Transkript
2 • 2019
Editorial
Über Crowdfunding und Kostengutsprachen
Bereits 2015 hatte die «Süddeutsche Zeitung» über Jonas berichtet, der an einem Defekt eines Gens litt, das kurz zuvor erst entdeckt worden war. Auch in den Folgejahren wurden immer wieder Fälle bekannt, die es bis in die Tageszeitungen schafften, weil die finanzielle Belastung der Eltern ausgesprochen gross war und niemand die Kosten übernehmen wollte. Gerade dieser Tage macht Valeria aus Horw in den Schweizer Zeitungen und den Social Media Schlagzeilen. Jonas und Valeria, sie beide leiden unter dem seltenen KCNT1-Defekt, von dem weltweit gerade mal 100 Fälle bekannt sind. Das KCNT1Gen ist ein sogenanntes Kaliumkanalgen. Mutationen dieses Gens führen zu schwersten kindlichen Epilepsien mit Dutzenden Anfällen pro Tag. Antiepileptika, Chinidin, Cannabis und andere Medikamente sind wenig wirksam, wirklich helfen könnte nur eine Gentherapie. Die aber ist teuer. Szenenwechsel: Jeder Dritte erkrankt irgendwann in seinem Leben an Krebs. Auch wenn «der Krebs» längst nicht besiegt ist, hat die noch junge Onkologie doch innert kurzer Zeit spektakuläre Erfolge erzielt. Der Schub an neuen Medikamenten gegen die immer noch häufig tödliche Krankheit ist Hoffnung für viele. Aber auch für die neuen Onkologika gilt (ebenso wie für die neuen Biologika in der Rheumatologie): Sie sind enorm teuer. Können wir uns Onkologika und Gentherapien überhaupt leisten? Gemeint ist: in Zukunft und für alle? Rückblick: Die Frage stellte sich schon bei Einführung der BetaInterferone zur Therapie der Multiplen Sklerose (MS). Über 20 000 Franken pro Patient und Jahr, das schien vor gut 20 Jahren eine Diskussion über Rationierung wert. Heute sind die MS-Therapeutika kein grosses Thema mehr. Die Medikamente sind offensichtlich von Nutzen, und jeder Patient erhält, was er benötigt. Am Beispiel MS gefragt: Kann und wird man sich an die hohen Medikamentenpreise gewöhnen? Voraussichtlich bis zu einer gewissen Grenze. Nur, wo liegt die? Und werden die Ressourcen und ihre Zuteilung oberhalb dieser Grenze mit der Zeit nicht sogar in der reichen Schweiz zum Problem? Für Baby Valeria jedenfalls, das aktuell diese Frage aufwirft, kommt ver-
mutlich nicht die Krankenkasse auf. Für die Million (oder zwei), die man für eine Gentherapie in den USA benötigt, wird über die Medien Geld gesammelt. Ist das die Zukunft: Crowdfunding für teure Behandlungen? Auch wenn für Valeria innert nur drei Tagen 880 000 Franken gesammelt wurden («Watson», 19. Mai: «Die Schweiz zeigt Herz»), dürfte sich das kaum mehrfach wiederholen lassen. Mit andern Worten: Rationierung und eine Zwei- oder Mehrklassenmedizin, die sich nicht am Komfort misst, sondern Auswirkungen hat auf die Behandlungsqualität und damit auf die Lebensjahre, sind nicht vom Tisch. Die Pharmaindustrie sieht dieser Entwicklung sicher mit Interesse entgegen. Die Patienten verfolgen sie mit Hoffnung. Die Politik jedoch eher mit Bange. Sie springt den Versicherern bei: Der Einsatz der teuren Medikamente soll beschränkt werden – auf einem Weg, der typisch ist für die Behörden: Die Ärzte sollen vermehrt Kostengutsprachen einholen. Das BAG verschiebt damit die Kontrolle (Ziel: die Beschränkung) wirksamer Therapien auf die Krankenkassen, die vom Bund aus politischen Gründen ohnehin prioritär geschützt werden. Natürlich müssen belegbare Studienergebnisse vorliegen, aber eigentlich ist es, wenn schon, dann die Zulassungsbehörde Swissmedic, die hier korrigierend oder lenkend eingreifen könnte. Weder eine politische Instanz (das BAG), die offensichtlich den Ärzten misstraut, noch die Krankenkassen an ihrer Stelle sollten den Fachärzten bei Indikation und sogar bei Dosierung und Dauer dreinreden und damit in die Therapiefreiheit eingreifen dürfen. Dazu Frank Stenner, leitender Arzt Onkologie des Unispitals Basel: «Ist ein Medikament wirksam und für eine bestimmte Anwendung zugelassen, sollte keine Kostengutsprache mehr nötig sein. Weshalb sollte der Vertrauensarzt der jeweiligen Krankenkasse am Schreibtisch einen konkreten Fall besser bewerten können als der Arzt, der vor Ort behandelt?» Recht hat er. Die Lösung des zugrunde liegenden Problems ist nicht seine Aufgabe.
Richard Altorfer und Peter H. Müller
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