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Osteoporose bei chronischen Erkrankungen
Vorhandene Therapieoptionen zu selten umgesetzt
Osteoporose ist eine häufige Komorbidität bei Patienten mit chronischen Erkrankungen. Sie wird durch Begleitfaktoren wie systemische Steroidtherapie, Bewegungsmangel und Nährstoffmangel begünstigt. Ein grosses Problem ist zudem die Untertherapie. Hier gibt es ein enormes Verbesserungspotenzial, denn die Auswahl an effektiven Behandlungsmöglichkeiten hat sich in den letzten Jahren erweitert.
Wie Frau Dr. Karin Hierl vom Fachzentrum Orthopädie an der Schön Klinik Berchtesgadener Land berichtete, werden heute gerade einmal 15 bis 20 Prozent der Patienten mit Osteoporose leitliniengerecht behandelt. Dabei haben Wirbelkörper- und Hüftfrakturen, wie sie bei Patienten mit Osteoporose typisch sind, dramatische Folgen für die Morbidität und Mortalität. Betroffen sind nicht nur Patienten, die mit systemischen Steroiden behandelt werden. So weisen beispielsweise COPD-Patienten eine bis zu 4-fach höhere Osteoporoseinzidenz im Vergleich zur gleichaltrigen Normalbevölkerung auf, wie Hierl berichtete. Als Ursachen für diese höhere Inzidenz werden unter anderem das Zigarettenrauchen als gemeinsamer Risikofaktor, aber auch der Bewegungsmangel, die systemische Entzündung sowie Nebenwirkungen einer Steroidtherapie vermutet (1).
Abbildung 1: Bestimmung der Funktionsleistung und Koordination, Erfassung des Sturzrisikos
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Auch der bei COPD-Patienten zu beobachtende erniedrigte Vitamin-D-Spiegel – vermutlich eine Folge des verminderten Aufenthalts im Freien – begünstigt die Osteoporose (2). Selbst in den Sommermonaten blieb in einer Studie der Vitamin-D-Spiegel unter dem als optimal empfohlenen Wert von 30 ng/ml. Hierl forderte daher, jeden Patienten mit COPD auch auf Parameter einer Osteoporose zu untersuchen.
Diagnostische Abklärung Bei der Basisdiagnostik ist es entscheidend, das Frakturrisiko zu erfassen. Hierzu eignen sich strukturierte Abfragen, wie sie zum Beispiel in FRAX® (Fracture Risk Assessment Tool) enthalten sind. Es handelt sich hierbei um einen computerbasierten Algorithmus, mit dem das Risiko für eine osteoporotische Fraktur in den nächsten 10 Jahren berechnet werden kann. Generell wird eine Basisdiagnostik empfohlen bei Frauen ab dem 50., bei Männern ab dem 60. Lebensjahr, wenn es zu einer oder mehreren Wirbelkörper- oder peripheren Frakturen gekommen ist oder bei einer Therapie mit oralen Glukokortikoiden. Bei älteren Frauen ab dem 60. beziehungsweise bei Männern ab dem 70. Lebensjahr empfiehlt man die Basisdiagnostik auch ohne Auftreten einer Fraktur, wenn einer oder mehrere Risikofaktoren für Osteoporose vorliegen. Ab einem Alter von 70 Jahren bei Frauen und von 80 Jahren bei Männern wird die Osteoporosebasisdiagnostik generell und
auch ohne Vorliegen von Risikofaktoren empfohlen. Als Standardmethode zur Diagnosestellung wie auch zur Stellung der Therapieindikation bei nachgewiesener Osteoporose wird in der aktuellen Leitlinie der DVO (Dachverband Osteologie) zu einer Knochendichtemessung (DXA: dual energy x-ray absorptiometry) geraten (3). Bei Frakturverdacht erfolgt darüber hinaus die bildgebende Diagnostik. Mit der Labordiagnostik lassen sich zudem Risikofaktoren erfassen und sekundäre Osteoporosen ausschliessen. Als Laborparameter sollten Kalzium und Phosphat, TSH, alkalische Phosphatase und Gamma-GT im Serum bestimmt werden. Die Kreatininclearance ist ebenfalls sinnvoll, um eine Niereninsuffizienz auszuschliessen. Zum Ausschluss von rheumatologischen Erkrankun-
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Abbildung 2: Therapieziele – die Säulen der Osteoporosetherapie
gen oder eines Plasmozytoms eignet sich eine Serumeiweiss-Elektrophorese. Bei Männern kann fakultativ auch eine Testosteronbestimmung erfolgen. Mit Knochenumbaumarkern wie Osteocalcin oder Osteonektin kann die Geschwindigkeit des Knochenumbaus gemessen werden. Auch klinisch können sich bei der körperlichen Untersuchung Hinweise auf eine Osteoporose ergeben. Zu den typischen Befunden bei Patienten mit Osteoporose zählen: • unsicherer Gang, Rundrücken • Abnahme der Körpergrösse, überproportional lange Arme • Tannenbaumphänomen: typische tannenbaumförmige
Faltenbildung am Rücken • Erschlaffung der Bauchmuskulatur • herabgesetzte Beweglichkeit der Wirbelsäule, Arthrose
der Wirbelgelenke • niedriger Becken-Rippen-Abstand. In der Leitlinie wird zur Bestimmung der Kraft und Koordination und damit auch des Sturzrisikos empfohlen, verschiedene Assessmenttests durchzuführen (Abbildung 1) (3).
Tabelle:
Medikamentöse Behandlungsansätze
Antiresorptive Substanzen • Bisphosphonate («Goldstandard»)
Alendronat (Fosamax®) 70 mg/Woche oral Risedronat (Actonel®) 35 mg/Woche oral Ibandronat (Bonviva®) 150 mg/Monat oral oder 3 mg/Monat i.v. • Denosumab (Prolia®) 60 mg/6 Monate s.c. • (Strontiumranelat: Vertrieb wegen schwerwiegender Nebenwirkungen ab August 2017 eingestellt)
Hormonelle Substitution und SERM • Östrogen • Raloxifen (Evista®) 60 mg/Tag oral
Osteoanabole Substanzen • Teriparatid (Forsteo®) 20 µg/Tag s.c.
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Prophylaxe und allgemeine Massnahmen Insgesamt basiert die Osteoporosetherapie auf vier Säulen (Abbildung 2). Mit ihnen soll eine Steigerung der Knochenfestigkeit und eine Senkung des Frakturrisikos erzielt werden. Zur Prophylaxe der Osteoporose wie auch zur Frakturprophylaxe wird in der Leitlinie auch die Bedeutung der körperlichen Aktivität zur Förderung der Muskelkraft und Koordination betont (3). Das Training sollte regelmässig und dauerhaft, mindestens zweimal pro Woche, durchgeführt werden. Sobald man mit dem Training aufhört, ist der Effekt am Knochen wieder rückläufig. Das Training sollte alle grossen Muskelgruppen berücksichtigen und progressiv angelegt sein. Das individuelle Leistungsniveau, der Gesundheitszustand sowie eventuelle Komorbiditäten müssen berücksichtigt werden (3). Darüber hinaus sind auch die Ernährung und der Lebensstil wichtig. Untergewicht sollte vermieden werden. Wichtig ist auch eine ausreichende Kalzium- und Vitamin-D-Zufuhr – es sollten laut DVO-Leitlinie pro Tag 1000 mg Kalzium und 800 bis 1000 IE Vitamin D3 aufgenommen werden (3). In diesem Zusammenhang erwähnte Hierl auch eine Studie, in der bei über 12 000 koreanischen Frauen und Männern gezeigt wurde, dass moderates oder häufiges sportliches Training ebenfalls den Vitamin-D-Serumspiegel erhöhte (4). Möglicherweise ist dieser Effekt auf den durch die sportliche Betätigung bedingten Aufenthalt im Freien und die damit verbundene Sonnenexposition zurückzuführen. Eine weitere Säule der Therapie ist die Sturzprävention. Sie spielt insbesondere bei den älteren Patienten eine wichtige Rolle. Dazu ist es zunächst wichtig, für eine sichere häusliche Umgebung zu sorgen. Erkrankungen, welche die Sturzgefahr erhöhen können, gehören behandelt. Medikamente, die das Sturzrisiko erhöhen können, wie Schlaf- und Beruhigungsmittel, sollten vermieden werden. Die körperliche Aktivität hat auch in dieser Hinsicht eine wichtige Bedeutung, denn über eine Kräftigung der Muskulatur und Verbesserung der Koordination lässt sich das Sturzrisiko verringern. Muskelkraft und Koordination werden auch durch Vitamin D verbessert. Patienten mit Mobilitätseinschränkungen sollten zudem mit den entsprechenden Hilfsmitteln versorgt werden. Die Ernährung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie sollte kalziumreich und phosphatarm sein. Vitamin-D-Zufuhr über die Nahrung oder die Steigerung der körpereigenen Produktion über die Sonnenlichtexposition wird ebenfalls empfohlen. Wenn Kalzium und Vitamin D über die Nahrung nicht ausreichend aufgenommen werden können, wird eine Substitution angeraten. Dies gilt ebenfalls für Patienten mit einer medikamentösen Osteoporosetherapie. Die Substitution
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sollte auch als «Erhaltungstherapie» während Therapiepausen der spezifischen Medikamente weitergeführt werden. Zur Dosierung erinnerte Hierl an die «1000er-Regel» aus der deutschen Osteoporose-Leitlinie (5): täglich 1000 mg Kalzium und (800–)1000 IE Vitamin D3. Die amerikanischen Guidelines empfehlen sogar 1000 bis 2000 IE Vitamin D3 (6).
Medikamentöse Therapie der Osteoporose Bei der Indikation für eine medikamentöse Therapie ist die Berücksichtigung des Risikoprofils entscheidend. Anhand des Alters, des T-Scores sowie des Vorliegens weiterer Risikofaktoren wird dann entschieden, ob eine medikamentöse Therapie indiziert ist (3). Hinsichtlich der Auswahl der Therapeutika existieren verschiedene Behandlungsansätze (Tabelle). Als Goldstandard gelten die Bisphosphonate als antiresorptive Substanzen. Diese gibt es entweder in Tablettenform zur oralen Anwendung für die wöchentliche oder monatliche Einnahme, oder zur intravenösen Gabe, die vierteljährlich oder einmal jährlich erfolgt (7). Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sind die intravenösen Gaben zu bevorzugen, da bei der oralen Gabe gastrointestinale Beschwerden sehr häufig sind. Die am zweithäufigsten eingesetzte Therapieoption ist der monoklonale Antikörper Denosumab (Prolia®), der über eine Bindung an das Osteoblasten-Signalprotein RANKL ebenfalls die Knochenresorption hemmt. Eine weitere antiresorptive Substanz ist Strontiumranelat, das zusätzlich auch anabole Wirkungen hat. Die hormonelle Substitution erfolgt mit den sogenannten SERM (selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren), wie zum Beispiel Raloxifen oder Bazedoxifen, oder mit Östrogenen. Diese Ansätze sind nur bei postmenopausalen Frauen zugelassen und empfohlen. Ein anderer Ansatz ist die Gabe von osteoanabolen Substanzen, entweder mit Parathormon oder mit Parathormonfragmenten wie Teriparatid. Es ist wichtig, dass die Therapie ausreichend lange durchgeführt wird. Dementsprechend sollte die Behandlung, wie Hierl betonte, über 3 bis 5 Jahre erfolgen. Bei Stabilität der
Osteoporose kann eine Bisphosphonatpause erfolgen, die jedoch durch regelmässige Kontrollmessungen der Knochendichte begleitet werden sollte; wenn sich die Knochendichtebefunde verschlechtern, sollte wieder mit einer antiresorptiven Therapie eingestiegen werden. Daneben ist es auch wichtig, alle eingenommenen Medikamente regelmässig zu überprüfen. Dabei sollten Wirkstoffe, die Osteoporose begünstigen können – wie Protonenpumpenhemmer, Antiepileptika und so weiter –, kritisch auf ihre Notwendigkeit überprüft werden.
Therapie von Wirbelkörperfrakturen
Die häufigsten osteoporotischen Frakturen sind die Wirbel-
körperfrakturen. Sie können bereits durch geringe Traumata
ausgelöst werden oder sogar spontan auftreten. Da solche
Frakturen extreme Schmerzen verursachen können, ist es
entscheidend, dass die Betroffenen eine ausreichende
Schmerztherapie nach WHO-Stufenschema erhalten. Weitere
Massnahmen sind die Physiotherapie, die physikalische The-
rapie sowie wirbelsäulenaufrichtende Rückenorthesen. Bei
therapieresistenten Schmerzen, bei frischen oder bis zu drei
Monate alten Kompressionsfrakturen kann man operativ
auch eine Vertebroplastie oder eine Kyphoplastie durchfüh-
ren. Diese Massnahmen können den Wirbelkörper wieder
aufrichten und führen bei den meisten Patienten auch zu
einer guten Schmerzreduktion.
x Adela Žatecky
Quelle: 2. Marburger RehaTag, 11. November 2017 in Marburg.
Literatur: 1. Ionescu AA, Schoon E: Osteoporosis in chronic obstructive pulmonary disease. Eur Respir J Suppl 2003; 46: 64S–75S. 2. Persson M et al.: Chronic Obstructive Pulmonary Disease Is Associated with Low Levels of Vitamin D Plos 2012; 7(6): e38934. 3. Dachverband Osteologie: DVO Leitlinie Osteoporose 2014. www.dv-osteologie.org 4. Choi et al.: 25(OH)D status and demographic and lifestyle determinants of 25(OH)D among Korean adults. Asia Pac J Clin Nutr 2012; 21 (4): 526–535. 5. Bartl R: Prävention und Therapie der Osteoporose, Pharm Unserer Zeit, 3/2009(38); doi: 10.1002/pauz.200800315 6. PM Camacho et al.: Endocr Pract 22: 1–42, 2016. 7. Bartl R: Osteoporose – Prävention, Diagnostik, Therapie. Thieme 2011.
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DoXli meint:
Der Kärcher pfüüst die Platten blank – der Frühling nahet, Gott sei Dank.