Transkript
2 • 2017
Kongressbericht
NOAK-Antidot macht Gerinnungshemmung noch sicherer
Schnelle und komplette Antagonisierung bei Bedarf
Ungeachtet ihres günstigen Sicherheitsprofils wurde gegen die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) häufig ein Argument ins Feld geführt: das Fehlen eines Antidots und damit der Möglichkeit, die Antikoagulation im Bedarfsfall zu antagonisieren. Diese Lücke wird nun geschlossen.
Mit Idarucizumab kam vergangenes Jahr ein spezifisches Antidot für den direkten Thrombininhibitor Dabigatranetexilat auf den Markt. Es ist indiziert bei nicht beherrschbaren oder lebensbedrohlichen Blutungen unter Dabigatran sowie bei Patienten, die sich einer Notoperation unterziehen müssen, sofern nicht genügend Zeit bleibt, Dabigatran abzusetzen. «Idarucizumab ist ein Fab-Fragment, also ein Teil eines Immunglobulins, und bindet mit hoher Affinität an Dabigatran. Das Fab-Fragment bindet sowohl an freies als auch an thrombingebundenes Dabigatran und zeigt keine anderen Aktivitäten, insbesondere keine anderen Wirkungen auf die Blutgerinnung. Idarucizumab wird intravenös infundiert und hat eine kurze Halbwertszeit», berichtete Prof. Peter Verhamme aus Leuven (B). Wirksamkeit und Sicherheit von Idarucizumab wurden in einem aufwendigen Phase-I-Studienprogramm mit drei Studien und insgesamt 283 Probanden untersucht. Bei den Testpersonen handelte es sich um unterschiedliche und realistische Populationen, das heisst in einer der Studien waren die Probanden (ungewöhnlich für Phase I) alt und teilweise niereninsuffizient. In diesen Studien führte die Gabe des Antidots zu einem sofortigen Abfallen der Dabigatranspiegel im Blut. Der Effekt hielt für mindestens 24 Stunden an. «Basierend auf diesen Daten begannen wir schliesslich die Studie REVERSE AT», sagte Dr. Charles Pollack aus Philadelphia (USA). In die
einarmige Phase-III-Studie wurden Patienten aufgenommen, die unter Dabigatran entweder eine schwere Blutung entwickelten oder sich einer Notoperation unterziehen mussten. Die Entscheidung zum Einsatz des Antidots wurde klinisch getroffen, ohne auf Laborwerte zurückzugreifen. Die Patienten erhielten eine Infusion mit 5 g Idarucizumab. Pollack: «Diese hohe Dosis wurde so gewählt, dass sie Dabigatran bis zur 99. Perzentile der aus den Zulassungsstudien bekannten Dabigatranspiegel neutralisiert.» Der ungewöhnliche Weg einer nicht plazebokontrollierten Phase-IIIStudie musste aus ethischen Gründen gewählt werden. Es sei, so Pollack, nicht vertretbar, Patienten in akuten Notfallsituationen mit Plazebo zu behandeln, wenn man ein Medikament habe, von dem man annehmen könne, dass es wirke. Die Option eines aktiven Vergleichsarms habe ebenfalls nicht bestanden, weil es keine vergleichbaren Substanzen gibt. Bei den bis jetzt publizierten 90 Dabigatranpatienten aus dieser Studie wurde der primäre Endpunkt erreicht. Idarucizumab führte zu einer schnellen und kompletten Antagonisierung der Wirkung von Dabigatran. Diese Wirkung blieb in der deutlichen Mehrzahl der Patienten (90% bzw. 81%) bestehen. Bei Patienten, die operiert werden mussten, wurde in 92 Prozent eine normale intraoperative Hämostase beobachtet. Das hat, so Pollack, Auswirkungen auf die klinische Praxis: «Unsere Patienten mit Vorhofflimmern sind tendenziell älter und multimorbid. In dieser Population kommen Ereignisse wie Stürze vor, die das Blutungsrisiko erhöhen, und Operationen können erforderlich werden. Wenn diese Patienten mit Dabigatran antikoaguliert werden, haben wir jetzt die Sicherheit, dass wir die Wirkung der Antikoagulation aufheben können. Falls eine Operation erforderlich wird, kann der Patient nach Gabe von Idarucizumab sofort operiert werden. Schon nach 24 Stunden kann die An-
tikoagulation wieder begonnen werden, wenn das
klinisch wünschenswert ist. So wird die Zeit ohne
Antikoagulation minimiert.» Pollack betont auch,
dass die Verfügbarkeit eines Antidots die Wahl
des Antikoagulans beeinflussen kann: «Man
kommt nicht oft in Situationen, wo man das be-
nötigt, aber wenn der Fall eintritt, dann ist es gut,
wenn man diese Option hat. Für die nächste Zu-
kunft wird Dabigatran das einzige NOAK bleiben,
für das es ein Antidot gibt.» Verhamme wies er-
gänzend darauf hin, dass diese Sicherheit auch
vielen Patienten wichtig sei.
Die Erfolge aus der Zulassungsstudie entspre-
chen, so Dr. Rajat Deo aus Philadelphia (USA),
den Beobachtungen, die seit der Zulassung im kli-
nischen Alltag gemacht wurden: «Idarucizumab
ist heute in mehr als 2700 Krankenhäusern in den
USA und mehr als 2500 Krankenhäusern in
Europa sowie in Japan, Australien und Neusee-
land verfügbar.»
x
Reno Barth
Quelle: Satellitensymposium «Immediate reversal of dabigatran with idarucizumab: our clinical experience» (Sponsor: Boehringer Ingelheim) anlässlich des Jahreskongresses der European Society of Cardiology (ESC), 28. August 2016 in Rom.
Referenzen: 1. Glund S et al.: A randomised study in healthy volunteers to investigate the safety, tolerability and pharmacokinetics of idarucizumab, a specific antidote to dabigatran. Thromb Haemost 2015; 113: 943–951. 2. Glund S et al.: Idarucizumab, a specific antidote for dabigatran: immediate, complete and sustained reversal of dabigatran induced anticoagulation in elderly and renally impaired subjects. Blood 2014; 124: 344. 3. Glund S et al.: Safety, tolerability, and efficacy of idarucizumab for the reversal of the anticoagulant effect of dabigatran in healthy male volunteers: a randomised, placebo-controlled, double-blind phase 1 trial. Lancet 2015; 386 (9994): 680–690. 4. Pollack CV Jr et al.: Idarucizumab for Dabigatran Reversal. N Engl J Med 2015; 373 (6): 511–520.
– 41 –