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Medizin im Fokus
4 • 2016
Fernreisen Multiresistente «Superkeime» als riskante Mitbringsel
Wie das Institut für Infektionskrankheiten der Universität Bern vor Kurzem berichtete, fanden sich bei drei von vier Schweizer Touristen, die von einer Indienreise zurückkehrten, multiresistente Keime. Dies ergaben Untersuchungen der Darmflora der Reisenden. Zudem wurde ein Bakterienstamm isoliert, der eine Genvariante besitzt, die eine Resistenz gegen das derzeit einzige noch wirksame Antibiotikum Colistin vermittelt.
Colistin – ein hochwirksames Polymyxin-Antibiotikum – ist eine der wenigen Substanzen, die noch gegen Infektionen durch multiresistente Keime erfolgreich eingesetzt werden kann. Inzwischen muss aber auch hinsichtlich dieses Reserveantibiotikums immer häufiger mit Resistenzen gerechnet werden. Diese werden mit dem sogenannten mcr-1-Gen über Plasmide von Bakterium zu Bakterium weitergegeben, ein einfacher und äusserst effizienter Übertragungsweg, der eine rasche Ausbreitung der Information in der Bakterienpopulation erlaubt. Die Folgen sind immer
häufiger tödlich verlaufende Infektionskrankheiten – weltweit sterben pro Jahr mehrere 100 000 Menschen, weil Antibiotika nichts mehr ausrichten können. Im November 2015 wurden in China beispielsweise Stämme der Bakterien Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae – beides Erreger, die beim Menschen unter anderem für Harn- und Atemwegsinfektionen verantwortlich sind – entdeckt, die eine weitverbreitete Resistenz gegen Colistin in sich trugen. Diese Bakterienstämme fanden sich unter anderem im Darmtrakt von Menschen und Nutztieren sowie in Geflügelfleisch; inzwischen wurden sie jedoch auch in anderen Ländern nachgewiesen.
Colistinresistente Superkeime aus Indien importiert Im Rahmen einer Studie haben Mikrobiologen des Instituts für Infektionskrankheiten der Universität Bern erstmals die Darmbakterienpopulation von Reisenden untersucht, die von Indien in die Schweiz zurückgekehrt sind. Auslöser dieser Untersuchung war die Erkenntnis, dass rückkehrende Fernreisende häufig mit sogenannten mul-
tiresistenten «Superkeimen» befallen sind. In diesem Zusammenhang wollten die Autoren wissen, wie es mit der gegenwärtigen Verbreitung des mcr-1-Gens in multiresistenten Darmbakterien tatsächlich aussieht. Dazu untersuchten die Berner Forscher Stuhlproben von 38 Schweizer Personen vor und nach einer Indienreise im Jahr 2015. Der Auslandaufenthalt betrug im Schnitt 18 Tage. Im Vergleich zu früheren Reisen in andere Länder in den 12 Monaten vor ihrer Indienreise litten 39 Prozent der Studienteilnehmer nach ihrer Rückkehr aus Indien an Reisedurchfall und zusätzlichen Symptomen. Für die Behandlung kamen keine Antibiotika zum Einsatz. Die Untersuchung lieferte überraschende Befunde: Bei 76 Prozent der Reisenden entdeckten die Forscher multiresistente Darmbakterien; 11 Prozent waren Träger colistinresistenter Stämme, bei einem dieser Bakterienstämme konnte das über Plasmide übertragbare mcr-1-Gen nachgewiesen werden.
Umwelt und Nahrungskette
als Überträger
Wie molekulare Analysen ergaben, werden die ge-
fährlichen Keime während der Indienreise durch
die Umwelt oder die Nahrungskette aufgenom-
men. Auch für gesunde Träger diese Superkeime
besteht selbst später noch ein hohes Risiko, le-
bensgefährlich zu erkranken, wenn beispielsweise
Harnwegs- oder Atemwegsinfekte auftreten, da die
Erreger nur schwer therapierbar sind. Um die Aus-
breitung unbehandelbarer Superkeime in der
Schweiz zu verhindern, empfehlen die Autoren der
Studie, die mögliche Ansteckung Reisender mit co-
listinresistenten Bakterien im Auge zu behalten
und rasch spezifische und engmaschige Monito-
ringprogramme einzuführen, um mögliche Infektio-
nen durch Darmbakterien mit dem mcr-1-Gen sowie
ihre Ausbreitung zu verhindern.
CR
Foto: © ZVG
Quelle: Universität Bern, Medienmitteilung vom 19. Juli 2016.
Literatur: Bernasconi OJ, Kuenzli E, Pires J et al.: Travelers Can Import Colistin-Resistant Enterobacteriaceae Including Those Possessing the Plasmid-Mediated mrc-1 Gene. Antimicrob Agents Chemother 2016 Jun 13, pii:AAC.00731-16 [Epub ahead of print] PubMed PMID: 27297483 .
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