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Vétérinaires Sans Frontières setzen auf One Health
Hilfe zur Selbsthilfe statt lediglich Nothilfe
Grösser und bekannter sind Médecins Sans Frontières (MSF). Doch auch Vété-
Von Heini Hofmann
Gartenzaun hinaus» übernahm dann auch die Veterinärmedizin als VSF International, heute
rinaires Sans Frontières (VSF) haben
mit Sitz in Brüssel. Während die Gründung des
sich in den letzten Jahren zu einer schlagkräftigen,
humanmedizinischen Schweizer Ablegers MSF Suisse be-
momentan aus zwölf nationalen Einheiten beste-
reits 1981 erfolgte, geschah dies für die veterinärmedizini-
henden Organisation entwickelt, die nicht allein
sche Schweizer Sektion VSF Suisse 1988, also vor drei Jahr-
Nothilfe leistet wie die humane Partnerorganisa-
zehnten.
tion, sondern vorab nachhaltige Hilfe zur Selbst-
Und zwar an der tiermedizinischen Fakultät Bern im An-
hilfe.
schluss an einen offensichtlich motivierenden Vortrag des
Direktors von VSF France. Nach schwierigen Anfangsjahren
So setzen Vétérinaires Sans Frontières Suisse, ein gemein-
für die Gründeridealisten stellte sich der Erfolg ein: 1999
nütziger Verein der Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte mit
Zewo-Gütesiegel, 2004 bereits ein Geschäftsvolumen von
Sitz in Bern, als Schlüssel zum Erfolg auf die One-Health-
5 Millionen Franken. Doch plötzlich, ab 2010, führten
Strategie, arbeiten also nicht nur notfallmässig-kurativ, son-
negative Jahresabschlüsse in die Krise, und man überlegte
dern vielseitig und spartenübergreifend, weil die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Intaktheit der Umwelt wech-
Wie man helfen kann
sich sogar, den Verein aufzulösen. 2013 erging ein dramatischer Weckruf an die Schweizer Tierärzteschaft: Rettet die
selwirkend viel stärker vernetzt sind als man denkt, zum Beispiel was zwischen Mensch und Tier übertragbare Krankheiten (Zoonosen) betrifft. Denn wenn die Nutziere leiden, dann hungern die Menschen.
Über Hindernisse zum Erfolg Begonnen hat diese «grenzenlose» Hilfeleistung vor bald einem halben Jahrhundert mit der Gründung der humanmedizinischen Nothilfeorganisation MSF International 1971 in Paris. Dieses sympathische Prinzip der Hilfe «über den
Das Netzwerk von VSF Suisse wächst kontinuierlich. Dasselbe erhofft man sich auch bezüglich Unterstützung. Infos über Spenden, Mitgliedschaft oder Freundevereinigung: www.vsf-suisse.org
VSF Suisse! Dies zeigte Wirkung: Ein neues Powerteam mit Ueli Kihm an der Spitze (Professor der Veterinärmedizin und früherer Direktor des Bundesamtes für Veterinärwesen) schaffte mit grossem Einsatz und Hartnäckigkeit den Turnaround mit positiven Geschäftsabschlüssen seit 2014 und kontinuierlichem Wachstum. Dazu beigetragen haben, neben professionellem Management, ein Anstieg im Projektportfolio, die Optimierung von Prozessen und Kontrollsystemen sowie eine erfreulicherweise gewachsene Spendenbereitschaft.
Lange Trockenzeiten, verdorrte Weiden, hungernde Tiere, verzweifelte Menschen (Kenia). – 33 –
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Schicksalsgemeinschaft: Nomade mit bis auf die Rippen abgemagerten Kamelen (Kenia).
Ein cleveres Businessmodell Die Brüsseler Koordinatonsstelle VSF International verfügt heute über ein Netzwerk in mehr als 40 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Ihre nationalen Mitglieder stimmen die Aktivitäten untereinander geografisch ab und pflegen Erfahrungsaustausch. So konzentriert sich VSF Suisse momentan auf sechs Länder im Westen und am Horn von Afrika: Mali und Togo sowie Südsudan, Äthiopien, Kenia und Somalia. Indem kleinbäuerliche Familienbetriebe und Nomaden unterstützt werden, die von der Nutztierhaltung abhängig sind, wird den Ärmsten unter den Armen geholfen. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara lebt fast jeder Zweite unter der Armutsgrenze, und fast jeder Vierte leidet an Unterernährung. Gefragt sind deshalb, so Kihm, Hilfsaktionen mit Multiplikatoreffekt, wie etwa in Kenia: «Vom Projekt, bedürftigen Familien Kamele zu verschaffen und benachteiligte Frauengruppen bei der Verarbeitung und Vermarktung der Milch zu unterstützen, profitiert jetzt das ganze Dorf; denn von der Produktion bis zum Verbrauch sind sowohl Züchter als auch Kleinbauern und Milchverkäufer involviert.» VSF Suisse verfolgt ein kluges Businessmodell: Basierung auf Projekten, die von Regierungen, grossen Hilfsorganisationen und privaten Geldgebern international ausgeschrieben werden und für die man sich bewerben muss. Sie beinhalten assistenztierärztliche Aus- und Weiterbildung sowie landwirtschaftliche Fortbildung. Momentan sind es 20 bis 30 solcher Unterfangen pro Jahr mit einem Umsatz von rund 8 Millionen Franken, wobei die Administrationskosten weniger als 10 Prozent betragen.
Kranke Nutztiere = hungernde Menschen In Trockengebieten am Horn von Afrika, wo Ackerbau keine Option ist, stellt Tierhaltung auf grossen Naturweiden das
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Statt kurzfristige Nothilfe nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe: Aufbau einer Molkerei (Mali).
Veterinärmedizinische Hilfe: Ein ausgebildeter Assistent vakziniert ein Zebu (Südsudan).
sinnvollste Prinzip der Landnutzung dar. Doch bei Dürrekatastrophen, wenn das spärliche Gras verdorrt, die Wasserquellen versiegen und die ausgemergelten Tiere kaum mehr Milch geben und krankheitsanfällig werden und ihr Marktwert abstürzt, während umgekehrt Nahrungs- und Futtermittelpreise explodieren, hungern bald auch die Menschen – ein Teufelskreis. Resultat: allenthalben Kadaver verendeter Nutztiere und erschöpfte Nomaden in Auffanglagern. Hier braucht es vorab Nothilfe: Verteilen von Wasser an die Bevölkerung und von nährstoffreicher Nahrung an Familien mit unterernährten Kleinkindern. Doch selbst diese Soforthilfe ist nicht allein auf Lebensrettung ausgelegt, sondern auch darauf, die Lebensgrundlagen der Notleidenden langfristig zu schützen, also Verteilung von Tierfutter, um die Zuchtbestände der Rinder, Schafe, Ziegen und Kamele zu retten zwecks Wiederaufbau der Herden, was Jahre dauert. Zudem werden lokale Apotheken mit Tierarzneimitteln und Tierhalter mit Behandlungsgutscheinen versorgt. Und weil die Naturkatastrophen künftig noch heftiger ausfallen sollen, gilt es, die Bevölkerung darin zu unterstützen, beim Wiederaufbau ihre Lebensgrundlagen breiter abzustüt-
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Kleinlandwirte erhalten auch Saatgut für die Futter- und Nahrungsmittelerzeugung (Togo).
One HealthProjektbeispiele
Mali: Aufbau Milchkooperative (Produktion, Verarbeitung, Verteilung). Togo: Stopp dem NaturreservatRaubbau durch Arbeitsbeschaffung. Südsudan: Bekämpfung der Tollwutseuche auf Anfrage der UNO. Äthiopien: Impfaktionen bei den Nutztieren von Nomadenstämmen. Kenia: Tierseuchen- und Zoonosen-Überwachung mittels Smartphone. Somalia: Kampf den Dürrefolgen mittels Futter- und Milchlieferungen.
Imkerausbildung und Abgabe von Bienenvölkern verhelfen zu einem Zusatzerwerb (Togo).
zen. Deshalb engagiert sich VSF Suisse bei der Reparatur von Wasserstellen und Bewässerungskanälen, der Einführung des Anbaus von Futtermitteln und Gemüse sowie der Stärkung der Märkte für tierische Produkte. Diese Erhöhung der Widerstandskraft von Mensch und Tier hilft den Nomaden und Kleinbauern, sowohl Ertrag und Einkommen als auch die eigene Gesundheit im Griff zu haben.
One Health – Schlüssel zum Erfolg Das Sinnvolle pflegt sich durchzusetzen: In den letzten Jahren verbreitete sich die One-Health-Strategie als Modebegriff wie ein Lauffeuer bei allen grossen Regierungsorganisationen wie WHO, FAO oder OIE, aber auch bei NGO und institutionellen Geldgebern wie Weltbank und USAID. VSF Suisse arbeiten eigentlich, ohne darüber ein grosses Aufheben zu machen, seit ihrem Bestehen gemäss diesem vernetzten Prinzip an der Schnittstelle der Gesundheit von Mensch, Nutztier und Umwelt. Das One-Health-Prinzip ist speziell dort angezeigt, wo Interaktionen zwischen Mensch, Nutztier und Umwelt gross und öffentliche Dienstleistungen Mangelware sind. Das trifft auf
Korrespondenzadresse: Heini Hofmann Zootierarzt und freier Wissenschaftspublizist Hohlweg 11 8645 Jona
Alle Bilder: VSF Suisse / Tom Martin
die Einsatzgebiete von VSF Suisse in Afrika zu. Hier sind komplexe Situationen zu bewältigen: Krankheitsübertragungen über Nahrung und Wasser respektive zwischen Tier und Mensch oder in Verbindung mit Umweltproblemen. Daher ist Zusammenarbeit zwischen Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften angesagt, worauf Tierärzte sensibilisiert sind. «Neben der One-Health-Strategie ist für VSF Suisse wichtig», wie Geschäftsleiter Daniel Bolomey betont, «die Betroffenen als Rechtsinhaber und nicht bloss als Opfer zu behandeln und gute Kontakte auf Augenhöhe zu pflegen, dies sowohl mit Begünstigten als auch mit Partnern und Behörden. Deshalb sind die Mitarbeitenden in allen Projekten durchwegs Einheimische und nicht Schweizer. Denn menschliche Nähe und Kommunikation in den lokalen Idiomen sind der Schlüssel zum Erfolg bei Hilfe zur Selbsthilfe.» Das bestätigen auch langjährige Mitarbeitende.
Ein berührendes Beispiel
Eingedenk dessen, dass ein Siebtel der Weltbevölkerung
Hunger leidet und alle paar Sekunden ein Kind an Unterer-
nährung stirbt, ist Hungerbekämpfung etwas, das alle an-
geht. Zwar steht Entwicklungszusammenarbeit immer wie-
der mal in der Kritik, wegen umstrittenen Vorgehens oder
aufgeblähter Administrationskosten. «Doch der Grundsatz»,
und davon ist Kihm überzeugt, «die Ärmsten der Armen –
auch in kleinen Einheiten – mit Hilfe zur Selbsthilfe zu unter-
stützen, wie dies VSF Suisse tut, ist grossmehrheitlich unbe-
stritten.»
Die europäische Überflussgesellschaft, die es sich leisten
kann, rund die Hälfte eines Schlachtierkörpers im Abfall zu
entsorgen, Trinkwasser in Plastikflaschen zu kaufen, Lebens-
mittelvorräte einzufrieren, Saisonfrüchte rund ums Jahr zu
geniessen und sich jederzeit in überquellenden Einkaufstem-
peln nach Lust und Laune zu bedienen, kann sich nur schwer-
lich vorstellen, wie konträr die Lebensverhältnisse in von
Dürre und Kriegswirren geplagten Ländern sind. Um dies zu
illustrieren, erzählt Ueli Kihm die Geschichte eines südsuda-
nesischen Buben.
Er heisst John Lomoi: «Sein Vater kam im Bandenkrieg um,
und der Stiefvater schlug ihn. Als er verzweifelt von zu Hause
weglief, griff ihn die Armee auf und rekrutierte ihn als Kin-
dersoldaten. Er sah, wie seine Freunde litten und starben.
Als er befreit wurde, schenkte ihm VSF Suisse zwei Schafe
und ein Überlebenskit mit Angeln, Moskitonetzen, Seife,
einem Kochtopf und Gemüsesamen. Heute lebt John selbst-
ständig und besucht sogar die Schule; er möchte Tierarzt
werden.» Dies ist für die Helfer eines von vielen Beispielen,
die zum Weitermachen anspornen.
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