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Kongressbericht
2 • 2017
Chemotherapie und kardiale Toxizität
ESC veröffentlicht Positionspapier zur Kardioonkologie
Moderne onkologische Therapien haben die Überlebenschancen bei den meisten Malignomen deutlich verbessert. Allerdings sind sie in der Regel auch mit erheblichen Toxizitäten verbunden. Diese Toxizitäten betreffen nicht selten das Herz. Die ESC reagiert mit einem Positionspapier zur Kardioonkologie.
Aufgrund der Wirksamkeit onkologischer Therapien und des verbesserten Langzeitüberlebens vieler Krebspatienten werden Kardiologen immer häufiger nicht nur mit akuter Kardiotoxizität, sondern auch mit kardialen Spätschäden infolge toxischer Krebstherapien konfrontiert. Angesichts dieser Situation hat die ESC unter der Aufsicht ihres Leitlinienkomitees zum ersten Mal ein Positionspapier zur kardialen Toxizität von Krebstherapien erstellt. Da die Evidenz zu den behandelten Fragen nach wie vor spärlich ist, kann das Dokument, so Prof. Patrizio Lancellotti aus Lüttich (B), nicht als vollwertige Leitlinie zu diesem Thema betrachtet werden. Während onkologischer Therapien kann es – so Prof. Thomas Suter vom Inselspital Bern – einerseits zu reversiblen (Dysfunktion Typ 2), andererseits aber auch zu irreversiblen (Dysfunktion Typ 1) Schädigungen des Herzens kommen. Sind diese Toxizitäten relativ mild und reversibel, kann die Therapie fortgeführt werden. Schwere und/oder irreversible Schäden am Herzmuskel zwingen zum Abbruch der onkologischen Therapie.
Langzeitschäden durch Anthrazykline Als besonders problematisch gelten die Anthrazykline, weil die von ihnen verursachten (Spät-) Schäden irreversibel sind und Jahre nach der Behandlung auftreten können. Potenziell kardiotoxisch sind allerdings zahlreiche in der Onkologie eingesetzte Substanzen. So können konventionelle Chemotherapeutika je nach Substanz und
Dosis bei zwischen 1 Prozent und fast der Hälfte der Patienten kardiale Nebenwirkungen entfalten. Neuere zielgerichtete Therapien und Biologika wie Her2-Inhibitoren, Anti-VEGF-Therapien und Tyrosinkinaseinhibitoren verursachen potenziell sowohl kardiale Dysfunktion als auch (sehr selten) Herzinsuffizienz, wobei die Inzidenzen zwischen 1 und beinahe 20 Prozent liegen. Lancellotti wies auch auf das Problem von Arrhythmien hin, die je nach Therapie bei bis zu einem Drittel der Patienten auftreten können und einerseits symptomatisch und für die Betroffenen belastend, andererseits aber auch lebensbedrohlich sein können. Das Positionspapier erläutert im Detail die potenziellen Kardiotoxizitäten der verschiedenen Substanzen und gliedert sie in neun Gruppen: Myokarddysfunktion und Herzinsuffizienz; koronare Herzkrankheit, Klappenerkrankungen, Arrhythmien, Hypertonie, thromboembolische Erkrankungen, periphere Gefässerkrankung und Schlaganfall, pulmonale Hypertonie und Perikardkomplikationen. Zu jeder einzelnen Komplikation wird angeführt, welche Patienten besonders gefährdet sind und wie sich die potenziellen Schäden vermeiden und diagnostizieren lassen. Die Diagnose kardialer Schäden erfolgt mittels EKG, Imaging oder Biomarkern.
Bei vielen Kardiotoxizitäten bestehen Interventionsmöglichkeiten Darüber hinaus ist auch eine Reihe von patientenbezogenen Faktoren bekannt, die das Risiko kardialer Toxizitäten erhöhen. Suter nannte Alter, bestehende Herzkrankheit, genetische Faktoren sowie konkomitante onkologische Therapien wie zum Beispiel Bestrahlung des Mediastinums. Daraus ergeben sich praktische Konsequenzen. Beispielsweise erhöht die Koadministration von Anthrazyklinen und Trastuzumab bei Brustkrebspatientinnen deutlich das Risiko von Herzinsuffi-
zienz. Werden die beiden Therapien zeitlich
versetzt gegeben, reduziert sich das Risiko erheb-
lich. Weiter besteht in vielen Fällen die Möglich-
keit einer medikamentösen Intervention mit ACE-
Hemmern oder Betablockern. Darüber hinaus
empfiehlt die Leitlinie einen «herzgesunden» Le-
bensstil mit gesunder Ernährung und ausreichend
Bewegung. Aerobes Training wird als vielverspre-
chende nicht pharmakologische Massnahme zur
Reduktion des Risikos eingeschätzt. Patienten
müssen bereits bei Beginn einer Chemotherapie
über ihr erhöhtes Risiko aufgeklärt und ermutigt
werden, etwaige kardiale Symptome umgehend
den behandelnden Ärzten mitzuteilen.
Nicht zuletzt unterstreicht das Positionspapier die
Bedeutung multidisziplinärer Teams, um die
optimale Versorgung von Krebspatienten sicher-
zustellen. Diesen Teams sollten Onkologen,
Kardiologen (insbesondere Spezialisten für Herz-
insuffizienz), Radiologen und Pflegekräfte ange-
hören. Letztlich würden kardioonkologische Zen-
tren benötigt, die eine entsprechend strukturierte
Versorgung anbieten können.
Das Positionspapier zur Kardioonkologie wurde
simultan im «European Heart Journal» (1) und auf
der ESC-Website publiziert.
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Reno Barth
Referenz: 1. 2016 ESC Position Paper on cancer treatments and cardiovascular toxicity developed under the auspices of the ESC Committee for Practice Guidelines. European Heart Journal 2016. doi: 10.1093/eurheartj/ehw211
Das Positionspapier online:
http://eurheartj.oxfordjournals.org/content/ehj/early/2016/08/24 /eurheartj.ehw211.full.pdf
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