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Thema
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Diagnostik und Therapie der Hypertonie
Was ist im Alter anders?
Für eine effektive Behandlung von älteren Patienten mit Bluthochdruck ist vor
Von Ute Hoffmann
funktionsverschlechterungen. Der funktionelle Status des älteren Patienten, seine Selbststän-
allem ein strukturiertes Vorgehen wich-
digkeit und die Therapieverträglichkeit wurden
tig: Die Zielwerte müssen definiert und vorab immer
in den neuen Leitlinien 2018 deshalb stärker berücksichtigt.
eine «Pseudo»-Hypertonie ausgeschlossen werden. Die neue europäische Blutdruckleitlinie empfiehlt auch für betagte Patienten sogenannte Fixdosis-
Achtung «Pseudo»-Hypertonie gerade bei älteren Menschen!
Kombinationen (Single Pill). Der Patient sollte die
Bevor wir an eine blutdrucksenkende Therapie denken und
Behandlung aber stets gut vertragen und dabei selbstständig bleiben.
Prof. Dr. med. Ute Hoffmann
uns mit Zielwerten befassen, müssen wir reversible Gründe von hypertensiven Entgleisungen ausschliessen. Dazu zählen Aufregung, Angst oder Schmerzen, die bei älteren Men-
Kasuistik
schen viel häufiger auftreten als bei jüngeren. Fast drei Viertel der Patienten höheren Alters haben in der Praxis einen
Ein 83-jähriger Patient wird bei Z. n. Kollaps mit Sturz, der sich beim Einkaufen ereignete, in die Notaufnahme gebracht. Wegen Praxisblutdruckwerten von wiederholt > 150/90 mmHg wurde zwei Wochen zuvor eine Therapie mit Ramipril 5 mg und HCT 12,5 mg einmal täglich begonnen. Im Krankenhaus fallen ein Blutdruck von 95/55 mmHg, eine Exsikkose sowie ein akutes Nierenversagen auf. Anamnestisch zeigte sich, dass der Patient in den letzten Tagen Durchfall hatte. Was war passiert? Durch die Diarrhö und das HCT kam es zur Exsikkose sowie zur Hypotonie. Ramipril führte zusätzlich zur Verringerung des Filtrationsdrucks in den Nieren und dadurch zur Abnahme der eGFR. Das Fazit: Regelmässige häusliche Selbstmessungen sind unbedingt zu empfehlen, gerade wenn akute Erkrankungen auftreten. Wegen der Diarrhö hätte der Patient den ACE-Hemmer und das Diuretikum auf jeden Fall pausieren müssen.
deutlich höheren Blutdruck als zu Hause («Weisskittelhypertonie») (10). Ältere Menschen nehmen in der Regel auch eine höhere Anzahl an Medikamenten ein, die zu einem erhöhten Blutdruck führen können, zum Beispiel nichtsteroidale Antiphlogistika, Kortikosteroide, Antidepressiva (Venlafaxin, Bupropion) oder Erkältungsmittel (Pseudoephedrin, Phenylephrin) (11).
Neue Empfehlungen zur standardisierten Blutdruckmessung Bei der Definition von Zielwerten für unsere älteren Patienten müssen wir ihnen zunächst eine Blutdruckmessmethode vor-
geben oder bei der Praxismessung selbst einhalten.
Die europäischen ESC/ESH-Leitlinien zum Management der
Die neuen ESC/ESH-Leitlinien empfehlen – unabhängig vom
arteriellen Hypertonie von 2013 sahen Blutdruckzielwerte
Alter – , die Blutdruckmessung so durchzuführen (9):
von < 140/90 mmHg für die meisten Patienten und unabhän- • im Sitzen in ruhiger Umgebung nach fünf Minuten Ruhe gig vom Alter vor (1). Grosse, prospektive und randomisierte • jedes Mal drei Messungen mit jeweils ein bis zwei Minuten Studien sowie eine Reihe hochrangig publizierter Metaana- Abstand lysen zu diesem Thema (2–8) haben jetzt zur Erstellung der • weitere Messungen, wenn das Ergebnis der ersten beiden «2018 ESC/ESH-Leitlinien zum Management der arteriellen Messungen um > 10 mmHg voneinander abweicht
Hypertonie» mit teils strengeren Empfehlungen auch für äl-
• Bildung des Mittelwerts aus den letzten beiden Messun-
tere Menschen geführt (Tabelle) (9).
gen
• bei der ersten Untersuchung: Blutdruckmessung immer an
Neue Behandlungsziele bei Älteren
beiden Armen
Die Verringerung des funktionellen Abbaus und der funktio-
• bei den Folgemessungen: an dem Arm mit dem initial hö-
nellen Beeinträchtigung sowie der Erhalt der Selbstständigkeit
heren Wert
und eine gute Lebensqualität stehen für die meisten hochbe-
• bei älteren Menschen zusätzlich eine Messung im Stehen,
tagten Menschen im Vordergrund. Die Nebenwirkungen der
eine und drei Minute(n) nach dem Aufstehen aus liegender
antihypertensiven Therapie wie schlechtere mentale Funktio-
Position (um eine orthostatische Hypotonie auszuschliessen).
nen, orthostatische Hypotension und Schwindel können die
Für ältere Menschen kann es wegen eines funktionellen De-
Lebensqualität erheblich einschränken, ebenso wie häufige
fizits umständlich sein, am entkleideten Arm zu messen. Dies
ärztliche Kontrollen bei Elektrolytentgleisungen oder Nieren-
ist aber ausdrücklich zu empfehlen, da über der Kleidung an-
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Tabelle:
Empfehlungen der aktuellen europäischen ESH/ESC-Leitlinien 2018 (9)
Patientengruppen Patient ≥ 65 Jahre unter antihypertensiver Therapie
Fitte, ältere Patienten > 65 Jahre (auch bei > 80 Jahren) mit RR syst. ≥ 160 mmHg und/oder RR diast. ≥ 90 mmHg Fitte, ältere Patienten (< 65 Jahre, aber nicht > 80 Jahre) mit RR syst. 140–159 mmHg und/ oder RR diast. ≥ 90 mmHg Gebrechliche, ältere Patienten
alle älteren Patienten, auch ≥ 80 Jahre
Zielwerte und Therapieempfehlungen Zielwerte: RR syst. 130–139 mmHg, RR diast. < 80 mmHg Vermeiden: RR syst. < 130 mmHg, RR diast. < 70 mmHg Antihypertensive medikamentöse Therapie und Lebensstiländerungen Antihypertensive medikamentöse Therapie und Lebensstiländerungen, vorausgesetzt, dass die Therapie gut vertragen wird Antihypertensive Therapie in Erwägung ziehen, wenn sie gut vertragen wird kein Absetzen einer antihypertensiven medikamentösen Therapie aufgrund eines bestimmten Alters, wenn die Therapie gut vertragen wird. gelegte Messmanschetten zu falsch hohen Fehlmessungen mit der Gefahr einer Überbehandlung führen können (12). Bei betagteren Personen ist zudem beim Blutdruckmessgerät auf ein gut lesbares Display mit grossem Schriftbild und eventueller Beleuchtung zu achten. Gerade bei älteren Personen mit kognitiven Einschränkungen ist es wichtig, dass sie die ermittelten Werte sofort dokumentieren und diese dem behandelnden Arzt bei der nächsten Konsultation vorlegen. Alternativ eignen sich Messgeräte mit Speicherfunktion. Die Blutdruckmessung können auch Angehörige vornehmen, deren Kontrollen sogar mit einer ambulanten 24-h-Blutdruckmessung vergleichbar sind (13). Eine 24-h-RR-Messung ist vor Therapiebeginn oder unter antihypertensiver Therapie und bei Verdacht auf eine Weisskittelhypertonie oder orthostatische Synkopen sowie bei rezidivierendem Schwindel sinnvoll. Ältere mit Frailty: Blutdruckziele und Therapieempfehlungen Die meisten Studien schliessen bestimmte Personengruppen aus: Patienten mit unbeabsichtigter Gewichtsabnahme, erniedrigtem Body-Mass-Index, verminderter kognitiver Leistung, eingeschränkter Mobilität und positiver Sturzanamnese, einem Risiko für eine orthostatische Hypotonie oder Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Ute Hoffmann Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie/ Nephrologie, Angiologie, Diabetologie, Endokrinologie Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg D-93049 Regensburg solche, die in Pflegeeinrichtungen wohnen (5, 7, 8). Auch bei der SPRINT-Studie hätten von allen älteren Menschen ≥ 75 Jahre mit Hypertonie nur 64 Prozent die Einschlusskriterien erfüllt (14). Bei sehr hochbetagten, multimorbiden und/oder gebrechlichen Patienten ist deshalb weiterhin eine sehr individuelle Betrachtung gefordert. Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert. Dieser Artikel erschien zuerst in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (5) Seite 16–18. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung. Strategie bei unkomplizierter Hypertonie älterer Menschen Bei älteren Patienten machen, wie bei jüngeren, eine Salzrestriktion, verringerter Alkoholkonsum, ein erhöhter Verzehr von Obst und Gemüse, eine Gewichtsreduktion bei Übergewicht und regelmässige körperliche Aktivität viel aus. Als medikamentöse Initialtherapie wird bei Patienten höheren Alters generell eine Kombinationstherapie aus ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorblockern und Kalziumantagonisten (Dihydropyridin) oder Thiaziddiuretika empfohlen, idealerweise in einer «Single Pill». Die Medikation sollte mit den jeweils geringsten verfügbaren Dosen beginnen. Bei älteren (≥ 80 Jahre) oder gebrechlichen Patienten mit Grad-1-Hypertonie kann auch eine initiale Monotherapie erwogen werden. Beta- und Alphablocker sowie Schleifendiuretika sollte der Arzt nur noch bei spezifischen Indikationen berücksichtigen. Niedrigerer Blutdruck Klinische Kontrollen (Untersuchung des Volumenstatus, Blutdruckmessungen) und laborchemische Kontrollen (Kreatinin, Kalium, Natrium) sollten regelmässig erfolgen (15). Ältere Menschen sind durch antihypertensive Medikation vor allem dann gefährdet, wenn eine akute Erkrankung wie eine Infektion und/oder eine Exsikkose auftreten. Bei weiterer Einnahme der Antihypertensiva ist hier das Risiko für eine orthostatische Hypotonie sowie für eine Nierenfunktionsverschlechterung erhöht (8). Patienten mit akuten Erkrankungen sollten deshalb vor allem mit ACE-Hemmern, AT1-Rezeptorblockern und Diuretika pausieren. Bei Verdacht auf eine orthostatische Hypotonie oder hypotone Episoden sollte der Arzt eine 24-Stunden-Blutdrucklangzeitmessung (ABPM) vornehmen. Blutdruckmedikation bei Älteren nach dem Krankenhausaufenthalt Während eines stationären Aufenthalts wird oft die Blut- druckmedikation verändert. Dies kann im Rahmen einer Ex- sikkose, einer Blutung oder einer Infektion mit einer Reduk- tion der antihypertensiven Medikamente erfolgen – zum Beispiel bei hydropischer Dekompensation, Schmerzsyndro- men oder bei Aufregung beziehungsweise Angst. Die Dosis der Antihypertensiva kann im Krankenhaus für bestimmte Patienten auch höher gesetzt werden. Im häuslichen Umfeld muss deshalb nach einigen Tagen wieder eine Anpassung der Blutdruckmedikation durch den Arzt erfolgen. Die Patien- ten werden hier angehalten, den Blutdruck täglich zu mes- sen, zu dokumentieren und die Ergebnisse beim nächsten ambulanten Arztbesuch mitzubringen. x – 17 – Thema Literatur: 1. Mancia G, Fagard R, Narkiewicz K, Redon J, Zanchetti A, Bohm M et al.: 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). J Hypertens 2013 Jul; 31(7): 1281–1357. 2. Bavishi C, Bangalore S, Messerli FH: Outcomes of Intensive Blood Pressure Lowering in Older Hypertensive Patients. J Am Coll Cardiol 2017 Feb 7; 69 (5): 486–493. 3. 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