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Die Rolle des Darmmikrobioms bei Autoimmunerkrankungen
Untertitel
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Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich die medizinische Forschung bereits intensiv mit dem Darmmikrobiom. Dabei zeigte sich dass sich die zahllosen Bakterienarten, die dieses Ökosystem bevölkern, bei weitem nicht nur auf "Hilfsarbeiten" bei der Verdauung beschränken, sondern eine Fülle weiterer, für den Wirtsorganismus lebenswichtiger, gesunderhaltender Körperfunktionen steuern.
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4 • 2018

Thema

Rheumatoide Arthritis
Die Rolle des Darmmikrobioms bei Autoimmunerkrankungen

Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich die medizinische Forschung bereits

Von Claudia Reinke

Gerät das Darmmikrobiom jedoch aus der Balance, stellt sich ein dysbiotischer Zustand ein.

intensiv mit dem Darmmikrobiom. Dabei

Das Ökosystem verliert zunehmend seine Arten-

zeigte sich, dass sich die zahllosen Bakterienarten,

vielfalt, sodass sich pathologische Keime breitmachen und die

die dieses Ökosystem bevölkern, bei weitem nicht

Oberhand gewinnen können. Daraus resultierende Störungen

nur auf «Hilfsarbeiten» bei der Verdauung be-

der intestinalen Barrierefunktion und eine in der Folge verän-

schränken, sondern eine Fülle weiterer, für den

derte Permeabilität des Darmepithels (leaky gut) führen dazu,

Wirtsorganismus lebenswichtiger, gesunderhalten-

dass Mikroorganismen oder ihre Bestandteile aus dem Darm ins

der Körperfunktionen steuern. Sie beeinflussen je-

Körperinnere gelangen können und dort eine Immunantwort –

doch auch das Krankheitsgeschehen, wie aus den

durchaus auch gegen körpereigene Zellen – mit der Freisetzung

zahlreichen Arbeiten der Mikrobiomforschung her-

von Zytokinen bewirken. Solche Entwicklungen werden als Aus-

vorgeht. Welche Rolle die intestinale Bakterienpo-

löser chronischer Entzündungen angesehen, die sich zu Auto-

pulation bei der Entstehung autoimmuner Prozesse

immunerkrankungen entwickeln können, wie unter anderem

wie der rheumatoiden Arthritis spielen könnte,

auch die Autoren eines kürzlich im «British Journal of Medecin»

fasst der nachfolgende Text zusammen.

erschienenen Reviews berichten (1).

Der menschliche Organismus besteht aus einer komplexen Vielfalt eukaryotischer und prokaryotischer Zellen, wobei neuere Schätzungen davon ausgehen, dass das Verhältnis von Bakterien zu humanen Zellen in etwa 1:1 beträgt. Die Gesamtheit der vorwiegend im Darm beheimateten Bakterien, das so genannte Mikrobiom, ist in seiner Zusammensetzung zwar relativ stabil und widerstandsfähig, kann jedoch durch Umweltfaktoren wie Nahrung, Viren, Medikamente (insbesondere Antibiotika), Umweltgifte und ähnliche erhebliche Veränderungen erfahren. Metagenomische Methoden ermöglichen inzwischen grösstenteils die Identifizierung und Charakterisierung der zahlreichen Bakterienarten.

Autoimmmunerkrankungen – immer häufiger und weit verbreitet Gerät das Immunsystem ausser Kontrolle, beginnt es, körpereigene gesunde Strukturen anzugreifen, statt Fremdgewebe zu attackieren. Die Ursachen für das Auftreten autoimmuner Prozesse sind vielfältig und komplex: Genetische Ursachen können daran ebenso beteiligt sein, wie etwa Umweltschadstoffe, Medikamente und eine (nachfolgende?) Dysbalance in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms. Als auslösende Faktoren kommt im Übrigen neben viralen Infektionen (z.B. Herpes zoster, Epstein-Barr) auch Stress infrage (2).

Der Einfluss des Mikrobioms und seiner Metaboliten auf Gesundheit und Krankheitsgeschehen Das Darmmikrobiom übt im Organismus eine ganze Reihe lebenswichtiger Funktionen aus: • Es schützt den Organismus vor pathogenen Keimen. • Es hilft bei der Verdauung und Umwandlung komplexer
pflanzlicher Kohlenhydrate in kurzkettige Fettsäuren, die den Zellen des Darmepithels als Energiequelle dienen. • Es synthetisiert und fördert die Aufnahme von Nährstoffen, wie essenzielle Vitamine und Aminosäuren. • Es reguliert den Fettmetabolismus. • Es unterstützt die Entwicklung und Funktionsfähigkeit des Immunsystems.

Abbildung: Prevotella copri

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Foto: © canstockfoto.ch

Thema

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Autoimmunerkrankungen sind tückisch. Sie schleichen sich weitgehend unbemerkt in das Leben der Betroffenen – Frühsymptome werden meist als Bagatellen abgetan. Oft vergehen mehrere Jahre, bis die Erkrankung diagnostiziert wird. Die Fallzahlen steigen: Weltweit seien derzeit 5 bis 8 Prozent der Bevölkerung von etwa 80 bis 100 verschiedenen teils organspezifischen oder systemischen Autoimmunerkrankungen betroffen, so das Berliner Institut für Medizinische Diagnostik (IMD). Nach Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen stehen sie in den Industrienationen heute bereits an dritter Stelle – mit steigender Tendenz, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. Dies gilt auch für die rheumatoide Arthritis (RA), die den Schwerpunkt dieses Heftes bildet.
Rheumatoide Arthritis: Kommt die Entzündung aus dem Darm? Die RA ist eine chronische Autoimmunerkrankung mit hoher Prävalenz, die vor allem die Gelenkstrukturen befällt. Die eigentlichen Ursachen der Erkrankung sind unbekannt. Vor einigen Jahren untersuchten amerikanische Wissenschafter, ob Veränderungen des Darmmikrobioms bei der Pathogenese der RA beteiligt sein könnten. Erste tierexperimentelle Untersuchungen dazu ergaben, dass spezielle Mausmutanten mit erhöhtem Risiko für RA gesund bleiben, wenn sie unter sterilen Bedingungen gehalten werden. Werden sie dagegen gewissen Bakterienspezies ausgesetzt, die sich auch im menschlichen Darm nachweisen lassen, entzünden sich ihre Gelenke. Professor Dan Littman und seine Arbeitsgruppe von der New York School of Medicine gingen der Sache weiter nach und nutzten zunächst die Methode der Gensequenzierung, um Darmbakterien von RAPatienten mit jenen gesunder Kontrollpersonen zu vergleichen. Dafür wurden Stuhlproben von 114 Personen analysiert, darunter Patienten mit chronischer, medikamentös behandelter RA, Patienten mit Psoriasis-Arthritis, eine Gruppe neu diagnostizierter und noch unbehandelter RA-Patienten sowie gesunde Kontrollen. Dabei zeigte sich, dass Darmkeime der Spezies Prevotella copri bei 75 Prozent der neu diagnostizierten Patienten mit unbehandelter RA (NORA) im Darm zu finden waren, und zwar sehr viel häufiger als in gesunden Individuen (21%). Von den medikamentös behandelten RA-Patienten waren lediglich 12 Prozent Prevotella-positiv beziehungsweise 38 Prozent der Patienten mit Psoriasis-Arthritis. Beobachtet wurde zudem, dass sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms mit steigender Keimzahl von P. copri veränderte. So nahmen unter anderem Vertreter der Bacteroides deutlich ab. Wurde P. copri über eine Sonde in den Darm von Mäusen übertragen, liess sich seine Dominanz bestätigen: Innerhalb von zwei Wochen hatte Prevotella dort andere vorwiegend antiinflammatorische Bakterienarten dezimiert und ver-

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drängt. Darüber hinaus entwickelte sich in diesen Tieren nach Gabe eines entzündungsfördernden Agens eine deutlich heftigere Colitis als in gesunden, P.-copri-freien Kontrolltieren. Die Autoren sehen in ihren Forschungsergebnissen einen Hinweis darauf, dass ein P.-copri-reiches Mikrobiom Entzündungsvorgänge im Organismus fördern kann, was sich besonders bei Patienten mit genetisch determinierter Arthritis negativ auswirken könnte (3).

Prevotella copri zeigt immunrelevante Eigenschaften bei RA Wie eine neue Studie der Bostoner Havard Medical School jetzt berichtet, lassen sich insbesondere bei Patienten mit neu diagnostizierter, noch unbehandelter RA (NORA) auch krankheitsspezifische IgG- und IgA-Antikörper gegen P.-copri-Proteine nachweisen und zwar sowohl in der Früh-, als auch in der Spätphase der Erkrankung. Diese Prevotella-spezifischen Antikörper fanden sich vor allem bei Frauen, wobei Patienten mit IgG-Antikörpern gegen Prevotella geringere ACPA-Titer aufwiesen. Dieser Befund spricht dafür, dass P. copri zumindest in dieser speziellen Patientengruppe als immunrelevant und spezifisch für das Vorliegen einer RA angesehen werden kann, so die Autoren (4).

Fazit

Inwieweit das Mikrobiom im allgemeinen beziehungsweise

Prevotella copri im Speziellen die Pathogenese der rheumatoi-

den Arthritis mit beeinflusst, ist bisher zwar nicht schlüssig be-

wiesen. Die auffallende Dominanz des Darmkeims und seine

erwiesene Immunrelevanz bei der speziellen Gruppe unbehan-

delter RA-Patienten (NORA) könnten jedoch darauf hinweisen,

dass auch das Darmmikrobiom als auslösender Faktor bei dieser

Erkrankung eine gewisse Rolle spielt. Die Bostoner Forschungs-

gruppe sieht verschiedene Möglichkeiten, wie sich ihre neuen

Erkenntnisse für die Diagnostik und Therapie der RA als nützlich

erweisen könnten: So liesse sich der Nachweis P.-copri-spezifi-

scher IgG-Antikörper bei ACPA-negativen Patienten zur Diagno-

sefindung einsetzen. Darüber hinaus könnte die gezielte Dezi-

mierung von Prevotella copri sowohl durch diätetische

Massnahmen als auch eine entsprechende Antibiose neben der

DMARD-Therapie hilfreich sein, um die durch P. copri getriggerte

Entzündungsaktivität zu reduzieren.

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Literatur: 1. Clemente JC, Manasson J, Scher JU; The role of the gut microbiome in systemic inflammatory disease. BMJ 2018; 360: j5145 2. Sharif K, Watad A, Coplan L et al.: The role of stress in the mosaic of autoimmunity: An overlooked association. Autimmun Rev 2018; 17 (10): 967–983. 3. Scher JU, Sczesnak A, Longman RS, Segata N et al.: Expansion of intestinal Prevotella copri correlates with enhanced susceptibility to arthritis. Elife 2013; DOI: 10.7554/eLife.01202. 4. Pianta A, Arvikar S, Strle K, Drouin EE et al.: Evidence for Immune Relevance of Prevotella copri, a Gut Microbe, in Patients with Rheumatoid Arthritis. Arthritis Rheumatol 2017; 69 (5): 964–975.