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Chronisch obstipiert? Welche Massnahmen helfen können
Die chronische Obstipation ist eine weit verbreitete Gesundheitsstörung mit noch weitgehend unbekannter Ursache. Alle Altersgruppen, besonders aber Ältere und Frauen, sind davon betroffen. Studien haben geklärt, inwieweit die Standardempfehlung faserreiche Kost, vermehrte Flüssigkeitsaufnahme und körperliche Aktivität Abhilfe schaffen können. Bei der Suche nach den Ursachen rückt die Zusammensetzung der Darmbakterien zunehmend in das wissenschaftliche Interesse. Übersichtsarbeiten und Analysen fassen die Erkenntnisse zusammen. Welche Schlüsse können aus den Daten gezogen werden?
Definition und Prävalenz Als Manko bei der Diagnose «chronische Obstipation» gilt vor allem, dass die Definition nicht einheitlich ausfällt und die Schilderung der Patienten oft diffus ist. Mittlerweile sind in der Fachwelt jedoch die Rom-III-Kriterien von 2006 weitgehend akzeptiert. Demnach liegt eine Obstipation vor, wenn ein Viertel der Stuhlgänge mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllen: • Pressen beim Stuhlgang • klumpiger oder harter Stuhl • Gefühl der inkompletten Entleerung • Gefühl der anorektalen Blockade • manuelle Intervention bei der Stuhlentleerung
notwendig • weniger als drei Stuhlgänge pro Woche. Als chronisch gilt eine Obstipation dann, wenn die Symptome mindestens sechs Monate bestehen. Die weltweiten Prävalenzraten schwanken in der Literatur stark. Bei Erwachsenen dürfte eine Rate von 16 Prozent und bei über 60-Jährigen von zirka 33 Prozent am wahrscheinlichsten sein. Dass auch jüngere Personen häufig betroffen sind, zeigte eine Studie (1) mit 1662 Hochschulstudenten. Demzufolge betrug die durchschnittliche Prävalenzrate der funktionellen Obstipation 16,2 Prozent; bei Frauen lag die Rate mit 17,4 Prozent gegenüber den Männern mit 12,5 Prozent signifi-
Dr. med. Ralph Hausmann
freier Mitarbeiter D-60439 Frankfurt/M
kant höher. Die Studenten berichteten am häufigsten über einen harten, klumpigen Stuhl, inkomplette Entleerung, anorektale Obstruktion und Pressen beim Stuhlgang.
Risikofaktoren Allgemein werden als Obstipationsrisiko die klassischen Faktoren faserarme Kost, ungenügende Trinkmengen, Bewegungsmangel sowie eine genetische Prädisposition, Hormonstörungen und Nebenwirkungen von Medikamenten angesehen. In einer Analyse (2) von über 33 000 Frauen mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 6,9 Jahren war eine Obstipation neben den bereits genannten Faktoren auch mit Rauchen, Diabetes, hohen Cholesterinspiegeln, Herzinfarkten in der Familie, Hypertonie, Übergewicht sowie Depression assoziiert. Frauen mit schwerer Obstipation hatten ein um 23 Prozent höheres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall und ähnliche als jene ohne oder mit lediglich moderat ausgeprägter Obstipation. Den Daten zufolge kann schwere Obstipation möglicherweise als Marker für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko angesehen werden.
TAKE HOME MESSAGES
◗ Grundlage für die Definition der chronischen Obstipation sind die ROM-III-Kriterien.
◗ Mit einem Diagnosealgorithmus kann die Diagnose relativ unkompliziert gestellt und Alarmsymptome ermittelt werden.
◗ Die Standardempfehlung besteht in faserreicher Kost, vermehrter Flüssigkeitsaufnahme und körperlicher Aktivität.
◗ Wegen der möglicherweise veränderten Zusammensetzung des Mikrobioms bei obstipierten Patienten können auch Probiotika einen Nutzen haben.
In der modernen wissenschaftlichen Literatur wird diese häufige Gesundheitsstörung eher stiefmütterlich behandelt. Dies obwohl die Obstipation schon vor Tausenden von Jahren als gesundheitsschädigendes Risiko galt. So wurde in einem ägyptischen Papyrus aus dem 16. Jahrhundert vor Christus bereits darauf hingewiesen, dass der Körper durch sich zersetzende Substanzen im Darm vergiftet wird. In der chinesischen und ayurvedischen Medizin gilt die Obstipation auch heute noch als Auslöser schwerer Erkrankungen.
Pathophysiologie Bei der chronischen Obstipation lassen sich folgende klinische Subtypen unterscheiden: zum einen die idiopathische chronische Obstipation, die entweder mit normaler (59%) oder verzögerter Kolontransitzeit (slow-transit, 13%) einhergehen kann, und die anorektale, ursächlich durch eine Beckenbodendysfunktion ausgelöste Obstipation. Die sekundären Formen sind dagegen durch eine bereits bestehende Grunderkrankung bedingt. Dazu gehören mechanische Obstruktionen (z.B. Karzinome, Stenosen, Megarektum, M. Hirschsprung), metabolische Erkrankungen (u.a. Diabetes, Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus), Myopathien (Amyloidose, Sklerodermie), neurodegenerative Erkrankungen (z.B. M. Parkinson, multiple Sklerose) sowie Depressionen.
Diagnostischer Algorithmus Die Diagnose «chronische Obstipation» kann in der Regel durch die Anamnese zusammen mit einer körperlichen und digitalrektalen Untersuchung gestellt werden. Einem Diagnosealgorithmus zufolge sollten Alarmsymptome ausgeschlossen werden. Dazu gehören vor allem: • Blut im Stuhl • unerklärlicher Gewichtsverlust • entzündliche Darmerkrankungen • symptomatische Organerkrankungen • positive Familienanamnese auf ein kolorektales
Karzinom.
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Sind keine Alarmsymptome vorhanden, wird die standardmässige Lebensstiländerung mit faserreicher Kost und einer eventuellen Laxanzieneinnahme vorgeschlagen. Wenn sich die Symptome dadurch nicht bessern, empfiehlt der Algorithmus die Medikamente Lubiproston (Amitizia®) und Linaclotid (Axulta®, Constella®). Beckenbodengymnastik mit Biofeedback ist eine empfehlenswerte Methode zur Verbesserung der Darmsymptome, insbesondere bei Stuhlentleerungsproblemen infolge eines gestörten Zusammenspiels der abdominellen, der rektoanalen und der Beckenbodenmuskulatur sowie bei einer Beckenbodendysfunktion. Wenn auch diese Massnahmen nicht den erwünschten Erfolg erzielen, kommen physiologische Tests wie anorektale Manometrie, Bestimmung der Kolontransitzeit und Defäkografie zur weiteren Abklärung infrage (3, 4).
Bedeutung des Mikrobioms Da die Ursachen der funktionellen Obstipation nicht geklärt sind, wird von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen, bei dem auch die Darmbakterien eine Rolle spielen. Ob im Darm obstipierter Patienten Veränderungen im Mikrobiom nachzuweisen sind, versuchte eine genanalytische Studie (5) zu klären. Dazu wurden Stuhlproben von 68 Personen mit funktioneller Obstipation sowie von 79 Kontrollpersonen mittels einer 16S-rRNAbasierten Analyse auf ihre Bakterienprofile hin untersucht. Das Ergebnis deutet darauf hin, dass bei Obstipation eine veränderte Zusammensetzung des Mikrobioms mit möglichem Einfluss auf den Metabolismus und der Entwicklung gastrointestinaler Symptome besteht. Andere Studien zeigten, dass bei Obstipation die Konzentration von Bifidobakterien und Lactobazillen im Darm geringer ist als normal und dass die Bakterienzusammensetzung mit der MagenDarm-Motilität assoziiert ist. Folglich werden Probiotika mit diesen Bakterienspezies bei Obstipation empfohlen. Eine Literaturanalyse von 21 randomisierten und kontrollierten Studien (6) mit über 2600 Personen untersuchte dazu die Effektivität von bifidobakterien- beziehungsweise lactobacillushaltigen Probiotika auf die Stuhlgangfrequenz und die intestinale Transitzeit bei obstipierten Erwachsenen. Durch die Einnahme dieser Probiotika nahm die Häufigkeit der
wöchentlichen Stuhlgänge um durchschnittlich 0,83 zu, während sich die intestinale Transitzeit um etwa 15 Stunden reduzierte. Dabei hatten die in den Probiotika befindlichen Spezies sowie die Anzahl der vorhandenen Bakterienstämme und die täglich eingenommene Probiotikadosis keinen Einfluss auf das Ergebnis. Wegen der deutlichen Heterogenität der in die Analyse einbezogenen Studien seien die vorliegenden Resultate jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, resümieren die Autoren. Andere Studien deuten darauf hin, dass eine Kombination aus Galacto-Oligosacchariden (GOS) enthaltenden Joghurts zusammen mit Pflaumen und Leinsamen bei älteren obstipierten Patienten ebenfalls zur Anregung der Darmtätigkeit geeignet sind. In einer randomisierten, doppelblinden Studie (7) erhielten Patienten im Durchschnittsalter von 76 Jahren täglich Kontrolljoghurt (260 g) beziehungsweise Testjoghurt mit GOS (12 g), Pflaumen (12 g) und Leinsamen (6 g). Laxanzien waren nur nach zwei Tagen ohne Stuhlgang erlaubt. Die Supplementierung mit Testjoghurt führte gegenüber der Einnahme von Kontrolljoghurt zu einer höheren Stuhlgangfrequenz (8,0- vs. 7,1-mal pro Woche), einem leichteren Stuhlgang sowie tendenziell zu weicherem Stuhl. Die Einnahme von Laxanzien blieb während der Studienperiode konstant. Wie eine weitere randomisierte Studie (8) mit Frauen zeigte, kann auch faserreiches Roggenbrot zur Linderung von Obstipationssymptomen beitragen. Die Probandinnen erhielten Roggenbrot und Joghurt mit Lactobacillus GG (LGG) oder Roggenbrot beziehungsweise LGG-Joghurt allein. Zudem wurde eine Kontrollgruppe eingeführt. Die Ernährung mit Roggenbrot allein und mit zusätzlichem LGG-Joghurt verkürzte gegenüber den beiden anderen Gruppen die totale intestinale Transitzeit, erhöhte die Stuhlgangfrequenz, führte zu einem weicheren Stuhl und erleichterte den Stuhlgang.
Früchte steigern das Stuhlgewicht und verkürzen die Transitzeit Dass körperliche Aktivität zusätzlich zu einer faserreichen Kost die Prävalenz der Obstipation verringert, konnte in der «Nurses Health Study» mit über 62 000 Frauen gezeigt werden (9). In die-
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ser Untersuchung wurde eine Stuhlgangfrequenz
von zwei oder weniger pro Woche als Obstipation
definiert. Alter und Körpergewicht waren umge-
kehrt mit einer Obstipation korreliert. Zudem hat-
ten Frauen, die über mässige tägliche körperliche
Aktivität berichteten, eine geringere Obstipa-
tionsprävalenz. Die Wahrscheinlichkeit für eine
Obstipation war bei einer täglichen Kost mit etwa
20 g Fasern deutlich geringer als bei faserarmer
Ernährung.
Studien zufolge besteht auch ein Zusammenhang
zwischen dem Verzehr von Früchten und einem
verminderten Obstipationsrisiko, wie das Beispiel
einer randomisierten Untersuchung zeigte, in der
eine erhöhte Aufnahme von Früchten und Ge-
müse die fäkale Transitzeit um 14 Stunden ver-
kürzte und die Anzahl der täglichen Stuhlgänge
um durchschnittlich 0,4 erhöhte.
Die viskösen, löslichen Fasern in ganzen Früchten
scheinen auch die Symptome der Obstipation zu
lindern. So berichtet eine randomisierte Studie,
dass der tägliche Verzehr von zwei frischen Man-
gos – neben der Erhöhung des Stuhlvolumens
und der Stuhlgangfrequenz – Symptome wie Pres-
sen, Schmerzen sowie tägliche Stuhlgangversu-
che bei chronisch obstipierten Erwachsenen si-
gnifikant um 60 Prozent zu verringern vermag.
Auch für den Verzehr von Pflaumen und Kiwi wur-
den positive Auswirkungen auf die Obstipation
nachgewiesen (10).
x
Literatur: 1. Lim YJ et al.: The Prevalence and Symptoms Characteristic of Functional Constipation Using Rome III Diagnostic Criteria among Tertiary Education Students. PLOS ONE 2016; 11 (12): e0167243. 2. Salmoirago-Blotcher E et al.: Constipation and Risk of Cardiovascular Disease among Postmenopausal Women. Am J of Med 2011; 124: 714–723. 3. Forootan M et al.: Chronic constipation. A review of literature. Medicine 2018; 97: 20(e10631). 4. Leung L et al.: Chronic constipation: An Evidence-Based Review. J Am Board Fam Med 2011; 24: 436–451 5. Mancabelli L et al.: Unveiling the gut microbiota composition and functionality associated with constipation through metagenomic analyses. Nature Scientific Reports 2017; 7: 9879. 6. Miller LE et al.: Effects of probiotic-containing products on stool frequency and intestinal transit time in constipated adults: systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Ann Gastroenterol 2017; 30 (6): 629–639. 7. Sairanen U et al.: Yoghurt containing galacto-oligosaccharides, prunes and linseed reduces the severity of mild constipation in elderly subjects. Eur J Clin Nutr 2007; 61 (12): 1423–1428. 8. Hongisto SM et al.: A combination of fibre-rich rye bread and yoghurt containing Lactobacillus GG improves bowel function in women with self-reported constipation. Eur J Clin Nutr 2006; 60 (3): 319–324. 9. Dukas L et al.: Association between physical activity, fiber intake, and other lifestyle variables and constipation in a study of women. Am J Gastroenterol 2003; 98 (8): 1790–1796. 10. Dreher ML: Whole Fruits and Fruit Fiber Emerging Health Effects. Nutrients 2018; 10: 1833.