Transkript
1 • 2019
The American Way of Animal Shelter
Mit Pinsel und Farbe gegen die tausendfache Tötung von Heimtieren
«Es gibt kein Tier, das mehr der Freund des Menschen ist als der Hund», hat schon Erasmus von Rotterdam 1518 festgestellt. Aber wie steht es denn umgekehrt? Ist der Mensch auch der beste Freund des Hundes? Das muss gelegentlich durchaus bezweifelt werden, denn die Schicksale, die unsere besten Freunde in menschlicher Obhut so oft erleiden müssen, können erbärmlich sein, wie beispielsweise die traurigen Praktiken in amerikanischen Tierheimen zeigen. Der amerikanische Künstler Mark Barone kämpft seit Jahren dagegen an – mit Pinsel und Farbe.
Mark Barone war bereits ein angesehener, vielfach preisgekrönter Künstler, als er durch Zufall seine Lebensaufgabe entdeckte: den zahllosen, in Tierheime abgeschobenen todgeweihten Haustieren ein eindrückliches Denkmal zu setzen und sich so für ihre Rettung zu engagieren. In amerikanischen Tierheimen ist überleben nämlich Glückssache – mehr als ein Drittel der etwa 7 Millionen Haustiere, die von ihren menschlichen Freunden dort jährlich entsorgt werden, sind kurze Zeit später tot. Jedes Jahr werden in den Heimen mehr als drei Millionen Hunde und Katzen eingeschläfert – das sind pro Tag allein etwa 5500 Hunde. Von diesen schockierenden Praktiken hatte Mark Barone allerdings lange keine Kenntnis – wie übrigens die meisten seiner Landsleute.
– 36 –
Wie alles begann Vor etwa fünf Jahren verlor Mark seine Hündin Santina, die 22 Jahre an seiner Seite war. Monate später ging seine Lebensgefährtin, Marina Dervan, im Internet auf die Suche nach einem geeigneten neuen Hund für Mark, der Santina noch immer schmerzlich vermisste. Bei ihrer Recherche entdeckte sie, dass nur wenige Tiere – ob Hunde oder Katzen – die Chance haben, die Tierheime wieder lebend zu verlassen. Dass die meisten eingeschläfert werden, bevor es freiwilligen Helfern überhaupt möglich ist, sie in ein neues Zuhause zu vermitteln. Ein Vorgehen, das offenbar nicht nur auf die Überbelegung, sondern auch auf die ungenügende finanzielle Ausstattung vieler Tierheime zurückzuführen ist. Mark und Marina waren über diesen inhumanen Umgang mit den Tieren fassungslos. Für beide war klar, dass sie etwas unternehmen mussten, um möglichst viele Menschen auf diese unhaltbaren Zustände aufmerksam zu machen, in der Hoffnung, so viele Tiere doch noch vor dem sicheren Tod zu retten. Seine Kunst dafür einzusetzen schien Mark der geeignete Weg.
«An Act of Dog» Barone war sich jedoch im Klaren, dass die Aufmerksamkeit der Medien nur durch eine aussergewöhnliche, öffentlichkeitswirksame Aktion zu gewinnen wäre. Er beschloss, den 5500 täglich getöteten Hunden mit einem individuellen Por-
1 • 2019
trät ein Gesicht zu geben, um sie symbolhaft aus der Anonymität zu holen. So setzte der Künstler unter anderen der Pitbull-Hündin Oreo ein Denkmal, die zwar wundersamerweise einen Wurf aus einem sechsstöckigen Gebäude überlebte und doch ihrem Tod nicht entging, da sie von Behördenseite als zu aggressiv erachtet wurde (Abbildung links). Mit der Non-profit-Organisation «An Act of Dog» gründete Barone zudem eine offizielle Plattform, nicht nur um die Öffentlichkeit effizienter für die weitverbreitete Tötungspraxis zu sensibilisieren, sondern auch um die für die künstlerischen Arbeiten gespendeten Gelder für den Aufbau und die Unterstützung von Tierheimen einzusetzen, die sich verpflichten, auf das Töten von Heimtieren zu verzichten. «Wir wollen die Menschen aufrütteln, Aufmerksamkeit und Mitgefühl für die Tiere wecken und damit in unserem Land einen grundsätzlichen kulturellen Wandel im Umgang mit den Heimtieren erreichen», betont Barone.
Grosses Echo in Medien und Öffentlichkeit Der Einsatz Barones und seiner Partnerin hat sich gelohnt. Ihr persönliches Leben wurde zwar komplett auf den Kopf gestellt – nichts ist mehr, wie es war –, aber das Echo in den Medien inner- und ausserhalb der USA und die Resonanz in der breiten Öffentlichkeit waren enorm. Zahllose Menschen brachten in Briefen, Anrufen und Mails ihre Betroffenheit zum Ausdruck, schilderten eigene Erfahrungen und Erlebnisse, schickten Fotos und Geschichten. Viele signalisierten Hilfsbereitschaft, wenn es etwa darum ging, Heimtiere an neue Pflegefamilien zu vermitteln und/oder den Transport der Tiere zu organisieren. Aber nicht nur das – auch zahllose
– 37 –
Organisationen engagierten sich und viele Gemeinden be-
richteten über die Gründung sogenannter No-kill-Tierheime,
in denen die Tiere Schutz und Heimat finden, während sie
auf neue Pflegefamilien warten.
Auch die 5500 Porträts sind inzwischen gemalt (Abbildung
rechts: Batman). Dem Betrachter zeigen sich hoffnungsvolle
Tiergesichter, aber auch solche, die Angst, Resignation und
Verzweiflung erkennen lassen – die Geschichten hinter den
Schicksalen haben den Künstler offensichtlich zutiefst berührt.
Und seine Bilder berühren den Betrachter, lösen Scham, Wut
und Unverständnis aus über den herzlosen Umgang mit unse-
ren Mitgeschöpfen. Die Organisation An Act of Dog ist jetzt auf
der Suche nach Räumlichkeiten für das weltweit erste «Mu-
seum of Compassion», in dem die 5500 Hundeporträts perma-
nent ausgestellt werden sollen (Abbildung Seite 36).
«Dieses Projekt war für uns finanziell und emotional kaum
zu bewältigen. Es hat unser Leben in vielerlei Hinsicht grund-
legend verändert, aber wir sind unserem Herzen gefolgt», so
Barone in seinem Mail. Er arbeite heute in erster Linie für den
Schutz der Tiere und nicht für den Profit. Mit grossem Idea-
lismus und bemerkenswertem Engagement setzen sich Ba-
rone und Dervan nach wie vor dafür ein, dass die Heimtiere
von den Menschen mehr Achtung und Mitgefühl erfahren
und möglichst viele eine liebevolle Pflegefamilie finden. Und
sie haben erstaunlich viel erreicht.
Wer die Arbeit und das Anliegen des Künstlerpaares finan-
ziell unterstützen möchte, kann dies durch Spenden oder
durch Kauf eines Bildes tun.
x
Claudia Reinke
Quelle: anactofdog.org