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Thema
Magen-Darm-Beschwerden: Standardtherapie natürlich ergänzen
Reizdarmsyndrom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen werden grösstenteils mit Arzneimitteln behan-
Prof. Dr. med. Jost Langhorst und Dr. rer. nat. Anna Katharina Koch
tionalen Vergleich wird sie von 21 bis 60 Prozent der Patienten mit CED und Reizdarmsyndrom genutzt. Als Gründe werden vor allem die
delt. Diese pharmakologisch basierte
Suche nach der «optimalen» Therapie, Neben-
Therapie kann um naturheilkundliche Selbsthilfe-
wirkungen der konventionellen Therapie, Wunsch nach per-
strategien, komplementäre Verfahren und Lebens-
sönlicher Aktivität und persönlicher Verantwortung in der
stilmodifikation ergänzt werden. Für diese soge-
Behandlung und ganzheitlicher Therapieansatz genannt (Ab-
nannte integrative Gastroenterologie gibt es derzeit
bildung) (6).
eine ansprechende Evidenz. Sie findet zudem in den
Ein Grossteil der Betroffenen ohne Erfahrungen mit komple-
medizinischen Leitlinien immer mehr Beachtung.
mentärer Medizin ist zudem an einer Behandlung interes-
siert. Aus ärztlicher Sicht ist es nicht zuletzt aufgrund der
Mit etwa 5 bis 15 Prozent betroffener Menschen ist das Reiz-
starken Patientennachfrage notwendig, über die Verfügbar-
darmsyndrom eine der häufigsten Erkrankungen des Magen-
keit sowie die potenzielle Wirksamkeit und Sicherheit kom-
Darm-Trakts in der Schweiz. Regelmässige Arztbesuche sind
plementärmedizinischer Präparate informiert zu sein. So
häufig (9). Typische Symptome der Ausschlussdiagnose
kann der Arzt auch vermeiden, dass sich Patienten auf der
Reizdarmsyndrom sind Bauchschmerzen, Blähungen und
Suche nach weiteren Therapiemöglichkeiten an unseriöse
Verstopfung oder Durchfälle, die sich unter Stress ver-
Quellen wenden.
schlechtern können. Organische Ursachen sind beim Reiz-
darmsyndrom als Erkrankungsursache ausgeschlossen.
Integrative Gastroenterologie –
Auch chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie
Schulmedizin und mehr
Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sind in der Arztpraxis häu-
Die Integrative Gastroenterologie nutzt komplementäre
fig. Für diese beiden Erkrankungen sind die Ursachen noch
Ansätze und verbindet so die konventionelle Medizin, natur-
nicht abschliessend geklärt (3, 10). Allein in der Schweiz
heilkundliche Selbsthilfestrategien, komplementäre Verfah-
leben über 25 000 Menschen mit Morbus Crohn oder Colitis
ren und Aspekte der Mind-Body-Medizin, wie die Lebensstil-
ulcerosa. Hauptsymptome sind blutiger Durchfall und abdo-
modifikation. Im Folgenden werden exemplarisch einige
minelle Schmerzen. Bei CED ist die leitlinienkonforme Phar-
Methoden vorgestellt, die in der Integrativen Gastroentero-
makotherapie unerlässlich. Manche Betroffene sprechen
logie unterstützend zur Standardbehandlung angewandt
darauf teilweise gar nicht an oder leiden unter starken
werden.
Nebenwirkungen.
Psychische und soziale Faktoren, die sowohl beim Reizdarm-
Phytotherapeutika bei CED und Reizdarmsyndrom
syndrom als auch bei CED eine relevante Rolle im Krankheits-
Einen wichtigen Teil der naturheilkundlichen Ansätze der
geschehen spielen, werden im Rahmen der Behandlung häu-
Gastroenterologie machen Phytotherapeutika aus. Für viele
fig nicht beachtet. Auf dem Gebiet der komplementären
dieser komplementär verwendeten Substanzen gibt es bis-
Medizin, zu der auch die Naturheilkunde gehört, gibt es viel-
her allerdings keine oder nur wenige Studien, die den Einsatz
versprechende Ansätze. Sie können die pharmakologische
bei Patienten mit CED oder Reizdarmsyndrom untersuchen.
Standardbehandlung sinnvoll ergänzen.
Eine Ausnahme bildet zum Beispiel Pfefferminzöl, das bei
Reizdarmsyndrom gegeben wird.
Starke Nachfrage bei Patienten
Eine aktuelle Metaanalyse, die neun randomisierte, kontrol-
nach Behandlungsalternativen
lierte Studien mit insgesamt 726 Patienten einschloss, kam
Unter Patienten mit CED und Reizdarmsyndrom gibt es eine
zu dem Ergebnis: Pfefferminzöl in magensaftresistenten Kap-
starke Nachfrage nach komplementärer Medizin. Im interna-
seln kann kurzfristig zur Linderung der Reizdarmsyndrom-
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91,7%
befürworten die Kombination von CAM und konvetioneller
Medizin innerhalb einer Institution
24,2%
fühlen sich ausreichend über CAM
informiert
15,2%
informieren ihre behandelnden Ärzte nicht, dass sie CAM
anwenden
Abbildung: Ergebnisse einer Patientenbefragung unter Betroffenen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen zum Thema komplementäre und alternative Medizin (CAM), n = 671 (6)
symptomatik und vor allem der Bauchschmerzen effektiv eingesetzt werden, zur langzeitlichen Anwendung fehlen aber die Daten (5).
Pfefferminzöl, Curcuma und Co. Durch unsachgemässe Anwendung der Kapseln besteht auch die Gefahr leichter und vorübergehender Nebenwirkungen wie Sodbrennen. Evaluierte Pfefferminzölpräparate sind auch in der Schweiz zugelassen und verfügbar. Auch STW5 und Flohsamen werden zur Therapie des Reizdarmsyndroms empfohlen. Bei CED ist Curcuma ein Phytotherapeutikum mit ersten vielversprechenden Studienergebnissen. In der Colitis-ulcerosaLeitlinie gibt es die Empfehlung, dass man Curcuma – genau wie Flohsamen oder Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle – komplementär in der remissionserhaltenden Behandlung einsetzen kann (8). Das pflanzliche Kombinationspräparat aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle stand in präklinischen und klinischen Studien hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit und Wirkmechanismen besonders auf dem Prüfstand – mit einem grossen Potenzial, das eine evidenzbasierte Anwendung rechtfertigt (7, 8, 12). Ein weiteres aussichtsreiches, aber noch wenig erforschtes Phytotherapeutikum ist die Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) beziehungsweise deren Extrakte. Die European Medicines Agency führt sie als traditionelle Heilpflanze unter «Traditional Use» gegen Diarrhö. Eine erste klinische Pilotstudie bekräftigt die positiven Effekte der Heidelbeere bei Colitis ulcerosa (1).
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Eine grosse multizentrische, multinationale, randomisiert kontrollierte Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Anthocyanen – dem Hauptwirkstoff der Heidelbeeren – steht derzeit bei Colitis ulcerosa kurz vor dem Start.
Mind-Body-Medizin: vielversprechende Therapieergänzung Die Mind-Body-Medizin bietet ebenfalls interessante Behandlungsoptionen bei CED und Reizdarmsyndrom. Sie ist die Grundlage für sogenannte Lebensstilmodifikationsprogramme mit kombinierten Elementen aus Ernährungsberatung, Bewegung, Stressmanagement, Achtsamkeit, Akupressur, Hydro- und Phytotherapie sowie Selbsthilfestrategien (4). Als Einzelverfahren ist etwa Yoga empfehlenswert, das der rein körperlichen Bewegung auch Atemübungen und meditative Aspekte hinzufügt. Eine aktuelle randomisiert kontrollierte Studie hat 77 Patienten mit Colitis ulcerosa in Remission und mit verminderter Lebensqualität in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe eingeteilt (2). Die Interventionsgruppe partizipierte über zwölf Wochen an wöchentlichen, 90-minütigen Hathayogakursen. Die Patienten der Kontrollgruppe erhielten Informationsmaterial zur Colitis ulcerosa und sollten weder Yoga noch andere sportliche Tätigkeiten beginnen. Am Ende der Studie zeigte sich, dass die Krankheitsaktivität in der Yogagruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant verringert und die Lebensqualität erhöht war. Die Zahl der unerwünschten Ereignisse unterschied sich nicht zwischen den Gruppen. Auch für Patienten mit Reizdarmsyndrom wurden in einer randomisiert kontrollierten Studie die Effekte von Yoga getestet (11). Die Betroffenen wurden dafür zwei Gruppen zugeteilt: der Yoga-Gruppe – hier nahmen die Probanden zwölf Wochen lang zweimal wöchentlich an einem 75-minütigen Hathayogakurs teil, oder der FODMAP-Gruppe – hier erhielten die Teilnehmer in vier Sitzungen und durch zusätzliche Informationsmaterialien eine Ernährungsberatung nach dem FODMAP-Prinzip. Dieses schliesst bestimmte Kohlenhydrate und mehrwertige Alkohole in der Ernährung aus. Nach Studienende und zum Follow-up nach 24 Wochen zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Symptome des Reizdarmsyndroms für beide Gruppen. Bezogen auf Parameter wie Lebensqualität und Wohlbefinden waren tendenziell positivere Effekte für die Yogagruppe zu beobachten.
Gefahren komplementärer Verfahren: Unwissen und finanzielle Belastung Die Hauptgefahr komplementärer Verfahren ist deren unkritische Anwendung – insbesondere durch unqualifiziertes Personal, das die spezifische Symptomatik einer CED oder
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anderer Erkrankungen nicht ausreichend einschätzen und beurteilen kann. So kommt es etwa dazu, dass die konventionelle Pharmakotherapie vernachlässigt wird. Für die Patienten gibt es zudem die Problematik der finanziellen Belastung, da die Kostenträger bei einer Kostenübernahme meist nicht mitspielen.
Naturheilkunde zunehmend in den medizinischen Leitlinien vertreten Durch die kontinuierlich wachsende Forschungsaktivität auf diesem Gebiet werden Verfahren der Naturheilkunde auch in den medizinischen Leitlinien immer mehr beachtet. Die S3-Leitlinien «Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie» (9), «Colitis ulcerosa: Diagnostik und Therapie» (3) und «Diagnostik und Therapie des M. Crohn» (10) verweisen an mehreren Stellen auf einen möglichen (komplementären) Einsatz naturheilkundlicher Verfahren. So steht etwa in der Reizdarmsyndromleitlinie: «Verkapseltes Pfefferminzöl kann als Spasmolytikum bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden» (S. 272) und «mehrere Metaanalysen belegen einen Wirkungsnachweis für Spasmolytika (inklusive Pfefferminzöl-Präparate) in der Therapie des Reizdarmsyndroms» (S. 275). Die Colitis-ulcerosa-Leitlinie vermerkt zum Beispiel: «Akupunktur (…) kann im leichten bis moderaten Schub komplementär in der Therapie (…)» (S. 1325) und die «Mind-BodyTherapie (…) komplementär zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt werden» (S. 1324). Yoga wird als möglicher Behandlungsansatz ebenfalls thematisiert. Die Leitlinie zum Morbus Crohn adaptiert diese Hinweise. Als Phytotherapeutika werden bei Colitis ulcerosa Flohsamen, Curcumin und Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle genannt. Auch Probiotika wie VSL3 und E.-coli-Nissle bei Colitis ulcerosa und verschiedene Lacto- und Bifidobakterien bei Reizdarmsyndrom sind erwähnt. In der Colitis-ulcerosa-Leitlinie, die im Mai aktualisiert wurde, aber auch in der Reizdarmsyndromleitlinie nimmt der Anteil naturheilkundlicher Verfahren ebenfalls weiter zu.
Zukunftsfähige Behandlungsstrategie:
Integrative Gastroenterologie
Die konsequente Forschung an komplementären Verfahren
und deren wachsende Beachtung in den medizinischen Leit-
linien sowie die starke Nachfrage durch Patienten werden
künftig dazu führen, dass sich immer mehr behandelnde
Ärzte über die Möglichkeiten und Grenzen der komplemen-
tären Therapie informieren und Patienten so der Zugang zu
den Verfahren erleichtert wird.
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Jost Langhorst Chefarzt Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde Sozialstiftung Bamberg Klinikum am Bruderwald Buger Strasse 80 D-96049 Bamberg E-Mail: jost.langhorst@sozialstiftung-bamberg.de
Dr. rer. nat. Anna Katharina Koch Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin Kliniken Essen-Mitte Knappschafts-Krankenhaus D-45276 Essen
Interessenkonflikte: J.L.: Forschungsunterstützung von Steigerwald, Falk Foundation, TechLab, Dr. Willmar Schwabe; Repha GmbH biologische Arzneimittel; Vortragshonorar von Falk Foundation; MSD Sharp & Dohme GmbH, Repha, Ardeypharm, Celgene, Dr. Willmar Schwabe; Berater-/Gutachtertätigkeit für Medizinverlage Stuttgart, Steigerwald, Repha, Ferring Arzneimittel GmbH – A.K.K.: keine deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt», 2018; 40 (16) Seite 43–48. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
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