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Asymptomatische Mikrohämaturie: harmlos oder alarmierend?
Eine asymptomatische Mikrohämaturie ist ein häufiger Befund. Doch welche Konsequenzen sollte man daraus zie-
Dr. med. Victor Schüttfort, Dr. med. Christoph-Philip Reiss und
Dr. med. Maryam Sadat-Khonsari
Handlungsempfehlungen mit einer äusserst grossen Varianz der empfohlenen diagnostischen Algorithmen (14). Dies führt dazu, dass
hen? Im Folgenden soll eine rationale,
oft eine grosse Unklarheit über die zu ergreifen-
möglichst eindeutige und zielgerichtete Diagnostik
den Massnahmen herrscht und dass keine ziel-
unter Berücksichtigung der zahlreichen Leitlinien
gerichtete Abklärung erfolgt (15, 16).
dargestellt werden.
Diagnostik
Die Inzidenz einer Hämaturie ist ausgesprochen hoch, wobei
Ein auffälliger Harnstreifenstest allein stellt keine Mikrohä-
insbesondere die asymptomatische Mikrohämaturie ein häu-
maturie dar, weil es zu falschpositiven Befunden bei Hämo-
figer Zufallsbefund in der hausärztlichen Versorgung ist (1). Die hohe Inzidenz erklärt sich auch durch die Häufigkeit der
Victor Schüttfort
und Myoglobinurie kommen kann. Eine «echte» Mikrohämaturie ist definiert als > 3 sichtbare Erythrozyten in 400-facher
durchgeführten Harnstreifentests, obwohl Screenings dies-
Vergrösserung im Urinsediment. Des Weiteren erlaubt eine
bezüglich umstritten sind (2, 3). Tatsächlich sind bei bis zu
qualifizierte Urinsedimentuntersuchung zusätzlich die Diffe-
18 Prozent aller routinemässig untersuchten, asymptoma-
renzierung einer glomerulären von einer nicht glomerulären
tischen Patienten Erythrozyten im Urinsediment nachweis-
Hämaturie (auch eumorphe/isomorphe Hämaturie genannt),
bar (4). Bei den meisten Patienten gibt es jedoch keinen
wodurch sich auch die Lokalisation und die Ursache der Blu-
Grund zur Sorge, da die Gründe für eine Mikrohämaturie viel-
tung einschränken lassen. Zeigen sich im Urinsediment dys-
seitig und meist benigner Natur sind (5–8). Zahlreiche Stu-
morphe (verformte) Erythrozyten, Erythrozytenzylinder,
dien mit zum Teil sehr grossen Patientenkollektiven wiesen
sonstige Zellbestandteile oder Proteinurie, sollte eine neph-
nur sehr niedrige Raten neu entdeckter Malignome auf, wo-
rologische Abklärung erfolgen. Diese macht allerdings nicht
bei meist nicht einmal Kontrollgruppen vorlagen (9–12). Eine
immer eine urologische Abklärung im Verlauf überflüssig (5).
grosse Studie von Jung et al. mit einem Patientenkollektiv
von 309 402 Patienten zeigte zwar 156 691 Fälle von Mikro-
hämaturie, die Rate neu entdeckter Malignome lag jedoch
lediglich bei 0,68 Prozent in den folgenden drei Jahren. Die
allgemeine Jahresinzidenz für Blasenkrebs liegt bei ungefähr
0,2 Prozent (9, 13). In bis zu 68 Prozent der Fälle verläuft die
Abklärung einer Mikrohämaturie ohne Resultat, und beson-
ders bei Frauen wird nur sehr selten (0,3%) eine maligne Ur-
sache diagnostiziert (5, 11).
Trotzdem wird hier teilweise ein rigoroses Abklären inklusive
Zystoskopie und multiphasischen CT bereits bei einmaligem
Nachweis einer Mikrohämaturie empfohlen (8). Diese Vorga-
ben werden jedoch wohl nur selten leitliniengerecht umge-
setzt (7). Die Amerikanische, die Britische und die Kanadi-
sche Gesellschaft für Urologie haben jeweils eine Leitlinie
zum Thema asymptomatische Mikrohämaturie erstellt. Eben-
falls gibt es seit 2013 eine Leitlinie der Deutschen Gesell-
schaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) zu diesem Thema. Leider geben die verfügbaren Leitlinien sehr uneinheitliche
Abbildung 1: Empfohlener Algorithmus zur Abklärung einer asymptomatischen Mikrohämaturie
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Abbildung 2: Weit fortgeschrittenes Prostatakarzinom
Abbildung 3: Nephrolithiasis als Ursache einer Mikrohämaturie
Abbildung 4: Harnröhrenstriktur als Ursache von obstruktiven Miktionsbeschwerden und daraus resultierenden Harnwegsinfekten
Der erste Schritt einer zielführenden Diagnostik ist die Evaluation möglicher Risikofaktoren für ein Malignom (Tabelle) sowie eine Miktionsanamnese (Pollakisurie?, schäumender Urin?, Dysurie?). Ziel ist die Differenzierung einer echten asymptomatischen Mikrohämaturie von einer Mikrohämaturie mit eindeutig benigner Genese. Durch Anamnese und Überprüfung des Urinstatus (Harnstreifentest, Sediment und Urinkultur) könnten in bis zu 30 Prozent aller Fälle von Mikrohämaturie weitere Untersuchungen und Überweisungen vermieden werden (7). Bei Verdacht auf benigne Genese der Mikrohämaturie (z.B. im Rahmen eines Harnwegsinfekts) sollte trotzdem eine erneute Kontrolle im Verlauf (z.B. nach antibiotischer Therapie) erfolgen. Ein «Wegkontrollieren» der Mikrohämaturie, wenn auch teilweise leitliniengerecht, sollte bei Patienten mit relevanten Risikofaktoren für ein Malignom nicht stattfinden, da eine Mikrohämaturie bei Blasenkrebs häufig intermittierend auftreten kann (17, 18). Bei erhöhtem Risiko sollte bereits bei einmaligem Nachweis weitere Diagnostik erfolgen. Zur Basisuntersuchung gehört eine gründliche körperliche Untersuchung inklusive Blutdruckkontrolle, Laboruntersuchung und gegebenenfalls Sonografie der Bauch- und Beckenorgane (19). Weitere diagnostische Schritte sollten erst nach Bestätigung einer Mikrohämaturie mittels Urinsediment in Abhängigkeit der vorliegenden Risikofaktoren und weiterer Symptome erfolgen (17, 19, 20). Zum Ausschluss einer Verunreinigung der Urinprobe sollte bei Frauen die Urinprobe nach Möglichkeit mittels Einmalkatheter gewonnen werden, da insbesondere bei postmenopausalen Frauen
Tabelle:
Risikofaktoren für ein Malignom der ableitenden Harnorgane (4, 5, 8)
männliches Geschlecht Alter Rauchen
Noxen (aromatische Amine?, Färbemittel?, sonstige Chemikalien?) positive Familienanamnese
Z.n. Chemotherapie
Z.n. Strahlentherapie urologische Vorerkrankungen/ Blasenentleerungsstörungen einliegende Fremdkörper (z.B. Dauerkatheter) Schistosomiasis
4-fach erhöhtes Risiko für Männer ab 65 Jahren stark erhöhtes Risiko bis zu 4-fach erhöhtes Risiko bei Rauchern, auch nach längerer Abstinenz Berufsanamnsese (Maler, Lackierer, Industriearbeiter, Coiffeure etc.
bis zu 2-fach erhöhtes Risiko bei Verwandten ersten Grades bis zu 9-fach erhöhtes Risiko nach Cyclophosphamidtherapie bis zu 2- bis 4-fach erhöhtes Risiko Restharn?
bis zu 10 Prozent aller Patienten mit Dauerkatheterversorgung in endemischen Gebieten werden bis zu 30 Prozent aller Blasenkrebserkrankungen von einer Infektion verursacht
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Mögliche Differenzialdiagnosen einer Hämaturie
Infektion • Zystitis • interstitielle Zystitis • Pyelonephritis • Prostatitis • weitere: Urethrititis, asymptomatische Bakteriurie, Schistosomiasis nach Aus-
landaufenthalt, BK-Virus nach Immunsuppression, fraglich auch HPV etc.
Urologie • Malignom (Abbildung 2) • Urolithiasis (Gicht?) (Abbildung 3) • Prostatahyperplasie • postoperativ • Fremdkörper/Katheter • Verunreinungen (vaginale Atrophie, Menstruation, Prolaps oder Endometriose) • weitere: Striktur (Abbildung 4), Divertikel/Fisteln, Reflux, Nussknackersyndrom,
Harnröhrenklappen etc.
Nephrologie • Glomerulonephritiden • tubulointerstitielle Nephritis • Papillennekrosen • Alport-Syndrom • Nierenarterienstenose • metabolische Erkrankung (Diabetes, Gicht, Hyperkalziurie etc.) • Refluxnephropathie • Nephropathien (IgA-Nephropathie, Syndrom der dünnen Basalmembran) • weitere: Goodpasture-Syndrome etc.
Sonstige • Z.n. Strahlentherapie • Medikamente (z.B. Rifampicin, Enzalutamid, Cilostazol) • Trauma, körperliche Anstrengung • falschpositive Befunde (z.B. Nahrungsmittel wie rote Bete, Heidelbeere) • Gerinnungsstörungen • Autoimmunerkrankungen (z.B. Lupus, granulomatöse Polyangiitis) • thrombotische Mikroangiopathie • arteriovenöse Malformationen • weitere: z.B. Costello-Syndrom
häufig eine gynäkologische Genese der initialen Hämaturie vorliegt (7). Bei Patienten > 40 Jahre und vorliegenden Risikofaktoren für ein Malignom sollte primär eine urologische Abklärung erfolgen. Bei Patienten < 40 Jahre mit renaler Beteiligung (Erythrozytenzylinder im Sediment, Niereninsuffizienz, Hypertonie oder Proteinurie) empfiehlt sich primär eine Überweisung zu einem Nephrologen. Bei unauffälliger weiterer Abklärung kann bei fortbestehender Mikrohämaturie der Hausarzt den Verlauf kontrollieren (Anamnese, körperliche Untersuchung, Sonografie, Kontrolle der Retentionsparameter und Ustix®) (17).
Bei einer unklaren Mikrohämaturie sollten eine Urinzytologie sowie spezielle Urintests zur Diagnostik einer möglichen Neoplasie (BTA stat®, NMP22® oder UroVysion® FISH etc.), aufgrund der heterogenen Datenlage und der zumeist unzureichenden Sensitivität und Spezifität, nicht routinemässig erfolgen (8, 21).
Algorithmus Bei Patienten mit Mikrohämaturie und vorhandenen Risikofaktoren für ein Karzinom sowie bei allen Patienten mit Makrohämaturie sollte eine urologische Evaluation erfolgen (Abbildung 1). Dies gilt auch bei Vorliegen einer Antikoagulation (8, 23). Zur urologischen Abklärung gehört dabei standardmässig ein Ultraschall plus Urinkultur und Urinsediment. Zur Abklärung des unteren Harntrakts ist die Zystoskopie der Goldstandard, und zur Abklärung des oberen Harntrakts sollte ein CT Abdomen mit Kontrastmittel und urografischer Phase erfolgen, bei Kontraindikation für CT ist auch ein MRT Abdomen möglich (8, 24, 25). Eine intravenöse Pyelografie ist prinzipiell ebenfalls möglich, jedoch dem CT in Bezug auf Sensitivität unterlegen (26–28).
Fazit für die Praxis
Die verfügbaren Leitlinien zur Abklärung der Hämaturie stel-
len sich sehr uneinheitlich und mit einer hohen Varianz ge-
gebener Handlungsempfehlungen dar. Eine weiterführende
Diagnostik sollte bei asymptomatischer Mikrohämaturie nur
nach Bestätigung im Sediment und bei Vorliegen weiterer
Risikofaktoren oder Symptome durchgeführt werden. Eine
Makrohämaturie sollte stets einer urologischen Abklärung
zugeführt werden.
x
Korrespondenzadresse: Dr. med. Victor Schüttfort Dr. med. Christoph-Philip Reiss Dr. med. Maryam Sadat-Khonsari Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf D-22767 Hamburg
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt», 2018; 40 (9) Seite 16–19. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
Literatur auf www.doxmedical.ch abrufbar.
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