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Thema
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Flugreisetauglichkeit von Patienten
Aktuelle Empfehlungen
Die besonderen Umweltbedingungen an Bord eines Passagierflugzeugs beeinflussen gesunde und kranke Passagiere gleichermassen. Dennoch werden Flugreisen in den meisten Fällen von den Reisenden gut toleriert; bei Passagieren mit bestimmten Vorerkrankungen oder nach kürzlich überstandenen Operationen können jedoch Unsicherheiten hinsichtlich der Flugreisetauglichkeit entstehen. Hier ist der Hausarzt gefordert. Nachfolgend sind einige wichtige Empfehlungen des Fliegerarztes Dr. med. Matthias J. A. von Mülmann vom Medizinischen Dienst der Deutschen Lufthansa AG zusammengefasst (1).
Flugreisetauglichkeit nach Operationen Abdominale Operationen Appendektomie In unkomplizierten Fällen, also bei einer Appendektomie ohne Peritonitis nach vorheriger Perforation, kann beim älteren Patienten nach etwa zehn Tagen, beim jungen Patienten nach fünf Tagen von ausreichend festen Narbenverhältnissen ausgegangen werden, sodass einer Flugreise nichts im Wege steht. Bei gestörter Wundheilung mit entzündlichen Komplikationen sind dagegen mindestens drei Wochen anzusetzen. Aufgrund des reduzierten Luftdrucks (entsprechend einer Höhe von ca. 1600–2400 m) während des Fluges kommt es – gemäss der Gesetzmässigkeiten des Gasgesetzes von Boyle-Mariotte – zu einer Ausdehnung eingeschlossener Gase. Dies betrifft nicht nur die Luft in Nasennebenhöhlen und Mittelohr, sondern auch die Darmgase. Im Darm kann es dadurch zu einer erhöhten Belastung der Narben kommen, die im Falle einer plötzlichen Dekompression sogar zur Dehiszenz führen kann. Zusätzlich kann eine möglicherweise noch gestörte Darmmotilität mit lokalen Gasansammlungen eine ileusähnliche Symptomatik auslösen.
Cholezystektomie, Eingriffe an Nieren beziehungsweise ableitenden Harnwegen In solchen Fällen kann die Flugreisetauglichkeit aus flugmedizinischen Erwägungen schon früh ausgesprochen werden: Abhängig vom Befinden des Patienten kann das schon nach acht bis zehn Tagen der Fall sein. Bei begleitenden Komplikationen wie galliger Peritonitis oder ähnlich verlängert sich das Intervall auf 21 Tage und länger.
Herniotomie Gleiches gilt für die Herniotomie (inguinal oder umbilikal) bei konventioneller Operationstechnik. Wenn es der Allgemeinzustand erlaubt, kann bereits nach fünf bis acht Tagen positiv über die Flugreistauglichkeit entschieden werden.
Teilresektionen des Darms Solche Eingriffe erfolgen in der Regel wegen der Diagnose eines Tumorleidens oder chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Dabei ist es von geringerer Bedeutung, ob ein Anus praeter angelegt wurde oder nicht. In jedem Fall bedeutet ein solcher Eingriff mit oder ohne Unterbrechung der Kontinuität eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Funktion, insbesondere der Motilität. Auch hier muss in erster Linie wieder auf die Bedeutung und Auswirkungen des Gasgesetzes von Boyle-Mariotte verwiesen werden. In zweiter Linie ist der Allgemeinzustand inklusive eventueller Begleiterkrankungen von ganz besonderer Bedeutung. Daher ist in solchen Fällen ein etwa vierwöchiges postoperatives Intervall vor der Prüfung der Flugreisetauglichkeit vernünftig – von Einzelfällen abgesehen.
Neurochirurgische Operationen Frische neurochirurgische Eingriffe Im Gegensatz zu länger zurückliegenden neurochirurgischen Operationen, die normalerweise keinerlei Einschränkungen nach sich ziehen, hat sich bei frischen neurochirurgischen Eingriffen in der langjährigen Praxis immer wieder nur ein einziges Problem gestellt: nämlich nach einem Unfall
mit Schädel-Hirn-Trauma im Ausland und neurochirurgischer Intervention. Zur baldmöglichsten Repatriierung ist dann – je nach Zustand des Patienten – der Transport auf einem Stretcher oder im PTC vorzusehen. Wache, orientierte Patienten mit Spontanatmung sind mit dem Stretcher gut versorgt. Kontinenz ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Als Lösung bietet sich in zweifelhaften Fällen das Legen eines Blasenkatheters an sowie eine vorherige mehrtägige Vorbereitung des Darms. Alle anderen Fälle können im Linienflugzeug nur in dem räumlich komplett von der Kabine abgetrennten PTC unter intensivmedizinischen Bedingungen und dem Einsatz aller pflegerischen Massnahmen transportiert werden. Die in der Kabine eines modernen Verkehrsflugzeugs herrschende milde Hypoxie kann einen ödemfördernden Effekt haben. Prädisponierte Patienten können bereits in Druckhöhen von 2000 Meter erste Symptome der Höhenkrankheit zeigen.
Hirnödem Für Patienten mit gering ausgeprägtem Hirnödem gibt es noch kaum gesicherte Erkenntnisse über das Wann und Wie einer Flugreise, besonders wenn es sich um geschwächte Kranke handelt. Zur Hypoxieprophylaxe ist in jedem Fall eine kontinuierliche Sauerstoffversorgung angezeigt. Ebenso ist die Begleitung durch einen Arzt oder erfahrenen Rettungsassistenten notwendig. Medikamente zur Behandlung eines Hirnödems sollten griffbereit sein.
Operationen zur Druckentlastung Patienten nach solchen Eingriffen, wie sie beispielsweise nach subduralem Hämatom oder blutenden Aneurysmen erfolgen, sind schon nach etwa zwei bis drei Wochen wieder transportfähig, wenn keine beeinträchtigenden Restzustände vorliegen. Es ist sinnvoll, auch bei normalen Kreislaufparametern, unbeeinträchtigter Lungenfunktion und Blutgasanalyse zur Prophylaxe eines hypoxisch bedingten Hirnödems eine kontinuier-
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liche zusätzliche Sauerstoffversorgung zu erwägen. Wichtig: Das Vorhandensein intrakranieller Luft ist vor der Flugreise unbedingt auszuschliessen – andernfalls kann dies bei Ausdehnung der Restluft in Kabinendruckhöhe zu einer akuten Einklemmung führen.
Kardiale Eingriffe Bei kardialen Eingriffen ist selbstverständlich die Grunderkrankung zu berücksichtigen.
Operationen an Herz und Thorax Rekonstruktion von Vitien oder Klappenersatz Bei der Rekonstruktion von Vitien oder Klappenersatz bestehen nach Entlassung aus dem Spital keine flugmedizinischen Bedenken, da postoperativ wieder eine normale oder zumindest weitestgehend normale Herzfunktion vorliegt.
Bypass Auch nach Anlage eines oder mehrerer Bypässe sind nach Genesung normalerweise keine Einschränkungen erforderlich.
Pulmonale Operationen Bei pulmonalen Eingriffen ist wiederum die Grunderkrankung von Bedeutung. Resektion von Bullae bei Emphysem/ operative Behandlung eines Pneumothorax Nach Resektion von Bullae bei Emphysem oder der operativen Behandlung eines Pneumothorax – wozu auch die Anlage einer Bülau-Drainage zählt – kann man wieder früh eine positive Entscheidung fällen. Die Lungenfunktion hat sich gegenüber der präoperativen Situation verbessert. Ein postoperatives Intervall von zwei bis drei Wochen ist hier in der Mehrzahl der Fälle ausreichend.
Lappen(teil)resektionen Hier ist ein besonderes Augenmerk auf die Grunderkrankung zu richten wie zum Beispiel Tumoren oder Tuberkulose. In jedem Fall muss hier eine ausreichend lange Rekonvaleszenzzeit abgewartet werden, um den übrigen Abschnitten der Lunge genügend Zeit zur Anpassung zu geben.
Endoskopische Eingriffe Grundsätzlich kann bei endoskopischen Eingriffe davon ausgegangen werden, dass wesentlich eher Beschwerdefreiheit eintritt. Allerdings ist hier besonders zu berücksichtigen, dass das Füllgas aus dem Abdomen weitgehend entfernt beziehungsweise resorbiert worden ist, um zwar unangenehme, aber nicht gefährliche Beschwerden durch den Ausdehnungseffekt zu vermeiden.
Flugreisetauglichkeit bei Erkrankungen Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen Infekte der oberen Luftwege Infekte der oberen Luftwege (Laryngitis, Tracheitis, Bronchitis) bedürfen keiner besonderen flugphysiologischen Überprüfung, da keinerlei Beeinträchtigungen zu erwarten sind, die über das hinausgehen, was die Erkrankung ohnehin mit sich bringt.
Sinusitis Bei einer bestehenden Sinusitis kann der Druckausgleich meistens problemlos vollzogen werden, wobei gleichzeitig immer ein abschwellendes Nasenspray eingesetzt werden sollte. Dieses sollte vor allem im Sinkflug bis zur Landung regelmässig in 10- bis 15-minütigen Abständen appliziert werden. Bei chronischer Sinusitis ist die abschwellende Behandlung häufig nicht mehr wirksam. Falls hier Beschwerden bestehen und die Notwendigkeit häufiger Flugreisen gegeben ist, ist eine operative Sanierung (Ballondilatation oder endoskopische Abtragung von Knochenwülsten unter Schonung der Schleimhäute) zu erwägen.
Otitis media Grösste Zurückhaltung und Vorsicht ist bei der Beurteilung der Flugreisetauglichkeit bei der akuten sowie chronischen Otitis media gegeben – insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern. Die spaltförmige Paukenhöhle ist in der Regel durch den bereits am Boden gestörten Druckausgleich und der allmählichen Resorption der Luft bis auf einen geringen Rest praktisch aufgehoben. Neben dem eingeschränkten Hörvermögen bestehen Schmerzzustände wechselnder Intensi-
Die Empfehlungen stammen aus dem Buchkapitel «Flugreisetauglichkeit bei Erkrankungen» von Dr. med. Matthias J. A. von Mülmann vom Medizinischen Dienst der Deutschen Lufthansa AG, publiziert im «Taschenbuch Flugmedizin und ärztliche Hilfe an Bord» (Hrsg. Uwe Stüben, Jürgen Graf; 2. Auflage, Dez. 2013; ISBN 978-3-95466-093-3). Übernahme und Bearbeitung mit freundlicher Genehmigung von der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft (MWV; www.mwv-berlin.de).
tät. Selbst durch die reichliche Gabe abschwellender Präparate gelingt das Abschwellen der entzündlich-ödematös geschwollenen Schleimhäute nicht mehr. Die Tuba eustachii ist damit ihrer Funktion beraubt, der relative Unterdruck in der Paukenhöhle nicht mehr ausgleichbar. Dieser Zustand ist mit sehr starken Schmerzen verbunden und würde durch die Exposition weiterer Druckdifferenzen massiv verschlimmert. Mit einer Otitis media ist man also bis zur vollständigen Genesung auf keinen Fall flugreisetauglich! Sie ist auch eine der wenigen Erkrankungen, die nach Vorlage eines fach- und flugmedizinischen Attests von den Versicherern im Falle einer Reiserücktrittskostenversicherung anerkannt wird. Dazu muss die Funktionsuntüchtigkeit der eustachschen Röhre zum Beispiel durch eine Tympanometrie auch belegt werden.
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Redaktionelle Bearbeitung: Claudia Reinke (nach Vorlage eines in coliquio.de erschienenen Beitrags mit freundlicher Genehmigung).
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