessend normalisier-
chenden Reduktionen nach dem Spaziergang im Hyde Park
ten sie sich erst verzögert wieder. Damals gingen allerdings
signifikant niedriger ausfielen. «Das hört sich bei einem ge-
viele Experten davon aus, dass es sich bei den beobachteten
sunden Menschen nicht nach allzu viel an – und auch diese
Todesfällen um schwer kranke und stark geschwächte Men-
leichten Asthmatiker haben nicht viel gemerkt. Aber stellen
schen handeln würde, die ansonsten ohnehin in den nächs-
Sie sich vor, was das bei Menschen mit einem schweren oder
ten Tagen verstorben wären. Doch dies hatte sich nicht be-
einem nicht gut kontrollierten Asthma ausmacht – hier
stätigt – vielmehr wurde auch in den darauf folgenden
kommt man in einen Bereich mit möglichen direkten klini-
Studien immer deutlicher, dass die erhöhten Todesraten
schen Konsequenzen», warnte Hoffmann.
während solcher Phasen gesteigerter Luftverschmutzung
auch Menschen betrafen, die sich nicht in den letzten Tagen
Langzeitauswirkungen der Luftverschmutzung
ihres Lebens befanden und ansonsten noch viele Monate
Zu den langfristigen Auswirkungen der Luftverschmutzung
oder Jahre überlebt hätten. So kann heute bezüglich der
gehört auch der Einfluss auf die Lungenentwicklung bei Kin-
Feinstaubkonzentration als Faustregel festgestellt werden:
dern – und das gilt offenbar nicht nur für die früheste Kind-
Ein Anstieg der PM10-Feinstaubkonzentration um 10 µg pro
heit: In einer kalifornischen Untersuchung mit Kindern und
Kubikmeter Luft erhöht die tägliche Mortalität um 0,4 bis 1
Jugendlichen, die im Alter von 10 Jahren rekrutiert und bis zu
Prozent.
einem Alter von 18 Jahren untersucht wurden, wurde gezeigt:
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Je höher die Luftverschmutzung, desto geringer fällt die durchschnittliche Zunahme des FEV1 mit dem Alter aus (3). «Das ist sehr wichtig, denn das bedeutet, dass Kinder, die in diesen verschmutzten Gegenden leben, niemals ihre optimale Lungenfunktion erreichen werden», meinte die Expertin warnend. Wenn dann ab einem Alter von über 25 Jahren die altersmässige Abnahme der Lungenfunktion einsetzt, erreichen diese Menschen früher im Leben einen Bereich, der mit Einschränkungen verbunden ist. Die Langzeitauswirkungen der Luftverschmutzung bei Erwachsenen wurden in der Schweizer Studie SAPALDIA untersucht: Auch hier bestätigte sich der lineare Zusammenhang: Je höher die Schadstoffexposition am Wohnort, desto ausgeprägter war der Abfall der Lungenfunktion (4). Sowohl Dieselabgase als auch Feinstaub weisen zudem kanzerogene Effekte auf, wie ebenfalls in verschiedenen Kohortenstudien deutlich wurde. Als Beispiel präsentierte Hoffmann die Studie ESCAPE, die Daten aus verschiedenen europäischen Kohorten auswertete. In der Gesamtauswertung wurde eine signifikante Risikoerhöhung für Lungenkrebs in Assoziation mit einer höheren PM10-Exposition am Wohnort ermittelt (5). In einem gemeinsamen Statement der European Respiratory Society (ERS) und der American Thoracic Society (ATS) wurden die vielen nachgewiesenen schädlichen Gesundheitseffekte, die auf die verschiedenen Organsysteme des Menschen nachgewiesen wurden, zusammengetragen (6). Die Liste macht deutlich, dass es weitaus mehr als nur die Lungen sind – so lassen sich auch Einflüsse auf das kardiovaskuläre System, das Nervensystem, den Hormonhaushalt sowie auf Spermaqualität, Schwangerschaft und fetales Wachstum nachweisen (siehe Abbildung).
Koinzidenz oder Kausalität? Eine wichtige Frage ist die nach der Kausalität. Hier setzte nämlich die Leugnungskampagne vor einem Jahr an. Es wurde postuliert, dass es sich bei den festgestellten Assoziationen nur um «Korrelation» handeln würde, ohne dass ein Kausalzusammenhang belegbar sei. Und in der Tat zeigen die grossen epidemiologischen Studien Korrelationen – zum
Literaturtipp: Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit In diesem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) wird der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand zur Schadstoffbelastung und zu deren gesundheitlichen Auswirkungen aus 451 wissenschaftlichen Quellen auf 100 Seiten zusammengefasst: https://www.rosenfluh.ch/qr/positionspapier-schadstoffe
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Beispiel eine höhere kardiovaskuläre Krankheitsinzidenz in
Gebieten mit höherer Luftverschmutzung. Das klassische
Vorgehen, um auch die Kausalität zu belegen, wären rando-
misierte, kontrollierte Studien, die jedoch in diesem Zusam-
menhang nicht durchführbar sind. Daher bedürfe es hier an-
derer Wege, um die Kausalität nachzuweisen, betonte
Hoffmann.
Eine Kausalität infolge kurzfristiger Exposition lässt sich
allerdings sehr wohl nachweisen – beispielsweise mit expe-
rimentellen Zellstudien, mit Expositionsversuchen an Tieren
oder auch an Menschen in Expositionskammern. Und da gibt
es in der Tat Studien, die Kausalitäten nachweisen konnten.
Beispielsweise entwickeln Versuchstiere vermehrt eine Athe-
rosklerose, wenn sie für 6 Monate in schadstoffbelasteter
Luft gehalten werden. Die Ergebnisse solcher Versuche, die
eine Kausalität zeigen, passen also gut zu denen in den epi-
demiologischen Studien.
Eine weitere Möglichkeit, die Kausalität zu belegen, sind
nach den Worten von Hoffmann «natürliche Experimente» –
was sie damit meinte, verdeutlichte sie mit einer US-Studie,
bei der die Daten von über 100 000 Kindern von Militärange-
hörigen nach Stationierungen in verschiedenen Militärbasen
mit unterschiedlicher Luftqualität für jeweils längere Zeit-
räume erfasst wurden. Da jedes Jahr etwa ein Drittel der Fa-
milien aufgrund einer Versetzung umgesiedelt wird, bestand
hier die Möglichkeit, den Einfluss solcher Umsiedlungen auf
die Lungenfunktion der Kinder zu untersuchen. Es zeigte
sich, dass ein Anstieg des jährlichen Ozonwertes um 10 ppb
am neuen Wohnort das Risiko für eine Hospitalisierung we-
gen Atemwegserkrankungen um 0,35 Prozentpunkte erhöhte
(von 1,2% auf 1,55%) (7). Wenn auch die Intention der Expo-
sition eine andere gewesen sei, so komme diese Untersu-
chung einer randomisierten Versuchsanordnung sehr nahe,
betonte Hoffmann.
Nimmt man all diese Erkenntnisse und verschiedenen Stu-
dien zusammen, dann wird deutlich, dass zwischen Luftver-
schmutzung und den beobachteten Effekten auf die Gesund-
heit sehr wohl ein kausaler Zusammenhang besteht. Zu
diesem Ergebnis kommen verschiedene Reviews und Exper-
tenstatements (Beispiel siehe Literaturtipp). Auf die anfangs
gestellte Frage, ob Patienten an Luftverschmutzung sterben,
gibt es daher für Hoffmann nur eine Antwort: «Die einfache
Antwort lautet: Ja!»
x
Quelle: Hot Topic «Is Your patient dying from air pollution?» beim 29. Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS) am 1. Oktober 2019 in Madrid.
Dieser Artikel erschien zuerst in «CongressSelection Allergologie/Pneumologie», Dezember 2019. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
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Referenzen: 1. Crouse DL et al.: Risk of nonaccidental and cardiovascular mortality in relation to long-term exposure to low concentrations of fine particulate matter: a Canadian national-level cohort study. Environ Health Perspect 2012; 120(5): 708–714. 2. McCreanor J et al.: Respiratory Effects of Exposure to Diesel Traffic in Persons with Asthma. N Engl J Med 2007; 357: 2348–2358. 3. Gauderman WJ et al.: The effect of air pollution on lung development from 10 to 18 years of age. N Engl J Med 2005; 352(12): 1057–1067. 4. www.swisstph.ch/en/topics/non-communicable-diseases/human-biomonitoring/ sapaldia/ 5. ESCAPE 6. Thurston GD et al.: A joint ERS/ATS policy statement: what constitutes an adverse health effect of air pollution? An analytical framework. Eur Respir J 2017; 49: 1600419. 7. Lleras-Muney A: The Needs of the Army: Using Compulsory Relocation in the Military to Estimate the Effect of Air Pollutants on Children’s Health. Journal of Human Resources 2010; 45(3): 549–590.
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