Transkript
1 • 2020
Thema
Nasales Glukagon
Glukagon bei schwerer Hypoglykämie: Sprühen statt spritzen!
Unterzuckerungen sind für Diabetiker riskant, besonders die schweren Hypoglykämien können unbehandelt lebensgefährlich werden. Bei schweren Unterzuckerungen, etwa bei Bewusstlosigkeit oder Krampfanfällen, sind die betroffenen Patienten nicht mehr in der Lage, sich selbst zu helfen und brauchen Fremdhelfer (1). Doch die sind bei Injektionen oft überfordert.
Eine Lösung könnte Baqsimi® bieten, das die EUKommission im Dezember 2019 als erstes nasal zu verabreichendes Glukagon-Präparat zugelassen hat. Zuvor war es bereits in den Vereinigten Staaten und in Kanada erhältlich. Jetzt können Diabetespatienten der Europäischen Union demnächst davon profitieren. In Deutschland etwa soll es ab März 2020 erhältlich sein. Angezeigt ist es der Fachinformation zufolge zur Behandlung von schweren Hypoglykämien bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab 4 Jahren mit Diabetes mellitus (2). Zu Kindern unter 4 Jahren liegen noch keine Daten vor.
Gute Wirksamkeit Die Wirkung von nasalem Glukagon (Einzeldosis: 3 mg) und injiziertem Glukagon (Einzeldosis: 1 mg) wurde unter anderem in einer Studie mit 83 erwachsenen Patienten geprüft (3). Die meisten waren Typ-1-Patienten (n = 77). Verglichen wurde der Anteil derer, die nach Glukagongabe innerhalb von 30 min einen Blutzuckerwert von 70 mg/dl (oder einen Anstieg um 20 mg/dl über den vorher niedrigsten Wert) erzielten. Mit 98,7 vs. 100 Prozent war das nasale Glukagon dem injizierten nicht unterlegen. Ähnlich fiel der Vergleich bei 70 erwachsenen Typ-1-Patienten aus. Hier erwiesen sich in beiden Gruppen 100 Prozent der Teilnehmer als erfolgreich (4). RealWorld-Daten von sieben Patienten mit schweren Unterzuckerungen unterstreichen die Ergebnisse: Alle befanden sich mit nasalem Glukagon nach 5 bis 15 min. wieder in einem normalen Zustand (5).
Von Helga Brettschneider
Die Zulassungsstudie für Kinder und jugendliche Patienten umfasste in drei Altersgruppen (4– < 8 Jahre; 8–< 12 Jahre; 12–17 Jahre) insgesamt 48 Teilnehmer (6). Geprüft wurde, ob sie mit nasalem/injizierten Glukagon in 20 min. einen Glukoseanstieg um 20 mg/dl erreichten. Dies bestätigte sich bei allen Patienten.
Nasal: leicht und schnell anwendbar Glukagon erhöht den Blutzuckerspiegel, indem es unter anderem die hepatische Glykogenolyse und Glukoneogenese stimuliert. Als besonderer Vorteil des neuen Glukagon-Notfallpräparates wird die Einfachheit seiner Anwendung hervorgehoben. Denn das bislang zur Behandlung schwerer Unterzuckerungen in Notfallkits erhältliche Glukagon muss erst vorbereitet werden und ist dann als Injektion zu verabreichen. Da der Patient in dieser Situation dazu nicht selbst in der Lage ist, sollen dies Personen in seinem direkten Umfeld übernehmen. Die haben damit jedoch in der Regel wenig bis gar keine Erfahrung und befinden sich in diesem Moment in akutem Stress. Die Folge: Das Vorbereiten der Glukagonspritze und die Injektion gelingen in dieser Stresssituation oft nicht richtig – selbst dann, wenn die Helfer darin geschult wurden (2, 7). Die neue Notfalloption dagegen konnte von hilfeleistenden Personen auch dann schneller und erfolgreicher – leicht – angewendet werden, wenn diese noch gar nicht darauf geschult worden waren (8, 7). Dafür sprechen die Ergebnisse aus simulierten Notfallsituationen einer Studie, in der erwachsene Helfer nasales Glukagon oder injizierbares Glukagon verabreichen sollten (8). Für den Test stand den Helfern entweder nur die Gebrauchsanweisung zur Verfügung, oder sie hatten eine Schulung zum jeweiligen Präparat erhalten. Das Ergebnis: Lediglich 13 Prozent der zur Anwendung des zu injizierenden Glukagons geschulten Helfer gelang es, dieses Medikament erfolgreich
Helfer (%) mit einer vollständg verabreichten Dosis
100 94% 93%
80
60
40
20
13%
0%
0 geschulte ungeschulte geschulte ungeschulte
Helfer
Helfer
Helfer
Helfer
injizierbares Glukagon
nasales Glukagon
Abbildung: Mit nasalem Glukagon kamen geschulte und ungeschulte Helfer besser zurecht.
vorzubereiten und komplett zu verabreichen. Von den Helfern, die sich nur an der Gebrauchsanweisung orientieren konnten, schaffte dies kein einziger. Anders sah es dagegen beim nasalen Glukagon aus: Ob mit oder ohne Schulung – 93 Prozent beziehungsweise 94 Prozent der Probanden gelang das Verabreichen der kompletten Dosis (Abbildung). Auf ein ähnliches Ergebnis weist die Auswertung von Daten der Studie CRASH hin: Mit injizierbarem Glukagon gelang die Versorgung durch Menschen des eigenen Umfeldes in einer solchen Situation nur bei jedem 7. Typ-1- und jedem 12. Typ-2-Patienten (9).
Einmal sprühen, bitte
Das nasale Glukagon wird in ein Nasenloch ver-
abreicht. Die Aufnahme erfolgt dann passiv über
die Nasenschleimhaut; nach wenigen Minuten ist
es im Blut nachweisbar. Den Einzeldosisbehälter
(3 mg) kann der Patient ständig bei sich tragen –
er muss nicht gekühlt werden, Raumtemperatur
genügt. Die Absorption klappt auch bei Erkältung
und verstopfter Nase.
x
– 17 –
Literatur: 1. Frier BM. Hypoglycaemia in diabetes mellitus: epidemiology and clinical implications. Nat Rev Endocrinol. 2014; 10(12):711-722 2. Fachinformation Bacsimi 3 mg Nasenpulver, Stand Dezember 2019, Deutschland 3. Rickels MR et al. Intranasal glucagon for treatment of insulin-induced hypoglycemia in adults with type 1 diabetes: a randomized crossover noninferiority study. Diabetes Care 2016; 39(2): 264-270 4. Suico J et al. Nasal glucagon: a viable alternative to treat insulininduced hypoglycaemia in adults with type 1 diabetes. Diabetologia 2018; 61 (Suppl 1): S77-78 5. Seaquist ER et al. Prospective study evaluating the use of nasal glucagon for the treatment of moderate to severe hypoglycaemia in adults with type 1 diabetes in a real-world setting. Diabetes Obes Metab 2018; 20(5): 1316-1320 6. Sherr JL, et al. Glucagon nasal powder: a promising alternative to intramuscular glucagon in youth with type 1 diabetes. Diabetes Care. 2016; 39(4):555-562 7. Settles J et al. Nasal versus injected glucagon: user experience results of a simulated severe hypoglycemia study. Poster at American Diabetes Association; San Francisco; 7-11 June 2019, P 13-LB 8. Yale JF et al. Faster Use and Fewer Failures with Needle-Free Nasal Glucagon Versus Injectable Glucagon in Severe Hypoglycemia Rescue: A Simulation Study. Diabetes Technol Ther 2017; 19(7): 423–432. 9. Mönnig E et al. Conversations and Reactions Around Severe Hypoglycemia (CRASH): German results from a global Study. DDGKongress, 1. Juni 2019, Berlin, Poster 020.
Fortbildung
1 • 2020
– 18 –