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2 • 2017
Medizin im Fokus
Arteriosklerose: Neue Theorie erschüttert bisherige Lehrmeinung
Bis anhin schienen die Ursachen der Arteriosklerose klar: Die Gefässerkrankung wird durch Ablagerung von Blutfetten und nachfolgende Thrombenbildungen an der Innenwand der Blutgefässe ausgelöst. Ein Herzchirurg bezweifelt jetzt diese Lehrmeinung und macht andere Risikofaktoren für die Entstehung der Arterienverkalkung verantwortlich.
Der Herzchirurg Axel Haverich, Direktor der Herz-, Thorax-Transplantations- und Gefässchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover, weiss aus jahrelanger Erfahrung, wie verkalkte Blutgefässe aussehen. Bei seinen zahlreichen Herz- und Gefässoperationen fiel ihm immer wieder auf, dass stets nur bestimmte Abschnitte der Herzkranzgefässe arteriosklerotische Veränderungen zeigten, während andere Bereiche niemals krankhafte Anzeichen aufwiesen. Aufgrund seiner Beobachtungen bezweifelt Haverich nicht nur, dass die Arteriosklerose eine generalisierte Gefässerkrankung darstellt, sondern auch, dass sie an der Innenwand der Arterien beginnt.
Infarkte in der Arterienwand Haverich ist der Ansicht, dass die Ablagerungen in den Gefässen nicht durch Blutfette verursacht werden, sondern durch Überreste abgestorbener Zellen, die nach einem akuten Verschluss der Versorgungsgefässe (Vasa vasorum) in der Aussenwand der Arterie anfallen. Solche Infarkte der Arterienwand werden durch Entzündungsprozesse ausgelöst, die durch Viren, Bakterien oder Feinstaub entstehen, aber auch durch schädliche Fettpartikel (oxidiertes LDL-Cholesterin). Seltener sind nervale oder traumatische Ereignisse.
Zellabfälle lassen Plaques entstehen Durch Abbau- und Reparaturprozesse des Immunsystems würden die abgestorbenen Zellen verarbeitet. Die entstehenden Zellabfälle bildeten die sogenannten Plaques, die letztlich zu einer Verdickung der Gefässinnenwand und schliesslich zu einem Verschluss der betroffenen Arterie führten. Haverich sieht sich in seiner Theorie durch neue Risikofaktoren für die Arteriosklerose bestätigt. So hätten andere Forscher in den letzten Jahren die DNA von mehr als 30 verschiedenen Keimen aus arteriosklerotischen Plaques isoliert. Untersu-
chungen der vergangenen Jahre konnten zudem eine Korrelation zwischen einer erhöhten Herzinfarktrate und dem Auftreten von Grippeepidemien mit Lungenentzündungen belegen. Diese Zusammenhänge seien mit der bisherigen Theorie der erhöhten Blutfettwerte allein nicht zu erklären. Zur Prävention der Arteriosklerose empfiehlt Haverich neben einer gesunden Lebensführung (gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung) die Verhinderung und die Prävention von Infektionskrankheiten sowie die Sanierung chronischer Entzündungen. Im Übrigen fand Haverich im Verlauf seiner Recherchen Parallelen zu seinen Erklärungsansätzen: Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es verschiedene Publikationen, die seine Theorie der Versorgungsstörung der Arterienwand und den Zusammenhang mit entzündlichen Infektionskrankheiten als mögliche Ursache für die Arteriosklerose untermauern. In der offiziellen Lehrmeinung wurden sie allerdings nie berücksichtigt. CR
Literatur: Haverich A: A Surgeons View on the Pathogenesis of Atherosclerosis. Circulation 2017; 135 (3): 205–207.
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