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Was rät der Chirurg?
Wundversorgung in der Hausarztpraxis
Wenn sich ein Patient mit einer chirurgisch zu versorgenden Wunde vorstellt,
Von Christine Mücke
fen ausnahmsweise auch einmal 12 Stunden vergehen.
gilt es, ein paar Dinge zu bedenken. Der
Bevor die Wunde versorgt werden kann, müs-
plastische Chirurg Dr. med. Ralph Verstappen, Lei-
sen Sie ausserdem den Allgemeinzustand des Patienten ins
tender Arzt der Klinik für Hand-, plastische und
Auge fassen. Relevant sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen so-
Wiederherstellungschirurgie am Kantonsspital St.
wie eine diabetische Stoffwechsellage – letztere geht mit
Gallen, schildert, was rund um die Versorgung zu
einem erhöhten Infektionsrisiko einher. Sie müssen zudem
beachten ist.
wissen, ob der Patient antikoaguliert ist (und damit das Blu-
tungsrisiko erhöht), ob er Steroide (negativer Einfluss auf
Präsentiert sich ein Verletzter mit einer Wunde, müssen zu-
die Wundheilung möglich) oder Antibiotika nimmt, damit Sie
nächst Verletzungsmechanismus und Infektionsgefahr eru-
eine Überversorgung vermeiden. Auch über Allergien auf Lo-
iert werden. Was ist passiert? Besteht die Möglichkeit einer
kalanästhetika (sehr selten), Antibiotika, jodhaltige Desin-
Kontamination? Es macht einen Unterschied, ob eine Schnitt-
fektionsmittel oder Pflaster sollten Sie informiert sein, bevor
wunde durch einen Teller entstanden ist, der beim Ausräu-
es zu Reaktionen kommt. Die letzte Tetanusimpfung sollte
men der Geschirrspülmaschine kaputtgegangen ist, oder ob
nicht länger als maximal 10 Jahre zurückliegen, besteht ein
ein verschmutztes Werkzeug auf der Baustelle die Ursache
erhöhtes Infektionsrisiko, sollte bereits nach 5 Jahren aufge-
war. Bei einer Bissverletzung gilt es, das damit einherge-
frischt werden.
hende Infektionsrisiko richtig einzuschätzen. Die aggres-
sivste Mundfauna beispielsweise hat der Mensch. Daneben
Wie sieht die Wunde aus?
ist auch der Zeitpunkt der Verletzung wichtig. Es gelte immer
Wesentliche Charakteristika einer Wunde sind Wundrand,
noch, dass eine Wunde nach Ablauf von 6 bis 8 Stunden
Wundgrund, Wundausdehnung und -tiefe, Verschmutzung
ohne radikales Debridement mehr primär verschlossen wer-
und allfällige Fremdkörper. Grundsätzlich unterscheidet man
den sollte, sagte Verstappen, denn sonst steige das Infekti-
zwischen Schürf-, Schnitt-, Rissquetschwunden und einer
onsrisiko. Eine Ausnahme stellt hier das Gesicht dar, da dür-
Ablederungsverletzung. Die häufigsten Verletzungen sind
die oberflächlichen Abschürfungen, welche die Haut nicht
ganz durchdringen; diese sind in der Regel nicht chirurgisch
zu versorgen. Eine Schnittverletzung blutet in der Regel
stark, hat glatte, vitale und tiefe Wundränder. Bei der Riss-
quetschwunde sind die Wundränder extrem aufgeworfen,
verzerrt, teilweise findet man Wundrandnekrosen. Im Sinne
ab
einer möglichst geringen Narbenbildung sollte man diese Wunden, sofern möglich, in eine chirurgische Wunde konver-
tieren. Die schwierigste aller Wunden ist nach Erfahrung des
Experten die Ablederung, ein Décollement. Diese Wunden
haben eine schlechte Prognose. «Hier versuchen wir, die
Haut wieder zurückzulegen und mit einem (Vacuum-)Kom-
pressionsverband zu fixieren, in der Hoffnung, dass die Haut
cd
wieder einheilt.»
Abbildung 1a: avitale, gequetschte, unregelmässige Wundränder Abbildung 1b: oberflächliches Wundareal, flächenhafte Ausdehnung Abbildung 1c: glatte, vitale Wundränder, scharfe Durchtrennung bis in tiefe Gewebeschichten Abbildung 1d: grossflächiger Abriss von Haut und Subkutangewebe, lappenförmig retrahierte Haut
Begleitverletzungen ausschliessen Auch die Wundumgebung muss inspiziert werden, um allfällige Begleitverletzungen nicht zu verpassen. Störungen der Sensibilität oder motorische Ausfälle beziehungsweise ein Kraftverlust sind Hinweise auf Nervenverletzungen. Die Be-
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weglichkeit distal der Verletzungsstelle erlaubt einen Hinweis auf eventuelle Sehnen- oder Muskeldurchtrennung. Kommt ein Patient stark blutend, helfen Pulsstatus und periphere Reperfusionszeit dabei zu beurteilen, ob wichtige Arterien betroffen sind. Ob eine Fraktur vorliegt, ist aufgrund von Schmerzen oftmals klinisch nur schwer einzuschätzen, hier kann ein Röntgenbild weiterhelfen – das dann auch eventuelle Fremdkörper in der Wunde sichtbar macht.
Patient informieren, Einwilligung dokumentieren Wenn Sie die Wunde und die begleitenden Umstände einschätzen können, gilt es, den Patienten zu informieren. Dafür sollten Sie die erhobenen Befunde verständlich zusammenfassen und das weitere Vorgehen inklusive möglicher Komplikationen erläutern, damit der Patient informiert entscheiden kann – und Sie sollten den Entscheid schriftlich erfassen, am besten mit einer Unterschrift. Auch der Eingriff selber sollte kurz dokumentiert werden. Vor einer Entscheidung müssen Vor- und die Nachteile der chirurgischen Versorgung bekannt sein. Als Vorteile gelten eine schnellere Wundheilung sowie eine in der Regel deutlich schönere Narbe als bei sekundärer Wundheilung. Im
Häufige Fragen
• Ab wann sind Duschen und Baden erlaubt? Duschen und Haarewaschen sind in der Regel von Anfang an kein Problem, vom Baden aber ist für 3 bis 4 Wochen abzuraten – sowohl aufgrund des Drucks auf die Wunde als auch der damit einhergehenden Infektionsgefahr.
• Ist eine Narbenmassage sinnvoll? Ja, denn das hat nicht nur etwas mit der Schönheit der Narbe zu tun, sondern bringt darüber hinaus diverse Vorteile. Das Remodeling verbessert die Qualität der Narbe. Der richtige Zeitpunkt für eine mechanische Manipulation hängt nicht zuletzt von Lokalisation, Empfindlichkeit, Ängstlichkeit des Patienten sowie der Reaktivität der Narbe ab. In der Regel ist ein Beginn in den ersten Wochen nach Nahtentfernung zu empfehlen, auch bei Missempfindungen und leichten Schmerzen; hier ist eine Desensibilisierung möglich.
• Darf man mit Narbe in die Sonne? Solange die Narbe gerötet ist, lässt sie sich noch positiv beeinflussen. Insofern sollte sie so lange auch nicht ungeschützt der Sonne ausgesetzt werden, sonst besteht die Gefahr einer Hyperpigmentation. Mit einem Sonnenschutz mit Lichtschutzfaktor 50+ ist die Narbe gut geschützt und bleibt schön hell.
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Rahmen einer chirurgischen Versorgung mit Infiltration ist es, gerade bei der Hand, zudem einfacher, die Wunde auch in der Tiefe besser zu explorieren, Begleitverletzungen zu erkennen und gegebenenfalls gleich mit versorgen zu können. Ohne Betäubung ist das oftmals schwerer abzuschätzen. Lässt man die Wunde von allein heilen, wird die Narbe in der Regel nicht so schön wie bei der chirurgischen Versorgung, die Wundränder sind dann eher kontraktiert und dick aufgeworfen. Bei jedem chirurgischen Eingriff kann es aber immer auch zu Blutungen und Infektionen kommen, in deren Rahmen die Wunde wieder aufgeht. Auch die Möglichkeit einer Nahtdehiszenz sollte erwähnt werden.
Bevor genäht wird Bevor Sie nähen, sollte der Arbeitsplatz kontrolliert werden, damit wirklich alles steril und griffbereit ist, was gebraucht werden könnte, wie der Experte empfiehlt. Die Wunde muss desinfiziert, infiltriert, exploriert sein, bevor sie verschlossen wird. Bei einer Rissquetschwunde sollten unschöne Ränder nach Möglichkeit in eine chirurgische Wunde mit glatten Wundrändern überführt werden. «Bitte Octenisept wie vorgesehen zur Oberflächendesinfektion einsetzen, niemals damit die Wunde spülen – das kann zu unschönen, schmerzhaften Ergebnissen führen und dramatische Fettgewebenekrosen mit sich bringen», merkte Verstappen an. Als Utensilien sind Nadelhalter und chirurgische Pinzette zu empfehlen; anatomische Pinzetten sind viel traumatischer, weil sie keine Zähnchen haben und so mehr quetschen. Damit kommt es viel leichter zu Wundheilungsstörungen und Nekrosen. Wichtig ist auch das adäquate Nahtmaterial. «Hier gibt es eine sehr grosse Auswahl, die man nicht komplett vorrätig braucht; am besten stellen Sie sich daraus Ihr Repertoire zusammen.» Die Fäden unterscheiden sich beispielsweise darin, ob sie resorbierbar sind und in der Fadenstärke, die relevant für die Stabilität ist. Im behaarten Areal sollte vorzugsweise geklammert werden, da Fäden zu Störungen der Haarwurzeln führen können. Gewebekleber kann als einzelnes Adaptionstool dienen oder als zusätzliche Verstärkung.
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Auswahl des Nahtmaterials Ein paar Anhaltspunkte zum Nahtmaterial: Geflochtene Fäden gehören tief in die Wunde, nicht durch die Haut. Aufgrund ihrer Dochtwirkung ziehen sie anderenfalls Flüssigkeiten oder Dreck in die Wunde hinein. Im Gesicht sollten nur nicht resorbierbare Fäden zur Anwendung kommen. Denn resorbierbare Fäden verbleiben relativ lange im Körper und können Fremdkörperreaktionen verursachen, die mit Rötungen und schlechter Narbenbildung einhergehen. Als beste Option im Gesicht nennt der Experte Polypropylenfäden (z.B Prolene), die man nach ein paar Tagen zieht. Hier empfiehlt er eine Fadenstärke von 5-0 beziehungsweise 6-0 (vor allem für Lider und ästhetisch relevante Stellen). An den Extremitäten reicht eine Fadenstärke von 3-0 (je weiter weg und je mehr Spannung eventuell auch 2-0), und an den Händen empfehlen sich 4-0- und 5-0-Fäden.
Tipps zur Nahtverteilung Auch wenn man instinktmässig aussen damit beginnen würde, eine Wunde zu verschliessen, ist es zur gleichmässigen Verteilung der Spannungskräfte bei leicht adaptierbaren Wunden besser, in der Mitte anzufangen, so Verstappen, um dann mit fortlaufender Halbierung der Wundlänge zur optimalen Spannungsverteilung fortzufahren. Denn je geringer die Zugkräfte, desto besser kann die Wunde heilen. Ausserdem sollten die Knoten immer auf die Seite gelegt werden. Die beste Adaption ist möglich bei einem Einstichwinkel von 90 Grad (siehe Abbildung 2). Für ein atraumatisches Arbeiten empfiehlt es sich, entweder die Pinzette als Häkchen zu verwenden oder, falls erforderlich, die Haut (sub-)dermal zu fassen, damit sie möglichst nicht zusätzlich geschädigt wird (siehe Abbildung 3 und 4).
Kasten:
Wann sollten die Fäden entfernt werden?
• Lippe, Lider: • behaarte Kopfhaut: • Gesicht: • obere Extremität: • Stamm: • untere Extremität:
3–5 Tage 12–14 Tage 5–7 Tage 12–14 Tage 12–14 Tage 12–14 Tage
Quelle: Vorträge «Wundversorgung und Nachsorge» sowie «Management von Patienten nach operativen Eingriffen in der Praxis» im Rahmen des FOMF Allgemeine Innere Medizin, Update Refresher, vom 30. Januar bis 2. Februar 2019 in Basel.
Alle Abbildungen: Verstappen
Wundentlastung durch Hautklebestreifen Zur Unterstützung der Wundnähte und noch besseren Verteilung der Zugkräfte kann die Wunde nach dem Nähen durch Hautklebestreifen zusätzlich entlastet werden. Hier gibt es zwei verschiedene Arten, die weissen und die braunen (siehe Abbildung 5). «Da die Wunde immer noch ein wenig anschwillt, sollten die Klebestreifen ohne Spannung angebracht werden. Die braunen Streifen haben eine gewisse Eigenelastizität und können sich proportional zum postoperativen Ödem ausdehnen, daher würde ich sie in der Wundversorgung vorziehen. Geht die Wunde unter den längsverstärkten weissen Klebestreifen etwas weiter auf, zerren diese zusätzlich an der Haut.» Abschliessend bedarf es eines Schutzverbandes, und der Patient ist dann dafür verantwortlich, das Ganze trocken und sauber zu halten.
Worauf ausserdem zu achten ist In der Regel empfiehlt sich im Anschluss eine Kühlung der Wunde, je nach Lokalisation und Belastung auch eine Ruhigstellung. Wenn das Lokalanästhetikum nachlässt, bedarf es der Schmerzlinderung, dafür reicht in der Regel die Verschreibung von Paracetamol und NSAR. Bei Bissverletzung oder stark kontaminierten Wunden kann zudem eine antibiotische Prophylaxe erforderlich sein. In allen anderen Fällen (gut gereinigte Wunde, keine Splitter oder sonstiges, Versorgung innerhalb des Zeitfensters) konnte ein Antibiotikum keinen nennenswerten Vorteil bringen. Die erste Wundkontrolle sollte 3 bis 5 Tage postoperativ erfolgen, um frühe Komplikationen zu erkennen. Abhängig von der Lokalisation sind die Fäden nach 5 bis 21 Tagen zu ziehen, insbesondere bei Wunden unter stärkerer Belastung sollten die Fäden gegebenenfalls ein wenig länger verbleiben (Anhaltspunkte für die frühestmögliche Entfernung siehe Kasten).
Nachkontrolle in der Praxis
Das postoperative Management in der Praxis ist eine kom-
plexe Aufgabe, da man als Grundversorger mit den verschie-
densten Eingriffen konfrontiert wird. «Grundsätzlich sollte
der Austrittsbericht alle relevanten Informationen enthalten,
bei Unklarheiten scheuen Sie sich nicht, beim Operateur
nachzufragen», so Verstappen. Was die Wundauflagen an-
geht, gibt es heute sehr viele Möglichkeiten. Am besten ori-
entiert man sich am vorliegenden Verband oder am Proze-
dere, das im Austrittsbericht empfohlen wird. War es ein
trockener Verband (Primärheilung) oder ein feuchter (Sekun-
därheilung)? Ebenfalls im Austrittbericht sollte ein Vermerk
zu finden sein, falls eine Immobilisation erforderlich ist, zum
Beispiel bedarf es bei einer Sehnenverletzung unbedingt
einer Schiene.
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